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Was Jochen Maechler ein beklommenes Vorausgefühl als dunkle Möglichkeit nahe gebracht hatte, daß die Faust seines unabänderlichen Entschlusses doch von einem Stärkeren aufgebrochen werden könne, als er selber war, das traf nun wirklich ein, wenn auch derjenige, durch den diese Niederlage des Gerbers eingeleitet wurde, nicht der Stärkere, sondern nur der Gewalttätigere war, ja, daß gar nicht eigentlich dieser Mann, sondern sein Kind, ein kleines Mädchen, eine Wendung über das Maechlerhaus brachte, die sogar das Leben des Meisters und seiner Frau überdauerte.

Es ist der Besuch des Freiherrn Franz von Schillingkhoff und seines Töchterchens Susanne gemeint, die allgemein Sessi gerufen wurde. Sieht man genauer zu, so war das gar kein Besuch, sondern eigentlich ein Einbruch des Herrn von Schillingkhoff in das Gerberhaus auf der Feldgasse. Dieser stammte aus einem alten, aber armen evangelischen Geschlecht, das aus Kriegsgäulen durch die Jahrhunderte getrabt war und sich endlich dem Banner der Brandenburger verschworen hatte. Eine berserkerliche wilde Familie, die sich mit Lunten durch verrammelte Nächte leuchtete, in Lagerzelten Hochzeit hielt, am wohligsten auf Pferderücken träumte, aber eher sich an Schrotkörnern die Zähne ausbiß, als aus Feigheit oder Eigennutz etwas über die Zunge zu lassen, das wider ihre Überzeugung und Ehre war, wenn sie von dem ererbten wilden Blute nicht eben in Tollheit vollkommen erblindeten. In dem Freiherrn Franz von Schillingkhoff funkelte das letzte Paar Männeraugen des Geschlechts in eine paukenselige Zeit, in die es ihrem Wesen nach so gar nicht paßte. Schon auf der Kadettenanstalt nannte er mutig jede Art menschlicher Anmaßung, Überhebung, Dummheit, Lächerlichkeit, Verlogenheit, Streberei und unnötige Devotion mit einem einzigen Namen »Schorf«, das ein Hannoveraner in neckischer Selbstverhöhnung »S–chorf« aussprach, weswegen man ihm den Spitznamen »Korff« beilegte, den er sich lachend gefallen ließ. Später, im Regiment, war er geliebt, ja geradezu verhätschelt von seinen Kameraden wegen seiner mutigen, eleganten Ritterlichkeit, ausgezeichnet und zugleich gefürchtet, von seinen Vorgesetzten wegen seines Schneids, seiner phänomenalen kriegswissenschaftlichen Beschlagenheit und seines unheimlichen Scharfsinns. Er stellte sein Licht nie unter den Scheffel, war aber auch nie ein eitler Blender. So kam es, daß er mit 30 Jahren in den Großen Generalstab kommandiert und nach einiger Zeit persönlicher Adjutant des Chefs, Grafen Schlieffen wurde.

Seine Tätigkeit im Generalstab fiel in die Zeit, in der Kaiser Wilhelm II. schon rettungslos im Schwanken und Schlingern seines labilen Wesens verlorengegangen war und in der Eitelkeit, Prahlsucht und Soldatenspielerei die Stetigkeit eines mächtigen Komödianten gefunden hatte. In das Jahr 1904 fiel die 37. Uniformänderung.

Korff, den der ernsteste Ehrgeiz trieb, die reinste Vaterlandsliebe trug, edelste Königstreue erfüllte: erlitt eine immer krassere Enttäuschung seiner ererbten Ideale, ein Zerbrechen seiner militärisch-feudalen Welt-, Staats- und Menschenanschauung. Als aktivster, genialisch vielfältig-leidenschaftlicher Geist, ertrug er dieses Gaukelbild von Größe, diese ewige Souveränitätsfexerei nicht anders als erst durch sarkastisches Lächeln und dann durch bitterlustige Witze im Kreise seiner intimsten Freunde. Immer fand er begeisterte Zuhörer. Sobald sie aber die Tür hinter ihm zugemacht hatten, blähten sie sich wieder beglückt in dem eitlen Pomp, zu dem der geistreich-wirre Monarch die Regierungsmißwirtschaft umfrisierte. Ihn aber, den genialen, wilden Korff, belasteten diese Zustände ernster. Geradezu schnürte ihm das heillose Durcheinander im Militärkabinett, die Lakaienbeflissenheit und Würdelosigkeit der Generäle dem Monarchen gegenüber die Kehle ein. Es verlor sich die Freude an seinem Fortkommen und Beruf. Dazu bedrückte ihn fortwährend der Schmerz des von seinem ganzen Wesen verpflichteten Patrioten, der den sicheren Untergang des Systems voraussah und doch keinen Ausweg erblickte, sich von der Mitschuld an diesem prunkvollen, langsamen Verfall des Bismarckschen Staates zu retten. Indessen drängten auch persönliche Erlebnisse zu einer Entscheidung. Auf einem Hofball, zu dem er als vorzüglicher Tänzer kommandiert wurde, fiel ihm ein Fräulein, eine blonde, schlanke Erscheinung auf, die wohl so vornehm wie die andern in Kleidung und Haltung war, aber doch sich durch Einfachheit, ja durch eine Schüchternheit unterschied, über die sie immer siegte und die sie nie ganz unterdrücken konnte, voll Sanftmut und fast kindhafter Ergriffenheit, ganz Dame und junges Mädchen zugleich, voll einfacher Heiterkeit und unterirdischer Leidenschaft. Er erfuhr, daß es die Komteß Eleonore von Shayn-Winternitz sei, deren Mutter eine geborene Fürstin Boitzenburg-Mallenhoven wäre. Der alte Winternitz saß zu Hause auf dem Schloß Brakhusen im Fahrstuhl, in den ihn seine tolle Jugend geschoben hatte.

Wirklich, sie fühlte sich bedrückt durch das Leben im elterlichen Hause, in dem von früh bis in die Nacht der Tag eine einzige Schaustellung der Exklusivität und äußerster Vornehmheit war, und hatte sich auf diesen ersten Hofball wie ein Vogel gefreut, der aus seinem engen goldenen Käfig in die hohe, große, vielfältige Freiheit der Welt stiegen durfte. Doch trotz alles kaiserlichen Glanzes, trotz verwirrender Pracht, die sie anfangs unsicher gemacht hatte, bedrängt und schüchtern, fand sie in ihrer Sehnsucht nach natürlicher, überragender Menschenweite in den Sälen der Majestät wieder, was sie zu Hause so bedrückte, nur den Pomp noch zeremoniös übertriebener, die Adligen wie Lakaien, kommandierte Heiterkeit, Ehrfurcht als schöne, stilisierte Maske. Am meisten war sie entsetzt über die Behandlung des alten schlesischen Grafen Kospoth durch den Kaiser. Sein Schneider hatte ihn im Stich gelassen, und so mußte er statt in der großen Galauniform eines Kammerherrn in der kleinen erscheinen. Als Majestät ihn erblickte, rief er:

»Na, Kospoth, wie sehen Sie denn aus? Nächstens werden Sie wohl im Sweater kommen.«

Standhaft lächelte der Greis, wankend defilierte er, drückte sich in die hinterste Reihe und sank ohnmächtig auf einen Stuhl.

Ihre weißblauen Augen bekamen davon einen harten Glanz. Aber als Freiherr von Schillingkhoff, der Generalstabsoffizier, in seiner kühnen, wilden Schönheit sie zum Tanz holte, atmete sie auf und fühlte sich in den Armen ihres Befreiers. Eleonore war selbst eine erlesene Tänzerin, daß alle dem schönen Paar nachsahen. Und als sie elegant und sicher über die halsbrecherisch gefährliche Stelle des Parketts vor dem Thron mit dem eingelassenen preußischen Adler schwebten, winkte der Kaiser sprühenden Auges beiden zu. Wie ein Blitz schlug das in ihre Herzen, und auf der Heimreise kam die blutjunge Komtesse nicht von einem heimlichen blühenden Rausch los, der sie dann immer tiefer in Sonne einnebelte, daß dieser schöne, kühne Generalstäbler, der sie dem Gemütsverdunkeln auf dem Hofball in einen geradezu herrlichen Tanz befreit hatte, wohl der rechte Mann sein könne, der sie aus der starren, feierlichen Langeweile ihres Elternhauses in ein vielfältiges, buntes Leben hoher Menschenfreiheit retten könne.

Schillingkhoff fand Zutritt in das Winternitzsche Schloß, und nicht lange, so blühte zwischen ihm und Leonore eine heimliche Liebe, die sie sorgfältig vor allen verbargen und an die sie sich doch immer unverbrüchlicher gebunden fühlten, obwohl beide den sich immer mehr verstärkenden Widerstand von Vater und Mutter bei verschiedenen Gelegenheiten zu schmecken bekamen. Der alte Winternitz, ein Ultrakonservativer, sah in dem überlegenen Geist und genialisch beschwingten Wesen Korffs die Abkehr des militärischen Nachwuchses von der altpreußischen, puritanen Lebens- und Dienstauffassung und, nach allerhöchstem Beispiel, das hoffnungslose Abgleiten in Renommiersucht und blendende Äußerlichkeit. Im tiefsten war es aber der gallige Neid eines vorzeitig Gebrechlichen einem jungen strotzend kühnen Manne gegenüber, der mit lächelnder Beiläufigkeit an den großen Chancen vorüberglitt, von denen der alte Winternitz wohl erfahren hakte. Dieser vorzeitig verfallende Herr hatte sich zudem ganz der sentimentalen Frömmelei ergeben, die in jener Zeit unter einem großen Teil des Adels grassierte. Der Generalstäbler aber ward nach allem, was er erkannt und gehört hatte, durchaus nicht von »dem Wort Gottes« geführt.

Seiner Gemahlin, der geborenen Fürstin, war der Adel Schillingkhoffs etwas anrüchig, wenn auch gegen dessen Alter nichts einzuwenden war. Vor allem aber störte sie seine Armut und seine freien Allüren, die bei aller Vornehmheit wie eine überlegene Verhöhnung der Vornehmheit wirkten.

Korst merkte wohl seine ungünstige Situation im Winternitzschen Hause. Weil er aber der geliebten Eleonore durchaus sicher war, verrannte er sich dergestalt in seine Leidenschaft, daß er eines Tages in aller Form um die Hand Eleonores anhielt. Mit beleidigendem Herauslachen wurde er abgewiesen und gebeten, die Schwelle des Brakhusenschen Schlosses nicht mehr zu betreten.

Als Liebender gescheitert, als Soldat verbittert, obwohl er zum Hauptmann im Generalstab befördert worden war, als Patriot verzweifelt, ließ er sich in allerhand Intrigen ein und war eine Zeitlang sogar geheimes Bindeglied zwischen dem Kanzler von Bülow und von Holstein, der damals in der alten Geroldschen Weinstube unter den Linden manche Abende einsam verbrachte. Im Innern aber, trotz aller Ablenkung, war er ein Vulkan, dessen Ausbruch nur verhindert wurde, daß er mit aller Kraft seine Hand auf den Krater drückte und sich immer wieder frag, wie lange wohl sein zum Bersten geladenes Naturell diesen ganzen Schwindel noch aushalten werde.

Da platzte die Bombe in dem Kaisermanöver, an dem Korff im Stabe des Generalstabschefs teilnahm. Es war wieder nur eine militärische Schaustellung. Im Gefecht wurden die modernen Anforderungen außer acht gelassen. Man bemühte sich nur, schöne Bilder zu zeigen. Von Feuervorbereitungen hielt man nichts. Die Stäbe ritten, die Artillerie fuhr in die Schützenlinien, und die Kavallerie attackierte so harmlos, als ob die Infanterie noch mit Feuerschloßgewehren ausgerüstet sei.

Nachdem der Kaiser die unsinnigsten, den ganzen Manöverplan über den Haufen werfenden Anordnungen getroffen hatte, war die Kritik in einem Rübenfelde. Dort faßte Majestät die Manövervorgänge unter dem Gesichtspunkte erleuchteter Strategie zusammen, ließ seinen krassen, verletzenden Urteilen die Zügel schießen und überschlug sich in seiner bekannten Schönrednerei. Niemand wagte ein Sterbenswörtchen einzuwenden, besonders nicht der Generalstabschef Graf Schlieffen. Stumm, ernst und teilnahmslos nahm er alles ohne Mucken entgegen mit den Worten: »Zu Befehl, Majestät.«

Da wurde Korff von der blinden Wut seines wilden Geschlechts überfallen und rief laut: »Aber Exzellenz!«

Der Kaiser schrak auf und durchbohrte ihn mit stammendem Blick. Schlieffen aber suchte die Sache zu verdecken, wandte sich um und sagte mit väterlich verweisendem Lächeln: »Nein, nein, Hauptmann von Schillingkhoff, ich weiß, es hat mit der Brigade seine Richtigkeit. Melden Sie es sofort.«

Nach dem Manöver war er mit schlichtem Abschied entlassen.

Doch nun kam die Schillingkhoffsche Tollheit erst recht über ihn. Er fuhr nach Brakhusen, und weil ihm das Betreten des Schlosses verboten war, ließ er durch ein ihm ergebenes Stubenmädchen Eleonore ein Billett zuschmuggeln, indem er sie um eine nächtliche Zusammenkunft in dem entlegenen Gartenhäuschen bat.

Dort besiegelten die beiden Unglücklichen den Seelenschwur ihrer Liebe mit den Leibern.

Als es sich herausstellte, daß Eleonore schwanger sei, willigten die Eltern in die Heirat mit »dem nichtswürdigen Cujon«, verstießen die Tochter und setzten ihr eine kleine Monatsrente von einigen hundert Mark aus.

Die ersten Wochen verbrachte das junge Paar in Schierke am Harz. Dann zogen sie nach Wilkau im Riesengebirge und mieteten eine kleine Villa. Korst, ganz zum leidenschaftlichen Frondeur geworden, wählte dieses kleine Badestädtchen als Sitz des Grafen Schilling, mit dem seine Familie, allerdings Jahrhunderte zurück, verwandt war. In der ersten Zeit des Luthertums waren die zwei Brüder von Schilling, die in Österreich begütert waren, zur neuen Lehre übergetreten. In der Gegenreformation wurden sie ihres ketzerischen Glaubens wegen der Güter für verlustig erklärt. Der eine von ihnen, der leidenschaftlich Härtere, beharrte in der Gefolgsreihe des Gottesmannes Luther, ging außer Landes, nahm Kriegsdienste und nannte sich von da an von Schillingkhoff, um die vollkommene Trennung von seinem Bruder der ganzen Welt sichtbar zu machen. Die Brüder waren in offener Feindschaft geschieden, weil der ältere von ihnen zum katholischen Glauben zurückgekehrt und von der Wiener apostolischen Majestät wieder in Gnaden ausgenommen wurde. In der Folge erhielt er alle Güter zurück und neue dazu. Als einer der reichsten Magnaten wurde er sogar in den Reichsgrafenstand erhoben. Er und seine Nachkommen sahen überheblich und mit Bedauern auf die feindlich getrennte Bruderlinie herab, die durch alle Kriegshändel gejagt, heldenhaft aber arm, Gift und Galle gegen die Sippe der Eidesbrüchigen, Seelenverkäufer und Erbschleicher spie, eine Generation um die andere. Sogar in dem entlassenen Generalstabshauptmann Freiherrn von Schillingkhoff war diese Feindseligkeit, allerdings zur Abneigung gemildert, noch nicht ganz gestorben. Dennoch wählte er Wilkau zu seinem ständigen Wohnsitz, weil er wußte, daß das gräfliche Haus seitdem treu zum österreichischen Kaiserhaus gestanden, das Preußen Friedrichs des Großen nur gezwungen anerkannt hatte und selbst gegen das Bismarcksche Deutsche Reich immer in Reserve verharrt hatte. Vielleicht wurde Korff von der vagen Hoffnung nach Wilkau gezogen, daß es ihm gelinge, den Grafen Schilling zu seiner feindseligen Stellung gegen die Regierung Wilhelms II. zu bekehren. Er wurde enttäuscht. Sein Besuch auf dem Schloß war eine frostig aufgenommene Zeremonie. Man kümmerte sich weiter nicht mehr um ihn. Korff lachte ingrimmig über den dummen, schafsmäßigen Geldsack, daß ihm die Ohren knackten, schwor sich, den deutschen Schwindel ganz allein aus den Angeln zu heben und ging daran, unter Pseudonym militärische Abhandlungen zu schreiben, die von den Zeitschriften gern angenommen und sehr gut honoriert wurden, weil sie in Fachkreisen hohe Beachtung fanden. Nach diesen vorbereitenden Veröffentlichungen gab er, nun unter seinem vollen Namen, ein großes Werk unter dem Titel »Der Aufmarsch« heraus. Darin griff er den von dem Kaiser verdorbenen Kriegsplan des Grafen Schlieffen mit profundem Wissen auf die geistreichste Weise an, zerpflückte mit so beißendem Spott den »gekrönten Unsinn« eitler militärischer Großmannssucht, daß binnen zwei Wochen von dem Werk 10+000 Exemplare verkauft waren und auf den jubelnden Korff ein goldener Regen prasselte.

Jetzt begann nach Korffs schäumender Einbildung sein blendender Aufstieg. Er stürzte sich Hals über Kopf in den Lebensstil eines ganz großen Herrn und residierte im Kreise der adligen Tischgesellschaft des »Goldenen Greif« als anerkannter Alleinherrscher. Seit Herr von Cochann plötzlich mit einer Schauspielerin durchgebrannt war und seine Frau sowie seine uralte Liebesnärrin vollkommen ausgebeutelt hatte sitzen lassen, war diese Gilde der abgeschabten adligen Herren sehr still geworden und hielt bei billigem Krätzer den Glanz hoher Vornehmheit mühselig, doch immer noch bedeutsam aufrecht. Als aber Fred von Schillingkhoff, der grell berühmt gewordene Korff, wie ein sprühender Meteor in ihre Mitte gefallen war, wachte das Kling, Klang, Gloria der Cochannschen Festlein wieder auf. Soweit es die Gesundheit der wackligen Herren zuließ, arteten solche Feiern oft geradezu in Orgien aus. Prunkende Ausfahrten schlossen sich an, alles von dem »fabelhaften Korff« lachend gestiftet, daß ganz Wilkau vor Staunen der Mund offen stehen blieb. Doch der glitzernde Hexentanz des Korffschen Triumphes dauerte nicht lange. Der beispiellose Erfolg seines »Aufmarsch«, von der Linkspresse gefördert und regierungsfeindlich ausgeschlachtet, artete in einen Skandal aus. Fred von Schillingkhoff wurde aufgefordert, das Werk mit Bedauern aus dem Buchhandel zurückzuziehen, und als er mit Hohn darauf reagierte, konfiszierte man das Buch, stieß ihn aus dem Heere aus, und der Staatsanwalt fing an, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Da erwachte Korff aus seinem Taumel, und nun zeigte es sich, daß sein blendender Siegesanlauf nichts als ein Sprung in den Zusammenbruch gewesen war. Er kroch demütig zu Kreuze, schwor sein Werk als Verirrung krankhaften Patriotismus ab und erreichte so die Einstellung des Prozesses wegen Hochverrat und Majestätsbeleidigung. Wie ein Adler, der sich selbst mit wilden Schnabelhieben im Fluge die Schwungfedern ausgerissen hatte, stürzte er jäh aus der Höhe. Sein prahlerischer Reichtumstrubel hatte nicht nur seine Bucheinnahmen vollkommen verschluckt, sondern ihn in solche vielfältige, schwere Schuldenverwicklungen gehetzt, daß er nicht aus noch ein wußte. Aber er biß die Zähne zusammen, demütigte sich heimlich vor seinen Gläubigern, aber mäßigte sein äußeres Auftreten kaum und zog nur aus der Villa in eine Etagenwohnung. Sonst trieb er sich auf Jagden in der Umgebung umher, zu denen er sich zuletzt selbst einlud und anfangs gern gesehen, dann aber nur geduldet wurde, weil man ihn als Schützen bewunderte, der das Licht von der Kerze knallte und durch seine glänzende Erzählergabe auch die dumpfeste Gesellschaft fortzureißen imstande war.

Sein Niedergang ging unaufhaltsam weiter, und er hielt sich nur mühsam durch die Monatsrente seiner Frau über Wasser, die pünktlich einging und auf Bitten Eleonores dann und wann um einige Hundert erhöht wurde. An solchen Glückstagen spielte er im Greif auf der alten Jubelflöte und goß sich den Hals bis zum Drosselknoten voll Wein. Auf Stunden vermochte er so wohl durch verzweifelte Tollheit der Not zu entrinnen, die aber nach überstandenem Rausch um so fahler in seine Fenster sah. Da hörte seine geängstigte Frau durch ihr Dienstmädchen von dem Wilkauer Gerber Maechler, einem einfachen, gütigen Mann, der im Rufe großen Reichtums stehe und schon vielen in der Not geholfen habe.

Kurz entschlossen warf sich Korff, um zu imponieren, in einen gewissen Staat, steckte eine kostbare Halskette seiner Frau in die Tasche und machte sich auf den Weg zu Maechler, dessen Wohnung er von dem Mädchen ganz unverdächtig und beiläufig erkundet hatte.

Beim Überschreiten des Kurplatzes traf er sein kleines Töchterchen Sessi im Spiel mit ihren Freundinnen und nahm das Kind zu diesem ärgerlichen Gang mit, weil er hoffte, der Anblick des lieblichen Wesens könne den »Mannichäer«, wie er den braven Maechler nannte, seinem Anliegen gegenüber günstiger stimmen. Korff befand sich im Zustand gereiztesten Mißvergnügens, daß er genötigt war, mit solch kläglichen Manövern um die Gunst eines »bürgerlichen Lausekerls« zu werben und ging aufgereckt, drohenden Gesichts wie zum Sturm durch den nahenden Abend die Rehberger Straße hin und bog, der Weisung gemäß, vor der Sandbrücke in die Feldgasse ab.

Jochen Maechler hatte einige Eintragungen in die Geschäftsbücher besorgt und war darüber her, die Klappe des Schreibschranks zu schließen, als er auf dem Pflaster starke, wie marschierende Männerschritte hörte, daß ihn die kleinstädtische Neugier schnell ans Fenster trieb. Da sah er eben einen hochgewachsenen, vornehm gekleideten Herrn, mit einem etwa sechsjährigen Mädchen an der Hand, in sein Gartenpförtchen einbiegen. Deswegen ging der Gerber an den Tisch, setzte sich auf einen Stuhl und nahm eine behagliche Haltung ein. Kaum war das geschehen, so knallte das Klopfen an die Tür und, ohne das »Herein« abzuwarten, trat der Besucher, sein Töchterchen vor sich herschiebend, herrisch über die Schwelle, dem Gerber entgegen, der sich höflich erhoben hatte.

»Bleiben Sie ruhig sitzen«, schnarrte Korff, »Meister, äh, ja wie ist doch Ihr Name?«

»Maechler«, ergänzte der Gerber ruhig.

»Ganz recht, Maechler, ja. Sie haben's ja fabelhaft gemütlich. Wirklich, Sessi, sieh dirs alles genau an. Na so geh doch. Guck bloß die schönen Pelargonien am Fenster.«

Aber das betretene Kind wich nicht von der Seite des Vaters.

»Na gut, denn nicht«, setzte Korff hinzu und brach in Gelächter aus. Dann stellte er sich überheblich vor: »Freiherr von Schillingkhoff.«

Jochen Maechler schloß überlegend die Augen. »So, so, danke«, sagte er dann langsam mit seinem tiefen Baß. »Ich bitte, nehmen Sie Platz. Womit kann ich Ihnen dienen?«

Korst folgte umständlich der Einladung, zog sinnend die Handschuhe aus und legte sie auf den Hut, den er über den Tisch geschoben hatte. »Hm, hm«, machte er dann, weil er nicht wußte, wie er den Angriff einlenken sollte, denn die ruhige Sicherheit des Gerbers, der ihn ungescheut von Kopf bis zu Fuß musterte, hatte ihn aus dem Geleise gebracht. Jochen Maechler aber wandte sich, um die beladene Pause auszufüllen, an das Mädchen, fragte sie nach ihrem Namen und Alter, und Sessi gab auf diese und andere Anregungen überlegt und besonnen Antwort, daß der Gerber ganz beglückt wurde und Korff sie mit beifälligem Kopfnicken zu weiterer Aufgeschlossenheit ermunterte. Sowie die etwas dunkle, aber weiche, wohlklingende Sopranstimme des Mädchens in der Stube aufzutönen begonnen hatte, war die Schlafstubentür lautlos aufgegangen und Damian, der nebenan über seinem Schul- und Traumkramen hergewesen war, steckte neugierig den Kopf herein, immer weiter und weiter, hingenommen, daß er endlich, ohne es zu wissen, ganz in der Stube stand. Den schlanken Körper staunend aufgerichtet, die blauen, großen Augen voll bewundernden Glanzes, so stand er an der Tür und horchte gespannt auf Sessis Stimme, die ihm in der Unterhaltung mit seinem Vater den Rücken zukehrte.

Korff nahm den Knaben zuerst wahr.

»Ist das Ihr Junge, Herr Maechler?« fragte er schroff.

Der Gerber glaubte aus Korffs Stimme Unwillen herauszuhören, bejahte die krasse Frage des Besuchers etwas zögernd und forderte Damian auf, dem Herrn guten Tag zu sagen. Und während der kleine Maechler das sehr manierlich, sogar mit einer Art Verbeugung fertig brachte, entschuldigte der Gerber die Zudringlichkeit seines Jungen, der doch sonst sehr zurückhaltend, ja sogar etwas scheu sei.

Korff lachte auf.

»Nein, nein, Herr Meister! Das find ich im Gegenteil richtig. Recht gemacht hast du das, Junge. Immer rein, wenn dich's pickt. Und nun, Sessi, wenn du den kleinen Maechler magst, geh mit ihm einen Augenblick nebenan, während wir Männer sprechen.« Das dunkle Mädchen legte gern ihre Hand in die des blonden, schlanken Knaben, und die beiden verschwanden hinter der Schlafstubentür.

Dort zeigte der ehrfürchtig bewegte Knabe dem schönen Mädchen all seine heimlichen Schätze, erst mit zitternden Händen und mit manchem Versagen seiner sanften Stimme. Als er aber das Interesse Sessis wahrnahm, glühte der verborgene Rausch in der Tiefe seiner durchsichtigen Augen auf und die Erklärungen seiner Bilder gerieten so begeistert, daß Sessi ganz hingenommen wurde und nicht wußte, solle sie nur auf den Gesang dieses Knabenredens hören, in dieses zarte Jungengesicht mit den unwirklich blauen Augen oder auf die vielen bunten, selbstgemalten Bilder sehen.

Indes die beiden Kinder, der achtjährige Damian und die sechsjährige Sessi so engelhaft ihre Wesen austauschten, rückte das Geschäft der Männer in der Wohnküche laut und ungestört weiter, weil Frau Christine auf ihrem Einkaufsgange abwesend war.

Korff sprach leidenschaftlich auf Jochen Maechler ein und erzählte ihm prunkend von seinem Leben, prahlend, um den Gerber zu ducken und sturmreif zu machen. Seine großen, grauen Augen, die von den Lidern, wie von glühenden Deckeln gefangen gehalten wurden, waren selbst trocken vor innerer Hitze und gingen in den tiefen Höhlen beim überstürzten Sprechen immer unruhig hin und her, wie eingesperrte, wilde, aber edle Tiere.

Der Gerber hörte dem merkwürdigen Manne zu, dessen exaltiertes Wesen ihn verblüffte und zugleich abstieß, denn noch während Korff ihm den Honig seines Selbstlobes mit den ersten einleitenden Sätzen zu reichen angefangen hatte, wußte Jochen Maechler Bescheid, daß er einen Pumpsucher vor sich habe und daß das ein zwar gut angezogener, vornehmer, aber eben ein Hallodri war, wie so viele andere, die er zum Zurückspucken abgewiesen hatte. Er streckte sich nach dieser Einsicht unauffällig auf dem Stuhl, holte den Atem etwas tiefer aus seiner breiten Brust und horchte mit entschlossenem Blick auf die hinpolternden Darlegungen Korffs. Dieser las in der veränderten Haltung des Gerbers, die er beobachtete, daß er von ihm überzeugt worden sei und daß nun die Feuervorbereitung abgebrochen werden müsse.

Also los! kommandierte er sich innerlich, holte aus der Tasche die Halskette seiner Frau, ein altes, schwergoldenes Familienerbstück erlesenster Goldschmiedearbeit mit Brillanten und Saphiren und breitete sie vor Jochen Maechler auf dem weißgescheuerten Tisch aus, der sie mit eingekniffenen Augen, aber gleichgültig musterte und nur da und dort mit seinem lohbraunen Zeigefinger darauf tippte.

»Nun, was sagen Sie nun«, rief triumphierend aber mit unterdrücktem Zorn über blöde Unkenntnis der Freiherr. »Zehntausend Mark hat diese wunderbare Kette gekostet. Ich aber verlange von Ihnen auf sechs Wochen tausend Mark, verzinse die Summe, wenn Sie wollen, mit zehn Prozent und lasse die Kette als Pfand in ihren Händen.«

Seine Stimme war rauh und unschön geworden, klang wie Bellhusten, gereizt und überheblich. Mißtönig, wegwerfend und abgerissen stieß er die kurzen Sätze wie Kommandos heraus, daß die ganze Stube von seiner Stimme erfüllt wurde.

Aber die beiden Kinder nebenan hörten bei ihrem lieblichen Spielhandel nichts von diesem Lärm. Sessi war in eines der Damianschen Bildchen ganz verliebt, das einen in ein rotes und blaues Gewand gekleideten Propheten darstellte, mit einem Heiligenschein um das blonde Haupt, der in seinen erhobenen Händen eine rote und eine lila Blume hielt, und Damian bat überglücklich die erglühende Sessi, das Bild als Geschenk anzunehmen.

Während das Mädchen noch bestürzt zögerte, wuchs der Lärm in der Stube der Männer zum Geschrei, denn der Gerber hatte den Geldhandel verletzend abgelehnt und die Kette verächtlich über den Tisch geschoben.

Korffs Stimme zischte in höchstem Zorn. Er sprang auf, daß der Stuhl polternd umfiel, raffte die Kette an sich, riß die Schlafstubentür auf und schrie in Wut:

»Sessi, aber schnell aus dieser Lausekaschemme. Schnell, sage ich!« packte wild den Arm des aus allen Himmeln gefallenen Mädchens, und während er mit großen Schritten über die Stube schritt und das Kind rücksichtslos mitzerrte, schrie er dem Gerber, der fassungslos am Tisch stand, zu: »Wie, Sie gerben auch Hundefelle? Da rate ich Ihnen, auch mal die eigene Haut unters Messer zu nehmen!«

Damit hieb er die Tür zu und war draußen.

Auf dem Vorgärtchenweg schnauzte er sein Mädchen an:

»Sessi, was hast du in der Hand? Wirf sofort weg, was dir dieser plire Katholenbocher gegeben hat.«

Sessi steckte, da es schon dunkel geworden war, das Bild des geliebten Heiligen schnell unter ihr Miederchen und zeigte dem Vater die leeren Hände.

»So, gut, mein liebes Kind. Nun aber im Galopp fort«, sagte Korff befriedigt und strich Sessi über das gelockte Haar.


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