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Zum Geleit

Es ist eins der erschütterndsten Erlebnisse, wenn der Forscher zum ersten Mal den Dachstuhl eines kirchlichen Bauwerks ersteigt. Bach dem Wunder des architektonischen Lebens drunten – plötzlich, hier oben der Erdenrest, der auch dem Vollendetsten anhaftet. Die Scheitel der Rippengewölbe, die von drunten an den Himmel zu stoßen schienen, endigen als unverkleidete Lehmhügel im Sparrenwerk eines kunstlos darüber gestülpten Daches. Nur das gespensterhafte Knarren in der Maschinerie des Glockengerüsts unterbricht ab und zu das Schweigen dieser Rumpelkammer in den Wolken. Furchtbarer als ein Blick hinter die Bühne!

Manche Geschichte eines Kunstwerks ist von der Dachstuhlschau gesehen und in jenem Geist geschrieben, der hinter das Geheimnis der Dinge gekommen zu sein glaubt, wenn er sie entzaubert und den rohen Verputz ihrer Rückseite ans Tageslicht zieht.

Es ist nicht der Geist dieses Buches, das dem Dom nach siebenhundert Jahren endlich die Lebensgeschichte schreibt.

Sie bildet den zweiten Teil des Werkes »Limburg als Kunststätte«> das unbestrittenermaßen den Rang einer klassischen Städtebiographie einnimmt.

Wenn der St. Georgendom dort als ein Teil der Stadt behandelt wird, so erscheint er hier als ein Teil der Welt. Wer wollte ihn ganz erfassen, ein Werk, das Gesetzen transzendentaler Art unterworfen, über Natur und Welt hinausreicht und daher nicht dargestellt werden kann, ohne daß die größeren Konturen jenes geistigen Bildes hinter dem sichtbaren hervortreten.

Wohl ist er auf wunderbare Weise in den gewachsenen Organismus der Stadt eingeordnet: Wie seine Vorherrschaft im Stadtbild die Schönheit der Lahnstadt ausmacht, so schmiegt sich das altertümliche Stadtbild seinerseits verherrlichend um die Gottesburg in ihrer Mitte.

Wieviele andere Dombauten haben von ihrer ursprünglichen Schönheit oft dadurch eingebüßt, daß ihre Maßstäbe gegenüber dem städtischen Hausbau sich verschoben haben. Während sie einst mächtig über winzige Fachwerkhäuser aus einem Gewimmel von niedrigen Giebeln, Türmchen und übereinandergestuften Dächern hervorragten, versanken sie in prunkvollen Hausbauten, die an dem einst gewaltig wirkenden Bauwerk hoch emporstreben. Der Georgendom ist nie in die Gefahrenzone solcher Beeinträchtigungen geraten. Die kleinen ehemaligen Stiftsherrnwohnungen zu seinen Füßen, erhebt er sich noch immer wie ein Riese über die alte Umwelt – auf der Höhe, auf der er errichtet ist, von keinem Wettlauf der Barockhauben, Treppengiebel und dichtgedrängten Firste in der Stadtniederung drunten bedroht. In ihm ist die Stadt zur Einheit zusammengefaßt und zugleich zum Himmel emporgegipfelt in jener Erhabenheit, die der Geist des christlichen Mittelalters dem deutschen Städtebild verliehen hat.

Man erblickt ihn als erstes, wenn man sich der Lahnstadt nähert, und als letztes, wenn man sie verläßt. Ob man ihn mit seinen Spiegelungen aus den Wassern aufsteigen sieht; ob man ihn über die alte Steinbrücke hinweg über den phantastischen Giebeln des Stadtgewirrs schweben, auf dem Hintergrund der Westerwaldberge aus der Senke des Lahntals heraufwachsen sieht; mag er aus Nebelgrau riesenhaft aufschatten; in Sturm und Wetter sich finster und ungeheuerlich den Wolken und Blitzen entgegentürmen; aus Klostergartenfrieden ins Abendrot leuchten – kein Maler und kein Dichter kann seine Großartigkeit ausschöpfen, die Dostojewski einst zu dem begeisterten Ausruf hinriß: »So etwas habe ich noch nie gesehen!«

Aber wie sein die Landschaft beherrschendes Bild die geniale Weltbejahung des staufischen Zeitalters verkörpert, das ihn schuf, so schwebt die mächtige, sich über die Welt erhebende Baumasse auch – als ein gewaltiges Gottesschiff über den Wogen der Erde. Das sakrale Imperium, welches das Mittelalter zu formen versuchte, ist ein Traum geblieben; aber alle seine Baudenkmale verkünden noch die Erkenntnis, daß nichts anderes als die Ehre Gottes der letzte Sinn der Geschichte sei.

Wer fühlte nicht, daß das »Gloria Dei« den St. Georgendom aus der Welttiefe gehoben? Vielleicht beruht darin das Geheimnis seines Hinausgreifens über die Grenzen des Architektonischen in die Gesamtheit des geistigen Lebens: Er ist eine Welt für sich, ein Vorgebirge jenes Reichs.

Es erscheint daher nicht unwichtig, daß in demjenigen, der sein Bild zeichnen sollte, sich Dichter, Künstler, Kulturhistoriker und Kenner des Volkstums vereinigen. Nur so konnte statt des Ausschnitts, auf den sich die Einzelwissenschaft zu beschränken pflegt, die »Summa« dessen entstehen, was sich bei universaler Zusammenschau mit dem Namen des großen Kunstwerks verknüpfen läßt.

Während aber bei solcher Gruppierung der Stoffmasse die Prinzipien des Denkens nicht an der Oberfläche liegen, sondern verborgen bleiben oder doch nur aus dem Innersten durchscheinen, treten die bewegenden Kräfte, die ein so bedeutendes Bauwerk geschaffen, und die Gesetze, die diesem selbst innewohnen, um so sinnfälliger hervor und lassen einen lebendigen Organismus, den seine geistigen Verflechtungen in den weltgeschichtlichen Prozeß unsrer gesamten Kulturentwicklung einordnen, vor unsren Augen entstehen. Wenn der Forscher hierbei manche baugeschichtliche Frage zu klären vermag, der Kunstkenner durch Heranziehung einer Fülle inländischer und ausländischer Werke über ungeahnte stilgeschichtliche Zusammenhänge belehrt, so arbeitet der Künstler das Porträt hervorragender, auf das Zeitgeschehen einwirkender Persönlichkeiten heraus und formt aus religiösen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen Zeugnissen der Entwicklung das geistige Gesamterlebnis des Jahrhunderts, innerhalb dessen der Dom als ein »nationales Bollwerk rheinischer Art« vor uns aufwächst.

Eine stammesmäßige Bauschöpfung aber, an deren Schicksalsgeschichte wir von der karolingischen Renaissance bis zum Untergang der Staufer – fast ein halbes Jahrtausend – das Ringen um die abendländische Kultursynthese zu begleiten vermögen, verdient als Sinnbild des Deutschtums unbedenklich neben den Bamberger Reiter gestellt zu werden.

Möge das einzig dastehende Baudenkmal, das Leben ist von unsrem Leben, zum Besitz des gesamten Volkes werden.

P. Gilbert Wellstein S. O. Cist.


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