Rudolf Steiner
Die Prüfung der Seele
Rudolf Steiner

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Sechstes Bild

Eine Waldwiese. Im Hintergrunde hohe Felsen, auf denen eine Burg steht. Sommerabendstimmung. (Bauern, der Jude Simon; der Bergwerkmeister Thomas, ein Mönch.)

(Bauern über die Wiese gehend, und während sie stehenbleiben, sprechend):

1. Bauer:
Seht dort den bösen Juden,
er wird nicht wagen,
denselben Weg zu gehn wie wir;
er könnte Dinge hören,
die lange seine Ohren jucken.

2. Bauer:
Wir müssen seiner Dreistigkeit
einmal recht deutlich fühlen lassen,
daß wir sie nicht mehr länger dulden
in unsrem biedern Heimatland,
in das er sich hereingeschlichen hat.

1. Bäuerin:
Er steht im Schutze der hohen Herrn,
die oben auf dem Schlosse wohnen;
von uns darf niemand dort hinein,
den Juden nimmt man gerne auf.
Er tut auch was die Ritter wollen.

3. Bauer:
Es ist recht schwer zu wissen,
wer Gott und wer der Hölle dient.
Wir müssen unsern Rittern dankbar sein;
Sie geben uns das Brot und auch die Arbeit.
Was wären wir denn ohne sie?

3. Bäuerin:
Mir aber hat ein Mönch verraten,
daß teuflisch ist, womit der Jude heilt.
Man muß vor seinem Gift sich hüten;
es soll im Leibe sich verwandeln
und allen Sünden Einlaß geben.

4. Bauer:
Die Menschen, die den Rittern dienen,
bekämpfen unsre alten Sitten.
Sie sagen, daß der Jude vieles weiß,
was Heil und Segen bringt,
und was man künftig erst noch schätzen wird.

5. Bauer:
Es kommen neue bessre Zeiten,
ich schau' sie schon voraus im Geiste,
wenn mir die Seelenbilder zeigen,
was Leibesaugen nicht erblicken können,
Die Ritter wollen uns das alles schaffen.

4. Bäuerin:
Wir sind der Kirche Treue schuldig,
die unsre Seele vor den Teufelsbildern,
vor Tod und Höllenqualen rettet.
Die Mönche warnen vor den Rittern,
und vor dem Zaubrer auch, dem Juden.

5. Bäurin:
Wir sollen nur noch kurze Zeit
geduldig unser Joch ertragen,
das uns die Ritter auferlegen.
Die Burg wird bald in Trümmern liegen;
das hat ein Traumgesicht mir offenbart.

6. Bäuerin:
Mich quält die Angst vor schwerer Sünde,
wenn ich oft hören muß,
die Ritter wollten uns verderben. –
Ich seh' nur Gutes stets von ihnen kommen;
ich muß sie auch als Christen gelten lassen.

6. Bauer:
Was künfig Menschen denken wollen,
das soll man denen überlassen,
die nach uns leben werden.
Den Rittern sind wir nur
Das Werkzeug für die Teufelskünste,
mit denen sie bekämpfen,
was wahrhaft christlich ist.
Wenn sie vertrieben werden,
sind wir der Führung ledig,
und können dann nach eignem Sinn
in unsrer Heimat leben.
Wir wollen jetzt zur Abendandacht gehn;
da finden wir, was unsre Seelen brauchen,
und was der Väter Sitten angemessen ist.
Die neuen Lehren taugen nicht für uns.
(Die Bauern gehen ab; Simon, der Jude, kommt aus dem Walde.)

Simon:
So sind's nur stets der alte Haß und Spott,
die ich von allen Seiten hören muß.
Und doch erfüllt mich immer wieder Schmerz,
wenn ich mich ihnen bloßgestellt muß sehn.
Es scheint kein Grund vorhanden für die Art,
wie ich behandelt werde von den Leuten.
Und doch verfolgt mich Ein Gedanke oft,
der mir die Wahrheit vor die Sinne rückt,
daß Sinn in allem liegt, was wir erleben.
So muß gewiß auch dies begündet sein,
daß Menschen meines Stammes leiden müssen.
Und blick' ich auf die Herren jener Burg,
so find' ich ihr Geschick dem meinen ähnlich.
Sie haben sich nur zielvoll selbst gewählt,
wozu Naturgewalten mich verhalten.
Sie sondern sich von allen Menschen ab,
um einsam strebend Kräfte auszubilden,
durch die sie ihre Ziele finden können.
Ich fühle so, was ich dem Schicksal schilde,
das mich mit Einsamkeit gesegnet hat.
Nur auf die eigne Seele hingewiesen,
ergab ich mich dem Reich der Wissenschaft.
Erkennen konnte ich aus ihren Lehren,
daß unsre Zeit sich neuen Zielen neigt.
Es müssen sich dem Menschen offenbaren
Naturgesetze, die bisher ihm fremd;
Er wird sich so die Sinnenwelt erobern,
und aus ihr Kräfte sich entfalten lassen,
die er in seine Dienste stellen wird.
Ich habe nun getan, was ich vermocht,
ich solcher Art die Heilkunst fortzubilden.
Dies Streben machte mich dem Bunde wert.
Die Brüder ließen mich auf ihren Gütern
die Kräfte, welche in den Pflanzen ruhn
und die im Erdengrunde aufzufinden,
zu neuem Heilverfahren untersuchen.
So handle ich nach ihrem Sinn und Ziel,
und darf bekennen, daß ich manche Frucht
auf meinem Wege freudig pflücken konnte.
(Geht weiter in den Wald hinein.)

(Der Bergwerksmeister Thomas kommt aus dem Walde, ihm begegnet der Mönch.)

Thomas:
Ich will mich hier ein wenig niederlassen.
Es braucht die Seele Ruhe, sich zu finden
Nach solchen Stürmen, wie sie mich getroffen.
(Der Mönch kommt hinzu.)

Mönch:
Ich grüße dich recht herzlich, wackrer Sohn.
Du hast die Einsamkeit hier aufgesucht;
Nach vieler Arbeit willst du stillen Frieden,
zu lenken deinen Sinn nach Geisteswelten.
So seh' ich meinen lieben Schüler gerne.
Es blickt dein Auge aber wehmutvoll?
Es scheint, daß Sorgen deine Seele quälen.

Thomas:
Der Schmerz ist nahe oft dem höchsten Glücke;
Das zeigt mein Leben mir in diesen Tagen.

Mönch:
So hast du Glück und Schmerz zugleich erfahren?

Thomas:
Mein hoher Herr, ich hab' euch anvertraut,
daß ich des Bergaufsehers Tochter liebe,
und daß auch sie mir herzlich zugetan.
Sie wird als Weib mit mir das Leben teilen.

Mönch:
Sie wird dir treu im Glück und Leide folgen;
sie ist der Kirche fromm ergebne Tochter.

Thomas:
Nur solch ein Weib kann mir zur Seite stehn,
da ich von euch, mein vielgeliebter Führer,
die wahre Gottergebenheit gelernt.

Mönch:
Und bist du auch der eignen Seele sicher,
daß sie den Weg auch ferner wandeln wird,
den ich ihr als den rechten zeigen durfte?

Thomas:
So wahr mein Herz in meinem Leibe schlägt,
so wahr soll euer Sohn für alle Zeiten
den hohen Lehren treu ergeben sein,
die er aus eurem Munde hören durfte.

Mönch:
Und habt ihr mir von eurem Glück gesprochen,
so laßt mich euer Leid nun auch erfahren.

Thomas:
Ich hab' euch oft erzählt, wie ich gelebt.

Als ich der Kindheit kaum entwachsen war,
begann ich in der Welt umherzureisen.
Ich habe oft den Arbeitsort verändert.
Es lebte mir im Herzen stets der Wunsch,
dem Vater zu begegnen, den ich liebte,
obgleich ich Gutes nicht von ihm erfahren.
Verlassen hat er meine gute Mutter,
weil er, von Weib und Kindern ungehindert,
ein neues Leben sich gewinnen wollte.
Der Trieb nach Abenteuern lag in ihm.
Ich war ein Kind noch, als er von uns ging;
Und meine Schwester eben erst geboren.
Die Mutter starb aus Gram nach kurzer Zeit.
Die Schwester kam in guter Leute Pflege,
die später meinen Heimatsort verlassen haben.
Ich konnte nichts mehr von dem Mädchen hören.
Ich lernte, von Verwandten unterstützt,
das Bergfach, und ich kam so weit darin,
daß ich stets Arbeit fand, wo ich sie suchte.
Mir hat die Hoffnung niemals schwinden können,
daß ich den Vater wiederfinden müßte.
Und jetzt, da meine Hoffnung sich erfüllt,
ist sie zugleich für immer mir genommen. –
Ich hatte gestern wegen Dienstessachen
Bei meinem Vorgesetzten mich zu melden.
Ihr wißt, wie wenig ich den Ritter liebe,
der meiner Arbeit Oberleiter ist,
seit mir bekannt, daß ihr sein Gegner seid.
Seit dieser Zeit hab' ich mir vorgenommen,
im Dienste dieses Schlosses nicht zu bleiben.
Der Ritter brachte unsre Unterredung,
aus Gründen, die mir unbekannt geblieben,
zu solcher Wendung, die ihm möglich machte,
sich als – mein Vater mir zu offenbaren . . . .
Was folgte . . . o ich möchte es verschweigen . . .
Ich hätte alles Leid vergessen können,
das er der Mutter und mir selbst bereitet,
als ich dem Vater gegenüberstand,
der schmerzgebeugt von alten Zeiten sprach.
Doch euer Gegner stand in ihm vor mir.
Ich konnte nur das eine klar mir machen,
welche tiefe Kluft mich trennen muß für immer,
von ihm, den ich so gerne lieben würde,
den ich so lange sehnsuchtsvoll gesucht. –
Ich habe ihn zum zweiten Mal verloren.
So fühle ich, was ich erleben mußte.

Mönch:
Ich werde niemals dich entfremden wollen
den Banden, die das Blut dir auferlegt.
Doch was ich deiner Seele geben kann,
soll dir in Liebe stets beschieden sein.

(Vorhang fällt, während beide abgehen.)


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