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II. Mit 16 Jahren verheiratet

Die Eintönigkeit und Strenge meines Kinderlebens wurde nun durch nichts mehr unterbrochen. Ich wuchs heran, mein Verstand entwickelte sich, mein Interesse an den Studien nahm zu. Mit zwölf Jahren sprach und schrieb ich Französisch, Englisch, Deutsch und etwas Flämisch.

Während mein Vater sich den Pflichten seiner Stellung widmete und seine umfassenden Pläne durchführte, lebte meine Mutter als die Wohltäterin des Volkes, zugleich aber auch als Pflegerin der schönen Künste. Ihre Ölgemälde und Aquarelle schmückten die Ausstellungen und wurden bei Wohltätigkeitsbazaren verkauft. Sie wohnte den Theaterproben bei und fehlte bei keinem Konservatoriumskonzert, sie kannte alle Sänger und Orchestermitglieder. Mancher Maler und Sänger verdankte seine Berühmtheit und glänzende Laufbahn ihrer Förderung.

Wöchentlich einmal fand in ihrem Salon ein Konzert statt; der Ruf dieser Veranstaltung drang bis in das Ausland. Die berühmtesten Künstler fanden sich dazu ein; die Königin begleitete sie auf dem Klavier oder auf der Harfe, bisweilen sang sie Duos mit ihnen. Große Schauspieler lasen Tragödien oder Gedichte vor. Hier traf man Massenet, Tosti, Isnardon, Georges Imbart, die Adelina Patti, die Nelson, Rose Charon und viele andere. Ich habe den Proben zu diesen herrlichen Konzerten oft beigewohnt; sie bildeten mein Verständnis und meine Freude für die Künste.

Später habe ich meine Eltern fast immer auf ihren offiziellen Reisen in die größeren Provinzstädte begleitet. In Antwerpen, Mecheln, Namur, Brügge jubelte die Bevölkerung der königlichen Familie zu. Wo wir hinkamen, waren Triumphbogen, die Glocken läuteten, und der Donner der Geschütze grüßte den König. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, in welcher Stadt es war: meine Eltern und ich zogen in einem à la Daumont bespannten Wagen ein, und am Stadttor begrüßte der Bürgermeister die Majestäten. Da erhob sich mein Vater, der wie wenige Menschen die Gabe der freien Rede besaß, mit einer elastischen Bewegung im Wagen und sprach mit seiner klangvollen, weithin vernehmbaren Stimme zum Volk. Alles jauchzte ihm zu, und von leidenschaftlicher Begeisterung hingerissen, spannte das Volk die Pferde aus und zog den Wagen bis zu der für uns vorbereiteten Residenz.

Ein anderes Mal, als es in Brüssel Unruhen gab, schrie und lärmte man vor dem Palais und rief nach dem König. Meine Eltern erschienen, die Kinder an der Hand, auf dem Balkon des Palais. Der Lärm steigerte sich zum Getöse. Die Volksmenge war riesig, der Platz schwarz von Menschen. Da ging mein Vater unerschrocken hinab und sagte: »Was wollt ihr, liebe Kinder? Da bin ich, mitten unter euch, um eure Wünsche anzuhören.« Die Antwort war der einstimmige Ruf: »Es lebe der König, es lebe die Königin!« Da ging auch meine Mutter mit uns Kindern mitten unter die Menge. Der phrenetische Jubel verdoppelte sich. Erst als meine Eltern wieder in das Palais zurückgekehrt waren, verlief sich die Menge, aber noch lange hörte man die patriotischen Gesänge und Hochrufe auf das beherzte Königspaar.

Im Winter nahmen die repräsentativen Pflichten meine Eltern sehr in Anspruch, zuweilen sah ich sie tagelang nicht. Nur manchmal ließ mich meine Mutter abends zu sich kommen, um mich bei der Beendigung ihrer Toilette zusehen zu lassen. Unverwischbar ist mir ihr strahlendes Bild verblieben. Stumm vor Bewunderung konnte ich meine Augen nicht von ihr reißen. Meine Mutter stand damals in der Blüte ihrer Jahre. Ihr kastanienbraunes Haar mit goldenen Reflexen, ihr wunderbarer Hals, ihre weißen Schultern und Arme, ihre prachtvolle Gestalt entzückten mich. Ich war stolz, eine so vollendet schöne Mutter zu besitzen. Sie war immer einfach gekleidet, meist in Samt, aber sie trug prachtvollen Schmuck, den sie sehr geschickt anzustecken verstand. Ich durfte das hellblaue Samtkissen halten, auf dem ihre Juwelen ausgebreitet waren, bis die Königin ihre Wahl getroffen hatte. War ihre Toilette beendet, umarmte sie mich. Wenn ich sie dann strahlend und funkelnd aus ihrem Zimmer treten sah, erschien sie mir wirklich als der Inbegriff von Majestät.

Kehrten wir im Frühling nach Laeken zurück, so nahm mich meine Mutter bei ihren Ausfahrten mit, bei denen sie immer mich zu belehren bestrebt war. Häufig besuchte sie mit mir die Wohlfahrtsanstalten, Spitäler und Schulen, Blinden- und Taubstummeninstitute, die Frauen- und Kinderheime, aber auch die reizenden kleinen Städte, deren altehrwürdige Kirchen, Bauten und Museen von der ruhmvollen Geschichte Flanders und der Niederlande berichten.

Der Lieblingsaufenthalt meiner Mutter war Laeken. Dort hatte sie ihr Behagen, ihre Beschäftigungen, ihre Rosen- und Nelkengärten, kurz alles, was ihr Freude bereitete. Meine Mutter liebte die Blumen, täglich brachte sie in ihren Armen die Blütengarben, mit denen sie die Zimmer schmückte. Sie hat mich gelehrt, Blumen zu pflegen und hübsch in Vasen zu ordnen. Die Zimmer der Königin waren wie ein einziges duftendes Glashaus, eine wahre Freude. Ich habe die Liebe und das Verständnis für Blumen von ihr geerbt. Zu jeder Jahreszeit ist mein Zimmer und mein Schreibtisch noch heute mit Blumen geschmückt, sie wiegen mich in Erinnerungen und beglücken mich während der langen Wintertage.

Auch meines Vaters besondere Liebhaberei war die Botanik und speziell die Dendrologie. Er kannte den botanischen Namen jedes Baumes, jedes Strauches, jeder Blume; er kannte ihre Herkunft, er wußte, wie man sie säen, pflanzen und kultivieren mußte. Die Gewächshäuser von Laeken sind einzig in ihrer Art. Durch ihre riesige Ausdehnung und die Mannigfaltigkeit ihres Inhaltes bildeten sie zur Zeit meines Vaters ein wahres Paradies. Der König hatte alles nach seinen eigenen Plänen bauen lassen und gab jede Einzelheit selbst an. Er hatte die Pflanzen in Afrika, Italien und Frankreich gesammelt und erworben. Er war meist bei ihrer Verpflanzung zugegen. Durch Gänge, Treppen und Hallen waren die einzelnen Glashäuser miteinander verbunden. Jedes von ihnen enthielt nur eine einzige Blumensorte, aber diese in allen Abarten und Schattierungen. Azaleen, Kamelien, Rhododendron, Rosen, Nelken, Flieder, Tulpen und viele andere – jede Blume füllte ihr Glashaus.

Sämtliche Gewächshäuser mündeten in ein in ihrer Mitte gelegenes gewaltiges Glashaus, den »Wintergarten«, der für Empfänge, Feste und Konzerte bestimmt war. Man glaubte sich in ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht versetzt, in ein indisches Feenreich, in dem es nur Farbensymphonien und Wohlgerüche gab. Tropische und subtropische Pflanzen berankten die Wände, wölbten sich zu einem grünen Dom, rieselten in blühenden Kaskaden herab und umrankten die Stämme der mächtigen Palmen. Feiner, orangefarbener Sand bedeckte die Wege, die durch diese Blütenhaine führten, vorüber an Springbrunnen und zauberhaften Grotten. Lauschige Sitzplätze luden zum Verweilen ein.

Hatte man sich an all dieser Herrlichkeit, von einem Staunen ins andere geratend, erfreut, so gelangte man endlich zur Krone dieser gigantischen Anlage, dem letzten Warmhaus, das, in der Form eines Kreuzes errichtet, zu einer Kirche gestaltet war. Auf dem Dach glänzte ein goldenes Kreuz, das die ganze Gegend überragt und noch heute dazu einlädt, sich an den Stufen des Altares im Gebet zu neigen. Ein edler Gedanke hatte meinen Vater, diesen genialen Künstler im Reich der Phantasie, bei seinen Plänen geleitet: zu Ehren Gottes hatte er Blumen aller Art in dieser blühenden Kapelle vereint. Von der Schönheit dieses Raumes vermag man sich kein Bild zu machen, wenn man ihn nicht, wie ich, in seiner feierlichen Pracht am Tag seiner Einweihung gesehen hat. Es war eine jener erhabenen Zeremonien, welche die Seele bis ins tiefste erschüttern. Ein Blütenmeer umhüllte den Altar, der Weihrauch vermischte sich mit dem Duft der Blumen, deren Ranken sich vor Gott zu neigen schienen. Die Klänge der Orgel begleiteten den Chor, der wie von Engelsstimmen gesungen war. Die Kirche war überfüllt. Gäste, Beamte, Angestellte, Dienerschaft wohnten dem Meßopfer und dem Te Deum bei. Ergriffen sandten unsere Seelen Gebete für den Erbauer dieses Gotteshauses zum Himmel empor. Oft kehrte ich in diese Kapelle zurück und jedesmal fühlte ich mich eingewiegt in einen Traum vollkommener Glückseligkeit.

*

Der 12. Juni 1876, der Jahrestag der Geburt meines lieben uns entrissenen Bruders, wurde für meine erste Kommunion gewählt. Monatelang schon hatte unser Hofpfarrer mich mit aller Sorgfalt auf diese heilige Handlung vorbereitet. Die erste Kommunion eines der Mitglieder der königlichen Familie ist eine offizielle Zeremonie, die in der zuständigen Pfarrkirche gefeiert wird. Die meine fand in der Pfarrkirche zu Laeken statt. Die vielen Menschen, die dem Hochamt beiwohnten, störten meine Andacht nicht – ich war schon an die Menge gewöhnt. Meine Mutter hatte mich selbst angekleidet und die letzten erhebenden Worte zu mir gesprochen. Sie segnete mich und gab mir ein wundervolles, in Schildkrot gebundenes Gebetbuch, das ihre eigenhändige Widmung trug. Ich verbrachte den denkwürdigen Lag in voller Stille.

Meine Schwester Louise, die verhindert war, von Paris zu kommen, sandte mir ein in Elfenbein gebundenes Gebetbuch, mein Onkel, der Graf von Flandern, eine in russisches Leder gebundene Geschichte der Heiligen. Diese lieben Andenken halte ich noch jetzt in Ehren.

Im selben Jahre kam dann aber meine Schwester Louise mit ihrem Gatten nach Brüssel. Ich freute mich unsagbar, sie nach zweijähriger Trennung wiederzusehen. Wieviel hatte ich ihr doch zu erzählen und anzuvertrauen! Ich brannte darauf, ihr das kleine Schwesterlein zu zeigen, das sich so reizend entwickelt hatte und dem ich eine hübsche Begrüßung zum Empfang der großen Schwester gelehrt hatte.

Endlich war sie da. Ich warf mich in ihre Arme, ich bedeckte sie mit Küssen und bestürmte sie mit Fragen. Ich wollte wissen, ob sie glücklich sei, ob sie ein gemütliches Heim besäße, meine Neugier kannte keine Grenzen. Das übervolle Herz erlag dem Bedürfnis, aus seinem Schweigen herauszutreten, endlich zu erzählen, was sich seit der Trennung alles zugetragen hatte.

Aber meine Schwester Louise war nicht mehr die alte. Andere Interessen nahmen sie in Anspruch. Sie war jetzt eine junge Frau, bewundert und gefeiert. Sie war noch schöner geworden, sehr elegant, und trug entzückende Toiletten. Die kleine Schwester mit ihren kurzen Röcken und ihrer jugendlichen Überschwenglichkeit war nur ein Kind für sie, und für die kleine Clementine zeigte sie kaum Interesse. Ich fühlte den Unterschied und litt darunter. Trotz dieser schmerzlichen Empfindungen war ich doch glücklich, sie unter demselben Dach und in unserer Mitte zu wissen. Wenn auch ihre Tage mit Empfängen, Festen und Besuchen ausgefüllt waren, und ich sie nur bei den Mahlzeiten sah, konnte ich mich doch an ihrem Lächeln, an ihrer Heiterkeit erfreuen, Als ihr Aufenthalt zu Ende ging und sie uns wieder verließ, fühlte ich aufs neue die Leere um mich und das einsame Leben nahm seinen Lauf.

*

In den sechs Wochen Sommerferien, in denen ich von meinen Erzieherinnen, die auf Urlaub gingen, befreit war, nahm mich nun meine Mutter ganz zu sich. Ich schlief bei ihr und verbrachte ganze Tage in ihrer Nähe. Bald überwand ich meine Scheu und wagte sogar, Fragen an sie zu richten. Sie sprach viel von ihrer Heimat, von Ungarn, von ihrem geliebten Alcsút, dem Besitz ihrer Eltern – damals wohnte ihr Bruder Erzherzog Joseph dort –, von der malerischen Residenz in Ofen, in der sie glückliche Zeiten im Schoße ihrer Familie verlebt hatte. Tränen standen in ihren Augen, während sie von all dem sprach. Begeistert lauschte ich, wenn sie von ihrem Vater, dem großen Palatin, erzählte und von ihrem Bruder Erzherzog Stephan, der seit seiner Kindheit der Abgott Ungarns war. Die Liebe, die das Volk für ihn hegte, steigerte sich zu der Zeit, da er Statthalter von Ungarn war, derart, daß er nach dem im Jahre 1846 erfolgten Tod seines Vaters einstimmig zum Palatin von Ungarn erwählt wurde. Als tapferer Verteidiger der nationalen Forderungen Ungarns drängte er auf deren Erfüllung. Sein Auftreten erregte den Unwillen des Wiener Hofes. Erzherzog Stephan fiel in Ungnade, sein Vetter, Kaiser Franz Joseph, sandte ihn in das Exil. Da bot ihm Kossuth die heilige Stephanskrone an, die er aber infolge seiner monarchisch-dynastischen Prinzipien zurückwies. Er folgte dem kaiserlichen Gebot und ging in die Verbannung nach Schaumburg.

Auch zu ihrem zweiten Bruder, Joseph, stand meine Mutter in innigen Beziehungen; er war gut, allgemein geschätzt und beliebt. Die gleichen Bande knüpften sie an ihre schöne Schwester Elisabeth.

Meine Mutter, die der ungarischen Sprache völlig mächtig war, liebte es, mir den Zauber ihrer Heimat zu schildern. Sie sprach von den weiten, grenzenlosen Ebenen, mit goldener, sonnendurchfunkelter Saat bedeckt, von den endlosen Steppen der Pußta. Ein Land der Freiheit, der Träume und der Musik. Sie malte in verlockenden Farben das Landleben auf den großen herrschaftlichen Gütern mit ihren berühmten Überlieferungen; sie schilderte die vorbildliche Gastfreundschaft in den Schlössern und Bauernhütten, die patriarchalischen Beziehungen zwischen den Gutsbesitzern und den Bewohnern der Höfe und Dörfer. Meine Mutter wurde nicht müde, die melancholischen und feurigen Weisen der Zigeuner zu spielen und in ihrer Muttersprache zu singen. In meiner lebhaften Einbildungskraft verband sich diese Musik, die Geschichte und die Legende zu einem unauslöschlichen Eindruck, zu einer brennenden Sehnsucht nach jenem Land, das ich in dumpfem, ahnungsvollem Vorgefühl meines Schicksals schon liebte.

Der österreichisch-ungarische Gesandte Graf Chotek war am Brüsseler Hof sehr beliebt, für seine Gemahlin, der liebenswürdigen Gräfin Kinsky, hegte meine Mutter sogar Gefühle aufrichtiger Freundschaft. Als Ende Mai 1878 der neue Rennplatz in der Forêt de Soignies eröffnet wurde, fiel es trotzdem allgemein auf, daß der König seinen Pavillon verließ, um auf den im Sattelraum stehenden Grafen Chotek zuzugehen und ihn anzusprechen. Der König soll ihm viel Schmeichelhaftes über die Bemühungen Österreich-Ungarns zur Erhaltung des Weltfriedens, über den Ausgleich der beiden Reichshälften, über den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung der Monarchie und den Anteil des Kaisers an all diesem Fortschritt gesagt haben.

Meine Mutter begab sich in diesem Jahre nach St. Antal in Ungarn zu ihrer Tochter Louise, die damals ihr erstes Kind erwartete. Sie freute sich unendlich darauf, ihre Schwester Elisabeth und deren Kinder, ihren Bruder Joseph und seine Familie wiederzusehen und liebe Jugenderinnerungen aufzufrischen. Am 19. Juli brachte meine Schwester einen Knaben zur Welt, der den Namen Leopold erhielt. Sechs Wochen später kehrte meine Mutter nach Belgien zurück, von der Grenze bis Brüssel durch den einzigen Ruf: »Es lebe die Königin!« begrüßt. Sie sah erfrischt und verjüngt aus. Sie hatte Tage des Glückes erlebt, war mit offenen Armen aufgenommen, gefeiert, bewundert und geliebt worden.

Bald danach kam die strahlend schöne Erzherzogin Elisabeth zu ihrer Schwester nach Brüssel. Ich glaube, daß damals der Plan, mich mit dem Thronfolger von Österreich zu verheiraten, zum erstenmal ernsthaft erwogen worden ist. Ich war von meiner Tante entzückt. Ich hatte sie bis dahin nur durch Beschreibungen gekannt, aber meine Erwartungen wurden weit übertroffen. Größer und stattlicher wie ihre Schwester, meine Mutter, war Erzherzogin Elisabeth das wahre Abbild ihrer Ahnherrin, der Kaiserin und Königin Maria Theresia. Ihre Güte für mich ließ sie mir immer liebenswerter erscheinen.

Außer der Erzherzogin Elisabeth waren auch Erzherzog Karl Ludwig und zahlreiche außerordentliche Botschafter und Gesandte nach Brüssel gekommen, um an der Feier der Silbernen Hochzeit meiner Eltern teilzunehmen. Die Begeisterung, die im ganzen Königreiche während der vier Tage, welche die Festlichkeiten dauerten, herrschte, war unbeschreiblich. Belgien, das Land glühender Vaterlandsliebe, bewies seine Loyalität und Verehrung für das Herrscherhaus. Ich habe selten eine rührendere Kundgebung gesehen, als den Zug der sechzigtausend Schulkinder, die unter einem Blumenregen mit ihren hellen Stimmen den König grüßten.

Der Winter 1878/79 brachte dann den Besuch der Kaiserin und Königin Elisabeth von Österreich-Ungarn. Sie, die leidenschaftliche und vortreffliche Reiterin, begab sich zu den großen Parforcejagden nach England und Irland. Diese erste Begegnung mit der Frau, die zwei Jahre später meine Schwiegermutter werden sollte, hat mir einen großen Eindruck hinterlassen. Ich durfte damals noch nicht den Empfängen beiwohnen, doch wurde es meiner kleinen Schwester und mir gestattet, nach dem Galadiner unserer Tante die Hand zu küssen. Die Kaiserin umarmte mich, ohne ein Wort zu sagen. Sie trug ein schwarzes Samtkleid mit langer Schleppe, das ihre herrliche Gestalt umschmiegte und zur Geltung brachte. In dem prachtvollen, braunen Haar, das sie wie eine Krone aufgesteckt trug, glänzten Diamanten. »Sie ist sehr schön«, sagten wir Kinder, »aber sie stellt doch unsere schöne Mutter nicht in den Schatten.«

Einige Wochen später kam ein anderer Besuch an den Hof von Brüssel. Es war Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha, der Chef unseres Hauses, dessen Mitglieder dank der glücklichen Politik meines Großvaters Leopold I. die Throne von Belgien und England, Brasilien und Portugal innehatten. Er wünschte, mich kennenzulernen und bat, ich möchte an allen ihm zu Ehren gegebenen Festen teilnehmen. Er hatte von dem Besuch der Erzherzogin Elisabeth und den Heiratsgerüchten, die sich daran knüpften, erfahren – deshalb wollte er sich selbst von meinen Anlagen überzeugen.

Meine Eltern willfahrten seiner Bitte, und es wurden für mich lange Kleider bestellt. Meine lebhafte Freude über mein erstes Schleppkleid entsprang meinem noch kindlichen Gemüt. Ich drehte mich vor dem Spiegel hin und her, betrachtete mich von allen Seiten und fand mein neues Kleid sehr hübsch, aber doch etwas merkwürdig. So erschien ich – ich war noch nicht 15 Jahre – zum erstenmal bei einem großen Diner. Von meiner Mutter wohl darauf vorbereitet, war ich nicht schüchtern und befangen und hatte nachher das Gefühl, bescheiden und natürlich gewesen zu sein. Im Laufe des Gespräches mit meinen Eltern äußerte Onkel Ernst: »Eure Kleine ist sehr wohlerzogen, ihr könnt zufrieden und glücklich über sie sein.« Ein großes Lob – und doch trug es den Keim zu meinem späteren Unheil in sich.

Indes wuchs mein kleines Schwesterchen heran. Blonde Locken umrahmten das reizende Oval ihres lieben Gesichtes. Ihre großen schwarzen, von dunklen Wimpern umschatteten Augen hatten einen melancholischen und sanften Blick. Der berühmte Maler Gallet, begeistert von dem reizenden Kind, bat es malen zu dürfen; sein wunderschönes Porträt erinnert an die Meisterwerke der flämischen Schule. Clementine und ich waren unzertrennlich. Sie hatte die Lücke, welche die Trennung von meiner älteren Schwester hinterlassen, ausgefüllt. Trotz unserem Altersunterschied brachten uns unsere gemeinsamen Sorgen und Freuden, unser gemeinsames Leben immer näher, wir waren nicht nur Schwestern, sondern auch unzertrennliche Freundinnen, die sich alles anvertrauten.

*

Bedeutsame Ereignisse sollten in kurzer Frist entscheidend in mein junges Leben eingreifen.

Meine Eltern und Verwandten hatten sich schon seit längerem mit der Frage meiner Vermählung beschäftigt. Sie wünschten, daß ihre Tochter Stephanie die Gemahlin eines der regierenden oder zur Regierung gelangenden Fürsten Europas werde, um ihr eine glänzende Stellung zu schaffen und, der Tradition ihres Großvaters, des ersten Belgierkönigs, folgend, ihr Heimatland und das Weltansehen ihres Hauses noch zu erhöhen. In diplomatischen Kreisen ahnte man längst, daß Verbindungspläne für mich erwogen wurden und versuchte, das Geheimnis zu ergründen. Gerüchte über eine angebliche Vermählung mit König Alphons XII. von Spanien verstummten bald. Tieferblickenden mußte auffallen, daß die Kaiserin Elisabeth im Winter des Jahres 1879/80 abermals den Weg über Brüssel wählte. Ihr Sohn, der Kronprinz, hatte das einundzwanzigste Lebensjahr überschritten. Es war im Hause Habsburg Gepflogenheit, die Thronfolger jung zu vermählen, um die Nachfolge in direkter Linie so bald wie möglich zu sichern. Nur wenig Eingeweihte wußten, daß zudem der Erzieher des jungen Kronprinzen, General von Latour, den kaiserlichen Eltern geraten hatte, ihren Sohn möglichst bald zu verehelichen, um ihn an ein geordnetes und geregeltes Leben zu gewöhnen.

Obwohl die Kaiserin der Idee, ihren Sohn jetzt schon zu vermählen, anfangs nicht gewogen war, wurde am Wiener Hof die Angelegenheit überdacht und geprüft, und die Verbindung mit einer Prinzessin der belgischen Königsfamilie aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha fand allgemeinen Beifall. Die Wittelsbacher galten als ausgeschlossen wegen der allzu nahen Verwandtschaft, welche durch die wiederholten Eheschließungen entstanden war. So blieb nur die Wahl zwischen Spanien, Belgien oder dem katholischen Königshaus Sachsen.

Die geplante Verbindung mit der Infantin Eulalia von Spanien, Schwester des Königs Alphons XII., zerschlug sich aus irgendwelchen Gründen. Kronprinz Rudolf erfuhr am sächsischen Hof die wohlwollendste Aufnahme, allein er fand sich von den sächsischen Prinzessinnen nicht angezogen und weigerte sich, eine von ihnen zu heiraten.

*

Kronprinz Rudolf, der mit meinem Schwager, dem Prinzen Philipp von Sachsen-Coburg-Gotha, befreundet war, bewunderte und verehrte meine Schwester Louise sehr; er wollte nun auch mich gerne kennenlernen. Es war der 4. März des Jahres 1880, als der 22jährige Kronprinz zu einem Besuch nach Brüssel kam.

Meine Mutter war in die Absicht Kaiser Franz Josephs eingeweiht und hatte schone Kleider für mich anfertigen lassen. Das Kind wurde plötzlich in ein junges Mädchen verwandelt. Ahnungslos, wie ich war, erschienen mir alle Vorbereitungen nur auffallend und sonderbar.

Freitag, den 5. März, nachmittags ließen mich meine Eltern zu sich rufen. Als ich eintrat, stand mein Vater auf, trat auf mich zu und sagte mit ernster Stimme: »Der Kronprinz von Österreich-Ungarn ist hierher gekommen, uns um deine Hand zu bitten. Deine Mutter und ich befürworten diese Heirat sehr. Wir haben dich dazu ausersehen, die künftige Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn zu werden. Ziehe dich zurück, überlege und gib uns morgen deine Antwort.«

Fassungslos und vor Erregung zitternd, warf ich mich in die Arme meiner geliebten Toni – sie, die meine Kindheit geleitet, die mich beschützt, sie sollte mir bei meinem Entschlusse helfen. Sie riet mir, offen mit der Königin, meiner Mutter, zu sprechen. Gewiß, das war das Naheliegendste, und es drängte mich auch, ihr mein Herz auszuschütten. Noch am selben Abend eilte ich zu ihr, schmiegte mich an sie und bat sie, mich anzuhören.

Sie küßte mich voller Rührung und sagte mir, welche Beruhigung es für sie wäre, auch ihre zweite Tochter durch eine Heirat in ihre Heimat zurückgeführt zu sehen. Mit beredten Worten schilderte sie mir meine zukünftige Stellung als eine der schönsten und glänzendsten Europas. Sie bot ihre ganze Beredsamkeit und ihre unvergleichliche Gabe, Menschen zu bezaubern, auf, um jenem Wunsche, dessen Verwirklichung sie und mein Vater so innig ersehnten, zum Sieg zu verhelfen. Sie sagte mir Dinge, die mich sehr erstaunten: »Du hast, mein Kind, alles, um eine geliebte und geachtete Herrscherin zu werden, wie ich es bin. Deine feste Überzeugung in unserem heiligen Glauben, dein fügsamer, gerader Charakter, deine Güte, deine leichte Auffassung, deine Begabung und dein Äußeres versprechen dir deinen großen Weg zu bahnen. Dein Charme wird dir alle Herzen gewinnen. Dein Vater und ich haben keine Mühe gescheut, sondern alles aufgeboten, um dir eine Erziehung angedeihen zu lassen, welche dich für das Leben vorbereitet hat. Du bist in einer Atmosphäre aufgewachsen, die dich dazu befähigt, den Pflichten deiner neuen Stellung gerecht zu werden. Du bist vom Himmel ausersehen für eine solche Stellung. Auch ich habe mich mit fünfzehn Jahren verlobt, ohne meinen Bräutigam zu kennen – das ist oft das Los der Monarchinnen. Ich wäre stolz, dem Land, in dem ich das Licht der Welt erblickte, eine Herrscherin zu geben. Du wirst in Österreich-Ungarn keine Fremde sein. Dort wirst du deine Schwester Louise, meine Schwester Elisabeth und deren Familie, meinen Bruder Joseph und alle die anderen Verwandten finden. Sie werden dich mit offenen Armen aufnehmen und lieben.«

Erschüttert dankte ich meiner Mutter und zog mich in mein Mädchenzimmer zurück. In dieser Nacht schloß ich kein Auge – dies alles war zu viel für meine fünfzehn Jahre. Betend und erwägend verbrachte ich die Nacht.

Eine neue Welt stand verlockend vor meinem Auge – eine Welt des Glanzes, aber auch einer erhabenen Mission. Wie im Traume erblickte ich eine Krone, Edelsteine schmückten den goldenen Reif. All der Zauber ihrer Heimat, den meine Mutter mir so oft verführerisch geschildert, kam mir wieder in den Sinn. Ich fühlte, daß es meine Bestimmung war, mich eines Tages den Pflichten einer Fürstin zu weihen. Der Gedanke an die hohe Sendung, sein Volk zu lieben, für sein Wohlgedeihen zu sorgen, Schmerzen zu lindern, Tränen zu trocknen, erfüllte mich mit heißer Sehnsucht. Wie wir in Belgien mit dem Volk und für das Volk lebten, so sah ich im Geiste die Völker meines neuen Vaterlandes um mich.

Aber inmitten dieser erhabenen Vorstellungen befiel mich ängstliche Unsicherheit. Würde ich die Kraft zu solcher hohen Mission haben? Besaß ich die Befähigung zu dem, was von mir gefordert wurde? Wie eine schreckliche Drohung erschien es mir, das Vaterland, das heimatliche Dach zu verlassen, um eine Fremde unter Fremden zu werden. Und die liebe kleine Schwester sollte ich verlassen! Sie war an meiner Seite, um mich zu trösten, als Louise mich verließ – wer würde sie nun trösten?! Arme süße Kleine, die meine Liebe, meine Pflege, meine Ratschläge so gewohnt war! Und war ich nicht noch viel zu jung für die hohe Stellung, die ich ausfüllen sollte?! Durfte ich mich mit einem Manne auf ewig verbinden, den ich noch gar nicht kannte? Freilich, es war richtig: meine Mutter, meine Schwester und viele andere hatte das gleiche Los in ihrer frühesten Jugend getroffen, und Gott hatte ihnen Kraft verliehen, es zu tragen – das scheinbar so glänzende, und doch oft so bitter harte Los der Prinzessinnen.

Früh am Morgen vertraute ich mich meinem besten Freunde an, meinem Beichtvater, dem Hofprälat, diesem gewissenhaften und gütigen Ratgeber, an den ich mich schon oft in Stunden der Vereinsamung und Entmutigung gewandt hatte. Dann besprach ich mich mit dem lieben alten Arzt Dr. Wimmer, einem Wiener, der, wie ich wußte, nur mein Wohl im Sinn hatte. Schließlich ging ich noch einmal zu meiner guten Toni Schariry. Sie alle waren derselben Ansicht, ich dürfe die Hand des Thronfolgers nicht ausschlagen. Gewöhnt, mich in allem den Wünschen der Eltern zu fügen, wagte ich nicht, auf einer weiteren Aussprache zu bestehen. Ich kannte nur zu gut den unbeugsamen, eisernen Willen meines Vaters, um noch ein Wort der Einwendung zu wagen. Mein Entschluß, seine tapfere und würdige Tochter zu sein, war gefaßt.

Zur festgesetzten Stunde begab ich mich zu meinen Eltern, die mich erwarteten. Beide baten mich mit herzlichen, aber entschiedenen Worten, eine zustimmende Antwort zu geben. Es handelte sich um den wichtigsten Schritt meines Lebens. In kindlicher Ehrfurcht fügte ich mich in das Unvermeidliche, mit innerem Zagen, aber vollkommenem Vertrauen auf die Weisheit meines Vaters. Ich ahnte nicht, wie schwer ich an den Ketten, an die er mich schmiedete, zu tragen haben würde. Ich konnte ja nicht ahnen, daß ich damals schon verraten war. Erst viel, viel später ließ man mich wissen, daß mein Bräutigam nicht allein nach Brüssel gekommen war, sondern daß seine Freundin, eine gewisse Frau F., ihn begleitet hatte.

Nachdem ich meinen Eltern meinen Entschluß, daß ich die Hand des Kronprinzen annehmen würde, eröffnet hatte, schlossen mich beide, strahlend vor Freude, in ihre Arme und entließen mich erst, als es Zeit war, sich für das Brautdiner anzukleiden.

Ich bat meine liebe Toni, mich so schön wie möglich zu machen und mich aufzuheitern, da ich jeden Augenblick fürchtete, in Tränen ausbrechen zu müssen. Der Friseur hatte meine Haare, meine schönste Zierde, aufgesteckt. Ich trug ein lichtblaues Kleid, als einzigen Schmuck eine Perlenkette.

Eine halbe Stunde vor dem Diner versammelten wir uns alle in einem der Empfangssalons meiner Mutter, wo sich auch mein Onkel und meine Tante Flandern einfanden.

Der Kronprinz trat ein. Er trug die Uniform eines österreichischen Obersten mit dem Großkreuz des Stephansordens und das goldene Vließ. Mein Herz schlug zum Zerspringen – ich glaubte, daß man es durch die Kleider pochen sehen könne. Nachdem sich der Kronprinz verneigt hatte und von allen Mitgliedern der Familie begrüßt worden war, näherte er sich mir. Mein Vater stellte ihn mir mit einigen liebenswürdigen Worten vor, einfach und natürlich – wie es seine Art war, wenn es galt schwierige Situationen zu überbrücken. Das Auftreten des Kronprinzen war vollendet und sicher. Er küßte mir die Hand, sprach mich deutsch an und erzählte mir von meiner Schwester Louise, die er verehre. Dann sagte er mir einige schmeichelhafte, aber sehr förmliche Worte, und schon nach einigen Minuten stellte er die große Frage, die über unsere Zukunft entscheiden sollte.

Hierauf reichte er mir den Arm, und so näherten wir uns meinen Eltern und baten sie, unsere Verlobung zu segnen. Hocherfreut küßten sie ihren zukünftigen Schwiegersohn und erlaubten uns, fortan Du zu sagen. Mein Bräutigam überreichte mir einen Ring mit großem Saphir und prachtvollen Brillanten. Während und nach dem Diner entwickelte sich ein lebhaftes und angeregtes Gespräch. Der Kronprinz erzählte mir von seinen Jagden, seinen Zukunftsplänen, von seinen Eltern, seiner Heimat und seinen Beschäftigungen. Alles was er mir sagte, interessierte mich lebhaft. Ich wünschte seine Gedanken kennen zu lernen, mich mit seinen Anschauungen vertraut zu machen, um ihm eine gute Lebensgefährtin zu werden.

Der Kronprinz war ungefähr von gleicher Größe wie ich. Man konnte nicht sagen, daß er schön war, jedoch war er mir nicht unsympathisch. Der Ausdruck seiner kleinen hellbraunen Augen war intelligent, aber sein Blick unstet und hart; er vertrug nicht, daß man ihm in die Augen sah. Um den von einem schwachen Schnurrbart überschatteten breiten Mund hatte er einen seltsamen, schwer zu deutenden Zug.

Schon am folgenden Tag – es war Sonntag, der 7. März – nach der heiligen Messe, die in der Schloßkapelle gelesen wurde, fand unsere offizielle Verlobung statt. Alle Fürstlichkeiten von Belgien, der Nuntius, der Kardinal, die gesamte Geistlichkeit, das diplomatische Korps, die Generäle und Minister, der Hofstaat meiner Eltern, kurz die ganze offizielle Welt war zu dieser Feier erschienen. Am Arm meines Bräutigams betrat ich zugleich mit meinen Eltern die großen Empfangssäle. Wie meine Mutter es mich gelehrt, machte ich beim Eintritt drei tiefe Verbeugungen, die eine der Geistlichkeit, die andere dem diplomatischen Korps, die dritte den Ministern. Sie trugen mir die Anerkennung des Kronprinzen ein, der spontan sagte: »Stephanie, das hast du prachtvoll gemacht.«

Der König verkündete unsere Verlobung, die Nachricht fand einen freudigen Widerhall, der Jubel und die Gratulationen wollten kein Ende nehmen. Mein Bräutigam war von der Begeisterung, die unsere Verlobung hervorrief, überrascht. Der König veranlaßte mich, einige Dankesworte an die glänzende Gesellschaft zu richten. Nun stellte man mir den österreichischen Gesandten, Graf Bohuslav Chotek und seine Gemahlin, sowie die Suite des Kronprinzen vor. Es war nicht leicht für mich, diesen ersten Cercle meines Lebens zu halten, mein Vater stand aber an meiner Seite und erleichterte mir meine Aufgabe. Der Kronprinz, an offizielle Festlichkeiten im Ausland nicht gewöhnt, hatte ein wenig Schwierigkeit, sich französisch auszudrücken, da er die Sprache nur unvollkommen beherrschte und infolgedessen verlegen war. Der Cercle dauerte sehr lang, die Zahl der Anwesenden war ungeheuer groß.

In den nächsten Tagen folgte Fest auf Fest. Ich trug jeden Tag ein anderes hübsches Kleid, mein Bräutigam, orientiert über die Farbe, die ich an jedem Tag zu tragen vorhatte, ließ den Blumenstrauß, den er mir täglich überreichte, immer mit der Farbe meiner Toilette übereinstimmen. Aus allen Ländern strömten Telegramme, Briefe und Glückwünsche; aus den unbedeutendsten Orten und kleinsten Dörfern erhielten meine Eltern Beweise der Anhänglichkeit. Die Menge der Huldigungen erforderte die Errichtung eines eigenen Sekretariats für meine Korrespondenz. Die Spalten der Zeitungen waren mit Berichten über mich und den Kronprinzen gefüllt und mußten in doppelter Auflage erscheinen. Natürlich wurde ich auch photographiert. Der Photograph konnte den Anforderungen kaum entsprechen – es gab ja damals noch keine illustrierten Zeitungen –; aus Wien allein wurden nicht weniger als zwanzigtausend Abzüge meines Bildes bestellt.

Da ich noch nicht sechzehn Jahre alt war, wurde meine Trauung erst für das Ende des Jahres festgesetzt. Bald darauf verließ der Kronprinz Brüssel; er versprach im Juli wiederzukommen.

*

Die Monate, die meiner Verlobung folgten, waren für mich äußerst anstrengend. Meine Eltern bestanden auf Fortsetzung meiner Studien, besonders jener, die mir in meiner neuen Stellung von Nutzen sein konnten. Ich mußte religiöse und philosophische Kurse hören, öffentliche Vorlesungen über Literatur und Staatswissenschaft besuchen und rhetorische Übungen machen. Nichts wurde versäumt, um meine Kenntnisse zu vertiefen und um mich gründlich vorzubereiten. Ein ungarischer Priester, Professor Dezsö, wurde berufen, um mich in dieser Sprache zu unterrichten, in die Literatur einzuführen, mein Interesse an der Geschichte Ungarns zu wecken und mich mit der Tradition der heiligen Stephanskrone bekanntzumachen. Die Königin, glücklich, mit jemand in ihrer Muttersprache reden zu können, wohnte den Stunden bei.

Um mich an den Umgang mit allen Gesellschaftsklassen zu gewöhnen, vor allem aber an Gespräche mit Staatsmännern, ließ man mich nun an allen offiziellen Diners teilnehmen. Meine Eltern hatten für jeden das rechte Wort, ihr Personengedächtnis war sprichwörtlich. Nun lernte auch ich, mich für alles zu interessieren, jedermann wiederzuerkennen und mich an die Einzelheiten aus seinem Leben zu erinnern. Ich erhielt Tanzunterricht, und man unterwies mich in der Bewegungskunst. Zu diesem Zwecke wurden junge Herren und Mädchen des Adels zu Soireen eingeladen, die von Herrn und Frau Delcampo, den besten Tanzlehrern jener Zeit, geleitet wurden. Meine Mutter, die feenhaft graziös tanzte, lehrte mich die schönen Tänze, die in Österreich üblich waren. Schon mit acht Jahren hatte ich reiten gelernt. Für diesen köstlichen Sport besaß ich schon immer eine besondere Vorliebe. Jetzt bildete man mich völlig aus, und es wurde mir erlaubt, die schönen englischen Pferde meines Vaters zu reiten. So hatte ich die Freude, meine Eltern jeden zweiten Tag auf ihren Ritten durch die Alleen der Forêt de Soignies begleiten zu dürfen.

Ich war von früh bis abends derart in Anspruch genommen, daß mir nur wenig Zeit blieb, über meine Zukunft nachzudenken.

Die prachtvollen Feste zur Feier der fünfzigjährigen Unabhängigkeitserklärung Belgiens im Juli 1880 führten den Kronprinz von Österreich-Ungarn wieder nach Brüssel. Ich freute mich, daß ihm in diesen Tagen Gelegenheit geboten wurde, die grenzenlose Liebe und Anhänglichkeit des belgischen Volkes an seine Dynastie zu beobachten. Ich sprach ihm meine Hoffnung aus, daß es auch uns gelingen möge, in unseren Ländern die gleiche Volkstümlichkeit zu erringen.

Zu meiner künftigen Oberhofmeisterin wurde die Gräfin Sita Nostitz, geborene Gräfin Thun, erwählt. Sie wurde nach Brüssel eingeladen, um sie näher kennenzulernen. Meine Mutter hatte viel Wichtiges mit ihr zu besprechen – sollte ich doch von meinem Hochzeitstage an ihrer Obhut anvertraut werden. Sie war groß und schlank. Der Klang ihrer Stimme war ausnehmend sympathisch, sie gewann ihr sofort mein Herz. Aus ihren warmen offenen Blicken leuchtete ihre Liebe und ihr edler Sinn; ihre Konversation war vorbildlich. Ich fühlte bald volles Vertrauen zu ihr und betrachtete sie als mütterliche Freundin.

Viele Gäste kamen aus Österreich nach Belgien, um mich zu sehen und mir Huldigungen darzubringen. Unter ihnen waren die berühmten Maler Canon und Makart, die gebeten hatten, mich malen zu dürfen, um das Porträt als Geschenk Kaiser Franz Joseph zu überreichen; doch habe ich die Bildnisse beider Künstler nicht gelungen gefunden.

In besonders lieber Erinnerung steht mir die Huldigungsfahrt des Wiener Männergesang-Vereines. Der Empfang am Bahnhof in Brüssel beim Schein von bengalischem Licht und Raketen war sehr eindrucksvoll. Von allen Seiten hörte man den Ruf: » Vivent les Viennois!« Im festlichen Zuge wurden die Sänger eingeholt. An der Spitze trug man den österreichischen Doppeladler in Gold, das Wappen der Stadt Wien und den Wahlspruch des Männergesangvereines »Frei und treu in Lied und Tat«. Am nächsten Tage, dem 20. Mai, fand zur Vorfeier meines Geburtstages in dem großen Wintergarten von Laeken das Festkonzert statt. Einer für diesen Anlaß komponierten Huldigung folgten wundervolle Chöre und Nationallieder. Den Leistungen der Sänger entsprach die herzliche Aufnahme, die dem Verein alle, besonders aber meine Mutter bereiteten. Begeistert kehrten die Wiener heim, und oft hörte ich noch später, wenn ich einen Teilnehmer traf, von der unvergeßlichen Sängerfahrt reden.

Meine Hochzeit, die für das Ende des Jahres festgesetzt war, mußte verschoben werden, da ich noch nicht entwickelt war. Trotzdem schritten die Vorbereitungen fort. Meine Mutter widmete sich unausgesetzt meinem Trousseau – es sollte so schön, so vollkommen und kostbar wie nur möglich werden. Auch das Land wollte nicht zurückstehen und schenkte mir viele wertvolle und nützliche Gaben. Monatelang hatten die Mädchen und Frauen von Flandern mit ihren geschickten Händen an den Meisterwerken feiner Spitzen gearbeitet, die für ihre Prinzessin bestimmt waren. In Flandern war ich sehr beliebt, man konnte mein Bild in den einfachsten Fischerhütten finden. Die Brabanterinnen wetteiferten mit ihren flandrischen Schwestern; sie webten, nähten und stickten die wundervolle, mit meinem Namenszug und meinem Wappen geschmückte Wäsche für »Die Rose von Brabant«. Meine Landsleute hatten mir die Ehre erwiesen, mich so zu nennen, als ich, ein blondes und rosiges Kind, mich mit meinen Eltern in den verschiedenen Provinzen aufhielt.

Meine Ausstattung wurde ausgestellt, und wochenlang drängte sich die Menschenmenge, um alle die Wunderdinge zu besichtigen. Jeder freute sich über die Schätze, die sie umfaßte. Das höchste Gut aber, das mir die Heimat mitgab, war für mich die treue Liebe und Anteilnahme der Belgier. Diesen Schatz konnte mir nichts rauben. Er hat mich durch mein Leben begleitet und ist mir bis heute erhalten geblieben.

Der Winter von 1880 ging zur Neige. In Wien wurde man ungeduldig – die lange Verlobung mißfiel. Obwohl ich noch nicht herangereift war, wurde meine Trauung auf den 10. Mai festgesetzt – ein unbegreiflicher Entschluß!

Die Stunde meiner Trennung von der Heimat nahte. Ich nahm von meiner Kindheit Abschied. Sie war ernst und traurig, oft schwierig, selten heiter und glücklich gewesen, und doch krampfte sich mein Herz bei dem Gedanken zusammen, sie enden zu sehen. Nun sollte meine Jugend beginnen – würde sie mir Glück bringen? Sie schien es zu verheißen. Aber einander widersprechende Gefühle beherrschten mich. Ich fühlte in diesen entscheidenden Tagen nicht jene überströmende Glückseligkeit, die mich in den neuen Lebensabschnitt hätte hinüberführen sollen. Kein Strahl der Liebe hatte die Zeit meiner Verlobung vergoldet. Doch da meine Schwester Louise den gleichen Weg hatte gehen müssen, vermutete ich, das müsse so sein. Ich hatte wohl viel nachgedacht, aber ich war mit meinen sechzehn Jahren eben doch noch ein Kind, nicht imstande, alles zu durchschauen. Und ich hatte ja niemand, dem ich meine Ängste und Zweifel hätte anvertrauen können. Zu Füßen des Allerheiligsten warf ich mich nieder in der Blütenkapelle, um in dem tiefen Frieden der himmlischen Welt die Kraft für meine neue Aufgabe zu finden.

An der Schwelle zur harten Wirklichkeit nahm das Kind Abschied von der Welt seiner sechzehn Jahre.

Leb wohl, meine Heimat, teurer Boden Belgiens, leb wohl, du väterliches Haus, das meine ersten Schritte, meine Kinderleiden und -freuden sah! Lebt wohl, ihr lieben, schmucklosen Zimmer, in denen der friedliche Zauber kindlicher Unberührtheit und Reinheit herrschte! Leb wohl, du stille immortellengeschmückte Gruft! Mein lieber Bruder, der du dort ruhst, dein seliger Geist wache über mich!

Leb wohl, kleiner Garten, du meine Herzensfreude, du dankbares Stück Erde, das ich gepflegt; lebt wohl, meine lieben Tiere, meine Ziegen, Hasen und Vögel! Leb wohl, herrlicher Park mit deinen Teichen und Wasserfällen, Zeuge meiner kindlichen Spiele, wo jeder Baum mir einen guten Freund, jedes Fleckchen Erde eine liebe Erinnerung bedeutet! Lebt wohl, ihr Rosen und Nelken und tausend andere Blumen, von Bienen umschwirrt, mit denen wir das Halleluja unserer jungen Hoffnung anstimmten!

Lebt wohl, ihr guten treuen Menschen in unserem Dienst! Alle waren sie meine Freunde, betrübt, mich zu verlieren; meine Tränen flossen mit den ihren. »Unsere Prinzessin, unsere liebe Prinzessin, sei glücklich!« sagten sie mir.

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So kam der 2. Mai, der Tag des Abschieds, heran. Beim ersten Morgenschein erhob ich mich. Es war ein herrlicher Frühlingstag, Schmetterlinge flatterten über die blühenden Wiesen, tausendstimmiger Vögelchor feierte den frühen Tag. Die Sonne drang mit der ganzen Fülle ihres Lichtes durch das offene Fenster in meine Seele.

Die Straßen der festlich geschmückten, beflaggten Stadt waren mit Menschen dicht gedrängt, die den königlichen Brautzug sehen wollten. Fenster und Balkone waren mit Teppichen und Blumengirlanden geziert und bis auf den letzten Platz besetzt. Überall erhoben sich fahnen- und blumenumwundene Triumphbogen. Inmitten tosender Jubelrufe, unter Glockengeläut, Kanonendonner und Trommelwirbel fuhr der Zug langsam durch das Truppenspalier. Die Fahnen neigten sich, die Nationalhymne erscholl, die Säbel flogen aus den Scheiden, ein Blumenregen ergoß sich über uns. In hemmungsloser Begeisterung versuchte die Menge den Truppenkordon zu durchbrechen und unter dem fortwährenden Ruf »Es lebe der König« drängte sie sich an unseren Wagen heran. Mühsam, Schritt für Schritt nur, konnte sich der à la Daumont bespannte Wagen seinen Weg bahnen. Überall standen Deputationen, Honoratioren, Landvolk und Arbeiterabordnungen. Ansprachen wurden gehalten, Glückwünsche dargebracht, Geschenke und Blumen überreicht. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß kaum je einer Prinzessin ein solch bezaubernder Abschied bereitet wurde, wie mir bei meinem Scheiden aus meiner Heimat, die mich liebte wie ich sie.

Endlich nach dreistündiger Fahrt erreichten wir den Bahnhof, vor dem die herrlichen Grenadiere und Guiden in voller Parade standen. Hier waren Adel und Geistlichkeit, das diplomatische Korps, Minister und Generäle, alles, was Namen und Rang hatte, versammelt, um mir die Abschiedshuldigungen darzubringen. In dem Augenblick, da ich den Sonderzug besteigen sollte, war es mit meiner Fassung vorbei. Mein Herz krampfte sich zusammen, ich konnte meine Rührung nicht unterdrücken und brach in Tränen aus. Meine Mutter faßte mich unmerklich, aber fest am Arm und wies mich wegen meines Mangels an Haltung zurecht. Indessen glitt der herrlich und auf das bequemste ausgestattete Sonderzug des Königs unter den Klängen der Nationalhymne und den brausenden Zurufen der Menge aus der Halle, um mich meiner unbekannten neuen Heimat zuzuführen. Mich ergriff ein unsagbares Gefühl der Wehmut.

Ein großes Gefolge begleitete uns: der Minister des Äußeren, mehrere andere Minister, der Oberhofmarschall Graf Jean Doultremont, Obersthofmeisterin Gräfin Grünne, Obersthofmeister Graf van der Straten und mehrere Hofdamen. An den Stationen, die wir langsam passierten, standen unzählige Männer und Frauen aller Volksschichten, die ihre Kinder hochhoben, damit diesen der Anblick der königlichen Familie nicht entgehe. Erschöpft schlief ich noch auf belgischem Boden ein, um erst in Augsburg in Bayern aufzuwachen. Meine Eltern hatten diesen Ort gewählt, um mir nach den Anstrengungen des Abschiedes einen Tag Ruhe zu gönnen, um neue Kraft für die Empfangsfeierlichkeiten in Österreich zu sammeln.

Am nächsten Tag rollte der belgische Zug durch Bayern und erreichte mittags die österreichische Grenze und Salzburg.

Hier empfing mich der Kronprinz, mein Bräutigam, in Galauniform am Bahnhof, an der Spitze einer glänzenden Versammlung. Eine Abordnung von vierzig Bauern und Bäuerinnen in malerischer Tracht bot mir den Willkomm und überreichte mir die der Landessitte entsprechenden Gaben für die Braut: ein Spinnrad, Butter in Form eines Brautkranzes, große, gebackene Figuren unserer Namensheiligen, Krapfen, Bier und Brot. Nach diesem Empfang fuhren wir bei prachtvollem Wetter in die Stadt. Man hatte die Aufmerksamkeit gehabt, den einen Triumphbogen dem Gitterbogen des Parkes von Laeken nachzubilden. Gegen Abend fand in der Residenz ein Galadiner statt. Beim Einbruch der Dunkelheit erstrahlte die Stadt, die Feste Hohensalzburg und die umliegenden Berge im festlichen Lichterschmuck; ein prachtvolles Feuerwerk bildete den Abschluß. Nachts trat der Kronprinz die Rückreise nach Wien an, während wir noch in Salzburg blieben.

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