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VII. Ausklang

Noch in Miramare erhielt ich als Zeichen einer wahrhaft innigen Anteilnahme einen Brief der Königin Elisabeth von Rumänien, in dem sie mich in ihrer edlen, poetischen Art zu trösten und aufzurichten suchte. Sie schrieb mir am 8. April aus Bukarest:

Meine liebe Stephanie!

Meine Gedanken suchen Dich fast stündlich auf in Deiner Einsamkeit, und die Worte Deines wundervollen Briefes stehen wie gemeißelt in meinem Herzen. Dein Brief in seiner erschütternden Einfachheit entlockte mir heiße Tränen, denn es bebt darin ein gewaltiger Schmerz. Quäle Dich nicht mit Denken, ob Du dieses oder jenes hättest abwenden können, denn nichts ist abzuwenden; der arme Mensch mit seinen herrlichen Anlagen trug die furchtbarste Eigenschaft in sich, dazu die Consanguinität seiner Eltern, sodaß ihm die nötige Kraft geraubt war, den Dämon zu bekämpfen, der ihn zerstörte. Ich denke, daß er selber bei seiner hohen Bildung das Verderben herandrohen sah und sich verzweifelnd demselben in den Schlund stürzte, dem Leben mit hastiger Hand alles entreißend, was es gewähren konnte, bevor es Nacht wurde. Ich erinnere mich Äußerungen von ihm zu Sinaia, in denen eine große Hoffnungslosigkeit lag, kein Vertrauen in die Zukunft, der Wille, zu genießen, ehe es zu spät ist. Schon damals erfüllte es mich mit Bangen und Trauer, und ich sah Dich wie ein Kind unerfahren und hilflos Deinem schweren Schicksal ausgeliefert. Ach, seitdem bist Du eine Frau geworden, hast den bittersten Kelch bis auf die Neige geleert, und Deines Lebens Wirrsale liegen zertrümmert vor Dir. Aber Dir war ein großer Wille gegeben, der in Deiner Handschrift, in jedem Wort sich äußert. Du bleibst eines bedeutenden Mannes Witwe, die Trägerin seiner Geistesfunken, die Beschützerin seines Kindes, das Du mit Deinem starken Willen ausrüsten sollst und mit großer Einsicht, schwerlich für ein leichtes Leben. Denn welche Prinzessin hat ein leichtes Leben!

Lehre ihr vor allem Freude und Dankbarkeit, Freude an jedem Blumenblättchen, an Farbe und Ton, Natur und Kunst, an Wohltun und Freundlichkeit. Lehre ihr Dankbarkeit, wenn andere Menschen freundlich zu ihr sind, damit sie nie das Hohle davon empfinde, sondern Wärme empfinde und Wärme erwecke. Lehre ihr, daß wenn der Mund allein lächelt, das niemand freut, fühlt man nicht des Herzens warmen Sonnenschein dahinter. Lehre ihr, daß sie nur für andere auf der Welt ist und nur für andere leben soll. Mach sie mitleidig und gut. An alles wird bei der Prinzessinnenerziehung gedacht, an alles außer an die Hauptsache, an das Mitleid. Immer helfen, helfen, dazu sind die Reichen auf der Welt und allein existenzberechtigt.

Und Du wirst für viele Menschen ein Halt und eine Stütze werden, wenn Du nicht aufhörst zu lernen, um ihre Natur zu ergründen. Aus Deinem ungeheuren Leiden heraus mußt Du ihr Elend verstehen, um leise sagen zu können: »Ich weiß, ich kenne das.« Du hast jede Revolte gegen des Schicksals Übermacht gekostet, Du weißt, was es heißt, an Mauern zu rütteln, bis die Hände wund sind und das Herz öde, und zu finden, daß man ohnmächtig ist, schwächer als der Wind. Wenn man immer im vornhinein wüßte, was man erleiden soll und das Martyrium erkennte, unter dessen Folgen man in neue Bahnen umgeschmolzen werden soll, wie ganz anders würde man es ertragen! Aber man sieht es immer erst hernach, und man weiß später, daß man in Feuerglut getaucht war. Mir scheint es eher ein Trost, daß unser Schicksal unabwendbar ist, denn sonst müßten wir ja verzweifeln. Auch der Wille, den wir mitbekommen, ist Vorherbestimmung, auf daß er zu dem diene, zu dem er dienen soll. Meist zu ganz anderem, als wir dachten. Es ist trostreich, zu denken, daß alles nach ungeheuren Gesetzen geht, daß man zugrunde geht, hat zugrunde gehen sollen; die Familie, das Volk, der Stern, alles geht seine vorgeschriebene Bahn. Jeder von uns wird so lange geglüht und gehämmert, bis er hineinpaßt in das große Kunstwerk. Wohl ihm, wenn des Meisters Hand ihn brauchbar findet und ihn nicht zur Seite wirft, weil er weder Tragfähigkeit, noch Biegsamkeit, noch Glühfähigkeit besitzt. Es gibt nur ein Mittel, des Lebens Unerträglichkeit zu ertragen, das ist rastlose Arbeit. Nicht Beschäftigung, sondern Arbeit, bei der man es sich sauer werden läßt. Du sollst Dein Sein vertiefen, dazu ruft Dich Gott. Was Du in der Kindheit entbehrt hast, das soll Dein Kind nicht entbehren; lerne mit ihm, spiele mit ihm, freu Dich mit ihm, lehre es, Dich zu trösten und laß nicht die kleine Seele schlafen, zufrieden, wenn es mit Leuten höflich ist, ohne nach ihrem Leid und ihrer Qual zarte Fühlfäden auszustrecken.

Du bist so leidensvoll, daß Du ein großer Segen werden mußt, eine Freundin in Not, eine Stütze in Versuchung, eine milde Beichtigerin in Sünde und Verzweiflung, denn Du weißt, was verzagen heißt, Du weißt, wie gebrochen die Seele sein kann und wie verdorrt das Herz. Du weißt, wie man an nichts mehr glaubt, weil alles einen verläßt, und wie der Angstschrei unerhört verhallt. Aber Du kommst höher als das alles, in gestählter Selbstlosigkeit, in der hohen Würde des Menschen, der Blut geweint hat, der in Gethsemane gelegen und einsam, von allen verlassen mit unmenschlichem Schicksal gerungen. Es kommt eine Zeit im Leben, wo selbst das Warum, das die zitternden Lippen verbrannt, verstummt, wo man einsieht, wie die Jünger in Emmaus, daß es so hat kommen müssen, und wo man auf sich selbst in stillem Mitleid zurücksteht, als wäre man ein anderer. Sei nicht bitter gegen die Menschen, die Dich jetzt nicht verstehen. Sie werden es nach zwanzig Jahren tun und sich einbilden, sie hätten Dich immer verstanden und Dich immer liebgehabt, weil Du sie verstehst und gütig bist und Dich von ihnen verstehen läßt, soviel es für sie gut ist. Aber in Gethsemane und wenn man gekreuzigt ist, ist man immer allein und verlassen, da steht einem keiner zur Seite außer manchmal der arme Sünder, der auch verschmachtet, und den man vorher gar nicht beachtete. Die Bibel wäre gar nicht so trostreich, wenn sie nicht eines jeden eigene Lebensgeschichte enthielte. Und man kann daneben noch Medizin und Psychologie lernen, um klar denken zu können, und dann kommen einem die einfachen biblischen Bilder erst in ihrer ganzen Tiefe entgegen. Was ist denn Glaube? Glaube ist nach meiner Meinung die willenlose Hingabe an die höhere Führung, das stille Gefühl: Einer leitet mich, wohin ich gehen soll. Wenn ich nur höre! Zynismus, Vertrauenslosigkeit sind große Blender. Sie sehen so gelehrt aus und sind doch gar nichts als Gehirnkrankheiten und große Schwäche. Der Mensch, der von dem Glauben an seinen heiligen Beruf durchdrungen ist, bewegt die Welt zum Guten und Schlimmen, zu Weisheit und Torheit, ganz gleich, aber er bewegt sie. Der Zyniker, der Zweifler rührt nichts. Von einem großen, starken Glauben erfüllt, reißt man Millionen mit sich fort. Lieber Don Quichote sein als Hamlet! Wenn man die bis zur Verirrung getriebenen Kontraste nennen will: lieber der opferfreudige Narr sein, der Windmühlenflügel bekämpft, als der tatenlose Zweifler, der seine eigene Melancholie zur Nahrung hat. Helfen, helfen, helfen! Dazu bist Du in der Schule unsäglicher Leiden geglüht. Du sollst wie eine Heilige verstehen und trösten, selbstvergessen und rein. Dein grausames Schicksal ruft Dich zu unerhörter Tat, zu stiller Freudigkeit, die nichts mehr erschüttern kann, weil sie nur aus schmerzzerpflücktem Herzen erblüht. O Kind, Kind! Wie möchte ich Dich an mein Herz nehmen und weinen lassen, daß sich die Starrheit der Verzweiflung in Wehmut löst! Und doch bist Du besser allein, vielleicht, und kämpfst den gewaltigen Kampf ohne Stütze und ohne Hilfe wie ein Held. Ich möchte Dir Ströme von Liebe schicken und nur immer flüstern: Ich weiß, ich weiß! Ich habe auch gelitten, was keiner weiß!

Deine Elisabeth.

Später bat mich die Königin, zu ihr nach Schloß Pelesch zu kommen, sie wollte mir dort »eine Zeit tiefer Ruhe in stillem Schloß« bereiten. Die edle, verständnisvolle, warmfühlende Freundin wollte mir beistehen. Zu meinem großen Leidwesen durfte ich ihr Anerbieten nicht annehmen. Der Wiener Hof fand es zu der Zeit nicht opportun, daß ich die Monarchie verließ, und billigte keine Freundschaft mit anderen Höfen.

*

Als ich von Miramare nach Wien zurückkehrte, wo man mir Schloß Laxenburg als Witwensitz angewiesen hatte, war ich eben fünfundzwanzig Jahre geworden. Das ist ein Alter, in dem es noch leichter ist, sich in veränderte Verhältnisse zu schicken und sein Leben umzustellen. Ich hatte das bitter nötig. Am Wiener Hof begann man meine Existenz für überflüssig zu finden. Man versuchte, mir den letzten Platz bei Hof anzuweisen. Mein Vater, aufs äußerste verletzt durch eine solche Zurücksetzung, verhinderte das; auf sein ausdrückliches Verlangen erhielt ich den Titel Kronprinzessin Witwe, aber ohne den Rang einer Kronprinzessin bei offiziellen Gelegenheiten. Dieser ging auf die Erzherzogin Marie Therese, Gemahlin des Erzherzogs Karl Ludwig, des Bruders des Kaisers, über.

*

Dort, wo sich das Schicksal des Kronprinzen vollendete, erhebt sich heute ein Sühnekloster. Mayerling liegt unweit von Wien in einem der anmutigen Täler des Wiener-Waldes und wird von Baden aus bequem erreicht. Kronprinz Rudolf bevorzugte den Aufenthalt in diesem Jagdgebiet, das mit den verschmelzenden, weichen Linien der Landschaft, Lieblichkeit mit dem eigenartigen Reiz von Wehmut und Melancholie verbindet. Der Kaiser hatte bald nach dem Unglück beschlossen, das Jagdschloß seiner jetzigen Bestimmung zuzuführen. Durch entsprechende bauliche Veränderungen und durch die Anfügung einer Kapelle gerade an der Stelle, wo der Kronprinz sein erschütterndes Ende fand, wurde dem strengen Orden der Carmelittinnen, ein wohnliches Heim bereitet. Seitdem erheben sich aus dem tiefen Frieden, den diese Mauern nun atmen, täglich die Gebete der frommen, gottgeweihten Seelen zum Himmel. Aus der Kraft des Glaubens dieser Frauen und der selbstlosen Reinheit ihres weltabgewandten Lebens erwächst Sühne und Vergebung den irrenden Menschen. –


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