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Der Domschatz

Die Dotation – Die Bedeutung der Bischofsstädte für die Kleinkunst – Die karolingische Renaissance – Die ottonische Renaissance – Die Edelmetallkunst – Das byzantinische Kreuzreliquiar – Verwandte heimische Technik – Theophano – Die Kapsel des Petrusstabes – Die Werkstatt Egberts von Trier – Germanische Erfindungsgabe – Die byzantinische Welle des 13. Jahrhunderts – Die Limburger Staurothek als Vorbild der Kreuzladen von Trier und Mettlach – Ihr Einfluß auf das Limburger Dombild – Die Kunst aller Künste – Der Lichtgedanke des Morgen- und Abendlandes

 

Das Bistum Limburg ist eines der jüngsten in Deutschland. Nachdem durch den Frieden von Luneville die linksrheinischen Länder im Jahre 1801 unter französische Herrschaft gelangt waren, wurde das Kurfürstentum Trier, das sich seitdem auf das ihm noch verbliebene rechtsrheinische Territorium mit dem Sitz in Ehrenbreitstein beschränkte, durch den Reichsdeputationshauptschluß vom Jahre 1803 völlig aufgehoben und das bisherige Hoheitsgebiet des Kurstaats dem Herzogtum Nassau zugesprochen. Auch der Schatz des Erzstifts und die kurfiskalischen Pretiosen, die schon im Jahre 1792 vor den anrückenden französischen Revolutionsheeren auf 24 Wagen nach der Mosel geflüchtet worden waren, um zu Schiff nach der kurfürstlichen Festung Ehrenbreitstein gerettet zu werden. Mancher kostbare Reliquienbehälter wurde dort geleert und eingeschmolzen, vieles wurde versilbert und verschleudert, manches reiste mit dem Kurfürsten nach Augsburg. Was in Ehrenbreitstein verblieb, wanderte in die nassauische Silberkammer – nach Weilburg oder Biebrich.

Die aus Trier stammenden Stücke des Limburger Domschatzes bilden den wertvollsten Teil der Dotation, mit der das herzogliche Haus Nassau das im Jahre 1827 durch die päpstliche Bulle Ad dominici gregis custodiam errichtete Bistum ausstattete.

Neuer Reichtum, ohne Beziehung zu Limburg; nicht geschichtlich geworden wie der nunmehr zur bischöflichen Kathedrale erhobene Georgendom. Allein, wie dieser die Lahnstadt mit der Baugeschichte Westeuropas verknüpft und dadurch, seiner örtlichen Bedeutung entkleidet, zu einem nationalen Werte aufrückt, so befinden sich auch unter den im Feuer von Tausenden von Edelsteinen erstrahlenden Insignien der bischöflichen Würde und sakralen Geräte des Limburger Domschatzes Werke der Kleinkunst, die über das landschaftliche Interesse hinaus Spiegel der gesamten Geistesgeschichte darstellen. Sie rücken die nationale Bedeutung unsrer alten Bischofsstädte als Kunstzentren in das glänzendste Licht. Wenn sich nämlich gerade dort neben Werken der Malerei und Plastik auch die hervorragendsten Erzeugnisse des Kunsthandwerks finden, so werden wir daran erinnert, daß die Kirche seit der Zerstörung der Römerstädte und dem Untergang des weltlichen Kunsthandwerks, der den Zusammenbruch der bürgerlichen Kultur während der Völkerwanderung begleitete, die Heimstätte der gesamten künstlerischen Tätigkeit geworden war. Wie Trier, sehen wir daher alle Zentren des religiösen Lebens – Aachen, Bamberg, Köln, Essen, Regensburg – an Erzeugnissen des Kunsthandwerks reich begütert. Die Schatzkammer, die der Kardinal Albrecht von Brandenburg in Halle mit Werken alter und neuer Goldschmiedekunst gefüllt hatte, war so märchenhaft und ohne ihres Gleichen in Mitteleuropa, daß man ihrem in der Bibliothek zu Aschaffenburg befindlichen, mit farbigen Wiedergaben ausgestatteten Bestandsverzeichnis nur die Schatzkataloge der chinesischen Kaiser in Peking an die Seite stellen konnte.

Trotz solcher Thesaurierungen darf man jedoch nicht an eine eigentliche Sammeltätigkeit denken. Schon frühe begegnen wir Kirchenfürsten selbst als Trägern der Kunstentwicklung. Wie bereits im 7. Jahrhundert der hl. Eligius als Goldschmied gerühmt wird, knüpft sich die Goldschmiedekunst um die Wende des Jahrtausends aufs engste an die Namen Bernward von Hildesheim, Meinwerk von Paderborn und Egbert von Trier.

Aus der Werkstätte, die, von Erzbischof Egbert zur Erzeugung liturgischer Geräte in der Nähe des Doms errichtet, nach seinen Anregungen und unter seiner unmittelbaren Aufsicht arbeitete, ist das Reliquiar des Petrusstabes im Limburger Domschatz hervorgegangen, (Abb. 54) Wenn die Egbertschule neben Metz bald die führende Rolle für den Westen übernahm, wie die Kunstschule der Reichenau für den Süden, so hat die besondere Gunst, die Otto III. und seine Mutter Theophano dem kunstliebenden Erzbischof zuwandten, viel dazu beigetragen; wie denn überhaupt die enge Verbindung des Herrscherhauses mit der Kirche unter den Ottonen, die sich nie wieder in diesem Grade einstellte, die Grundlage für die Kunstblüte des 10. Jahrhunderts schuf. Mit Recht trägt die Epoche den Namen der Ottonischen Renaissance.

 

Es waren kaum hundert Jahre vergangen, daß Karl der Große die kulturelle Erziehung des Volkes in die Hand genommen, indem er Bildung zur Pflicht erhob: »daß wer Gott zu gefallen strebt, indem er recht lebt, ihm auch zu gefallen nicht versäume, indem er richtig redet«. Die Wiedergeburt aus dem klassischen Erbe, die bei dem ununterbrochen weiterströmenden antiken Wissen längst triebhaft eingesetzt hatte, wurde in der kaiserlichen Hofakademie, wo die höchste Auslese der germanischen Stämme in Alkuin, Warnefried, Angilbert und Theodulf vertreten war, planmäßig gefördert. Sie stellte in erster Linie eine literarische Bewegung dar. Wie Karl sein Zeitalter das Vaterunser fränkisch beten lehrte, alle Zeugnisse des Volkstums sammelte und in seinen Aachener Werkstätten das heimische Kunstgewerbe pflegte, so vollzog sich unter dem Einfluß der Klöster, vor allem der Klosterschule von Fulda mit ihrem großen Lehrer Rabanus Maurus die Umschmelzung des Christentums ins Germanische, die in den beiden Evangeliendichtungen »Krist« und »Heliand« ihren epochemachenden Ausdruck fand. Einhard hat die Bedeutung der Karolingischen Renaissance richtig erkannt, wenn er die Zeit, in der ein Naturvolk sich in die Bildungsmasse der alten Kultur einzuleben begann, als goldnes Zeitalter feierte.

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Abb. 54 Limburg, Domschatz. Kapsel des Petrusstabes.

Wenn die Erneuerung hier von der römischen Spätantike ausgeht, gewinnen unter den Ottonen Einflüsse von Byzanz die Oberhand. Ebenfalls eine lateinische Renaissance. Denn Byzanz war die Erbin der Antike. Doch nicht mehr deutsche Dichtung wird nun von den Kaisern gepflegt, deren Geistesrichtung ganz in römischer und griechischer Bildung wurzelt. Ekkehards Heldengedicht von »Walthari« ist lateinisch geschrieben und Otto II. war gelehrt genug, an lateinischen Disputationen teilzunehmen. Diese Bewegung mußte ihren Höhepunkt erreichen, als sie mit der griechischen Kultur des Ostens zusammentraf. Die byzantinische Welle, die der Vermählung Ottos II. mit der griechischen Kaisertochter Theophano folgte, hat die Bauten der Ottonen St. Pantaleon, St. Andreas, Groß St. Martin in Köln und die Abteikirche von Brauweiler zwar kaum berührt, wenn man nicht in dem höfischen Geist und repräsentativen Charakter des Ottonischen Stils Kennzeichen dafür finden will. Die Kunst, in der sich vielleicht die letzten geistigen Absichten des Orients offenbarten, waren seine Goldschmiede- und Zellenschmelzschöpfungen, Werke der Kleinkunst, die zeigen, daß Monumentalität keine Frage des Formates ist. Hier war der höchste Gipfel einer Technik erreicht, deren verschwenderische Anhäufung von Gold, Edelsteinen, Perlen, Kameen, Gemmen, Filigran und Schmelzbildern – über eine rein ästhetisch-dekorative Formwertung hinaus – als Sinnerfüllung eines Höheren verstanden werden wollte. Haftete an jenen Stoffen nicht Licht von dem Licht, das die Welt nicht kannte, bevor es in die Welt kam, um alle zu erleuchten? Apokalyptische Gesichte der himmlischen Stadt tauchen auf, die keiner Sonne noch des Mondes bedarf, weil die Gassen lauteres Gold und durchscheinend Glas, die Mauern aus Saphir und die Perlentore voll blitzender Engel sind. Die Finsternis sendet ihren Sonnengesang zum Thron alles Lebens empor.

Das Abendland erblickte in dem Lichtzauber des Goldes, dem Farbenmärchen des Emails zunächst das, was es selbst nicht hatte: Die Vornehmheit der alten Rasse und Kultur. Aber es empfand in dem Abglanz der Pracht und des sagenhaften Reichtums der Kaiserstadt am Bosporus auch jenes andere, das seinem Wesen urbekannt und vertrautester Besitz war: Das Geheimnis des Lichts, das auch dem germanischen Menschen als Sinnbild göttlichen Lebens galt. Ex Oriente lux. Er erlebte die Goldhintergründe jener Reliquienladen, Antependien und Tragkreuze als Spiegel himmlischen Glanzes.

 

Nichts kann einen stärkeren Eindruck von der byzantinischen Schmuckkunst des 10. Jahrhunderts vermitteln als das Kreuzreliquiar des Limburger Domschatzes.

Als das Kreuzheer im Jahre 1204 Konstantinopel erobert hatte, schenkte der zum byzantinischen Kaiser gewählte deutsche Graf Balduin von Flandern seinem treuen Waffengefährten Graf Heinrich von Ulmen, dessen Burg am Ulmer Maar in der Hocheifel stand, das kostbarste Beutestück, das Konstantinopel, die schönste Stadt der Welt, in ihren Mauern barg. Es war das gegen 975 entstandene Vortragskreuz der oströmischen Kaiser Konstantin VII. und Romanos II., das einzige uns erhaltene jener Siegeszeichen, die aus dem heiligen Kreuzesholz gefertigt, den kaiserlichen Kriegszügen vorangetragen zu werden pflegten. Heinrich von Ulmen schenkte die Partikel – die an Größe nur von einer Kreuzreliquie in Rom übertroffen wird – nebst der goldnen Lade, in der sie aufbewahrt wurde, dem adeligen Frauenkloster Stubben an der Mosel, wo der wertvolle Schatz verblieb, bis er nach Aufhebung des Klosters im Jahre 1793 in die Domkirche von Trier und von dort nach Limburg gelangte.

Die Innenfläche der Lade, in deren Vertiefung die aus Zedernholz bestehende, die Form eines griechischen Doppelkreuzes tragende, mit Rubinen, Smaragden und Saphiren verzierte Reliquie ruht, ist ganz mit Goldplatten ausgelegt, auf denen zehn Schutzengel als Diakone Gottes das Kreuz wie eine Ehrengarde umgeben. In byzantinischer Konsulartracht, Zepter und Weltkugeln in Händen, führen sie die Heerscharen der Seraphim an, die als Mächte und himmlische Fürstentümer, gestirnte Weltkugeln zu ihren Füßen und ganz von ihren augenbesäten Flügeln bedeckt, auf goldnen Reliquienkassetten schweben. Alle Diener des Allerhöchsten mit ihren Prachtgewändern und Fittichen in buntem Email aus dem Sonnenglanz des Goldes hervortretend, als wäre das Wort an ihnen verwirklicht: Der du deine Boten machst zu flammendem Feuer. (Abb. 56)

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Abb. 55 Limburg, Domschatz. Deckel des Kreuzreliquiars.

Wie leuchtende Zellenschmelzfriese hier eine phantastische Weltferne gleichsam mit dem Blumensaum der Erde umziehen, flechten sie auch um den jenseitigen Bilderkreis, der die Außenseite der Lade schmückt, die ferne Randzone des Lebens. Auf dem Goldgrund der Unendlichkeit sind Maria und Johannes, die Erzengel Michael und Gabriel, die das Labarum tragen, und die zwölf Apostel um den Herrn des Himmels versammelt, der in den Purpurschuhen der Majestät den prunkvollen Sessel einnimmt. Um den feierlichen Aufzug der großen frontalen Einzelfiguren zieht sich ein Gürtel von Goldfiligran mit Cabochonsteinen und Perlen, die Goldtafeln mit den Brustbildern der heiligen Krieger und heiligen Lehrer unterbrechen. Kreise von unregelmäßig gebuckelten Edelsteinen und Halbedelsteinen, fern von der Glorie der Mitte, umschließen den Sitz der Herrlichkeit wie neu heraufdämmernde Welten. (Abb. 55)

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Abb. 56 Limburg, Domschatz. Boden des Kreuzreliquiars.

Ein koloristisches Wunderwerk des Zellenschmelzes ( émail cloisonné), bei dem feine Stege von Goldbändern derart auf den Metallgrund der Goldplatte aufgelötet sind, daß sie die Liniatur der Zeichnung bilden, während in die dazwischenliegenden Kammern die Schmelzfarbe gefüllt ist.

Man muß sich in den dämmrigen Kirchenraum versetzen, um den ganzen Zauber eines solchen Werks zu erfassen, wenn im unbestimmten Licht des nur von flackernden Kerzen erhellten Altars Gold, Email, die roten und grünen Augen von Rubinen, Smaragden und Topasen märchenhaft aufleuchten. Lebendige Schatten modellieren die türkisblauen Mäntel der Apostel und die hieratischen Faltenwürfe der Gewänder. Lichter laufen die Konturen der Zeichnung entlang und spielen über die verklärten Gesichtszüge der Gestalten. Wie Paradiesvogelgefieder funkeln die Feuer-Flügel der himmlischen Diener. Über Perlensilber und halbgeschliffene Steine wandert die rührende Blindheit des Erwachens. Alles aber flimmert auf dem strahlenden Hintergrund des Goldes in erhabener Sieghaftigkeit. Die figürliche Strenge ist ausgeglichen durch den heiteren Geist des Buntfarbigen, die starre Ordnung gelöst in duftigen Spiegelungen sonnenhafter Sphäre. Ewiges hat die Tore aufgeschlagen und wir werden überflutet von den Strömen seines Lichts.

 

Daß diese Kunst voll Bläue des Südens die schöpferische Phantasie des nordischen Menschen in neue Bahnen lenkte, ist ohne weiteres verständlich, zumal sie nur an Vorhandenes anzuknüpfen brauchte. Schon die Völkerwanderungszeit hatte aus Asien das Zellenmosaik mitgebracht, das die in Almandinen glühende Schwertscheide aus dem Grab des in purpurner, golddurchwirkter Seide in Tournai bestatteten Merowingerkönigs Childerich schmückt. Einen weitergebildeten Völkerwanderungsstil kann man schon das Taufgeschenk Kaiser Karls an den Sachsenherzog Widukind nennen, die Reliquientasche von Enger, die neben granatroter Zellenverglasung einen ersten Versuch in allerdings noch undurchsichtigen Schmelzfarben aufweist. In anderer Richtung bewegt sich die Schmelzscheibe aus dem Welfenschatz aufwärts, die in den wirklichkeitsfernen Linien der von den irischen Missionaren in Deutschland eingeführten Buchmalerei die Majestät des Weltenrichters zum Bewußtsein bringt.

Nun führte die eindringende byzantinische Kunst die bisherige Vorläufertechnik zur Vollendung. Sie drang auf vielen Wegen ein. Wie Konstantinopel als Welthandelsstadt ein antikes London, war sie als Mittelpunkt der europäischen Kultur ein antikes Paris. Seidenstoffe mit Bildstickereien, kostbare Gewebe der byzantinischen Staatsmanufaktur, Elfenbeinschnitzereien und Werke der Edelmetallkunst, Niellen, Mosaiken und Miniaturen fanden direkt oder über den Markt Italiens und der Levante Eingang. Wie byzantinische Künstler Bestellungen aus dem Abendland erhielten, empfingen deutsche Mönche ihre künstlerische Ausbildung in Byzanz, um die erworbenen Fertigkeiten dann in ihren Heimatklöstern zu üben. Den eigentlichen Wendepunkt des Kunstgeschmacks und des technischen Aufschwungs bezeichnet das Erscheinen Theophanos, der hochgebildeten Enkelin Konstantins Porphyrogennetos, des kaiserlichen Schriftstellers, dessen Sammeleifer die Rettung eines großen Teils der antiken Literatur zu verdanken ist.

Der Verkehr mit dem Osten erreichte bei den hochgespannten politischen Erwartungen, die man an die Heirat knüpfte, nun seinen Höhepunkt und die Fäden des Einflusses, den die griechische Prinzessin am Ottonischen Hofe gewann, spannen sich bei der Kunstliebe und den weitverzweigten verwandtschaftlichen Beziehungen des Kaiserhauses bald über alle deutsche Schulen: Nach Regensburg, Essen, Köln und Aachen; nach Mainz, dem Fundort der Adlerfibel mit den Zellenschmelzflügeln; nach Hildesheim, wohin Bernward, der Lehrer Ottos III. die byzantinische Goldschmiedefertigkeit verpflanzte; nach St. Gallen und den berühmten Schreibstuben von Echternach und Reichenau. Fünf der bedeutendsten Frauenklöster standen unter dem Äbtissinnenstab von Enkelinnen Ottos II. Wie die große goldene Madonna von Essen unter der Äbtissin Sophia, Theophanos und Ottos II. Tochter, entstanden ist, rief der Auftrag des Hofes manches Werk des Grabstichels und der Miniaturmalerei ins Leben. Es mutet wie die Erfüllung ihrer Ziele an, daß die große Anregerin Theophano in St. Pantaleon in Köln im Schatten der himmelblau leuchtenden Engelsfittiche zweier goldstrahlenden Reliquienschreine ruht, von denen der Maurinusschrein alles Können des ausklingenden Stils in höchster Steigerung in sich vereinigt; und ebenso symbolisch für das geistige Imperium des Ottonischen Hofes berührt das Widmungsblatt des Registrum Gregorii von Trier, auf dem Otto II. in byzantinischer Würde unter dem Baldachin thront und die Nationen ihm huldigend nahen.

 

Nichts war gerechtfertigter als die Gunst, mit der die schöngeistige Kaiserin die von Erzbischof Egbert geschaffene Pflegestätte der Edelmetallkunst in Trier bedachte. Ein freundliches Geschick hat uns einige der hochstehenden Schöpfungen dieser Werkstatt erhalten, von denen zwei Nielloinschriften tragen, welche die Herstellung im Auftrag des Erzbischofs Egbert ausdrücklich beglaubigen: Die Kapsel für den Stab des hl. Petrus im Domschatz von Limburg und der Andreasschrein in Trier. Auch der Andreasschrein war als Bestandteil des nach Ehrenbreitstein geflüchteten Trierer Schatzes bereits in den Besitz des Herzogs von Nassau übergegangen, doch die um seinen Deckel laufende Bannformel » Quae si quis ab hac ecclesia abstulerit, anathema sit« hat zuguterletzt seine Rückgabe an den Trierer Dom zur Folge gehabt, während das Reliquiar des Petrusstabes trotz des gleichen Anathems in Limburg verblieben ist.

Wie die in die Kapsel eingegrabene Legende erzählt, hat Petrus seinen Bischofsstab einst selbst von Rom gesandt, um durch die Berührung mit ihm den auf der Reise nach Köln verstorbenen Jüngling Maternus, der zum Bischof von Köln ausersehen war, zum Leben zu erwecken, ein Wunder, das Tausende am Rhein zu dem neuen Glauben bekehrte. Wenn die Würde eines solchen Gegenstandes zur Schönheit verpflichtet, so mußte Egbert dem Wunderstab, in dessen beide Hälften sich Köln und Trier teilten, ein Gewand aus den seltensten und edelsten aller Stoffe geben. Nur Gold war wertvoll genug, so Heiliges zu bergen. Gold, das unvergänglich ist und ohne sich zu schwärzen in alle Ewigkeit seinen Glanz bewahrt, wurde Träger des in der Reliquie sich offenbarenden ewigen Geheimnisses. Auf dem Goldgrund des mit aufsteigenden Ranken verzierten Schaftes der Lade aber schimmern in getriebener Arbeit die Bildnisse von Päpsten und Trierer Erzbischöfen, das Halsstück umwinden trapezförmige Emailplatten mit den Brustbildern der Apostel, durch Perlen, Saphire und Halbedelsteine getrennt, während den Knauf Zellenschmelzbilder der vier Evangelistenzeichen und des Apostel Paulus mit seinen Schülern einnehmen, von Filigranbändern mit Steinen und einer Gemme der Fortuna umrahmt. (Abb. 54)

Obwohl hier alles trierische Arbeit und keine der Schmelzplatten, die man mitunter fertig aus dem Osten bezog, byzantinischer Import ist, läßt sich der oströmische Einfluß ebensowenig verkennen wie bei dem Andreastragaltar, der mit den Schmuckphantasien seiner Perlenschnüre, Gemmen, Agraffen, herzförmig geschnittenen Almandine, Edelsteine und Emails den märchenhaften Zauber der Egbertschen Kunst erst in vollem Umfang entfaltet. Nur die Farben, Goldborten und Kostbarkeiten, die ihn gleichmäßig überziehen, halten hier wie bei dem Petrusreliquiar die lockere Komposition des einfachen Entwurfs zusammen. Der Fortschritt gegenüber dem heimischen Entwicklungsstande zeigt sich jedoch sowohl in der Bereicherung und Veredelung des Formalen wie in der Erweiterung des Gegenständlichen. Während man sich bisher auf das Ornamentale beschränkte, zieht nun, an dem Vorbild der byzantinischen Monumentalität herangereift, auch die menschliche Gestalt in die Edelmetallkunst ein. Auf dem Einbanddeckel des Echternacher Evangeliars, ebenfalls einem Hauptwerk der Trierer Schule, in dem Elfenbeinschnitzerei neben Treibarbeit, Zellenschmelz und Zellenmosaik verwendet wird, rückt das Figürliche ganz in den Vordergrund. Man begreift angesichts der hohen Reife der Egbertschen Kunstpflege daß ihr Ruhm bis nach Reims drang und ihr Aufträge aus der Ferne zutrug.

Wenn aber auf dem Echternacher Kodex auch die duftige Gestalt der Kaiserin Theophano wie der Genius der Egbertschen Kunst in edelsteinumrahmter Goldfläche schwebt, so ringt mit dem byzantinischen Vorbild, von dem Egbert ausgegangen, doch oft ein Streben nach Naturwahrheit, in dem der germanische Gestaltungswille durchbricht. Überladener Steinschmuck aus ungeschliffenem Material verrät – neben der germanischen Schatzfreude – die heimliche Neigung zum Elementarischen; und wie der Elfenbeinschnitzer des Echternacher Koder durch realistische Darstellung der Kreuzigung in die Tiefen des Gemüts greift, deuten die Stabform des Limburger Petrusreliquiars, um dessen Rundung die seidigen Spiegelungen des Goldes rollen, oder das smaragdgrün glühende Nagelreliquiar von Trier, das aus dem Zwergenreich Alberichs geraubt zu sein scheint, ebenso wie der naturgetreu modellierte Fuß auf dem Andreas-Tragaltar in ihrer naiven Erfindungsgabe einen anderen Willen zur Wirklichkeit an, als das illusionistische Abbild des Wirklichen, das dem byzantinischen Stil seine weltanschauliche Note gibt.

 

Allein, trotz der Anfänge zu einer nationalen Umgestaltung war noch ein weiter Weg zurückzulegen, bis die Erinnerung an die vorkarolingischen Kunstformen und das byzantinische Element, die nebeneinander herliefen, im 12. Jahrhundert die Verbindung zur romanischen Stilform miteinander eingingen. Eine zweite byzantinische Welle wiederholte zu Beginn des 13. Jahrhunderts noch einmal das goldene Zeitalter, das die Tage der Ottonen für die Edelschmiedekunst heraufgeführt hatten. Nicht allein die Kreuzzüge und der Pilgerverkehr brachten nun das Abendland mit der hohen künstlerischen Kultur des Orients in Berührung; auch die italischen Heerfahrten sowie der weltumspannende Beamtenapparat der Staufer und schließlich der staufische Hof in Sizilien selbst bildeten Eingangspforten für eine Kunst, deren höfische Vornehmheit und phantastische Wirklichkeitsferne den romantischen Sinn des staufischen Menschen ebenso entflammte, wie ihre Stilsicherheit und der klassischen Überlieferung verpflichtete Abgeklärtheit dem tastenden Künstler aus dem Norden das Ziel seiner Wünsche zeigten.

Man war durch das Lehrbuch des Mönches und Goldschmieds Theophilus, die seit 1100 verbreitete schedula diversarum artium, in die autonome Welt der Techniken und Rezepte des führenden byzantinischen Kunstschaffens eingeweiht. Einen wie viel tieferen Eindruck mußte es nun auf die deutsche Kunst machen, als bei der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 unermeßliche Schätze von Reliquien und Werken der Edelmetallplastik, die den Kreuzfahrern in die Hände gefallen waren, in das Abendland strömten. Wir wissen, daß bei dieser Gelegenheit das Limburger Kreuzreliquiar nach Deutschland gelangte. Es bedeutete, – wie sich sogleich zeigen wird – ein künstlerisches Ereignis, an dessen Beispiel sich allgemein erkennen läßt, wie der byzantinische Einfluß eindrang und Kreise zog.

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Abb. 57 Trier, St. Matthias. Innenseite der Reliquienlade.

Derselbe Heinrich von Ulmen, der die Limburger Staurothek vom Goldnen Horn heimbrachte, hatte von seiner Reliquienbeute, die er an rheinische Klöster verteilte, auch eine Partikel des Kreuzes Christi dem Matthiaskloster in Trier geschenkt, der nun Gold und Edelstein die ewige Wohnung bereiten sollten. Was war natürlicher, als daß man das kostbare Beutestück Heinrichs von Ulmen aus der Hagia Sophia dabei zum Vorbild nahm! So entstand nach dem Muster des byzantinischen Meisterwerkes das Mattheiser Kreuzreliquiar. Aber zugleich noch eine weitere Reliquientafel: Das Triptychon von Mettlach. Beide entstammen der Werkstatt des größten Meisters der Maasschule, Nicolaus von Verdun, der sie gegen 1220 schuf und dabei die Gesamtform und die innere Gliederung der Limburger Goldmail-Lade frei nachbildete, ohne im Einzelnen seine Selbständigkeit aufzugeben. Trotzdem die Innenseite des Trierer Reliquiars reich mit Kameen, edelsteinbesetzten Filigranborten, blau- und roten Emailfeldern, mit Bergkristallbehältern von mystischer Geistigkeit, Tierfries und plastisch aus Silber getriebenen Engeln ausgestattet ist, kann sie sich mit den magischen Zirkeln überweltlichen Licht- und Geisteslebens auf dem griechischen Original in Limburg nicht messen. (Abb. 57) Das gleiche gilt von der kleineren und einfacheren Mettlacher Tafel, die bei den zahlreich zusammengedrängten, auf Schmelzgrund gravierten Heiligenfiguren, obwohl Sol mit dem Flammenbündel über ihnen schwebt, sich nicht zur Idealität der sonnenvergoldeten Welt ihres Limburger Vorbildes zu entwickeln vermag.

Was aber der Meister als Goldschmied schuldig blieb, erfüllte er auf der Rückseite beider Reliquiare als Zeichner. Auf gravierter kupfervergoldeter Platte, deren Randstreifen Heilige, Kleriker und Gönner des Klosters einnehmen, thront in rautenförmigem Mittelgrund und von vier Kreisen mit den evangelistischen Symbolen umgeben, Christus als Weltenrichter. (Abb. 59) Während die Trierer Tafel mit ihrem gestirnten Grund, ihren wellig verästelten Bäumen und Zweige treibenden Arkadensäulen durch selten reiche und erlesene Ornamentierung hervorragt, ist ihr die Mettlacher in der spielend genialen Behandlung des Figürlichen, im Ausdruck der Köpfe, im Fluß der Gewandung und der Sicherheit jeder Bewegung überlegen. (Abb. 58) Beiden gemeinsam aber ist die Auffassung Christi als des majestätisch thronenden Pantocrators, die sie von der Limburger Staurothek übernommen haben. Und von demselben Vorbild – sei es unmittelbar oder auf Umwegen – stammt auch der Weltenrichter in der Vierung wie in der Emporenkapelle des Limburger Domes ab, vom Goldemail in die Gravur und von dieser in die Wandmalerei übergegangen.

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Abb. 58 Mettlach, Reliquientafel. Rückseite.

 

Doch damit ist die Entwicklung der byzantinischen zur christlichen Formensprache noch keineswegs abgeschlossen. Wenn die Goldschmiedekunst, für die das Rheinland bei seinem koloristischen Sinn und dem deutschen Drang nach Monumentalität immer eine Vorliebe bewahrte, noch im 15. Jahrhundert weit davon entfernt war, als bloßes künstlerisches Gewerbe angesehen zu werden, so galt sie jetzt als die Kunst aller Künste. Wie sie mit dem Mosaikbild und der Monumentalmalerei in Wechselbeziehung stand und etwa von dem Christkönig von S. Apollinare Nuovo in Ravenna zu demjenigen von St. Gereon in Köln die Brücke schlug, so bestehen auch alte Zusammenhänge zwischen ihr und der Miniaturmalerei, was sich schon daraus erkennen läßt, daß hervorragende Werke der Buchkunst mit dem Namen Egberts von Trier verknüpft sind. Wer sähe nicht ferner ihre enge Verwandtschaft mit den Farbenteppichen der Glasmalerei, deren Edelsteinwirkung hier wie dort die glitzernden Tore des mittelalterlichen Weltgefühls öffnet! Ja, sie griff zuletzt ins Bereich der Architektur und Plastik hinüber. Seit sie vom Zellenschmelz zu dem deutschen Verfahren des Grubenschmelzes übergegangen war, bei dem die Zeichnung nicht mit aufgelöteten Goldstegen, sondern aus den Grubenrändern in dem ausgestochenen und mit Glasflüssen gefüllten Grund einer Kupferplatte gebildet wird, hatte sie größere Bewegungsfreiheit gewonnen und konnte nun am Nielloschnitt, am Ausstechen der Flachmulden, an Gold- und Silbertreibarbeit und am Schmuck der Reliquienschreine die plastische Phantasie nach allen Richtungen entwickeln, bis sie die Galerien bedeutender Gestalten schuf, die den Dreikönigsschrein in Köln oder den Elisabethschrein in Marburg umziehen, Schöpfungen der Großplastik, die nun wiederum der Steinplastik das Gesetz vorschrieben.

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Abb. 59 Trier, St. Matthias. Rückseite der Reliquienlade.

So ward die Edelmetallkunst die Mutter aller Künste. Einunddreißig große, zum Teil riesenhafte zweistöckige Schreine künden von der Blüte, zu der sie in der Zeit des Übergangsstils im Rheinland gelangte. Wie diese Wohnungen der Heiligen kleine Kirchen, schien die Kirche nur ein größerer Heiligenschrein zu sein. Welch eine Wandlung von dem kleinen, dumpfen, in Form eines schmucklosen Kirchleins gestalteten lichtlosen Bleireliquiar des Limburger Domschatzes (Abb. 60) zu dem goldstrahlenden Tempel des Dreikönigsschreins, in dem die Kunst als schützendes Gehäuse und damit als Teil der Reliquie, deren Wunderkraft sie verkündete und verherrlichte, selbst einer magischen Wirkung fähig geworden war. Diese Künstler, die mit übermenschlicher Ausdauer und Geduld in jahrelanger Arbeit an den tausend Einzelheiten ihres Wunderwerks schufen, wollten nicht mehr und nicht weniger als den Glanz des himmlischen Lichts auf die Erde herabziehen. Ore canunt alii Christum, canit arte fabrili Hugo – hieß das Wort Hugos von Oignies, des großen Meisters des Filigrans.

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Abb. 60 Limburg, Domschatz. Bleireliquiar.

Aber auch der Maler, Bildhauer, Baumeister, – alle durch ein im Glauben fest beruhendes Weltbild geeint – wirkten aus demselben hohen Verlangen, die Stofflichkeit der Erde durch ihre Kunst in den Aggregatzustand des Lichts zu verwandeln. Die Meister der Schreine, indem sie das Geheimnis der Höhe in den Brennspiegeln ihrer Golddächer und den Blutstropfen ihrer filigranumsponnenen Edelsteine einzufangen suchten; der Meister des Limburger Doms, indem er es durch den geöffneten Stein in den dämmerigen Kirchenraum fluten ließ. Der Lichtgedanke des Morgenlandes und der Lichtgedanke des Abendlandes. Sich ähnlich wie Doppelsterne, vereinten sie ihr Feuer endlich im magischen Scheine der Gotik.

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Abb.61 Wetzlar, Domchor. Kapitellfiguren.


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