Rudolf Steiner
Die Prüfung der Seele
Rudolf Steiner

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Zehntes Bild

Capesius:
O diese fremde Gegend! Eine Bank,
ein Häuschen und ein Waldesgrund vor mit ...
Ob ich sie kenne? Sie verlangen dringlich,
daß ich sie kenne. Sie bedrücken mich.
Sie legen sich auf mich wie schwere Lasten.
Sie scheinen Wirklichkeit. Doch nein, dies alles –
Ist nichts als Bild, aus Seelenstoff gewoben.
Ich weiß, wie diese Bilder sich aus Sehnsucht
und aus dem Seelendurst gestaltet haben.
Ich tauchte, wie erwachend aus der Sehnsucht –
und aus dem weiten Geistesmeere auf.
Erschauernd schreckhaft steigt Erinnerung
an diese Sehnsucht mir aus Seelengründen.
Wie brannte doch ihr Durst nach Daseinswelten;
die Wahneslust, die aus Entbehrung kam,
verbrannte meine ganze Wesenheit.
Ich mußte stürmisch nach dem Sein begehren,
und alles Dasein wollte mich nur fliehen.
Ein Augenblick, der Ewigkeit mir dünkt,
ergoß in meine Seele Leidensstürme,
die nur ein volles Leben bringen kann.
Und vor dem Sehnsuchtsschrecken stand vor mir,
was diesen Schrecken mir erschaffen hatte.
Ich fühlte mich zum Weltenall erweitert,
und aller eignen Wesenheit beraubt – –.
Doch nein, der war nicht ich, der so empfand,
ein andres Wesen, das aus mir entsprang.
Erwachsen sah ich Mensch und Menschenwerk,
aus Weltgedanken, die den Raum durcheilten
und wesend sich zur Offenbarung drängten.
Sie stellten eine ganze Lebenswelt
mir vor die Augen bildhaft greiflich hin.
Sie nahmen mir aus meinem Seelenstoff
Die Kraft, um aus Gedanke Sein zu schaffen.
Je mehr die Welt vor mir sich dichten konnte,
verlor ich selbst an meinem Eigenfühlen.
Und Worte tönten aus der Bilderwelt,
sie drangen auf mich ein, sich selber denkend.
Sie schufen aus den Lebensmängeln Wesen
und gaben ihnen Kraft aus guten Taten.
Sie klangen aus den Raumesweiten mahnend:
»O Mensch, erkenne dich in deiner Welt.«
Ich sah ein Wesen, das vor mich gestellt,
mir meine Seele als die seine zeigte.
Und jene Weltenworte sprachen weiter:
»So lang du nicht in deine Lebenskreise
dies Wesen ganz verwoben denken kannst,
bist du ein Traum, dich selber träumend nur.«
Ich konnte nicht in klaren Formen denken,
nur Kräfte wirksam schauen, die verworren
vom Nichts in Sein, vom Sein ins Nichts sich drängten.
Doch strebe ich im Geiste weiter rückwärts,
erinnernd mich, was ich vor diesem schaute,
so steht ein Lebensbild vor meiner Seele,
das nicht verworren ist wie alles war,
was ich in spätern Augenblicken fühlte,
das klar vielmehr mir Mensch und Menschenwerk
in allen Einzelheiten deutlich zeigt.
Es ist in diesem Bilde mir vertraut,
wer jene Menschen sind, und was sie tun:
Ich kenne alle Seelen, die ich schaue,
doch sind die Leibesformen umgestaltet.
Ich blick' auf alles dies, wie wenn ich selbst
als Wesen dieser Welt mich fühlen müßte,
und trotzdem läßt mich kalt und ohne Fühlen,
was gleich dem vollen Leben vor mir steht.
Es scheint, als ob die Wirkung auf die Seele,
sich für den spätern Augenblick bewahrte,
der mir jetzt früher vor dem Geiste stand.
In eines Geistesbundes Mitte konnt' ich
mich selbst und andre Menschen wohl erkennen.
doch so, wie man ein Bild aus alter Zeit
Gedächtnisquellen sich entringen fühlt.
Ich schaue Thomas, meinen Sohn, als Bergmann,
und muß der Menschenseele mich entsinnen,
die als Thomasius mir sonst sich zeigte.
Das Weib, das mir als Seherin bekannt,
es tritt als leiblich Kind vor meine Augen.
Maria, die Thomasius befreundet,
sie offenbart sich in des Mönches Kleid,
der unsre Geistesbrüderschaft verdammt,
und Strader trägt des Juden Simon Antlitz.
In Joseph Kühne und in seinem Weibe
erblick' ich Felix' und Felicias Seele.
Ich kann der andren Menschen Leben
und auch mein eignes deutlich überschauen.
Doch da ich mich noch ganz ihm hingegeben,
entschwindet alles meinem Geiste wieder.
Empfinden kann ich, wie die Seelenstoffe,
aus welchen jenes Bild gewoben war,
in meine eigne Seele sich ergießen.
Mich aber fühle ich von Seligkeit
in meiner ganzen Wesenheit ergriffen.
Befreit erschein' ich mir von Sinnenschranken,
mein Sein, es ist zum Weltenall erweitert. –
So fühle ich den langen Augenblick,
den ich durchleben konnte, ehe ich
vor jenem Lebensbilde mich befunden.
Und weiter noch zurück kann ich jetzt schaun – –
Verdichtend sich, aus Weltgedankenkraft,
erscheint vor meinen Blicken dann der Wald,
das Haus, in welchem mir Felicia und Felix
so oft in Lebenssorgen Trost gewährten.
Und jetzt – ich finde in der Welt mich wieder,
aus der ich mich entfernt noch eben fühlte
durch Erdenzeiten und durch Weltenfernen.
Und was ich jüngst noch fühllos schauen konnte:
Das Bild, das mich mir selber hat gezeigt,
es legt sich Seelennebelformen gleich
vor alles hin, was jetzt die Sinne fühlen.
Zum Alp wird mir das Bild, der mich bedrückt.
Es wühlt in meinen Seelentiefen.
– – – – – – – – – – – – – – – –
Er öffnet Weltentore, Raumesweiten
– – – – – – – – – – – – – – – –
Was stürmt in meinen Wesensgründen,
was dringt in mich aus Weltenfernen?
– – – – – – – – – – – – – – – –
(Eine Stimme als Geistgewissen):
Erfühle, was du geschaut,
erlebe, was du getan.
Du bist dem Sein nun neu entstanden.

Du hast geträumt dein Leben.
Erwirk' es dir
Aus edlem Geisteslicht;
Erkenne Daseinswerk
mit Seelenblickeskraft.
Vermagst du dieses nicht,
bist wesemlosen Nichts
in Ewigkeit verbunden.

(Vorhang fällt, während Capesius noch anwesend ist.)


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