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Musik für den Konzertsaal und die Bühne

Die Chorwerke

Die Musik darf sich nie zu solcher Dienstlichkeit herunterbringen, daß sie, um in recht vollständiger Charakteristik die Worte des Textes wiederzugeben, das freie Hinströmen ihrer Bewegungen verliert, und dadurch statt ein auf sich selbst beruhendes Kunstwerk zu erschaffen, nur die verständige Künstlichkeit ausübt, die musikalischen Ausdrucksmittel zur möglichst getreuen Bezeichnung eines außerhalb ihrer und ohne sie bereits fertigen Inhalts zu verwenden.

Hegel.

Den ersten künstlerischen Aufschwung erhielt die Vokalmusik und mit ihr die Musik überhaupt durch die katholische Kirche. Alle anderen Künste sind heidnisch-religiösen Ursprungs, die Musik, als Kunst, christlich-religiösen. Dieser Einfluß ist noch deutlich bemerkbar in dem Bestehen eines besonderen kirchlichen Stiles.

Wallaschek.

Griegs erstes Chorwerk » Vor der Klosterpforte« op.20 ist infolge der eifrigen Propaganda seines Schöpfers schnell bekannt geworden und erfreut sich in kleineren Chorvereinigungen großer Beliebtheit. Hierzu hat ein äußerer Grund wesentlich beigetragen: Die Aufführung bietet keinerlei Schwierigkeiten. Außer einer Sopran- und einer Altstimme ist nur ein Frauenchor erforderlich, der nichts weiter als einen Schlußchoral zu singen hat, und das Orchester läßt sich gegebenenfalls ohne allzu große Einbuße durch das Klavier ersetzen. Die Dichtung Björnsons besteht aus vier Strophen, – und wie fast immer so hat sich Grieg auch diesmal die Arbeit nach Kräften erleichtert; statt den kurzen Text durchzukomponieren, wiederholt er viermal das gleiche. Der Inhalt des Werkes ist ein bißchen sentimental: Eine Jungfrau, deren Liebhaber sie verlassen hat, nachdem er ihren Vater erschlug (warum, erfahren wir nicht), sucht und findet Aufnahme im Kloster. Aus diesem dankbaren Stoff hätte sich weit mehr machen lassen, als Björnson und Grieg aus ihm gemacht haben. Das Schönste an der Musik ist ein sehr stimmungsvolles Vorspiel, das mit einer Frage im Baß beginnt, worauf ein Seufzer als Antwort ertönt. Dieser von Dur nach Moll gleitende Seufzer findet sich im Gesangsthema des letzten Satzes der dritten Violinsonate wieder; sogar die Tonart ist beibehalten worden. Die beiden Solostimmen haben keine sehr dankbaren Aufgaben; denn die vier Strophen sind ganz liedmäßig gesetzt, eine wirkungsvolle Steigerung fehlt trotz kleiner harmonischer Veränderungen, und die strophische Behandlung des Textes zwingt die Sängerinnen, ganz verschiedene Textstellen mit denselben melodischen Phrasen wiederzugeben. Beim Schlußchor hat Grieg dadurch eine Steigerung zu erzielen verstanden, daß er die Nonnen erst unisono, dann in Sexten, dann dreistimmig und schließlich vierstimmig singen läßt. Orgel und Harfe tragen hier dazu bei, die äußere Wirkung zu erhöhen.

Das zweite größere Chorwerk Griegs (op. 31) erfordert im Gegensatz zum ersten nur Männerstimmen. Der Titel » Landerkennung« verrät nicht, worum es sich handelt, aber ein Vorwort klärt uns darüber auf: »Der norwegische König Olav Trygvason (964-1000), der das Christentum in Norwegen einführte, mußte schon als Säugling mit der Mutter landflüchtig werden. Erst im 31. Lebensjahre sah er sein Vaterland wieder, als er nach der Ermordung Hakon Jarls mit seinem Schiff von England über die Nordsee steuerte, um sein Königreich in Besitz zu nehmen. Die Stimmung dieser Fahrt gibt das vorliegende Werk wieder.« Bleibt nur noch hinzuzufügen, daß Björnsons Verse eine sehr wirksame Mischung von patriotischen, kriegerischen und religiösen Elementen enthalten, und daß Grieg für das Heroische wie für das Hymnische die rechten Töne gefunden hat. Auch hier komponiert er zunächst wieder strophisch, dann aber kommt mit einem Bariton-Solo die erwünschte Abwechslung. Die feierliche Wirkung wird leider dadurch gestört, daß Olav Trygvason mit den Seinen unter denselben Klängen an Land geht, unter denen in Wagners Tannhäuser die Gäste in die Wartburg einziehen. Der opernhafte, lediglich auf die äußere Wirkung berechnete Schluß wird manchem etwas auf die Nerven gehen; immerhin hat er dazu beigetragen, daß sich das effektvolle Werk großer Gunst beim Publikum erfreut. (Künstlerischer Wert und äußerer Erfolg stehen hier, wie so oft, im umgekehrten Verhältnis zu einander.)

Wenig beachtet hat man bisher Griegs » Album für Männergesang« op. 30, das gleich den beiden Klavierwerken op. 17 und op. 66 freie Bearbeitungen von norwegischen Volksweisen enthält. Und doch gehört dieses Werk zu den wertvollsten Schöpfungen des Meisters. Wie sich hier Volksmusik und Kunstmusik gegenseitig durchdringen, das ist ganz unvergleichlich; nirgends wird ein klanglicher Effekt um seiner selbst willen erstrebt, überall herrscht völlige Einheit zwischen Form und Inhalt, sorgsamste Einfühlung führt bei jeder Melodie zu einer harmonischen Ausdeutung, die ihrem Stimmungscharakter in feinsinnigster Weise gerecht wird, und der Reichtum an originellen Einfällen erscheint schier unerschöpflich. Bei den meisten der zwölf Gesänge ist nur ein kleiner Chor oder ein Doppelquartett vorgeschrieben, dem sich eine Solostimme (Bariton oder Tenor) zum Vortrag der Melodie zugesellt. Die kunstvolle Verschlingung der Stimmen führt dann zu einer Fülle von neuen und überraschenden Wirkungen, die aus den Stimmen alles herausholen, was an klanglichen Möglichkeiten in ihnen ruht. In diesem Werke steckt wieder einmal der ganze Grieg, und seine tiefe Schwermut wie sein goldener Humor, sein religiöser Ernst wie seine Neigung zu toller Ausgelassenheit kommen hier neben einander zu packendem Ausdruck. Nr. 1 ist ein tiefergreifender Gesang eines unglücklich Liebenden, bei dem neben der kunstvollen Führung der Solostimme die eigenartige Wirkung der kleinen Sekunde besondere Beachtung verdient. In Nr. 2 haben wir ein höchst drolliges Kinder- und Katzenlied, in das der zweite Tenor sein bald lustiges, bald klägliches »miau« hineinklingen läßt. Nr. 3 wäre etwas eintönig, wenn Grieg nicht die Solostimme aus dem Chor herausgestellt und diesen harmonisch sehr reizvoll gestaltet hätte. Nr. 4, ein humoristischer »Halling«, müßte eigentlich als ein Instrumentalstück für Singstimmen bezeichnet werden, denn der Text besteht nur aus Wortgebilden wie »schrumm, dudeldideldeia, heissa« u.dgl. In diesen fidelen Unsinn klingt ein bäurisch-verliebtes »Du« fortwährend hinein, eine durch einen Sekundvorschlag verzierte halbe Note, die zwerchfellerschütternd wirkt. Aus Nr. 5 spricht sehr beredt die Enttäuschung eines von einer stolzen Kokette genarrten Liebhabers. Nr. 6 ist ein derbkomisches Springtanzlied für lustige Zecher. In Nr. 7 vervielfacht der Chor die Klage eines jungen Burschen, dem sein Liebchen gestorben ist, dadurch sehr wirkungsvoll, daß die Stimmen nacheinander einsetzen, und bringt seine Erschrockenheit in abgehacktem Rhythmus treffend zum Ausdruck. Nr. 8 enthält wieder einen übermütigen »Halling« mit einem lieblich idiotischen Text. (»Tätst du nie hopsen, so huppst du jetzt im Nu. Wärst du nit so narrisch, du flögst jetzt nit su.« Aus.) In Nr. 9, einem zarten, stimmungsvollen Marienlied, fehlt die Solostimme, dafür ist der sonst vierstimmige Chor hier fünfstimmig gesetzt. In Nr. 10 ist der Ton der altnordischen Kaempevise (Kämpferweise, Ballade) sehr glücklich getroffen. Nr. 11 zeigt uns wieder einmal das im vorigen Kapitel erwähnte Leitmotiv. Mit einem kecken, frischen Liedchen als zwölfte Nummer schließt dann die Sammlung.

Noch ein zweites a-cappella-Werk hat uns Grieg geschenkt: Die » Vier Psalmen nach älteren norwegischen Kirchenmelodien« für gemischten Chor und Bariton- oder Baßsolo op. 74. Wir finden hier dieselben Vorzüge wie in dem Album für Männergesang, und auch die Technik ist im wesentlichen die gleiche. Nur haben sich die Ausdrucksmittel durch Hinzunahme der Frauenstimmen vergrößert und die Formen erheblich erweitert; in der Durcharbeitung des Chorsatzes zeigt sich ein noch reiferes Können und in den melodisch-harmonischen Zutaten ein mindestens ebenso feines Verständnis für die Grundstimmung jeder Melodie. Der norwegische Charakter wird nur sehr diskret betont, das Zeitkolorit nicht allzu streng gewahrt; dafür zeigt sich allenthalben eine über die Erfordernisse des strengen Kirchenstils weit hinausgehende tief innerliche Religiosität und eine seltene Gefühlsstärke. Nr. 1 »Wie bist du doch schön, du Gottessohn« offenbart die bewunderungswürdige Herzenswärme der Griegschen Chorlyrik in ergreifender Weise und fesselt rein musikalisch durch die meisterliche Stimmführung wie durch die schöne Steigerung am Schluß. Höher noch steht der zweite Psalm »Mein Jesus macht mich frei«, dessen zweite Strophe in der geistlichen Musik ohne Beispiel ist. Hier bewegt sich die Melodie des Vorsängers (Bariton-Solo) in B-dur, während der Chor in b-moll singt. Kühneres hat selbst der Russe Strawinsky nicht versucht; von Schönberg wollen wir nicht reden, weil die Dissonanz zum sinnlosen Kinderspielzeug wird, wenn man die Konsonanz völlig negiert. Bei Grieg hat die Verschlingung der beiden so verschiedenen Tonarten tiefere Bedeutung, weil die strahlende Reinheit der B-dur-Melodie inmitten der sie umschlingenden Moll-Dissonanzen eine wundervolle Versinnlichung der Worte »Ich steh in Gottes Schutz« bildet. In der dritten Strophe verbindet sich mit der Hoffnung auf innere Befreiung durch die Gnade Christi eine tieferschütternde Todessehnsucht. »Mein Fährmann ist der Tod, zum Leben führt sein Boot.« Grieg stand dem Grabe nicht mehr fern, als er diese Worte vertonte, und er wußte, daß sein Ende nahe sei. Aber der Tod hatte keine Schrecken für ihn, er bedeutete ihm nur Erlösung aus qualvollem Leiden, und seine Musik klingt daher freudig verklärt, wie die eines Menschen, der ein großes Glück erwartet. Der dritte Psalm »Jesus Christ ist aufgefahren« macht eine strenge Scheidung zwischen dem Vorsänger (Baß-Solo), der jede Verszeile zunächst allein singt, und dem Chor, der sie dann vierstimmig wiederholt. Diese Nachahmung altkirchlicher Sitte wäre vielleicht noch wirkungsvoller gewesen, wenn Grieg auf moderne Harmonisierung verzichtet und sich strenger an die Kirchentonarten gehalten hätte. Der vierte Psalm »Im Himmelreich« bildet mit seiner sanften Melodie und seinen entrückten H-dur-Klängen einen herrlichen Abschluß des letzten Werkes eines tiefempfindenden Künstlers, dem die Welt der Töne ein kleines Himmelreich auf Erden bedeutete.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß Griegs »Herbststurm« (op. 18 Nr. 4) von Franz Joseph Loewenstamm sehr geschmackvoll für gemischten Chor und Orchester bearbeitet worden ist. Außerdem gibt es Bearbeitungen für Männerchor a cappella von Griegs »Vaterländischem Lied« (op. 12 Nr. 8) und von seinem »Psalm für das Vaterland« (op. 61 Nr. 7). Endlich hat Grieg selbst ein lateinisches Lied »Ave maris stella« für gemischten Chor a cappella sowie für eine Singstimme mit Klavierbegleitung vertont. (Ohne Opuszahl; Verlag von Wilhelm Hansen in Kopenhagen.) Es ist unselbständig in der Erfindung, aber melodiös und ansprechend, dabei leicht und geschickt gesetzt, in Dänemark anscheinend auch recht beliebt.

Die Orchesterwerke

Die Saiteninstrumente sind das eigentliche Kulturvolk, die Hellenen des Orchesters, gegenüber den idyllischen Hirten- oder orientalischen Luxusvölkern der Holzbläser, den kriegerischen Stämmen der Trompeten, Hörner und Posaunen und den Barbarenhorden der Ophikleiden, Bombardons, Schallbecken, Türkentrommeln.

A. W. Ambros.

Wollt ihr beurteilen, ob einem Orchesterwerk wahrer Wert innewohne, so spielt es zu vier Händen: alle echten Meisterwerke bestehen diese Probe. Bachs, Händels, Haydns, Mozarts, Beethovens, Schuberts, Schumanns, Mendelssohns Werke bleiben auch auf das Klavier übertragen bewundernswert.

Théodore Gouvy.

Der »Herbststurm« op. 18 Nr. 4, der unter den Liedern und den Chorwerken zu erwähnen war, begegnet uns zum dritten Mal in der Konzert-Ouvertüre » Im Herbst« op. 11. Das Orchester bot willkommene Gelegenheit zu einer phantasievollen Ausgestaltung der musikalischen Elemente, die in dem Lied enthalten sind; aber Grieg beabsichtigte nicht nur die hier gegebene Stimmung zu vertiefen und das musikalische Bild zu erweitern, denn dadurch wäre nur ein etwas eintöniges Stimmungsbild entstanden. Vielmehr wollte er der Melancholie des Herbstes die Freuden der Erntezeit gegenüberstellen und schuf deshalb ein volkstümlich-heiteres Erntelied sowie einen lustigen Schnittertanz, mit dem das Werk schließt. Die Anlage des Ganzen ist großzügig, folgt im wesentlichen der klassischen Tradition und zeigt eine bemerkenswerte formale Gewandtheit. Grieg schrieb die Ouvertüre im Alter von zweiundzwanzig Jahren, – und da keines seiner späteren Werke in formaler Hinsicht Fortschritte zeigt, so muß nochmals darauf hingewiesen werden, wie nachteilig für Griegs gesamtes Schaffen der Mangel an einer gründlichen Ausbildung gewesen ist. Gerade die Beherrschung der musikalischen Formen hängt sehr viel weniger von der Begabung ab, als der Laie glaubt; sie muß (und kann) erlernt werden, ganz prosaisch und handwerksmäßig, »von selbst« fällt sie niemandem zu. Die Instrumentation des Werkes hat Grieg später etwas geändert; sie läßt die zarteren Farben und eine wirkungsvolle Verteilung von Licht und Schatten vermissen. Alles ist etwas bunt und grell, mit viel Hörnerklang und unnötigen Verdoppelungen von Füllstimmen.

War die Herbststimmung in Griegs Ouvertüre noch mehr oder weniger anderen Meistern nachempfunden, so kommt die Frühlingsstimmung in seinem Klavierkonzert op. 16 ganz aus dem eigenen Innern. Entstanden ist dieses Werk 1868 in dem dänischen Dörfchen Sölleröd; öffentlich aufgeführt wurde es zum ersten Male 1870 in Christiania durch den Pianisten Edmund Neupert, dem es der Komponist gewidmet hat. 1879 spielte es der Meister selbst in einem Leipziger Gewandhauskonzert. Kein anderes Werk Griegs ist so von Lebensfreude, Liebessehnsucht und jugendlichem Feuer erfüllt wie diese dreisätzige Phantasie für Klavier und Orchester Sie steht somit in schroffstem Gegensatz zu der tragischen Violinsonate (op. 45), die sie an künstlerischem Wert erreicht, an Frische der Empfindung übertrifft. Das erste Hauptthema (Buchstabe A in der Klavierstimme) überrascht durch die scharfe Scheidung zwischen Vordersatz und Nachsatz. Der Vordersatz klingt stolz und träumerisch zugleich; er zeigt den für Grieg charakteristischen Wechsel von Dur und Moll wie auch den genugsam bekannten Septimensprung. Der Nachsatz mit seinem nur äußerlich an »Aases Tod« gemahnenden Dreinotenmotiv offenbart Sehnsucht, Frohsinn und Lebensdrang. Anscheinend hat Grieg hier sein eigenes Bild zeichnen wollen. Das zweite Thema, das gleich dem ersten zweiteilig ist, führt mitten in den Strudel des Lebens hinein, in dem eine echt norwegische Melodie (B) als Retterin erscheint: eine deutliche Anspielung auf Griegs innere Wandlung infolge seiner Bekanntschaft mit Nordraak. Er hat sich selbst gefunden und beginnt nun aus vollem Herzen zu singen und zu jubeln. Das dritte Thema (C), das jetzt einsetzt, ist das eigentliche Seitenthema; es spiegelt so recht die glückselige Stimmung des jungen Grieg im Schaffensrausch wieder und steigert sich fast bis zur Raserei. Ein Orchester-Zwischenspiel (D) bringt mit rhythmischen Veränderungen zu dem Motiv der Einleitungstakte (dem Griegschen Leitmotiv) im Baß den Vordersatz des ersten Hauptthemas. Über das Motiv des Nachsatzes phantasieren danach Klavier und Orchester eine Zeit lang; alsdann beginnt die Reprise (E), der sich eine sehr ausdrucksvolle Kadenz anschließt. Ganz leise setzt das Thema über dem Orgelpunkt e wieder ein, umrauscht von farbenprächtigen Harmonien, und steigt immer höher, bis es endlich in strahlendem Glanz vor dem Hörer ersteht. Ein kurzes Nachspiel folgt, und mit dem Anfangsmotiv schließt der erste Satz. Der zweite Teil ist kein Adagio im Sinne der Klassiker, sondern (trotz dieser Tempobezeichnung) mehr ein Intermezzo. Seine wundervolle, hymnische Melodie wird von echt Griegschen Harmonien getragen und erklingt zuerst im Orchester. Das Klavier schließt sich ohne Thema mit Klängen an, die der Natur abgelauscht sind: Es trägt den Hymnus aus der Kirche in die freie Gottesnatur und nimmt ihn dann voller Begeisterung auf. Hier legt Grieg ein persönliches Bekenntnis von tiefer Bedeutung ab. Der dritte Satz, der gleich dem ersten in a-moll steht, bringt einen Volkstanz von überschäumender Lebenslust und kernigem Rhythmus. Der erste Abschnitt (A, B, C) enthält in bunter Folge eine Reihe von Themen, darunter eine entzückende, sanft wiegende Melodie, deren Fortsetzung wir in dem Klavierstück »Geheimnis« (op. 57) wiederfinden. Es folgt ein Abschnitt (D), der fast visionär klingt: das Bild des Geliebten erscheint dem jungen Komponisten, dessen sehnsuchtsvolle Wünsche aus einem holden Traum beglückende Wirklichkeit machen möchten. Sobald das Bild entschwunden ist, wird der erste Abschnitt wiederholt, und eine wilde Kadenz führt zum letzten Teil, dessen Thema sich durch rhythmische Umformung aus dem ersten Hauptthema entwickelt hat. Hier wird der Tanz ins Dionysische gehoben, und wenn dann am Schlusse das zarte Traumthema in jubelndem fortissimo erscheint, so bedeutet das eine Erhöhung der Einzelliebe zur allgemeinen Menschheitsliebe. »Seid umschlungen Millionen.« –

Wenn wir von den Bühnenwerken absehen, so gibt es außer der Konzertouvertüre und dem Klavierkonzert nur noch zwei Tonschöpfungen Griegs, bei denen das volle Orchester verwandt wird: die » Altnorwegische Romanze mit Variationen« op. 51 und die » Symphonischen Tänze über norwegische Motive« op. 64. Von dem ersten Werk hat Grieg auch eine Bearbeitung für zwei Klaviere zu vier Händen herausgegeben, das zweite ist von ihm nach der ursprünglichen Fassung für Klavier zu vier Händen instrumentiert worden. Künstlerische Bedeutung kann höchstens der Romanze beigemessen werden, die interessante Einzelheiten enthält, ohne als Ganzes zu befriedigen. Mit ihrer erklügelten Harmonik und ihrem Mangel an Entwicklung scheint sie mehr das Produkt einer verstandesmäßigen Tätigkeit als die Offenbarung eines inneren Erlebnisses zu sein. Die bunten Steinchen, aus denen sich das Werk zusammensetzt, sind zum Teil sehr fein geschliffen und von schöner Färbung, aber sie vereinen sich nicht zu einem großen Bilde. Die Instrumentation zeigt keine besondere Originalität, ja, nicht einmal eine geschickte Verwendung der orchestralen Mittel.

Aus den »Lyrischen Stücken« op. 54 ist eine »Lyrische Suite« für großes Orchester zusammengestellt worden; der »Bauernmarsch« und der »Trolltög« machen sich hier sehr effektvoll. Recht überflüssig war eine Orchesterbearbeitung des Menuetts der Klaviersonate (op. 7); dagegen wirken die »Norwegischen Tänze« (op. 35) und der »Norwegische Brautzug« (op. 19 Nr. 2) auch im Orchestergewande sehr erfreulich, und der große Apparat erscheint bei diesen klangvollen Tonstücken durchaus nicht aufdringlich. Der Trauermarsch auf Nordraaks Tod ist zwar für Klavier geschrieben, doch kommt seine tragische Größe im Orchester noch besser zur Geltung.

Für Streichorchester hat Grieg vier seiner Lieder bearbeitet: »Der Verwundete« (op. 33 Nr. 3), »Letzter Frühling« (op. 33 Nr. 2), »Mein Ziel« (op. 33 Nr. 12) und »Erstes Begegnen« (op. 21 Nr. 1). Die beiden ersten Lieder sind als op. 34 unter dem Titel »Zwei elegische Melodien« erschienen (Nr. 1 heißt hier »Herzwunden«), die beiden letzten als op. 53 unter dem Titel »Zwei Melodien« (Nr. 1: »Norwegisch«). Daß Grieg diesen Bearbeitungen besondere Opuszahlen gab, ist sehr bezeichnend. Von den Fesseln des Wortes befreit, schwingen sich die Lieder zu höheren Regionen empor und offenbaren nun erst ihre ganze Schönheit. Denn die Deklamation der Melodien ist jetzt an keinen Wortsinn mehr gebunden und braucht sich nur noch dem rein musikalischen Sinn anzupassen, der geringe Umfang der menschlichen Stimme hindert nicht mehr das Auf- und Absteigen der Tonsäulen und die Verwendung hoher Lagen, auch werden Melodien und Harmonien nunmehr durch keine Verschiedenheiten der Klangfarbe getrennt.

An diese Liederbearbeitungen schließen sich die » Zwei nordischen Weisen« op. 63 eng an. Nr. 1 »Im Volkston« ist ein Lied ohne Worte von ganz einzigartigem Stimmungszauber; Nr. 2 »Kuhreigen und Bauerntanz« bildet eine freie Bearbeitung von Nr. 22 und Nr. 18 (Stabbe-Laaten) aus den »Nordischen Tänzen« op. 17 und wirkt durch seine Natürlichkeit wie durch seinen prächtigen Humor wahrhaft erfrischend.

Sehr hübsch sind auch die Bearbeitungen der beiden »Lyrischen Stücke« op. 68 Nr. 4 (»Abend im Hochgebirge«) und Nr. 5 (»An der Wiege«). Dagegen wirkt die Holberg-Suite op. 40 auf dem Klavier noch anmutiger als bei ihrer Wiedergabe durch ein Streichorchester, weil es hier weniger auf innige Verschmelzung der Klänge als auf kristallene Klarheit und kräftig akzentuierten Vortrag ankommt.

Minder erfreulich sind einige Bearbeitungen von Liedern für eine Singstimme mit Orchesterbegleitung, denn ein innerer Grund zu ihrer Herstellung lag nicht vor. Zweckmäßiger verfuhr Grieg in dem Gesang » Der Einsame« (früher: »Der Bergentrückte«) op. 32, der für Bariton, Streichorchester und zwei Hörner geschrieben ist. Es handelt sich bei diesem Werk um ein lyrisches Gegenstück zu Gades dramatischer Chorballade »Erlkönigs Tochter«, das die Klage eines von den Erlentöchtern Verführten und im Walde Verirrten wiedergibt. Hier hätte das Klavier zur Illustrierung nicht genügt; denn ohne Streichorchester läßt sich kein realistisches Waldesrauschen und ohne Hörner kein romantischer Waldeszauber wiedergeben. Wenn man gewissen Äußerungen von Freunden Griegs Glauben schenken kann, so stecken in dieser Komposition allerlei persönliche Erlebnisse des Meisters; das hat leider nicht verhindert, daß die Musik recht wenig interessant geworden ist und am Schluß eine sanft einschläfernde Wirkung ausübt.

Da ist das Melodram » Bergliot« op. 42 denn doch ein viel frischeres Werk. Grieg hat es kurz nach seiner Bayreuther Reise geschrieben; vielleicht erklären sich hieraus einige Anklänge an den Ring, die fast wie Zitate anmuten und für den deutschen Hörer eine starke Zumutung bedeuten. Daneben enthält die Arbeit aber auch viel Eigenes, so die prächtige, marschartige Einleitung, ein tiefempfundenes Andante in der Mitte und einen kurzen, sehr pathetischen Trauermarsch am Schlusse. Das übrige zeichnet sich durch scharfe Charakteristik aus und steigert die äußere Wirkung der Dichtung Björnsons sicher ganz erheblich, ohne freilich die ästhetischen Bedenken aufzuheben, die gegen jede Verbindung von Musik mit gesprochenem Text bestehen. Neben dem Hexenlied von Schillings und dem Enoch Arden von Richard Strauß verdient auch dieser Monolog einer heroischen Frau einen Platz in den Konzertsälen, solange das Publikum an einer Kunstgattung Freude findet, bei der Poesie und Musik neben einander herlaufen, ohne sich je zu vereinen.

Die Bühnenwerke

Der Dichter soll seine Umrisse auf ein weitläufig gewobenes Zeug aufreißen, damit der Musikus vollkommen Raum habe, seine Stickerei mit großer Freiheit und mit starken oder feineren Fäden, wie es ihm gut dünkt, auszuführen.

Goethe (an Zelter).

In der Opernmusik ist nichts so schwer wie das Leichte.

Grétry.

Von Björnsons Dramen ist » Sigurd Jorsalfar« eins der schwächsten; als Festspiel für nationale Feiertage gedacht, hat es mit Griegs Musik zwar einige Aufführungen erlebt, so z. B. im Herbst 1905 zur Krönungsfeier des Königs Hakon, aber es ging ihm wie bei uns den patriotischen Schauspielen Wildenbruchs: Über das Heimatland seines Verfassers ist es nie hinausgedrungen und selbst hier schnell in Vergessenheit geraten. Mit ihm sind die beiden Gesänge eines frühen Todes gestorben, die Grieg für dieses Werk komponiert und als op. 22 herausgegeben hat. Daß die Dichtung schon seit langer Zeit niemanden mehr interessiert, würde ihnen nicht allzu sehr geschadet haben; denn es gibt Lieder mit noch gleichgültigeren Texten, die sich seit Jahrzehnten andauernder Beliebtheit erfreuen. Aber da jeder Gesang mit einem Solo beginnt und mit einem Männerchor endet, kam eine Aufnahme in die Hausmusik nicht in Frage, und zum Vortrag im Konzertsaal fehlt der Musik jede Eignung. Ungleich höher als diese Gesänge stehen die drei Orchesterstücke (Vorspiel, Intermezzo und Huldigungsmarsch), die Grieg nach mehrmaliger Umarbeitung zu einer Suite vereinigt hat. Sie tragen die Opuszahl 56 und sind für großes Orchester wie auch für Klavier zu zwei und vier Händen erschienen. Daß sich diese Suite nicht der gleichen Beliebtheit erfreut wie die beiden Peer-Qynt-Suiten, ist schwer zu verstehen. Denn das Vorspiel und der Huldigungsmarsch brauchen einen Vergleich mit den besten Peer-Gynt-Stücken nicht zu scheuen. Sie sind ebenso originell und leicht eingänglich wie diese, klingen vortrefflich und zeigen die sichere Hand eines Könners, der aus dem Vollen schöpft. Sonnige Heiterkeit erfüllt das dreiteilige Vorspiel, dessen volkstümliches Hauptthema man so leicht nicht wieder vergißt. Der Mittelsatz mit seinen hübschen Dialogen zwischen Flöte und Oboe, Klarinette und Fagott, ist noch kunstvoller als der Hauptsatz gearbeitet, ohne freilich so kräftig wie dieser zu wirken. Das Intermezzo (»Borghilds Traum«) erfreut durch schöne Instrumentation, besteht aber aus zu vielen kleinen Teilchen ohne erkennbaren Zusammenhang. Um so großzügiger erscheint dann das letzte Stück, ein ganz prachtvoller Huldigungsmarsch, dessen nordische Eigenart sehr stark hervortritt. Auch die besten Märsche von Schubert und Wagner haben einen leisen Anflug von Banalität, und vielleicht ist es nur dem fremdartigen Reiz der Griegschen Harmonik und Rhythmik zu danken, daß sein Huldigungsmarsch so ganz frei von Trivialität zu sein scheint. Ungewöhnlich für einen Marsch ist der Anfang, der das Thema pianissimo bringt und nur die Celli verwendet; Rossinis Ouvertüre zu Wilhelm Tell hat Grieg sicherlich gekannt. Ungewöhnlich ist auch die Steigerung im ersten Teil durch ein riesenhaftes Emporwachsen der Bässe, die ihrer harmonischen Funktion überdrüssig werden und an dem allgemeinen Jubel teilnehmen wollen. Das Trio zeichnet sich durch eine rhythmisch eigenartige und empfindungsstarke Melodie aus, ist allerdings ein wenig lang geraten. Da man die Suite im Konzertsaal so selten hört, muß auf die vom Komponisten herrührenden, ganz vortrefflichen Klavierbearbeitungen nochmals »mit Nachdruck« hingewiesen werden. –

In Griegs oberflächlichem aber effektvollem Chorwerk »Landerkennung« (op. 31) sind wir zum ersten Male dem nordischen Helden Olav Trygvason begegnet. Sein Name bildet den Titel einer Björnsonschen Operndichtung, deren Schicksale der Leser bereits kennt. (Vgl. S. 62.) Sie selbst kennen zu lernen, würde ihm wahrscheinlich keinen großen Genuß bereiten. Denn so sehr man auch sonst ein Gegner des Wagnerfeindes Hanslick sein mag, – wer je das Fragment mit der Musik Griegs gehört hat, wird gleich ihm ausrufen: »Einmal und nicht wieder.« Die drei Szenen, die Grieg in Musik setzte, sind mit ihren endlosen Chören nicht nur völlig undramatisch, sondern dem mit der nordischen Mythologie nicht Vertrauten auch gänzlich unverständlich und außerdem so unglaublich langweilig, daß man den Mut Griegs bestaunt, diese Szenen noch durch musikalische Ausgestaltung zu verlängern. (Was sie vollends unerträglich gemacht hat.) Björnson war der Ansicht, Wagner habe »bei der Darstellung der germanischen Götterlehre nicht ganz das Richtige getroffen, indem er eine sinnliche Sentimentalität hineingebracht hat, die der germanischen Götterlehre fremd ist«. (Berliner Rede bei der Enthüllung von Nordraaks Grabdenkmal im Jahre 1906.) Es ist aber doch gut, daß sich Wagner seine Texte nicht von Björnson schreiben ließ. Was dabei herausgekommen wäre, können wir an der Trygvason-Dichtung ermessen: Bestenfalls oratorienhafte Ausstattungsopern von riesigen Dimensionen und winzigem dichterischen Gehalt. Griegs Musik paßt vortrefflich zu dem bombastischen Text; sie ist ganz im Stile Meyerbeers gehalten, allerdings ohne dessen Instrumentationseffekte übertrumpfen zu können und ohne die Sinnfälligkeit seiner Melodien zu erreichen. So treffend ihre musikalische Charakteristik im einzelnen auch sein mag, die Melodik erscheint hier so schwach wie in keinem andern Werke, und die Harmonik wiederholt nur Wendungen, die wir aus früheren Kompositionen bereits zur Genüge kennen. Obendrein ist dem Tonsetzer noch das Mißgeschick zugestoßen, daß ihm allerlei Melodien eingefallen sind, die wir in Deutschland schon vor der Erschaffung seines »Olav Trygvason«, op. 50, hinlänglich kannten. So wird z. B. der Chor zu den Worten »Drei Nächte riefen wir all unsre Götter an« nach der nicht ganz unbekannten Melodie »Deutschland, Deutschland über alles« gesungen. Ebenso vertraut wirkt ein anderer Chor: »Ewiges Asentum, alles Leben liebest du«; denn wir kennen seine Musik seit erdenklichen Zeiten aus Offenbachs »Orpheus in der Unterwelt«, wo sie freilich minder ernst gemeint ist. Wenn wir dann schließlich noch die einzige großzügige Originalmelodie Griegs hinzunehmen, die bei dem Sang vom »Urdarbrunnen« die ganze Tonleiter in die Höhe klettert und selbst dem seligen Meyerbeer allzu trivial erscheinen würde, so haben wir die drei musikalischen Höhepunkte der drei Szenen erreicht und werden uns wohlweislich hüten, in ihre Niederungen hinabzusteigen. Wer es doch zu tun gedenkt, der vergesse wenigstens den Mantel der christlichen Nächstenliebe nicht. Wir sind allzumal Sünder, und darum wollen wir auch dem Dichter wie dem Komponisten nicht übel nehmen, was sie uns in schwachen Stunden mit ihrem »Olav Trygvason« angetan haben. –

Von Griegs Musik zu Ibsens Peer Gynt ist in deutscher Ausgabe die Partitur sowie ein zweihändiger Klavierauszug als op. 23 erschienen; in dänischer Ausgabe eine vierhändige Klavierbearbeitung. Außerdem gibt es die beiden Peer-Gynt-Suiten (op. 46 u. 55), die Grieg selbst nach der Partitur für Klavier zu zwei und vier Händen bearbeitet hat. Die zahlreichen Ausgaben einzelner Stücke in teilweise recht seltsamer Besetzung können an dieser Stelle nicht aufgezählt werden, nur auf Griegs schöne Klavierübertragung von Solvejgs Lied in seinem op. 52 (Heft 2 Nr. 4) sei aufmerksam gemacht.

Es lag nahe, hier eine zusammenhängende Erklärung der Ibsenschen Dichtung einzufügen, und manchem Leser wird sie vielleicht nötiger erscheinen als eine Erläuterung der leicht verständlichen Griegschen Musik. Aber so verlockend die Versuchung auch war: Ein so tiefsinniges und zum Teil problematisches Werk wie der Peer Gynt läßt sich nicht auf zwei oder drei Seiten in einer alles Phraseologische vermeidenden Form ausdeuten, und damit entfällt die Möglichkeit, ihr im Rahmen dieses Buches gerecht zu werden. Eine gute Einführung in Ibsens Peer Gynt hat Dietrich Eckart (einer der besten Ibsen-Übersetzer) 1919 im Hoheneichen-Verlag, Wolfratshausen bei München, erscheinen lassen; sie begnügt sich zwar mit allgemeinen Betrachtungen, geht auf Einzelheiten selten ein und ist stellenweise sehr subjektiv, kann aber doch als die vorläufig beste Erklärungsschrift in deutscher Sprache bezeichnet werden.

Die Betrachtung der Griegschen Musik in der bisher üblichen Weise auf die beiden Suiten zu beschränken, erscheint nicht mehr angebracht, seitdem sich ein zweihändiger Klavierauszug im Handel befindet und damit das ganze Werk dem Publikum leicht zugänglich ist. Zur Bequemlichkeit der Leser sind hier jedoch die acht Stücke der beiden Suiten in Klammern hinter den Überschriften der 23 Nummern bezeichnet, die die Partitur enthält.

Erster Akt. Das Vorspiel ist potpourriartig; es beginnt mit einer Durform der Einleitungsakte zu »Ingrids Klage« (II, 1); dann folgt Solvejgs Lied, abwechselnd durch Klarinette und Oboe vorgetragen, und im Anschluß daran ein von einer Viola hinter dem Vorhang gespielter »Halling«-Tanz, der sich auch unter den »Lyrischen Stücken« (in op. 47) befindet. Ein kurzes Zwischenspiel bringt wieder einige Takte aus Solvejgs Lied, worauf die Viola einen Springtanz vorträgt (aus op. 38). Mit einem längeren Abschnitt aus Solvejgs Lied endet der erste Teil des Vorspiels, der bei Aufführungen in der Regel weggelassen wird. Es folgt eine längere Phantasie über die Einleitungstakte zu »Ingrids Klage« in der zu Beginn gehörten Durform; mit ihr soll das freudige Zusammenströmen der Hochzeitsgäste geschildert werden. Zur Einführung in das Drama als Ganzes erscheint dieses Vorspiel nicht sonderlich geeignet. Aber es deutet auf die erste Szene hin, in der Mutter Aase ihrem Sohn Peer von der bevorstehenden Hochzeit Ingrids mit einem andern Kunde gibt. Das zweite Musikstück des ersten Aktes ist der »Norwegische Brautzug«, den der Komponist seinem op. 19 entnommen hat; er wird vor der Hochzeit auf Hägstadt gespielt. Daß Grieg gern Anleihen bei früheren Werken macht, wenn er etwas Neues komponiert, haben wir schon öfter gesehen; leicht ist ihm anscheinend das Schaffen selbst in der Jugend nicht geworden. – Die Tanzmusik am Schlusse des ersten Aktes besteht aus zwei Nummern: einem hinter der Bühne gespielten »Halling«-Tanz, der sich in op. 47 wiederfindet (der Spielmann auf der Bühne soll eine Hardanger Geige im Arm halten und auf ihr die Bogenstriche markieren) und einem im Orchesterraum gespielten Springtanz, den auch op. 38 enthält. Dieser letzte wird so oft wiederholt, wie es zur Begleitung des Tanzes auf der Bühne notwendig ist. Es handelt sich bei den beiden Tanzstücken um norwegische Volksmelodien, die Grieg etwas stilisiert hat, ohne ihnen Harmonien hinzuzufügen.

Zweiter Akt. Das Vorspiel (»Der Brautraub. Ingrids Klage.« II, 1.) schildert in den Anfangs- und Schlußtakten die Wut der Hochzeitsgäste über den Raub der Braut durch Peer Gynt. Sie lauschen in die Ferne, ob sie etwas von ihr hören, aber nur einige Naturlaute dringen zu ihnen. Das Publikum dagegen vernimmt nunmehr Ingrids rührende Klage. Wieder greift Grieg etwas für den Gesamtverlauf Unwesentliches heraus, statt die Grundstimmung des Aktes vorzubereiten, aber er hat in dem Vorspiel immerhin ein feinsinniges elegisches Musikstück geschaffen, das eine schöne melodische Linie zeigt, und dessen Harmonien sehr kunstvoll um Dominante und Tonika herumgebaut sind. Die zweite musikalische Nummer besteht in der »Szene mit den Säterinnen«. Über sie hat Ibsen (am 23. Januar 1874) dem jungen Grieg geschrieben, er möge sie so ausgestalten, wie es ihm gut scheine, »aber in dieser Musik muß der Teufel los sein«. Davon merken wir nun freilich in Griegs Komposition wenig. Und wenn wir von einigen Tremolos nebst den bekannten Griegschen Doppelschlägen absehen, so müssen wir sogar bekennen, daß seine Musik sich merkwürdig zahm gebärdet. Nichts von dämonischer Leidenschaft, nichts von fieberheißer Sinnlichkeit ist in ihr zu spüren; der Mittelsatz in A-dur klingt sogar recht gemütlich, ja, verblüffend harmlos. Weiter fällt auf, daß dem Komponisten hier rein gar nichts eingefallen ist; der dürftige thematische Inhalt wird fast ausschließlich durch Motive aus der späteren Szene »In der Halle des Bergkönigs« (I, 4) bestritten. Grieg hatte hier eine gute Gelegenheit, dramatische Begabung zu zeigen; aber er verstand sie nicht zu nutzen. Die nächste Nummer »Schluß der Szene mit der Grüngekleideten« hat keine Bedeutung. Dann aber folgt das überaus wirkungsvolle Stück »In der Halle des Bergkönigs« (I, 4); gemeint ist der Trollhäuptling, der bei Ibsen der »Dovre-Alte« heißt. Das sehr charakteristische Thema kommt zunächst ganz leise, langsam und tappsig aus der tiefsten Tiefe (Kontrabässe) hervorgekrochen, erhält dann durch die Fagotte einen grotesken Charakter, wirkt in den Klarinetten stumpfbehaglich, in den Oboen kreischend und abstoßend, reckt sich plump und geil in die Höhe, wird immer wilder und drohender, bis sich schließlich der Chor der Trolle mit seinem »Schlachtet ihn!« wütend dreinmischt. Die geniale Steigerung bis zum Schlusse hat Grieg mit den einfachsten Mitteln bewirkt. Das Thema wird immer nur wiederholt, dagegen gewinnt die Begleitung allmählich an Ausdruckskraft und Formenreichtum; alles weitere Anschwellen ist dann ohne eigentliche Variation lediglich durch dynamische Häufungen erreicht worden. Mit großer Kunst hat sich Grieg hier aller naturalistischen und impressionistischen Mittel zur Erhöhung der Wirkung bedient, ohne doch in seiner realistischen Schilderung des »Trollpacks« die durch den guten Geschmack gezogenen Grenzen zu überschreiten. Die folgende Nummer »Tanz der Bergkönigstochter« verwendet das gleiche motivische Material in recht witziger Weise; ihre fremdartige Wirkung beruht ausschließlich auf dem Leitton zur Quinte, der sich hier mit etwas ermüdender Beharrlichkeit immer und immer wieder hervordrängt. Auch die nächste Nummer »Peer Gynt von Trollen gejagt« zehrt noch immer von dem gleichen Trollthema; sie ist wieder sehr geschickt gemacht, aber man würde doch mal gern irgendeinen neuen Einfall hören. Es folgt die melodramatische »Szene mit dem Krummen«, die auf der übermäßigen Quarte aufgebaut ist und mit Ausnahme der aus der Ferne herübertönenden Orgelklänge am Schluß nichts weiter enthält als beständige Wiederholungen dieses Intervalls in verschiedener Rhythmisierung. Primitiver konnte der Komponist eine so charakteristische Szene garnicht ausgestalten, und wir sehen hier wieder, wie hilflos sich der Lyriker Grieg zeigt, wenn er schwierigen dramatischen Aufgaben gegenübersteht. Seine Phantasie erscheint dann völlig gelähmt, und was er zustande bringt, ist bloße Mache, deren Schwäche und Saftlosigkeit durch wechselnde Vortragszeichen und unruhige Rhythmik nicht verdeckt wird.

Dritter Akt. Ein kurzes Vorspiel von erstaunlicher Einfachheit leitet die große Soloszene Peer Gynts ein; und schon nach den ersten acht Takten hebt sich der Vorhang. Ein bißchen ernste Waldesstimmung ist vielleicht in den Klängen, sonst nichts. Man hat das Gefühl, daß dieser dürftige Satz mit seinen mühsam zusammengesetzten fünfundzwanzig Takten und seinen schlecht verdeckten (fehlerhaften) Oktaven und Quinten einem Leipziger Studienheft entnommen sei. Diesem wenig rühmlichen Vorspiel folgt Griegs berühmteste Komposition, die hier als Einleitung zur dritten Szene gespielt wird: Solvejgs Lied (II, 4). Ihr Schöpfer nannte sie, nicht sehr geschmackvoll, eine »Publikumslampe«. Daß sie dem Publikum gefällt, ist schließlich kein Fehler, und wir dürfen wohl einmal päpstlicher als der Papst sein, indem wir einen kleinen Hymnus auf dieses in seiner Schlichtheit so schöne Lied singen. Mit seiner zweiteiligen Form folgt es einer alten, noch heute bestehenden Volkssitte, die jedem Tirolerlied einen langen Jodler und jedem südspanischen Gesang einen Tanz anfügt. Den tieferen Grund dieser Zusammensetzung bildet der Wunsch, die durch den Gesang erweckte elegisch-wehmütige Stimmung zu überwinden. Solvejg heißt »Sonnenweg«, und das hat eine tiefere Bedeutung; Peer Gynt schreitet ohne sicheren Kurs durch Gestrüpp, Schmutz, Wirrnisse und Einsamkeiten, geht also keinen »Sonnenweg«, gelangt daher auch nicht zu einer dauernden Vereinigung mit seiner Solvejg. Die Trauer über die Trennung erfüllt die Mollmelodie des ersten Teils, während sich das geträumte Glück eines nicht mehr fernen Liebesfrühlings in der Durmelodie des zweiten Teiles spiegelt. Nordisch ist nur die Mollmelodie mit ihren charakteristischen Leittonsprüngen; die Durmelodie spricht von einem zwar nahen, aber doch in diesem Leben nicht mehr erreichbaren Glück und kann daher nicht nordisch gefärbt sein. (Denn im Jenseits hören ja wohl die nationalen Unterschiede auf.) Die religiösen Harmonien, die den Schluß der Durmelodie bilden, bedürfen hiernach keiner weiteren Erklärung. Solvejgs Lied ist zugleich Peer Gynts Lied, denn in Solvejg lebt Peer Gynts besseres Ich, sie ist eine Verkörperung seiner Seele und er findet deshalb in ihr schließlich sich selbst. Diese Auffassung Ibsens läßt den alten Mythus wiederaufleben, demzufolge die Frau das »Sollen« des Mannes, der Mann das »Wollen« der Frau bedeutet und beide nach Beendigung ihres Erdenweges eine ewige Einheit bilden werden. Völlige Verschmelzung von Sollen und Wollen ist nur im Göttlichen denkbar, und wo diese Verschmelzung stattfindet, da kehrt die Seele, die sich selbst im andern gefunden hat und durch den Tod frei von ihrer Zweiheit in der Körperwelt geworden ist, zu Gott zurück. Daß in Solvejgs Lied keinerlei irdische Sehnsucht zum Ausdruck kommt, wird nun verständlich:

»Gott helfe dir, wenn du die Sonne noch siehst,
Gott segne dich, wenn du zu Füßen ihm kniest.
Ich will deiner harren, bis du mir nah,
Und harrest du dort oben, so treffen wir uns da.«

Aus den ersten drei Noten von Solvejgs Mollmelodie hat Grieg das Thema des nächsten, in aller Welt bekannten Stückes geformt. Es heißt »Aases Tod« (I, 2), bietet aber etwas anderes, als der Titel besagt. Nichts in, der Musik spricht von Mutter Aase, nichts von der besonderen Art gerade ihres Sterbens; vielmehr wird das Sterben »an sich« geschildert, das Sterben überhaupt, und daher zugleich auch das Leben. (Denn das Leben ist, wie Seneca sagt, nichts als ein Gang zum Tode.) Griegs Musik besteht aus zwei Teilen; der erste schildert mit einfachen dynamischen Steigerungen einen Aufstieg, der zweite mit einer Umkehrung des Anfangsmotivs einen Abstieg; aber Auf- und Abstieg sind hier nicht mit Erlebnissen ausgefüllt, sondern wie ein großes Ein- und Ausatmen dargestellt. Dadurch erinnert die Komposition an einen persischen Spruch: »Jedes Leben ist ein Atemzug einer ewigen Seele; während sie einen Stern streift, haucht sie ihren Odem in einen Körper hinein und wieder aus ihm heraus.« Diesen einen großen Atemzug, der sich Leben nennt, hat Grieg in seiner Musik wiedergegeben, aber er hat ihn zugleich in viele kleine Atemzüge zerlegt, die an die letzten Lebensregungen eines Sterbenden denken lassen. – Das erstemal werden die schmerzerfüllten, feierlichen Klänge vor Beginn der Szene in Aases Stube von einem gedämpften Streichorchester gespielt, das zweitemal am Schluß dieser Szene ganz leise hinter der Bühne. Solche Wiederholungen pflegen abschwächend zu wirken; es ist deshalb zu bedauern, daß Grieg zur Einleitung der Szene nicht etwas anderes komponiert hat. – Als Kuriosität sei hier noch erwähnt, daß aus dem Thema von »Aases Tod« Max Regers »Impromptu« op. 25 Nr. 3 entstanden ist. Auch sonst hat Reger des öfteren kleine Anleihen bei Grieg gemacht. (Vgl. z. B. sein op. 82, Bd. 2, Nr. 5 mit Griegs »Schmetterling« op. 43 Nr. 1.)

Vierter Akt. Das Vorspiel wird von dem als »Morgenstimmung« (I, 1) bekannten Musikstück gebildet. Kretzschmar sagt von ihm in seinem »Führer durch den Konzertsaal«, es solle »den zweiten (NB.) Aufzug des dramatischen Gedichts einleiten, in dessen erster Szene Peer mit der geraubten Ingrid bei Tagesanbruch ins Gebirge schreitet«. Ganz abgesehen davon, daß die Partitur dieser Meinung unzweideutig widerspricht, wäre auch der pastorale Charakter der Komposition schlecht in Einklang zu bringen mit der leidenschaftlichen Erregung Peers und den heftigen Gefühlsausbrüchen der geraubten Braut. Ursprünglich war die Komposition zur Einleitung der fünften Szene des vierten Aktes (»Früher Morgen«) bestimmt; Grieg hat dann aber später angeordnet, daß sie vor Beginn des vierten Aktes gespielt werden solle. Mit ihrer friedvoll-idyllischen Melodie und ihren klaren, allmählich immer heller leuchtenden Harmonien gehört sie zu den schönsten Eingebungen des Tondichters, mag sich auch Wagners Einfluß hier und da geltend machen. Sie beginnt mit einem Dialog zwischen Flöte und Oboe, dann nehmen die Streicher und schließlich das Horn die Melodie auf, und am Schlusse beginnen die Vögel zu trillern und zu jubeln. – Die nächste Nummer, »Dieb und Hehler« ist eine Buffoszene für zwei Baßstimmen, die fast den ganzen Text auf derselben Note singen. Eine melodramatische Aufführung wäre daher leicht möglich, sofern man es nicht vorzieht, die Szene ganz wegzulassen. Zu Beginn hören wir, rhythmisch verändert, den Anfang von »Aases Tod«; offenbar eine Anspielung auf die Todesangst des Hehlers, der seinen Kopf schon »im Sande tanzen« sieht. Das ist gewiß eine arge Geschmacklosigkeit; aber Griegs »Humor« war ja auch sonst manchmal eigener Art. So vergleicht er z. B. gelegentlich seinen Darmkatarrh mit einem Beethovenschen Adagio und findet ihn zwar »länger«, aber »lange nicht so angenehm, was die Wirkung betrifft«. (Sapienti sat.) Es folgt ein »Arabischer Tanz« (II, 2) mit Frauenchor ad libitum für die Szene im Zelt eines Araberhäuptlings. Der Hauptsatz in C-dur wird von allen Sklavinnen, der nur vom Streichorchester gespielte Mittelsatz in A-moll dagegen von Anitra allein getanzt, die auch gleichzeitig die Melodie singen kann. Mit erstaunlicher Sicherheit hat Grieg hier in der Melodik, Rhythmik und Instrumentation (Pikkoloflöte, Schlagzeug) das orientalische Kolorit getroffen; der Anfang könnte eine maurische Originalmelodie sein, und auch die Bevorzugung der übermäßigen Quarte wirkt ganz stilecht, obwohl sie eine echt Griegsche Eigentümlichkeit ist. Im Mittelsatz sind dann allerdings mehr nordische als arabische Klänge zu finden, was den Arabern sicher mißfallen würde, uns Europäer aber nicht sehr stört, da der Eindruck des Fremdartigen gewahrt bleibt. Sehr viel weniger orientalisch klingt »Anitras Tanz« (I, 3), der für Streichorchester komponiert ist, mit entzückender Skrupellosigkeit die heterogensten Dinge vermischt und auf diese Weise beinahe einen eigenen Stil erhält. »Tempo di Mazurka« steht darüber. Anitra trippelt wie eine kleine Geisha staccato herbei, was für eine glutvolle Araberin höchst ungewöhnlich ist, und dreht sich erschreckt über ein paar moderne chromatische Figuren im Kreise; dann beginnt sie ihren Phantasietanz, wirft zu schmachtenden Nonenakkorden die Arme in die Höhe, wiegt die Hüften im Walzerrhythmus und kommt schließlich ins Stolpern bei einer kanonischen Verarbeitung des Themas, deren korrekte choreographische Wiedergabe erfordern würde, daß das eine Beinchen hinter dem andern hertanzt. Mit erneutem chromatischen Getrippel, oder sagen wir: mit erneuter getrippelter Chromatik, findet dann der schnurrige Tanz ein Ende. Diese Anitra ist ein Teufelsmädel; sie weiß nicht nur den abenteuerlustigen Peer Gynt zu betören, sie versteht sogar eine nordisch-polnisch-maurisch-chromatisch-kanonische Mazurka zu tanzen und obendrein noch den Leuten weiszumachen, das sei ein »arabischer« Tanz. Daß die Musik kokett und apart, graziös und prickelnd, duftig und einschmeichelnd ist, sei zugestanden. Aber diese »Publikumslampe« paßt in ein Araberzelt wie ein Haremsdämchen in ein Nonnenkloster, »respektive vice versa«. Peer Gynt schaut der tanzenden Anitra mit gemischten Gefühlen zu, was man ja verstehen kann, und zitiert dabei ironisch unsern Goethe: »Das ewig Weibliche zieht uns hinan«. Dann singt er seine »Serenade«, vom Streichorchester pizzicato begleitet. Der Text ist nicht sehr poetisch, denn der Genuß der Reize Anitras wird mit dem Genuß von Ziegenkäse verglichen. Man kann daher auch von der Musik keine tiefen Offenbarungen erwarten; aber ein bißchen Spott und Hohn müßte schon in ihr sein. Statt dessen bietet Grieg einen harmlos-vergnüglichen Klingklang, der nach den beiden wirkungsvollen Tanzstücken ziemlich abfällt. Als letztes Musikstück des vierten Aktes erscheint nochmals Solvejgs Lied, nunmehr von Solvejg selbst gesungen. Bei Ibsen handelt es sich hier um eine Soloszene, die in die ägyptischen Szenen eingeschoben ist. Im Theater zu Christiania pflegt man eine kleine Änderung zu machen: Peer Gynt geht nicht von der Bühne ab, sondern läßt sich, in tiefes Sinnen versunken, auf der Erde nieder; im Hintergrund erscheint dann, gleich einer Fata Morgana, eine nordische Landschaft, und Solvejg beginnt ihr Lied zu singen: So wirkt das Ganze wie eine Vision Peers. Diese Änderung kann zur Nachahmung empfohlen werden, denn sie steht vollkommen im Einklang mit dem tieferen Sinn der Dichtung: Wenn Peer Gynt am Schlusse fragt: »Wo war ich?«, so antwortet Solvejg: »Bei mir.«

Fünfter Akt. Ein glänzendes Orchesterstück, »Peer Gynts Heimkehr« (II, 3) leitet die letzten Szenen der Dichtung ein; es bietet ein ebenso packendes und genial entworfenes Stimmungsbild wie »In der Halle des Bergkönigs« (I, 4). Unwillkürlich muß man an die Ouvertüre zum Fliegenden Holländer denken, und in der Tat finden sich manche Ähnlichkeiten, so in dem Quinten- und Quarten-Motiv des Anfangs, in den chromatischen Gängen und in der häufigen Verwendung des verminderten Septimenakkords. Aber diese Ähnlichkeiten sind durch den Stoff bedingt. Wer einen Sturm auf hoher See schildern will, wird immer wieder zu denselben schon unzählige Male verwandten Mitteln greifen müssen. Man kann deshalb nicht sagen, daß Grieg bei der Wiedergabe von wütendem Sturmgebraus und donnerndem Wogenschwall Wagner nachgeahmt habe, vielmehr muß man seine im Rahmen des Gegebenen doch sehr eigenartige Schilderung eines elementaren Naturereignisses als eine höchst persönliche Leistung anerkennen. Erstaunlich bleibt, daß der Lyriker Grieg überhaupt ein so naturalistisches und in Einzelheiten wie im ganzen Aufbau gleich meisterliches Stimmungsbild schaffen konnte. Die nächste Nummer, »Solvejgs Gesang in der Hütte« ist nichts anderes als ihr schon mehrmals gehörtes Lied, diesmal aber unbegleitet und aus dem sanfteren A-moll nach dem ernsteren G-moll transponiert. Es folgt die große melodramatische »Nachtszene«, in der am Schlusse Aases Stimme fernher erklingt. Grieg hat hier aus dem Pfeifen des Windes ein sehr charakteristisches, laut klagendes Thema entwickelt, das er, von Doppelschlägen unterbrochen, fünfmal wiederholt, jedesmal eine halbe Tonstufe höher. Sobald dann Aases Stimme ertönt, hören wir den zweiten Teil der bei ihrem Tode gespielten Musik noch einmal über einem vom Horn durchgehaltenen Orgelpunkt. Nun folgt die kurze Episode »Gesang der Kirchengänger« (der bei der Aufführung hinter der Bühne erklingt). Zur Erleichterung der Einstudierung hat ihm Grieg Harmonien hinzugefügt, die man ihres archaistischen Charakters halber gern beibehalten würde, wenn der Komponist nicht ausdrücklich vorgeschrieben hätte, daß der Chor unisono singen soll. Den Schluß der Griegschen Partitur und auch der Ibsenschen Dichtung bildet »Solvejgs Wiegenlied«, ein sehr schöner Gesang, dessen ausdrucksvollster Teil der Durmelodie des früheren Liedes entnommen ist (vgl. hier Takt 9/10). Die Vorfreude in Erwartung einer dauernden Vereinigung, die in dieser Melodie zum Ausdruck kam, beseelt somit auch den letzten Gesang. Trotzdem erscheint es bedenklich, die Worte »Schlaf, du teuerster Knabe mein« nach der Vorschrift des Komponisten fortissimo (!) zu singen. Denn wichtiger als ein effektvoller musikalischer Schluß ist doch wohl die Rücksicht auf Sinn und Zweck der Textworte. –

Wenn Ibsen den späten Erfolg seines Peer Gynt auf den deutschen Bühnen erlebt hätte, so würde er nicht übersehen haben, daß die meisten Theaterbesucher seine Dichtung weder verstehen, noch sich Mühe geben sie zu begreifen. Es spricht für Grieg, daß der Peer Gynt unzählige Male aufgeführt werden kann, nur weil das Publikum seine Musik liebt und immer wieder hören will; aber andererseits wird man gerade daraus erkennen, wie wenig der Komponist im Grunde für den Dichter getan hat. Man muß schon Gounods Faust zum Vergleich heranziehen, um zu verstehen, daß eine gedankentiefe Dichtung durch eine mehr oder minder weitgehende Veroperung nichts gewinnt. So ist es auch bei Ibsens Peer Gynt. Wenn nun die Bühnenleiter obendrein noch die Dichtung soweit zusammenstreichen, daß lediglich ein verbindender Text zu einer Reihe von Musikstücken übrig bleibt, so möchte man fast wünschen, daß der Theatererfolg des Peer Gynt nur vorübergehend sei. Griegs Musik braucht die Bühne nicht; was von ihr dauernden Wert hat, ist in den beiden Suiten enthalten und im Konzertsaal längst heimisch. Ibsens Dichtung aber kann überhaupt nicht auf den Brettern, sondern nur in der Phantasie des Lesers lebendig werden. –

 

Wenn wir die Tonwerke von den ältesten Zeiten an bis zu Bach, Händel und Haydn überschauen, so werden wir nicht allzu viel finden, was heute noch in den Herzen der Menschen lebt. Auch Kunstwerke sind sterblich, und in keiner anderen Kunst ist wohl die Lebensdauer des Geschaffenen so kurz wie in der Musik. Seltsamerweise sind es nun gerade die großen Schöpfungen, die am schnellsten wieder verschwinden. Von Händels Oratorien lebt nur wenig noch (und auch bloß für wenige), von seinen Opern garnichts mehr; aber sein bekanntes Largo wirkt heute nicht minder frisch und lebendig als zu der Zeit, da es entstand. Gleich dieser kleinen Komposition hat noch so manches andere, kurze, schlichte, unkomplizierte Musikstück Jahrhunderte lang seine Lebenskraft bewiesen, obwohl es von den Kunstkennern kaum je beachtet worden ist. Dagegen sind viele große, hochgeschätzte Tonschöpfungen sehr bald vergessen worden und trotz aller Neubelebungsversuche für unsere Zeit, ja für alle Zeiten, tot. Wir überschätzen vielleicht das, was in der Musik als »Kunst« gilt, und unterschätzen das, was ohne Fachwissen zuweilen gekonnt und mit Fachwissen oft nicht gekonnt wird. Händels Largo enthält nichts als eine schlichte Melodie, die mit ganz einfachen Akkorden begleitet wird; aber dieses kleine, anscheinend ganz kunstlose Tonstück erfreut Millionen, denen man Bachs kunstreichste Fugen vorspielen könnte, ohne daß sie irgendeine Empfindung dabei hätten. Hier gibt es offenbar etwas, das sich jeder begrifflichen Bestimmung entzieht, etwas höchst Wichtiges, das außerhalb des Fachlichen steht: In dem einen Musikstück ist Leben, in dem andern nicht; in dem einen ist stärkeres, in dem anderen schwächeres Leben; und das allein entscheidet. Niemand weiß, wie man es machen muß, damit Leben in eine Komposition hineinkomme; niemand weiß auch, auf welche Weise man objektiv feststellen kann, ob Leben in ihr sei oder nicht. Darum läßt sich so wenig Wesentliches über musikalische Werke sagen (und so viel Unwesentliches über sie schwätzen). Mancherlei könnte man gegen Griegs Musik »einwenden«; es fehlt ihr dies, es fehlt ihr das, und vom rein fachtechnischen Standpunkt aus erscheint sie zweifellos nicht allzu »kunstvoll«. Aber es steckt Leben in dieser Musik, das haben Tausende, Hunderttausende gefühlt und werdens wohl auch noch weiter fühlen. Alle Schwächen und Fehler, die sie hat, angeblich oder wirklich, lassen sich »feststellen« und aufzählen; doch das Größte und Schönste an ihr, das kann niemand definieren, obwohl es fast greifbar deutlich für das Gefühl vorhanden ist. Was sind hier Beweise und Gegenbeweise? (Man beweise mir, daß ich eine Seele habe, – ich glaube es nicht; man beweise mir, daß ich keine habe, – ich glaube es doch.)

Die Urteile über Griegs Schaffen mögen weit auseinandergehen, und der eine mag ebenso recht haben wie der andere. Freuen wir uns, statt um Meinungen zu streiten, der Lebenskraft und Lebenswärme seiner Werke, der Echtheit und Reinheit seiner Kunst. Wer so die Hörer im tiefsten Innern zu bewegen versteht wie er, der ist ein großer Künstler, auch wenn er nur die kleinen Formen gepflegt und zufällig keine Symphonie hinterlassen hat. Seine dem Empfinden des Volkes so nahe und doch dem Vulgären so ferne Musik ist erfüllt von jener tiefen Traurigkeit und stillen Sehnsucht, die der Größte wie der Kleinste in seinem Herzen birgt, und darin liegt das Geheimnis ihres großen Erfolges.


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