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VI. Die Katastrophe

In den wenigen Tagen, an denen ich in diesem Sommer den Kronprinzen zwischen seinen Inspizierungsreisen zu sehen bekam, mußte ich erneut eine beängstigende Veränderung in seinem Wesen bemerken. Nicht nur, daß er immer unruhiger und zerfahrener wurde – er ließ sich jetzt auch, oft aus den nichtigsten Ursachen, zu jähen Ausbrüchen einer maßlosen Heftigkeit hinreißen. Ich hatte mich ja längst darein gefunden, daß die konventionelle Form unseres Zusammenlebens, insbesondere wie sie in seinen Briefen zum Ausdruck kam, in einem schroffen Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten stand. Aber jetzt war er oft überhaupt nicht wiederzuerkennen. Seine innere Zerrissenheit führte zu schrecklichen Heftigkeitsausbrüchen, zu unerträglichen und unwürdigen Szenen. Es war, als ob ihm mit dem inneren Halt auch die gute Form abhanden gekommen sei. Bei einem dieser Auftritte scheute er sich nicht, mir gegenüber mit aller Offenheit über seine peinlichen Liebesabenteuer zu sprechen. Es kam schließlich so weit, daß er einmal sogar damit drohte, er werde allem ein Ende machen, indem er sich und mich erschieße. Grauen erfaßte mich.

Ich atmete auf, als der Kaiser mir erlaubte, im September eine Seefahrt nach Griechenland zu unternehmen, die mich wenigstens auf einige Wochen aus meinem Elend befreite. Ich schiffte mich auf der Reede von Miramare auf S. M. S. »Greif« ein; ich hatte absichtlich um dieses Schiff gebeten, weil ich durch mein Vertrauen seinen und seiner Offiziere guten Ruf, der durch den Unfall im Frühjahr gelitten hatte, wiederherstellen wollte.

Nach der zauberhaft schönen Reise kehrte ich seelisch gestärkt im Oktober nach Wien zurück. Wie erschrak ich aber, als ich den Kronprinzen wiedersah. Nun war sein Verfall schon so weit fortgeschritten, daß er auch äußerlich stark auffiel. Ich fand den Kronprinzen erschreckend gealtert, seine Haut war fahl und schlaff, sein Blick flackernd, seine Gesichtszüge völlig verändert. Es war, als hätten seine Züge den inneren Halt, den ihnen der Wille geben muß, verloren, als lösten sie sich von innen her auf. Ein tiefes Mitleid überkam mich, und die bange Sorge: wie soll solche Verheerung enden?

In meiner Herzensangst entschloß ich mich, zum Kaiser zu gehen und ihm über alles rückhaltslos und rücksichtslos die Augen zu öffnen. Ich klammerte mich an den Gedanken, daß sein Eingreifen uns helfen und retten würde. War ich doch erst 24 Jahre; da ist es begreiflich, daß ich meine Zuversicht noch nicht ganz verloren hatte.

Obwohl es nicht gestattet war, unangemeldet beim Kaiser zu erscheinen, nahm ich all meinen Mut zusammen und ließ mich gleich durch den Kammerdiener ansagen. Der Kaiser empfing mich gütig. Ich begann damit, daß ich sagte, Rudolf sei sehr krank und sein Aussehen und sein Benehmen bereite mir ernste Sorgen; ich bat ihn inständig, er möge seinen Sohn doch bald durch eine längere Weltreise seinem aufreibenden jetzigen Leben entziehen. Da fiel mir der Kaiser in das Wort: »Das ist eine Einbildung von dir! Rudolf fehlt nichts. Er sieht nur blaß aus, ist zu viel unterwegs, er mutet sich zuviel zu. Er soll mehr bei dir bleiben; sei nicht ängstlich!« Der Kaiser umarmte mich; ich küßte ihm die Hand. Ich war entlassen, und alles, was ich dem Kaiser mitteilen wollte, war ja noch unausgesprochen. Wankend trat ich ins Vorzimmer, ich mußte an einem Sessel Halt suchen. War das alles, was mir von dieser letzten Hoffnung blieb? Das Schicksal des Kronprinzen schien mir besiegelt. Ich fürchtete das Ärgste: ein Dahinsiechen, schauerlicher als der Tod.

*

Die Wochen, die nun folgten, waren qualvoll. Es hieß: tapfer sein und Gottes Trost und Schutz erflehen.

In dieser Zeit kam der Prince of Wales, den der Kronprinz zur Bärenjagd nach Görgény eingeladen hatte, zu seinem abermaligen Besuch. Nach dem Jagdaufenthalt in Siebenbürgen eröffneten wir noch das neue Burgtheater, empfingen den Prinzen Heinrich von Preußen und wohnten der Einweihung der Kaiser-Jubiläumskapelle im Hernalser Offizierstöchterinstitut durch den Kardinal Ganglbauer in Anwesenheit des Kaisers bei. Auch besuchten wir die photographische Ausstellung, an der ich mich mit Erfolg beteiligt hatte. Wir fuhren auf Jagden nach Mayerling, Reichenau, Ebental, Orth an der Donau, übersiedelten von Laxenburg nach Wien und begaben uns dann zusammen nach Abbazia, wo mich der Kronprinz Ende Dezember allein zurückließ.

Das alte Jahr ging zur Neige, wie immer kamen viele Glück- und Segenswünsche zu mir. Der Brief meiner Eltern gipfelte in guten Wünschen für eine baldige Ankunft des heißersehnten Thronerben. Auch der Kronprinz wünschte mir Glück. Der leicht-* hingeschriebene humoristische Brief hinterläßt keine Ahnung einer bösen Vorbedeutung. Ich gebe ihn wieder, weil er in so grellem Gegensatz zu dem steht, was kurz darauf geschah.

Wien, den 31. Dezember 1888.

Liebe Stephanie!

Zum Jahreswechsel wünsche ich Dir alles erdenkliche Gute, Gesundheit und angenehme Tage, frohe Zeiten, und alles, was Du Dir wünschst, soll in Erfüllung gehen. Hier ist es nicht kalt, aber lange nicht so warm wie in Abbazia, dabei leiden wir unter fortwährendem Nebel und Nässe. Die Kleine hat Schnupfen, aber Gottlob ohne Halsweh, ist dabei lustig und sehr ausgelassen. Onkel Ludwig hat gestern sterben wollen. Der Burgpfarrer hat ihn versehen und die nähere Familie, den Kaiser an der Spitze, war am Sterbebett versammelt; ich glänzte durch meine Abwesenheit, da, wie es scheint, man nicht recht wußte, ob ich schon in Wien sei und wo und ob man mich überhaupt findet ... Widerhofer Dr. Hermann Widerhofer, Leibarzt des Kaisers. findet ihn außer aller Gefahr, morgen steht er auf, und übermorgen dürfte er mit gewöhnlichem Appetit dinieren. Jetzt muß ich mit Pausinger auf Adler fahren. Meine Glückwünsche wiederholend und Dich umarmend

Dein Dich liebender Coco.

Anfang Jänner kam ich von Abbazia zurück nach Wien. Ein großes Programm von Festlichkeiten erwartete uns, das mit dem großartig vorbereiteten Ball der Polen seinen Anfang nahm. Im letzten Augenblick weigerte sich der Kronprinz zu erscheinen; ich mußte mit meinem Hofstaat allein dem Fest beiwohnen. Alle Herren waren in polnischer Tracht; man hatte die schönsten Paare gewählt, um die große Mazur zu tanzen. Es war alles darnach angetan, um dem Kronprinzenpaar eine große Huldigung zu bereiten. Sein plötzliches, unmotiviertes Fernbleiben erregte überall peinlichste Bestürzung.

Am 26. Jänner besuchten der Kronprinz und ich eine große Soirée bei der Fürstin Croy. Am 27. war Empfang beim deutschen Botschafter Prinz Reuß, zu dem wir gemeinsam erschienen.

Für den folgenden Tag war eine Jagd in Mayerling angesagt mit meinem Schwager Prinz Philipp, Graf Hoyos und einigen anderen Gästen des Kronprinzen. Meine Anwesenheit bei diesem Ausflug wünschte er ausdrücklich nicht. Er versprach, am nächsten Tag zum angesagten Familiendiner beim Kaiser zurück zu sein. Bevor wir uns trennten, bat ich ihn, noch zu unserem Kind zu gehen. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, überkam mich eine merkwürdige Bangnis; ein unbestimmbares Grauen erfaßte mein Herz. Ich kniete nieder und fand im Gebet meine Zuflucht.

Der 29. Jänner vereinigte die gesamte in der Stadt anwesende kaiserliche Familie zu einem Diner beim Kaiser. Der Kronprinz hatte sich eines Schnupfens wegen telegraphisch entschuldigt. Das Dokument lautete:

»Alland, den 29. Jänner 5 Uhr. Ich bitte Dich, schreibe Papa, daß ich gehorsamst um Verzeihung bitten lasse, daß ich zum Diner nicht erscheinen kann, aber ich möchte wegen starkem Schnupfen die Fahrt jetzt nachmittag unterlassen und mit Josl Hoyos hier bleiben. Umarme euch herzlichst. Rudolf.«

Als ich zum Familiendiner in den Saal trat, schien mir, als seien aller Augen auf mich gerichtet. Kaiser und Kaiserin kamen mir mit der Frage nach dem Verbleib Rudolfs entgegen. Ich antwortete, er sei verkühlt und wolle sich schonen. Er sei schon lange leidend, und sein Aussehen verursache mir Sorgen. Ich wagte es jedoch nicht, meinen Befürchtungen soweit Ausdruck zu geben, um zu bitten, daß man einen Arzt nach Mayerling sende. So versuchte ich meine mir selbst unerklärlichen, angstvollen Gefühle zurückzudrängen.

*

Es war am Morgen des 30. Jänner – ein düsterer Wintertag, der Himmel war verhangen, einzelne Schneeflocken schwebten am Fenster vorbei. Ich hatte mit Frau Professor Niklas-Kempner meine Gesangstunde; sie fand gewöhnlich um 10 Uhr statt. Ich sang gern. In den kleinen Volksliedern fand ich meine eigenen Sorgen, die Not meines Herzens in schlichten Versen wiedergegeben. Da war das Lied von der Königstochter, wie der Mund des Volkes es sang, der verratenen Frau, deren Herz nach dem Frieden der Heimat verlangt. Meine Heimat war weit, das Land der Kindheit auf ewig versunken. Ich sang – ich suchte die Angst, die mich seit Tagen bedrückte, zu verscheuchen. Aber ich fand keine Erleichterung, im Gegenteil, meine Mutlosigkeit nahm zu. Als ich kurz zuvor aus dem Süden heimgekehrt war, war mir aufs neue eine Veränderung am Kronprinzen aufgefallen – diesmal furchtbarer denn je. Er war selten nüchtern; erst beim Morgengrauen kehrte er in die Burg zurück. Man sah die zweifelhaftesten Elemente in seiner Gesellschaft. Seine Unruhe und Nervosität hatten sich noch mehr gesteigert. Er äußerte drohende und schreckliche Dinge, und mit einem grausigen Zynismus spielte er mit dem Revolver, den er stets bei sich trug. Ich wagte kaum mehr, mit ihm allein in einem Zimmer zu sein. Aber mit dem Aufgebot meiner ganzen Seelenstärke bemühte ich mich noch immer, nach außen hin den Zusammenbruch unserer Ehe zu verheimlichen.

Der Eintritt meiner Obersthofmeisterin unterbrach den Gesangsunterricht und meine Gedanken. Ihre Miene war ungewöhnlich ernst und verschlossen, als sie mich bat, ihr zu folgen, da sie mir eine wichtige Mitteilung zu machen habe.

Ich ging mit ihr in den anschließenden Salon, ich sah sie an, und noch während sie schonend von schlechten Nachrichten aus Mayerling sprach, erfaßte ich schon, daß die längst gefürchtete Katastrophe eingetreten sein müsse. »Er ist tot!« rief ich aus. Sie bejahte es erschüttert.

Er war tot, er hatte Ernst aus seinen schrecklichen Drohungen gemacht. Er hatte sein zerstörtes Leben selbst beendet. Alles, was ich in den letzten Wochen erlitten, gesehen und gehört hatte, floß nun zusammen in diesem furchtbaren Geschehen. Ich zitterte vor Erregung und Schrecken am ganzen Körper. Die Obersthofmeisterin versuchte mir zuzusprechen. Ich drang in sie, die näheren Umstände des Unglücks zu erfahren, aber sie kannte diese selbst noch nicht.

Bald danach wurde ich zum Kaiser und zur Kaiserin berufen. Ich ging, von der Obersthofmeisterin begleitet, hinüber und betrat die kaiserlichen Privatgemächer. Der Kaiser saß in der Mitte des Raumes, die Kaiserin, dunkel gekleidet, schneeweiß und starr im Gesicht, war bei ihm. In meinem fassungslosen, erschütterten Zustand glaubte ich, daß man mich wie eine Verbrecherin ansah. Ein Kreuzfeuer von Fragen, auf die ich einesteils nicht antworten konnte, andernteils nicht antworten durfte, ging auf mich nieder.

Endlich entschloß sich die Kaiserin, mir alles zu sagen. Es war das Ärgste geschehen, was eine Frau in ihrer Ehe treffen kann: Am Morgen hatte man in Mayerling den Kronprinzen erschossen in seinem Bette vorgefunden, neben ihm die Leiche einer gleichfalls erschossenen Frau – es war Mary Vetsera. Graf Joseph Hoyos, der Jagdgast des Kronprinzen, der in der Früh vom Kammerdiener herbeigeholt worden war, da dieser nicht begriff, warum der Kronprinz auf sein Klopfen gar nicht antworte, hatte mit dem Kammerdiener zusammen die Schlafzimmertür gesprengt und die beiden Toten erblickt. Er war sofort nach Wien geeilt und hatte hier dem Obersthofmeister des Kronprinzen die furchtbare Nachricht überbracht. Man hatte beschlossen, zuerst ihre Majestät in Kenntnis zu setzen; die Vorleserin, Fräulein von Ferenczy, wurde damit beauftragt. Die Kaiserin ging sofort zum Kaiser. Das Leid dieser Stunde trugen die Eltern allein; kein Mensch war Zeuge ihres ersten Schmerzes.

Dann erst hatte man die Witwe zu verständigen beschlossen. Ich saß zwischen den Majestäten, und was ich hier erfuhr und erlitt, grub sich als unheilbare Wunde in mein Herz. Endlich wagte ich der Kaiserin das zu sagen, was ich vor Wochen dem Kaiser hatte mitteilen wollen. Ich sprach von Rudolfs Lebensweise, seinen Gewohnheiten, seinem Umgang, seiner völlig zerrütteten Gesundheit. Aber die Kaiserin verschloß sich jeder Einsicht. Ich empfand schmerzlich, wie sie sich von mir abwandte. In ihren Augen war ich die Schuldige. Ich brach innerlich zusammen.

Inzwischen hatte man, um klarer zu sehen, die Mutter des Mädchens, Baronin Vetsera, kommen lassen. Gleichzeitig mit mehreren Mitgliedern der kaiserlichen Familie erschien die kleine, zigeunerhaft aussehende Armenierin. Sie war völlig aufgelöst vor Verzweiflung und Furcht. Auch während dieser Momente veränderte sich die steinerne Haltung der Kaiserin nicht. Für mich überstieg die Gegenwart der Baronin Vetsera das Maß des Ertragbaren.

Endlich war diese Stunde vorüber. Ich zog mich in meine Gemächer zurück, mit dem Abschiedsbrief des Kronprinzen, den man mir übergeben hatte. Sichtlich kurz vor der Ausführung der Tat geschrieben, zeigte er den mit Vorbedacht gefaßten Entschluß, sich das Leben zu nehmen. Als ich ihn in der Hand hielt, empfand ich tieferschüttert die furchtbare Verwirrung und Ratlosigkeit des Kronprinzen in ihrem ganzen Umfang.

Der Brief, ohne Datum, lautete:

Liebe Stephanie!

Du bist von meiner Gegenwart und Plage befreit; werde glücklich auf Deine Art. Sei gut für die arme Kleine, die das einzige ist, was von mir übrig bleibt. Allen Bekannten, besonders Bombelles, Spindler, Latour, Nowo, Gisela, Leopold etc. etc. sage meine letzten Grüße.

Ich gehe ruhig in den Tod, der allein meinen guten Namen retten kann.

Dich herzlich umarmend, Dein Dich liebender
Rudolf.

Jedes Wort war ein Dolchstich in mein Herz. Ein Sturm der Empörung und Auflehnung tobte in mir. Was ich in stillen, qualvollen Befürchtungen mancher einsamen Stunden vorhergesehen, war Tatsache geworden. Mein ganzes Ich bäumte sich auf gegen den Unglauben, den mutwilligen Leichtsinn, mit dem das Leben fortgeworfen worden war.

Ich begriff mit Entsetzen in den letzten Worten des Kronprinzen den Zusammenbruch von Plänen und Absichten, die er in einer gefährlicheren Weise genährt haben mußte, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich gedachte meiner Bitte vor wenigen Monaten an den Kaiser; vielleicht hätte dieses Letzte abgewendet werden können. Der Kaiser hatte keine Gefahr gesehen, weder in der Aufführung noch in den Absichten seines Sohnes. So war das Folgende unaufhaltsam: Ein Absinken, ein katastrophaler Niederbruch und dann das furchtbare Ende.

Ich habe vor dieser Selbstzerstörung gezittert, gewarnt, und trotzdem war mir an diesem Tage das Geschehen ein Rätsel. Warum hatte er das getan? war die immer wiederkehrende Frage. In dem Augenblick der furchtbarsten Verlassenheit stürzten alle Überlegungen immer wieder in sich zusammen. Mit einer jähen und grausamen Geste war der Mann von mir gegangen, dem ich acht Jahre zuvor als Kind übergeben worden war. Ich war nichts als ein waidwundes Wesen, ich wehrte mich mit aller Kraft gegen das Ungeheuer Schicksal, das mich angesprungen, nachdem es jahrelang schleichend mich umwittert hatte.

Dennoch, der Tod hatte mich von einem angstvollen, sorgenvollen und trostlosen Zusammenleben erlöst – allein, um welchen Preis! Alles, meine und des Landes Zukunft, schienen zerschellt, für die ich vieles geduldig ertragen hatte. Was blieb, war eine brennende Stelle in meinem Herzen; unbarmherzig strömten Hoffnungen und Lebensinhalt dahin. Sie schmerzte lange, diese Wunde; sie war wie der Biß einer giftigen Schlange. Nichts konnte sie schließen und heilen, und ich fühlte erst Linderung, als ich es vermochte, mich in Demut unter Gottes Hand zu beugen.

Aber dieser Tag und die Nacht, die kein Ende nehmen wollte, waren grauenhaft.

Bleiern schwer vergingen auch die folgenden Tage. Das Hofzeremoniell mit seiner düsteren Feierlichkeit senkte sich gleich schwarzen Draperien auf die Burg herab. Ich verließ meine Gemächer nicht mehr. Prinz Philipp Coburg erschien, mir seine Teilnahme auszudrücken, ebenso der Graf Joseph Hoyos. Mit ihm sprach ich noch einmal über das, was er in Mayerling gesehen hatte, erfuhr aber auch nicht mehr, als ich schon wußte. Sonst sah ich nur die Damen des Erzhauses, unsere nächsten weiblichen Verwandten. Man brachte mir die Trauerkleider, für die die Obersthofmeisterin gesorgt hatte.

Nie vielleicht empfand ich es so schmerzlich wie in diesen Tagen, daß der Hof eigentlich keinen geistlichen Berater hatte. Man pflegte beim Burgbischof die Sakramente zu empfangen, aber die liberale Atmosphäre hatte verhindert, daß der Geistliche auch wirklich Seelenführer sein konnte. Sehnsüchtig erinnerte ich mich der milden Weisheit des alten Monsignore, der meine Kindheit geleitet hatte.

Bei Nacht, unter Fackelschein war die sterbliche Hülle des Kronprinzen in die Burgkapelle gebracht und dort aufgebahrt worden. Das immer lachende, unterhaltungssüchtige Wien war in dumpfer Trauerstimmung. Schwarzer Flor wehte von allen Häusern und Masten. Ein eisiger Wind wirbelte grauen Staub durch die Straßen.

Eine wohltuende Ablenkung in meiner verzweifelten Stimmung brachte die Ankunft des belgischen Königspaares. Meine Mutter war voll Güte, Verständnis und Liebe. Auch der König, mein Vater, zeigte sich ungewöhnlich teilnahmsvoll für mich, aber er war entrüstet über die Schmach, die man seiner Tochter zugefügt hatte und durch die ihm das Ansehen seiner Familie befleckt schien. Das Königspaar blieb bis über die Trauerfeierlichkeiten in Wien. Ihre Nähe gab mir mein Selbstvertrauen allmählich zurück.

Meine kleine vierjährige Elisabeth verbrachte diese schreckliche Zeit in ihrem Zimmer. Man behütete sie auf das sorgfältigste und ließ sie keinen Schritt hinaustun. Ich selbst führte sie an die Bahre ihres unglücklichen Vaters, bezeichnete ihre Stirn mit einem Kreuz und brachte die Kleine dann wieder in den Frieden des Kinderzimmers zurück. Auch ich hatte zum erstenmal einen Toten erblickt.

Die kleine Elisabeth war mir ein großer Trost; ihr Lächeln und Geplapper verscheuchte auf kurze Zeit meine Schmerzen und Sorgen. Auch meine Mutter beschäftigte sich aufs zärtlichste mit dem kleinen, holden Mädchen, dessen unschuldiger Liebreiz wie eine Blume in dieser traurigen Zeit anmutete.

Wiederum bei Nacht, mit dem ganzen finsteren Pomp der spanischen Etikette, wurde dann der Sarg des Kronprinzen zu den Kapuzinern überführt. Die Beisetzung begann mit einem großen Requiem. Das gesamte Erzhaus, die zahlreich eingetroffenen fremden Souveräne und Fürstlichkeiten, der Hofstaat, das hohe Militär und das diplomatische Korps, Palastdamen und Sternkreuzordensdamen füllten die Oratorien und das Chor.

Hier sah ich die Kaiserin zum erstenmal seit jener schrecklichen Stunde wieder. Wir waren beide tief verschleiert; Pagen trugen unsere Schleppen, seitlich befanden sich die Hofdamen. Die Kaiserin erwiderte meine Verbeugung auf die gleiche Art. Sie sprach kein Wort, keine Miene veränderte ihr Gesicht.

Der Fürsterzbischof von Wien unter Assistenz der hohen Geistlichkeit segnete den Toten ein. Der Kaiser und alle männlichen Fürstlichkeiten sowie die Herren der Suite, das diplomatische Korps und des Militärs begleiteten den Sarg bis zur Gruft.

Ein großes Trauerdejeuner vereinigte in der Hofburg alle anwesenden Fürstlichkeiten. Die traurige Feierlichkeit im Verein mit dem düsteren Aufwand vermochten nicht das Gespenst der schrecklichen Tat von der Tafelrunde zu bannen. Aber die kaiserlichen Eltern wie die anderen Anwesenden waren überzeugt, daß die Tat einer geistigen Zerrüttung entsprungen war; auch die Kirche hatte sich diese Auffassung zu eigen gemacht.

Die außerordentliche Teilnahme aus allen Teilen der Monarchie bewies die Anhänglichkeit an das Herrscherhaus. Am schwersten aber schien der Verlust jenen zu sein, die in dem liberalen Kronprinzen nun »ihren Kaiser« betrauerten. In Deutschland bekundeten Kaiser und Volk mehr als rein konventionelle Trauer, und Frankreich sah sich eines Mannes beraubt, der mit vielen Interessen dem französischen Volk verbunden war. Hingegen konnte Rußland nicht verhehlen, daß es in ihm nicht einen Freund, sondern einen Feind verloren hatte. Als die Todesnachricht Petersburg erreichte, waren die Einladungen zu einem großen Hofball für den 7. Februar bereits ergangen. Die Festlichkeit wurde aber trotz der Todesnachricht nicht abgesagt, nur wurde für den Abend als Farbe der Kleidung schwarz bestimmt; so erschienen die Damen in schwarzen dekolletierten Kleidern. Der »Schwarze Ball« von St. Petersburg war ein treffender Ausdruck der dort herrschenden Gefühle; man trug der Konvention äußerlich Rechnung, aber man fühlte sich erleichtert, daß ein erbitterter, gefährlicher Feind Rußlands für immer dahingegangen war.

Die Beweise der Teilnahme aus aller Welt und allen Ländern der Monarchie kamen Tag und Nacht zu mir. Die Hofpost- und -telegraphenämter mußten verstärkt werden, um den Dienst bewältigen zu können. Mein Hofstaat und ich konnten kaum die Berge von Briefen und Depeschen durcharbeiten – für mich eine sehr wohltuende Ablenkung. Dieser Sturm der Sympathie bildete den deutlichen Beweis, welche Stellung der Kronprinz und ich in den Herzen der Bevölkerung eingenommen hatten: ganz Österreich-Ungarn wollte von seinem zukünftigen Kaiser, aber auch von seiner zukünftigen Kaiserin Abschied nehmen.

*

Begreiflicherweise war meine Mutter sehr besorgt um meine weitere Zukunft. Am liebsten wäre ich mit ihr in die alte Heimat zurückgezogen; ich sehnte mich, die gewitterschwüle Luft des Wiener Hofes zu verlassen, um alles zu vergessen. Mein Vater und der Kaiser entschieden anders. Ergeben mußte ich mich ihrer Entschließung fügen. Ich hatte kein Vermögen und kein eigenes Heim – ich war gezwungen, zu gehorchen – und legte mein Schicksal in Gottes Hände.

Auch der Einladung des englischen Hofes, an dem ich als Lieblingsnichte der Königin die größten Sympathien genoß, durfte ich nicht folgen. Die Königin forderte mich sogleich auf, nach Windsor überzusiedeln, um mit ihren Kindern und Enkeln vereint dort als Kind im Hause zu leben. Es war die mitleidige und verständnisvolle Geste einer der vornehmsten und hervorragendsten Herrscherinnen Europas. Allein, es wäre dem Wiener Hof schon aus Etikette- und Prestigegründen unmöglich erschienen, diese Übersiedelung zu gestatten.

Ich empfand das Bedürfnis, die ersten Monate meines Witwentums fern von der Welt und den Menschen zu verleben. So suchte ich mit meinem Kinde die Einsamkeit von Miramare auf, wohin mir dann meine Mutter und meine beiden Schwestern folgten. Vier Monate haben wir dort gemeinsam verbracht. War es der ewige wunderbare Rhythmus der Adria, die zu meinen Füßen wogte, war es der Wohlgeruch der tausend Frühlingsboten, der Gesang der Vögel, die zu meinem Herzen sprachen – seine innere Leere füllte sich wieder mit Freude am Leben, ich fand Ergebung und Geduld, ich gewann Fassung und Mut zurück.

*

Hier in der stillen Abgeschiedenheit von Miramare überdachte ich noch einmal in Ruhe das Schicksal des Kronprinzen und meiner Ehe. Immer wieder erhob sich ja vor mir die Frage: Wie ist das alles so gekommen? Warum dieses schreckliche Ende?

Es mag wohl sein, daß es für ein Kronprinzenpaar, das auf den Höhen eines Reiches von vielen Millionen der verschiedensten Völker stand, schwerer ist, ein stilles Eheglück zu finden, als für Menschen, die in einem einfachen Wirkungskreis leben. Wir gehörten allen, die sich zu den Völkern Österreich-Ungarns zählten, und damit uns selbst, der Familie am wenigsten. Dennoch ließ ich nie ab, zu hoffen, daß uns das Glück vielleicht doch noch erreichen werde. Man kann ja auch keineswegs sagen, daß unsere Ehe von Anfang an unglücklich gewesen sei. Sie entsprach nicht dem Ideale, das ich ersehnte, es fehlte das liebevolle geistige Einswerden, es war nur ein Nebeneinanderhergehen ohne Wärme. Wenn auch in vielem enttäuscht, habe ich mich doch bemüht, in das Wesen des Kronprinzen einzudringen, um mich ihm anzupassen, mich für seine Pläne, seine Tätigkeit, seine Liebhabereien interessiert, um dadurch einen wärmeren Ton in unser Zusammenleben zu bringen. Aber all mein Bemühen war vergeblich, weil dem Kronprinzen jeder Sinn für Familienleben fehlte und er infolge der vielen Erfahrungen, die er von jung auf mit Frauen gemacht hatte, die Frau als solche geringschätzte. Es fehlte ihm durchaus nicht an Anhänglichkeit; seinen Freunden und denen, die er für seine Gesinnungsgenossen hielt, hat er immer die Treue gewahrt – die Frau aber erachtete er nun einmal nicht für ein ebenbürtiges Wesen.

Nur einmal begann unser Verhältnis ein innigeres zu werden – als wir den ersehnten Thronerben erwarteten. Die Enttäuschung, daß es nur eine Tochter war, führte dann bald wieder zu dem früheren rein äußerlichen, innerlich gleichgültigen Zusammenleben, das nicht einmal Freundschaft, höchstens Kameradschaftlichkeit genannt werden konnte. Ich entbehrte schmerzlich das wahre Glück, aber zerstört, im eigentlichen Sinne, war unsere Ehe auch damals nicht.

Bis dann in den letzten beiden Jahren seines Lebens die merkwürdige Veränderung im ganzen Wesen des Kronprinzen eintrat; zuerst eine immer zunehmende nervöse Hast und Heftigkeit und schließlich sein völliger Verfall. Zu den flüchtigen Bindungen, in die er sich immer mehr verstrickte, kam nun noch die verheerende Wirkung des starken Genusses geistiger Getränke. Seine Nerven, die den Anstrengungen, durch seine immer ernst genommenen militärischen Pflichten, durch seine lebhafte Anteilnahme an der Politik und durch seine ungeregelte Lebensweise, nicht gewachsen waren, suchte er auf diese Weise anzuspornen und erreichte damit doch nur, daß er sein besseres Wollen immer mehr betäubte. In diesen Jahren habe ich Qualen erlitten, die um so schwerer auf mir lasteten, weil ich sie ganz in mich verschließen mußte. Es war furchtbar, dieses jähe Absinken mit anschauen zu müssen, ohne helfen zu können, immer das Schreckgespenst des vollen Zusammenbruchs vor Augen.

Die Wurzel zu allem späteren Unheil liegt wohl schon in der Erziehung des Kronprinzen. Sie war mustergültig, soweit es sich darum handelte, ihn für den Beruf des Herrschers zu drillen, wie man einen Rekruten zum Soldaten ausbildet. Für sein Wissen, seine Studien wurde nichts verabsäumt. Aber an eines dachte man nicht: daß das Wichtigste für einen jungen Menschen die Seelenbildung ist. Wohl wurde ihm die Verehrung und der Gehorsam gegen die Kirche und ihre Gebräuche eingeprägt, aber nie ist er von dem Geist des Christentums durchdrungen worden. Wahre Herzensbildung, Gottesfurcht, sittliches Pflichtbewußtsein und Verantwortungsgefühl fehlten ihm, und später, als die Not des Lebens ihn erfaßte, war er ohne die Kraft des religiösen Glaubens und sittlichen Haltes.

Bereits mit achtzehn Jahren mündig erklärt, erhielt der Kronprinz einen eigenen Hofstaat. Dieser bestand zumeist aus Herren, die den Jüngling nicht leiteten, ihn nicht vor den Gefahren, die ihn bedrohten, warnten und schützten. War man doch damals davon überzeugt, daß das »Sichausleben« für einen jungen Mann unerläßlich sei. So waren Männer in seiner Umgebung, die ihn geradezu dem Leichtsinn zuführten, dessen Lockungen er ohnedies durch das Garnisonsleben stark ausgesetzt war. Bravourstückchen auf diesem Gebiet gehörten damals zu einem schneidigen Offizier; darauf gründete sich in jenen Kreisen das Ansehen eines jungen Mannes. Solche Anschauungen fielen bei dem temperamentvollen, lebensdurstigen Kronprinzen auf einen nur allzu günstigen Boden, und schon damals ist seine Gesinnung dadurch so vergiftet worden, daß er alle wahre Achtung vor der Frau verlor.

Erwachsen, schien der Kronprinz zu den größten Hoffnungen zu berechtigen. Weit über den Durchschnitt begabt, besaß er rege geistige Interessen. Geographie und Ornithologie waren seine Lieblingsfächer, in denen er hervorragende Kenntnisse besaß. Für Literatur hatte er besondere Neigung, und er selbst schrieb vorzüglich. Bei allem, was ihn beschäftigte und was er unternahm, zeigte er eine hohe Intelligenz. Freilich lag in dieser Intelligenz, in Verbindung mit seiner Geringschätzung aller seelischen und Gemütswerte, auch die Wurzel seines scharfen Sarkasmus, der sich mit der Zeit zu einer Haltung steigerte, in der alles zerpflückt und zerfasert wurde, scheute er doch nicht einmal davor zurück, über Religion und Kirche zu spötteln.

Der Kronprinz war eine merkwürdig zwiespältige Natur – voller Gegensätze. Er achtete den Kaiser überaus hoch – vermochte das aber sogleich zu vergessen, wenn ihm andere vorspiegelten, wie bald er selbst Kaiser sein könne. Sein Glaube, daß er berufen sei, eine neue Zeit heraufzuführen – und die Nonchalance, mit der er bereit war, alles zu verspielen. Sein altes Blut, wohl das vornehmste Europas – und der Mangel jeglicher Scheu, sich in einer Weise unter das Volk zu mischen, die alle Grenzen aufhob. Seine nervöse Furchtsamkeit – und seine Lebensverachtung. Eine nervenaufreibende Unrast, eine Jagd nach dem Leben – und das Verlangen nach Ausruhen und Schlußmachen. Hand in Hand damit ein übersteigerter Leistungswille – im Kontrast zu seiner schwächlichen Konstitution. So war er in allem: Er liebte Tiere, schrieb Werke über Vogelkunde – und war doch von der Leidenschaft besessen, sie zu vernichten. Er verstand es, durch seine Liebenswürdigkeit die Menschen zu bezaubern – und doch lag ihm nichts an solchen Erfolgen, er spöttelte selbst über sie.

Weder geistige Umnachtung, wie es nachher offiziell hieß, noch biologische Mängel, als Erbe zu alten Geschlechts, wie manche später wissen wollten, waren die Ursachen, die zu dem tragischen Tod des Kronprinzen geführt haben. Ich sehe sie allein in der Haltlosigkeit seines Wesens.

Als er dann durch seine politischen Geheimpläne in eine furchtbare Sackgasse geraten war, versagte der Rest des sittlichen Haltes in ihm. Er fand nicht mehr den Weg zurück. Freilich, das Eigentliche seiner politischen Absichten wird immer im Dunkel bleiben, denn schriftliche Dokumente darüber existieren nicht mehr. Mich selbst hat der Kronprinz in seine letzten Ideen nicht eingeweiht; ich glaube, daß er mit Recht in dieser Hinsicht kein Vertrauen zu mir haben durfte. Was ich gelegentlich beobachtete und hörte, widersprach meinem Wesen völlig; ich habe gegen diese Menschen, mit denen er einen besonders regen Verkehr pflegte und die ihn ganz in den Kreis ihres liberalistischen Denkens einmauerten, stets eine instinktive Scheu gehabt. Was die sogenannten ungarischen Pläne anbelangt, von denen seither viel die Rede war, so dürften auch sie für ewig im geheimnisvollen Dunkel gehüllt bleiben. Nur so viel scheint mir gewiß, daß sie in einem engen Zusammenhang mit den kulturellen Absichten, die ich eben nannte, standen.

Als Graf Szögyény, in Ausführung des testamentarischen Auftrages des Kronprinzen, in meiner Gegenwart seinen Schreibtisch öffnete und dessen Inhalt verbrannte, dürften auch die letzten Aufzeichnungen darüber vernichtet worden sein.

Es scheint, daß der Kronprinz sich schon länger mit dem Gedanken beschäftigt hatte, nicht allein aus dem Leben zu scheiden. Da er niemand fand, der sich opfern wollte, benutzte er die Leidenschaft Mary Vetseras, um die furchtbare Bitte an sie zu richten. Sie gewährte sie blindlings. Mary Vetsera war der Typ ihrer Rasse, wie man ihn häufig im Orient findet; es gab in Wien unzählige viel anziehendere Erscheinungen von wirklich auffallender Schönheit, und der Kronprinz war gewohnt, daß ihm kein weibliches Wesen widerstand. Er hat Mary Vetsera nicht geliebt, sie war ihm nur eine von vielen. Sie aber hat ihn wirklich geliebt und ist angesichts der unabsehbaren Konflikte, die daraus entstehen mußten, freudig mit ihm in den Tod gegangen. Diese Feststellung, daß die Liebe Mary Vetseras zum Kronprinzen tief und echt gewesen ist, sei die Blume, die ich, die betrogene Frau, verzeihend dem beklagenswerten verblendeten Mädchen auf die Ruhestätte lege.

Man hat vielfach angenommen, daß finanzielle Schwierigkeiten dazu beigetragen hätten, den Kronprinzen in den Tod zu treiben. Das ist nicht der Fall gewesen. Das Leben, das der Kronprinz führte, verschlang große Summen. Mehrere Male hat der Hof seine Schulden bezahlt. Er selbst hatte vom Geld und Geldeswert keine Ahnung. Man sprach nie darüber; der Obersthofmeister hatte den Hofstaat und dessen Finanzen zu führen. Als der Kronprinz starb, hinterließ er nichts als Schulden, doch waren diese nicht entfernt in der Höhe, von der man schwätzte. Sie haben bestimmt bei seinem Entschluß keine Rolle gespielt. Der Hof bezahlte sie sofort nach seinem Tode, ebenso wie die letztwilligen Legate und Schenkungen.

Der Kronprinz hatte zu verschiedenen Malen Testamente verfaßt. Das letzte ist vom 2. März 1887 datiert. Er verfügte darin über Summen, die er in Wirklichkeit gar nicht besaß. Dieses bisher noch unveröffentlichte Testament befindet sich in einer vom Kronprinzen eigenhändig geschriebenen Abschrift in meinem Besitz. Es liegt in einem mit dem kronprinzlichen Siegel versehenen Foliokuvert, das folgende Beschriftung von der Hand des Kronprinzen trägt:

Abschrift meines im K. K. Hofmarschallamte erliegenden Testamentes. März 1887. Kronprinz Erzherzog Rudolf Feldmarschalleutnant.

Es hat diesen Wortlaut:

Testament

Nachstehendes Testament habe ich bei vollkommen klarer Besonnenheit eigenhändig niedergeschrieben und bitte Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät unterthänigst, die Mühe als Testament-Executor gnädigst auf sich nehmen zu wollen; und auch die Vormundschaft über meine Tochter Elisabeth zu übernehmen. Zur Universalerbin meines beweglichen und unbeweglichen Vermögens bestimme ich meine Tochter Elisabeth; meiner Gemahlin Stephanie bestimme ich den lebenslänglichen Nutzgenuß des gesamten Vermögens. Im Falle ihrer Wiederverehelichung hört der Nutzgenuß gänzlich auf und geht auf meine Tochter über. Im Falle der Verehelichung meiner Tochter wird der Nutzgenuß zwischen beiden getheilt.

Ferner bestimme ich:

1. 50 000 Fl. schenke ich dem Leiter meines Sekretariates Oberst von Spindler, im Falle seines Ablebens seinem Sohne, oder seiner Tochter, falls dieser nicht mehr lebt.

2. 20 000 Fl. schenke ich dem Obersthofmeister Graf Carl Bombelles; im Falle er nicht mehr am Leben wäre, fällt dieser Betrag an die Universalerbin zurück.

3. 30 000 Fl. sollen nach Angabe und Ermessen meine Frau an meine Kammerdiener, Büchsenspanner, Stallpersonale und an jene Personen des Jagdpersonales im Wienerwald, Görgény, Laxenburg und den Donau-Auen vertheilt werden, von denen sie weiß, daß sie mich besonders gut bedienten.

4. Der große Kasten mit den Aquarellen /: Hochzeitsgeschenk der Wiener Industriellen :/ vermache ich den Hofsammlungen.

5. Von meinen in Gebrauch habenden Säbeln und modernen Jagdwaffen, sowie auch von allen meinen Jagdtrophäen sollen an Bekannte und Verwandte nach Angabe meiner Frau Andenken verteilt werden; was erübrigt, vermache ich meinen Kammerdienern und Büchsenspannern.

6. Alle meine Jagd- und Luxushunde vermache ich meinen Jägern sowie Büchsenspannern, als auch dem Personale im Wienerwald und in den Donau-Auen.

7. Alle meine Kleider, Wäsche, Schuhe vermache ich meinen Kammerdienern.

8. Meine naturhistorischen Sammlungen vermache ich Wiener Unterrichtsanstalten, nach Ermessen meiner Frau.

Ich befehle ferner, daß die bestehenden Jagdpachtungen in Görgény, Szt. Imre, Liptau und im Wienerwalde nach meinem Ableben augenblicklich aufgelassen sind, desgleichen nach Ausräumung meines Besitzes die Pachtung des Schlosses in Görgény Szt. Imre.

Meine Schreibtische in Wien und Laxenburg sollen in Gegenwart meiner Frau vom Sectionschef im Ministerium des Äußeren Herrn Ladislaus von Szögyényi-Marich aufgemacht und die Schriften nach seinem Ermessen theils vertilgt, theils aufgehoben werden.

Daß diese eigenhändig von mir geschriebene Anordnung mein freier Wille ist bestätige ich mit meiner Unterschrift und meinem Siegel.

Wien, 2. März 1887. Kronprinz Erzherzog Rudolf Fmlt Fmlt = Feldmarschalleutnant..


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