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V. Unruhvolles Leben

Im April 1885 feierte mein Vater, König Leopold II., seinen fünfzigjährigen Geburtstag. Ganz Belgien rüstete zu diesen Feierlichkeiten, die meiner und meiner Schwester Anwesenheit verlangten. Nach Jahren, in denen ich viel erfahren, manches erlitten, aber auch viele und große Beweise der Verehrung und Zuneigung erhalten hatte, wurde mir endlich die Freude zuteil, meine teuren Eltern, meine Schwestern, meine Aja, die Heimat, die alten Bekannten und treuen Diener, mein herrliches und unvergeßliches Laeken wiederzusehen. Worte vermögen nicht meine Freude zu schildern, als wir den Zug nach Belgien bestiegen, von der Grenze an, wo der königliche Sonderzug uns erwartete, bis Brüssel wurden wir in allen Stationen stürmisch begrüßt. Am Bahnhof stand an der Spitze einer glänzenden Versammlung das Königspaar. Jede Etikette vergessend, sprang ich aus dem Zug und flog in die Arme meiner Eltern. Die brausenden Zurufe der Anwesenden, selbst der Minister, bewiesen, daß der impulsive Akt meines Freudenausbruches Verständnis gefunden hatte.

Brüssel in der Feststimmung für seinen König huldigte mir wie an dem Tag, da ich als Braut meine Heimat verlassen hatte. Man hatte mich nicht vergessen, die Liebe des Volkes strömte aus aller Herzen. Nichts hatte sich verändert, nur meine kleine Schwester war zu einem wunderschönen Mädchen erblüht und ich selbst zu einer jungen Frau. Ich war gewachsen, meine Haltung war aufrecht und selbstbewußt geworden. Mein Gesicht hatte die kindliche Rundung verloren, die harte Hand des Lebens hatte es modelliert. Ich litt, aber meine Selbstbeherrschung ließ es nicht erkennen. Niemand ahnte, wie viel Leid die scheinbar so glückstrahlende junge Frau schon erlebt, welcher Kummer auf ihrem Herzen lag.

Kaum war ich von den Brüsseler Festlichkeiten zurück, brach in Laxenburg an einem der ersten Tage, die wir dort zubrachten, ein verheerendes Feuer aus, das den ganzen Ort bedrohte. Der Kronprinz und ich eilten an die Brandstätte. Er beteiligte sich persönlich an den Löscharbeiten; ich hatte den Mut und das Glück, ein Kind aus den Flammen zu retten.

Alle die politischen Reisen, die im Rahmen der Politik des Grafen Kalnoky unternommen worden waren, hatten den Kronprinzen, obwohl er mit dem Außenminister nicht d'accord war, doch so weit lebhaft interessiert, als es galt, die Einflüsse Rußlands im Südosten zu neutralisieren. Nun sollte auf einmal die Kaiserzusammenkunft in Kremsier dieser Politik die Spitze nehmen. Das hielt der Kronprinz mit der Würde der Monarchie nicht für vereinbar. Er schrieb mir von dort:

Kremsier, 25. August 1885.

Theuerster Engel!

Endlich komme ich dazu Dir zu schreiben; seitdem ich Dich verlassen habe, lebe ich in einer ununterbrochenen Hetze und finde keinen Moment freie Zeit.

Von Laxenburg fuhr ich gestern direkt in meine Kanzlei, dann in die Burg, wo ich noch Weilen traf. Um elf reisten wir vom Nordbahnhof ab. Hier kamen wir bei Regen und Kälte an, der Empfang durch die Bevölkerung war wunderschön; ein fürchterliches Gebrüll und Menschenmengen vom Bahnhof bis zum Schloß; die Banderien der Hannaken in sehr merkwürdigen Costümen waren sehr interessant. Nach dem Diner fanden noch abends ein Fackelzug und eine recht hübsche Beleuchtung statt.

Das Schloß ist magnifique, colossal groß und sehr geeignet für derartige Geschmacklosigkeiten.

Abends konnte ich meine Wohnung ordentlich ansehen; ich hause mit Onkel Carl in einem ganz neu gebauten, daher sehr feuchten, bis jetzt unbewohnten Haus; es ist so kalt und ungemütlich, daß wir uns vor Verkühlungen sehr fürchten. Lord liegt immer bei mir, auch in der Nacht; er brummt und fährt die Leute an, die im Gange gehen.

Heute früh war Parade, die Truppen sahen sehr gut aus. Dann fuhr ich mit Papa nach Hullein den Russen entgegen. Um 12 Uhr kamen wir mit ihnen hier an. Der Kaiser von Rußland ist colossal dick geworden, Großfürst Wladimir und Frau sowie auch die Kaiserin sehen alt und abgelebt aus. Die Suiten und besonders die Dienerschaft sind fürchterlich; mit den neuen Uniformen sind sie wieder ganz asiatisch geworden. Zur Zeit des verstorbenen Kaisers waren die Russen wenigstens elegant, und einzelne der Herren der Umgebung sahen sehr vornehm aus. Jetzt ist es eine schrecklich gemeine Gesellschaft.

Nach der Ankunft mußte man viele Visiten machen. Dann kam Szögyény Ladislaus von Szögyény-Marich, Sektionschef im Wiener Ministerium des Äußeren. zu mir, der mich sprechen wollte; um sechs Uhr war großes Diner, um acht Uhr Theater, dann Souper mit Wolter, Schratt und Fräulein Wessely in einem Zimmer mit den Majestäten; es war merkwürdig. Vor einigen Minuten bin ich endlich nach Hause gekommen, es ist elf Uhr und ich werde mich jetzt mit Lord ins Bett legen. Morgen ist die Jagd, dann Dejeuner im Wald; abends Diner, um 10 Uhr reisen die Russen ab; gleich darauf unser Kaiser nach Böhmen und Onkel Carl und ich nach Wien.

Von der Kleinen habe ich unberufen gute Nachrichten erhalten, danke für Telegramme. Gebe nur sehr gut acht auf alles, was Du tust, denn ich ängstige mich sehr. Ich sehne mich fürchterlich nach Dir und zähle die Tage, die uns noch trennen.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend bin ich
Dein treuer Coco.

Der Sommer verging zwischen Jagdausflügen mit dem Kronprinzen und unzähligen Berufspflichten bis zu dem Zeitpunkt, da der Kaiser mich erwählte, um mir eine besondere Mission zu übertragen. In Triest und Umgebung erstarkte von Tag zu Tag die irredentistische Partei, die nach Loslösung des Küstenstriches von der Monarchie strebte. Um des Irredentismus Herr zu werden und ihn zu unterdrücken, mußte gehandelt werden. Dabei sollte ich mitwirken. Der Kaiser hatte zu mir das Vertrauen, daß meine Popularität, besonders meine Gabe, die Herzen zu erobern – eine Gabe, die ich meiner Mutter verdankte und die nicht mein Verdienst war – dazu beitragen würde, eine Besserung der politischen und dynastischen Gesinnung in Triest herbeizuführen.

So wurde ich mit zahlreichem Gefolge über Triest nach Miramare gesandt, um dort zu wohnen; man gebrauchte den Vorwand, daß mir Seebäder zuträglich seien. Ich war begeistert, nicht nur über das Vertrauen des Kaisers, sondern auch über die Aussicht, am Meer, in Miramare, das ich so liebte, einige Wochen verbringen zu dürfen. Vielleicht würde mein Mitempfinden, mein Verständnis für die Bedürfnisse des Volkes Widerhall in den Herzen der Südländer wecken.

Der Anfang war nicht leicht. Das Volk war aufgehetzt und unwirsch. Auf den Plätzen wurden antiösterreichische Lieder gesungen und Rufe wie » a basso Austria« wurden oft vernommen. Die Behörden wußten das und waren besorgt um meine Sicherheit. Ich ließ mich aber nicht einschüchtern, sondern bewegte mich täglich frei in der Stadt im dichtesten Gedränge und Getriebe und machte weite Ausflüge in die Umgebung, bis in die kleinsten Dörfer. Durch Empfänge, Besuche von allen möglichen Anstalten, durch eine unausgesetzte Tätigkeit, durch bescheidenes Auftreten, gleichmäßige Berücksichtigung aller Klassen der Bevölkerung trachtete ich, die vertrauensvolle Sympathie des Volkes zu erringen.

Bald hatte ich die Befriedigung des Erfolges. Man erkannte und begrüßte mich überall auf das freundlichste. Wenn ich am Blumen- oder Fischmarkt Einkäufe besorgte oder ungezwungen mit Fischern sprach und mit ihnen zum Fang hinausfuhr, drängte sich die Bevölkerung an mich heran, folgte mir, plauderte mit mir und brachte mir Blumen. Die häßlichen Rufe verstummten, überall erklangen patriotische Lieder und aus aller Mund hörte ich den Namen, den mir das Volk gegeben: » Stephania benedetta, Stephania carissima«. Nach und nach wuchs die Begeisterung derart, daß ich gezwungen war, nur mehr im Wagen auszufahren, um nicht von dieser naiven Zärtlichkeit erdrückt zu werden. Die politischen Mißverständnisse waren vergessen, das Publikum überschüttete meinen Wagen mit Blumen. Ich hatte den Eindruck, durch Ausdauer und Entgegenkommen die Verstimmung erstickt und das Lächeln wieder auf die unzufriedenen Züge gezaubert zu haben. Ich hoffe, daß die Triester Jugend von damals jene Stephania, die um das Herz der Stadt warb, nicht vergessen hat.

Mein Gemüt war erfrischt von den Eindrücken, die mir das Leben in Miramare, auf den Kriegsschiffen und auf hoher See hinterlassen hatte. Ich war glücklich über meine Erfolge, hatte ich doch meine Aufgabe, so gut ich es konnte, gelöst. Und dann: ich hatte ein so herrlich ungezwungenes Leben führen können! Welch ein Vergnügen bereiteten mir die kleinen Einkäufe, die Gänge durch die Stadt, die Fahrten mit den Fischern! Ich liebte meine festen einfachen Schuhe, meine schlichten Etaminkleider. Nun hieß es, sich wieder der Etikette fügen, sich den alten Vorschriften beugen. In Wien durfte ich nie zu Fuß die Straße betreten; es wäre auch unmöglich gewesen, den Wagen zu verlassen, um in ein Geschäft einzutreten und irgendwas zu kaufen. In Triest hatte ich die süße Freiheit genossen – das war vorbei, und das kam mich bitter an.

Mit bedrücktem Herzen verließ ich meinen Wirkungskreis, das Meer und die vielen neugewonnenen Freunde. In Wien standen zu meiner Überraschung offiziell der Kaiser und Kronprinz Rudolf am Bahnhof, die mir damit ein Zeichen des Dankes bringen wollten.

Unser bewegtes Leben nahm seinen Fortgang. Ich war bei der Gründung vieler Wohltätigkeitsanstalten beteiligt, die wir dann eröffneten und besuchten und von denen heute noch viele meinen Namen tragen. Die mannigfaltigen Wünsche und Ansprüche, die an den Kronprinzen gestellt wurden, wollte er mit mir teilen, ich sollte stets an seiner Seite sein. So hatte ich nur wenig Zeit, mich mit meiner Tochter zu beschäftigen; die Mutterpflichten mußten jenen der Gattin und Kronprinzessin Untertan sein. Nur morgens und manchmal am Abend konnte ich in der Kinderstube sein, um die Kleine zu herzen, mit ihr zu spielen und sie zu segnen. Der Kronprinz sah sein Kind noch seltener.

Unter den vielen Besuchen ausländischer Fürstlichkeiten war auch der des Prinzen Wilhelm von Preußen und seiner Gemahlin Augusta Viktoria. Wir hatten die Aufgabe, uns ihnen zu widmen, ihnen Wien und seine Umgebung zu zeigen, sie nach Budapest zu führen. Zu dieser Zeit schrieb mir der Kronprinz:

Jagdhaus Radmer. 5. October 1885.

Liebe Stephanie!

Innigsten Dank für Telegramm. Ich bin ganz desperat über diese neue Trennung und sehne mich schon sehr nach dem Freitag abend.

Bestelle für den 10. um 11 Uhr vormittags einen Aspang-Extrazug am Bahnhof Wien, in Biedermannsdorf für Dich und Victoria einen Wagen, englische Livrée; für Wilhelm und mich den Einspänner mit Bieriz.

Um 12 ein Dejeuner bei uns für uns, die preußische Menage und Franzi, also fünf Personen, sehr gut, kleine Speise, zwei Fleischspeisen, Mosel mousseux, Bordeaux, Cherry.

Zum Fahren zur Jagd ¾1 Uhr Kutschierwagen für Wilhelm und mich, Schimmeln von Pöltz, dann noch Kutschierwagen für Franzi mit Liebman, Schimmeln von Schaur, dann noch ein Suitenwagen.

Für mich zur Jagd hinaus: Vieräugl zum Reiten. Um sechs einhalb Diner gemeinschaftlich mit Suiten; bestelle sehr gutes Diner mit Austern, Langousten und sehr guten Weinen. Von Weinen Champagner, Ingelheim mousseux, Cherry, Bordeaux, Rheinwein, Cognac mousseux, Punch auch; lasse Z. kommen und sage ihm das selbst.

Außer unseren Suiten sollen noch eingeladen werden Windischgrätz und Montenuovo. Franzi mit Leo Wurmbrand habe ich selbst schon avisiert.

Am 11. wird nach Budapest gefahren; Wilhelm will bis zum 13ten 7 Uhr früh dort bleiben. Heute war früh sehr schlechtes Wetter, abends sehr schön. Ich habe einen Hirsch und vier Thiere geschossen.

Sage auch, daß am 9. abends zur Stunde, wenn unser Zug ankommt, am Westbahnhof mein gewöhnlicher geschlossener Wagen, ohne Jäger, warten soll.

Bestelle das Souper vom Sacher. Dich und Erszi aus ganzem Herzen umarmend
Dein treuer Coco.

Von Teleky habe ich heute Telegramm aus Huszt Mamaros; er reist erst nach Görgény und kann dann erst sagen, ob wir auf Bären kommen sollen oder nicht.

R.

Der Umgang mit der Prinzessin Augusta Victoria war nicht leicht, da man nicht recht wußte, wofür sie sich eigentlich interessierte. Erst als Kaiserin wurde sie jene ernste und umsichtige Landesmutter, der ich ungeteilte Bewunderung zollte. Der Prinz dagegen war voll Wißbegierde, voll derber Scherze und von überzeugtem Selbstvertrauen. Bis zum Ableben des Kronprinzen Rudolf bewies er mir eine ausgesprochene Sympathie und Verehrung. Er sparte nicht mit Beweisen seiner verwandtschaftlichen Zuneigung und wollte so oft wie möglich mit dem Kronprinzen und mir zusammenkommen. Aber als ich Witwe geworden war, wurde ich ihm gleichgültig, er fand kaum noch ein Wort für mich, wenn er später nach Wien kam.

*

Das Jahr 1886 hatte kaum begonnen, als der Kronprinz ernstlich erkrankte. Er konnte weder an den Hochzeitsfeierlichkeiten des Erzherzogs Karl Stephan mit Erzherzogin Marie Theres teilnehmen, noch an den üblichen Hoffestlichkeiten der Wintersaison, die ich in Vertretung der Kaiserin an der Seite des Kaisers mitzumachen hatte. Die Ärzte drängten zu einem Aufenthalt im Süden und empfahlen ein gänzliches Ausspannen. Für diesen Zweck schifften wir uns wieder auf die Kriegsjacht »Miramar« ein. Das Ziel der Reise war Lacroma. Inmitten eines Waldes, überschüttet von allen Reizen südlicher Vegetation, lag auf der Insel ein altes Kloster, das als Wohnsitz hergestellt war. Aus allen Fenstern genoß man eine unvergeßliche Aussicht auf das tiefblaue Meer und das blühende Eiland. Der Schloßhof, ein ehemaliger Kreuzgang, war entzückend; Glyzinien und Rosen umwanden die Säulen und rankten zu den schön gemeißelten Kapitälen empor, während in der Mitte Kamelien und Stockrosen blühten.

Die Abtei verdankt ihre Entstehung Richard Löwenherz, der bei seiner Heimkehr aus Palästina nach dem dritten Kreuzzug hier in Seenot geriet und zum Dank für seine Errettung ein Kloster gründete. Später gelangte die Insel in den Besitz der Stadt Ragusa; reiche Bürger benutzten sie für Oliven- und Orangenkulturen. Als im Jahre 1859 das österreichische Kriegsschiff »Triton«, das zwischen Ragusa und Lacroma zur Bewachung des Hafens vor Anker lag, durch eine Explosion der Pulverkammer im Meer versank, eilte Erzherzog Maximilian, der damals Marinekommandant war, trotz der französischen Blockade sofort herbei und ließ auf Lacroma der Stelle gegenüber, an welcher der »Triton« versank, ein Kreuz errichten. Dieses Tritonkreuz steht noch heute; die Natur hat aus Agaven und Myrthen einen Kranz um dasselbe gewunden. Gefesselt von der Schönheit der Insel, die er dabei kennenlernte, erwarb sie Erzherzog Maximilian und baute die Abtei zu seinem Wohnsitz aus. Nach seinem tragischen Tode und der geistigen Umnachtung der Kaiserin Charlotte kam die Insel in den Besitz eines Sanitätsoffiziers, der sie in einen Kurort verwandeln wollte. Aber Kronprinz Rudolf, ebenfalls von ihrem Zauber angezogen, erwarb sie. Auch ich liebte diese Insel so sehr, daß ich eine Schrift über Lacroma veröffentlichte, die im Jahr 1894 mit hübschen Illustrationen in Wien erschienen ist und später ins Italienische übersetzt wurde.

Kaum in Lacroma angelangt, erkrankte ich ebenfalls schwer, wochenlang lag ich zu Bett mit namenlosen Schmerzen. Die herbeigerufenen Ärzte aus Wien und Triest konstatierten Bauchfellentzündung. Auf hohen Befehl wurde das jedoch verheimlicht; die Ärzte wurden eidlich zum Schweigen verpflichtet. Man ließ mir die sorgfältigste Pflege angedeihen. Meine Schwester Louise eilte an mein Krankenlager und wich nicht von meiner Seite. Sie und meine Umgebung boten alles für meine Wiedergenesung auf. Dieser Pflege und meiner guten Konstitution verdankte ich meine vollständige Wiederherstellung.

Die langen Wochen meiner Rekonvaleszenz verbrachte ich liegend im Freien, im trauten Beisammensein mit meiner Schwester. Über uns wölbte sich der azurne Himmel, um Klippen und Felsen schlug die Salzflut in melodischen Kadenzen, linde, balsamische Lüfte umspielten uns. Von überall kamen mir Zeichen der Anteilnahme zu. Marineoffiziere und Mannschaften der vor Anker liegenden Kriegsschiffe wetteiferten in Äußerungen ihrer ritterlichen Gesinnung.

Als wir im Mai nach Wien zurückkehrten, ergriff uns wieder der Strom der Pflichten. Ich hatte der Eröffnung der Stephaniebrücke und festlichen Einzügen in Preßburg und Wiener-Neustadt beizuwohnen. Der Kronprinz widmete sich erneut seiner großen Denkschrift über die Innere und Äußere Politik Österreich-Ungarns, an der er schon vor seiner Erkrankung gearbeitet hatte. Trotz aller Ablenkungen und der Vielseitigkeit seines Lebens verfolgte er mit offenem Blick und starkem Interesse die gesamte politische Entwicklung. Er wußte, daß eine ganze Epoche ihre Hoffnungen auf ihn und seine liberalen Grundsätze setzte, und er schien entschlossen, diesen Erwartungen mit seiner ungeduldigen, leidenschaftlichen Natur in einer Art und Weise zu entsprechen, die mit den realen Möglichkeiten in Widerspruch kommen mußte. Ich gestehe, daß ich in seine Ideen nicht näher eingeweiht war, aber so viel sah ich, daß die Ziele kultureller Art, die er verfolgte, nicht unbedenklich für ihn und die Zukunft des Landes waren.

*

Da sich alle Wünsche des Hofes auf einen Thronfolger konzentrierten, wurde mir in diesem Jahre viel Ruhe gegönnt, damit ich mich schonen und meine Gesundheit sich kräftigen könnte. Zu Ende des Winters wurde mir S. M. S. »Greif« für eine Erholungsreise nach Dalmatien und Abbazia zur Verfügung gestellt. Der Kronprinz blieb zurück, da zu dieser Zeit seine Anwesenheit in Budapest unerläßlich war. Er schrieb mir von dort nach dem Süden:

Budapest, 6. März 1887.

Theuerste Stephanie!

Gestern nachmittag habe ich Wien verlassen. Bis Preßburg bin ich mit Fritz und Isabella gefahren, beide sehr schlecht aussehend. Um neun Uhr abends bin ich hier angekommen und soupierte sehr gut und viel bei Philipp und Louise.

Heute früh ist die Hetze losgegangen. Zuerst war ich beim Kaiser, dann hatte ich eine recht bewegte Sitzung mit Weilen, Dumba und einigen Ungarn. Um elf Uhr empfing mich die Kaiserin, die nicht sehr entzückt scheint über ihren hiesigen Aufenthalt; dann meldete ich mich beim Corpscommandanten. Zu Hause angekommen, fand ich Edelsheim Leop. Freih. v. Edelsheim-Gyulai, Gen. der Kav. Mitglied des ungarischen Ober-Hauses., der, ohne bestellt zu sein, eingedrungen war, um mir einen ebenso langen als mühsamen Vortrag über die Jansky-Geschichte General Jansky hatte an der Spitze österreichischer Offiziere der Pester Garnison im Mai 1886 die Gräber des Generals Hentzi und seiner 1849 im Kampfe gegen die Ungarn gefallenen Kameraden bekränzt und dadurch heftige ungarische Demonstrationen hervorgerufen, denen auch von seiten des Kaiserhauses entgegengetreten wurde. Diese »Jansky-« oder »Hentzi-Affaire« verursachte im Mai 1886 eine starke Spannung zwischen den beiden Reichshälften, Erbitterung in Ungarn, Entrüstung in Österreich. zu halten; nach ihm kam Pejacsevich, dann Bornemisza Tivadar, der mich bat, ihn als Ordonnanzoffizier mitzunehmen, was ich ihm auf das höflichste ausredete, jetzt besuchten mich Tisza und Szechényi, denen ich einige Wahrheiten sagte. Für nachmittag erwartet mich Kalnoky, um sechs Uhr ist ein großes Diner beim Kaiser und abends will ich in das Theater und von dort noch etwas zu Philipp.

Hier ist man sehr anders geworden. Die Jansky-Geschichte und noch mehr die äußere Politik haben vieles geändert. Man wünscht den Krieg, fürchtet ihn aber zugleich sehr; plötzlich ist man hier wieder österreichisch geworden, und die Armee, die man jetzt braucht, behandelt man mit Hochachtung und Zärtlichkeit. Man ist hier im höchsten Grad, was wir Weaner sagen: »Tasig« D. h.: Niedergeschlagen..

Morgen dürfte ich noch einen festen Tag durchmachen müssen, aber übermorgen reise ich in der Früh dann ab.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend bin ich
Dein treuer Coco.

Dalmatien, das Land der Sonne, der glühenden Farben, mit herrlichen Naturschätzen gesegnet, hat mein ganzes Herz und starkes Interesse gewonnen.

Welch ein Land! Die Inseln von Ginster grell vergoldet, die Küste von Oleander erglühend, wilde Rosen und Glyzinien sich um Eichen und Pinien rankend, ein Blumenregen von Mimosen und Myrthen und baumhoher weißer Erika; in den Nächten der Gesang der Nachtigallen und alles beherrschend das Meer mit seiner tobenden Brandung! Es war mir unbegreiflich, daß noch nichts geschehen war, um dieses Paradies dem Fremdenverkehr zu erschließen und das Land dadurch wirtschaftlich zu heben, die Schätze, die das Land – eine unentdeckte Goldgrube – birgt, nutzbar zu machen. Wie oft habe ich die Aufmerksamkeit der Ingenieure, Kaufleute, Ärzte, Gärtner, Maler auf dieses Kleinod gelenkt. Die Kräfte riesiger Wasserfälle sollten für den Bau elektrischer Anlagen in ganz Dalmatien ausgenützt werden; Wein- und Tabakbau, die Kultur des Maulbeerbaumes und der Maraskakirsche, Frühgemüse, Medizinalkräuter, Oliven, Mandeln, Orangen- und Zitronenbäume, Feigen und Pfirsiche sollten unter der heißen Sonne ihre Früchte tragen; auch die Blumen, nach dem Norden geliefert, hätten durch ihre Schönheit und Fülle nicht nur für Dalmatien geworben, sondern auch dem Land eine Einnahmequelle geschaffen. Es war der schönste meiner Zukunftspläne, Dalmatien zu erschließen und zu fördern – Pläne, die zu verwirklichen mir das Schicksal verwehrt hat.

Wohl wenige kannten Dalmatien so wie ich; zu Pferd, zu Wagen, zu Fuß habe ich es nach allen Richtungen durchkreuzt, An Bord unserer Kriegsschiffe habe ich unvergeßliche, glückliche Zeiten in seinen Gewässern verbracht. Mir wurde die Ehre zuteil, die Flagge unserer Kriegsmarine um Inseln und Vorgebirge, in Buchten und Meeresengen wehen zu lassen, dort, wo sich selten Schiffe zeigten.

Der ungetrübte Genuß all der Reize, die die Natur dort zu bieten vermag, meine Freude an den Plänen, die ich für die Zukunft des Landes schmiedete, machten mich früher gesund, als in der Wiener Hofburg vorgesehen war. Vielleicht nahm ich meiner Umgebung gegenüber zu wenig Rücksicht darauf, daß ich eigentlich als Rekonvaleszentin dort weilte – jedenfalls trug mir meine Unternehmungslust eine kaiserliche Rüge ein. Ein Brief des Kronprinzen meldete sie mir:

Wien, 8. März 1887.

Liebe Stephanie!

Innigsten Dank für Deinen Brief, der mich sehr freute; ich bitte Dich mit dem Schifferlfahren sehr vorsichtig zu sein, damit Du Dich ja nicht verkühlst; lieber wäre es mir, wenn Du bis zu meiner Samstag früh erfolgenden Ankunft diesen Sport ganz aufgeben würdest; besonders auch, da der Kaiser sehr damit beschäftigt ist, ob Du Dich denn wirklich schonst. Er frug mich einigemal darüber und, wie Du weißt, erfährt er alles.

Du mußt in Abbazia als Kranke sein und nur Deiner Gesundheit leben; denn wärest Du ganz wohl, dann müßtest Du in dieser ernsten Zeit in Wien sein. Also ich halte es für besser, wenn man so wenig als möglich von Wasser- und Wagenfahrten aus Abbazia hört, denn es würde überall, besonders aber beim Kaiser einen sehr ungünstigen Eindruck machen.

Gestern hatte ich noch einen sehr gehetzten und mühsamen Tag; von früh bis abends sah ich fort Leute; mit Andrassy, Kalnoky hatte ich lange Unterredungen, und der Kaiser behielt mich zwei Stunden bei sich. Die Soirée dauerte nur bis 11 Uhr, dann mußte ich aber noch eine Menge Schriften, die mir Kalnoky zur schleunigen Durchsicht übersandte, lesen, so daß ich erst nach 1 Uhr in das Bett kam. Um 8 Uhr früh reiste ich von Budapest ab; in Preßburg sah ich Fritz nur für einen Moment; ich konnte mich nicht länger aufhalten, da ich hier wieder viel zu thun hatte. Die Kleine fand ich unberufen sehr wohl und lustig. Sie läßt Dich umarmen. Valerie sah ich auch schon für einen Moment. Heute abends speise ich mit Latour Joseph Latour von Thurnburg, Leiter der Erziehung des Kronprinzen. allein, um mit ihm ruhig plauschen zu können, dann dürfte ich sehr bald ins Bett gehen, denn ich bin etwas müde. Morgen und übermorgen habe ich die Übungsmärsche, welche den Tag nehmen, daher auch viel von der Nacht, weil, was sonst am Tag erledigt werden kann, dann später abgemacht werden muß. Szönyény kommt heute abends hier an; Kalnoky vielleicht auch. Die Situation kann durch die bulgarischen Ereignisse und deren blutigen Abschluß, welcher in Petersburg große Aufregung hervorrufen dürfte, wieder interessanter werden.

Ich glaube, daß ich Dir morgen und übermorgen kaum werde schreiben können, da ich viel zu thun haben dürfte.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend
Dein treuer Coco.

Während meines Aufenthaltes in Abbazia kam der Kronprinz wiederholt dort hin. An eine wirkliche Erholung für ihn, der es viel notwendiger gehabt hätte als ich, war dabei aber nicht zu denken. Seine Besuche waren flüchtig, erfüllt von Menschen, Festen, Diners.

Ich hatte mich wieder für Wochen eingeschifft und verbrachte eine ungestörte und friedliche Zeit. Die große Zauberin, das Meer, stillte meine wehmütige Sehnsucht nach Familienglück, sie wirkte neubelebend und stärkend auf meine Nerven. Auch dahin folgten mir die Briefe des Kronprinzen; sie zeigen nicht nur die Unruhe seines Lebens, sondern auch die zunehmende Hast seines Wesens.

Wien, den 15. März 1887.

Liebe Stephanie!

Herzlichen Dank für Dein Telegramm, das ich erst nachmittag über Korfu etc. etc. erhielt; ich erwarte mit Sehnsucht einen Brief. Gestern hast Du mir nicht geschrieben! Warum? Schreibe mir bald, wie es Dir geht, wie das Wetter ist, ob alles erfroren ist. Ich möchte sehr gern bald wieder hinunter; sehne mich sehr Dich wiederzusehen.

Hier ist es garstig und kalt; der Schnee liegt in der inneren, Stadt so tief, daß man kaum fahren kann. Heute, hatte ich einen mühsamen Tag. Von acht Uhr früh an mußte ich Leute sehen, nebstbei viel schreiben, dann fuhr ich in meine Kanzlei, von dort zum Fzmst. [Feldzeugmeister] Bauer, von da zu Onkel Albrecht Erzherzog Albrecht, Feldmarschall, Generalinspektor des k. u. k. Heeres., der mir viele Aufträge mitgab. Um ein Uhr dejeunierte ich bei Philipp und Louise; sie reisen von hier direct nach Florenz oder nach Cannes, wann ist noch nicht bestimmt, vielleicht sehe ich sie noch, wenn ich von Berlin zurückkomme. Nachmittag waren Hohenlohe Konstantin Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Obersthofmeister des Kaisers. und Latour bei mir, dann schickte mir Kalnocky viele Schriften, um fünf Uhr ging ich einen Moment zu Valerie, dann mußte ich schreiben, auch dem Kaiser in einigen Angelegenheiten. Um sieben Uhr saß ich in der Burg, um zur Abwechslung die zwei kleinen Stücke anzusehen. Stella verdrehte die klugen wie gewöhnlich nach allen Dichtungen; in der Nebenloge saßen Onkel Carl, Marie Therese, ihre Schwester Anna, Ferdinand, Margarethe und die dicke bayrische Prinzessin. Ich sprach sie nicht, weil es mich langweilte hinüberzugehen. Zum dritten Stück kam Valerie, da ging ich nach Hause, da ich noch zu schreiben hatte; um 10 einhalb Uhr speiste ich allein mit Cigán; jetzt ist es gleich 11 einhalb Uhr und bald muß ich auf die Bahn fahren, da mein Zug um 12 Uhr weggeht.

Wenn ich Dir gar nichts Besonderes schreibe, bedeutet es, daß ich die Situation für friedlich halte, wenn ich schreibe. »Das Wetter ist schlecht«, dann ist es kriegerisch.

Der Kleinen geht es unberufen ganz gut. Ich habe sie nur heute früh gesehen, und auch da bloß von weitem; nachmittag meinte Dr. Kerzel, ich solle nicht hinüber gehen; mein Husten ist nämlich wieder um vieles stärker, ohne mich besonders zu genieren, einige Stunden ist immer ganz Ruhe, dann kommt ein kurzer, aber jetzt schon sehr böser Krampf. Berlin muß ich übertauchen, weil es zu wichtig ist, dann aber dürfte ich, falls ich noch huste, für länger nach Abbazia kommen, um mich gründlich auszucurieren. Abgesehen vom Husten geht es mir sehr gut. Heute habe ich durch Silberhuber, der bei mir war, Udel bitten lassen das Konzert erst am 26. zu geben, da ich kaum vor dem 26. früh in Abbazia sein dürfte, weil ich wahrscheinlich über Budapest dahin kommen werde.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend Dein Dich liebender
Coco.

Berlin, 21. März 1887.

Liebe Stephanie!

Ich danke Dir vielmals für die Telegramme, Briefe habe ich seit einer Ewigkeit keine mehr von Dir erhalten. Ich bin sehr froh, daß die Verkehrsstörungen endlich behoben sind und daß ich daher am 26. früh ruhig in Abbazia eintreffen kann, worauf ich mich sehr freue; ich sehne mich schon sehr, Dich wiederzusehen und etwas ruhig leben zu können. Die letzten Tage waren sehr anstrengend; von früh bis abends ununterbrochene Hetze, Besichtigungen, Diners, Frühstücke, unzählige Visiten, nebst alle dem die wichtigen Dinge, die ich hier abmachen mußte; gestern kam ich erst gegen 10½ abends zuhaus und um 1 Uhr früh saß ich noch am Schreibtisch; so geht es immer fort. Soeben war ich bei den rumänischen Majestäten, die heute mittag angekommen sind, um fünf Uhr ist ein großes Diner beim Kaiser, dann findet ein Fackelzug vor seinem Palais statt, nachher muß man noch in das Theater. Morgen sind noch viele Visiten zu machen, um 1 Uhr ist Gratulation beim Kaiser Zu Kaiser Wilhelms neunzigstem Geburtstag., alle Prinzen, es sind deren über neunzig, kommen zugleich; abends findet ein Diner beim Kronprinz statt und nachher müssen wir noch eine große Hofsoirée durchmachen.

Übermorgen um acht Uhr früh reise ich ab; Wien und Budapest dürften noch sehr gehetzt sein, besonders infolge der vielen Eisenbahnfahrten.

Meinen Husten kann ich nicht los werden, oft hört es für viele Stunden auf, dann kommen wieder förmliche Krämpfe, die besonders bei Diners und dergleichen Sachen sehr lästig sind. Ich bekämpfe das mit Morphin, was an und für sich schädlich ist. In Abbazia werde ich mir das abgewöhnen und hoffe dort, falls es warm ist, in einigen Tagen wieder gesund zu sein.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend bin ich Dein
Dich liebender Coco.

Wien, 7. April 1887.

Liebe Stephanie!

Innigsten Dank für Deinen Brief und für Telegramm. Es geht der Kleinen und mir sehr gut. Gestern war ich von früh bis abends in Utzenlaa bei Breünner, um auf Truthähne zu jagen, ich erlegte deren vierzehn, Hoyos einen. Ich kam erst um sieben Uhr abends nach Hause, speiste dann allein mit Hoyos und brachte mit Fritz, der Dir viel Schönes sagen läßt, den Abend zu.

Heute hatten wir in der Früh Kirchendienst, dann mußte ich allerlei Leute sehen, darauf frühstückte ich mit Fritz; fuhr mit ihm in die Auen, wo wir Reiher und Cormorane erlegten und ich auch zwei kapitale Rehböcke schoß, die ersten in diesem Jahr; um 8½ speisten wir; und jetzt, während ich schreibe, wälzt sich Fritz auf einem Sopha herum und verdaut unter fortwährendem Schnackerl ein Fastendiner.

Für Sonntag und Montag werde ich nicht nach Abbazia kommen können, da ich viel zu thun habe, doch hoffe ich am Freitag 15. dort einzutreffen, da ich den 17. frei bekomme, weil Onkel Albrecht, der in Arco ist, sein Jubiläum erst am 25. feiern will. Am 15. früh werde ich mit Fritz in Abbazia eintreffen.

Diese Tage kommen Prinz S... und Graf C... nach Abbazia; Du brauchst sie nicht zum Diner einzuladen, das sind so unnütze Individuen.

Lasse achtgeben, daß die besoffenen Touristen bei ihrem Fackelzug die Villa Angiolina nicht aus lauter Patriotismus anzünden. Sage das Bombelles, den ich grüßen lasse.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend Dein treuer
Coco.

Ein erneutes Unwohlsein des Kronprinzen verhinderte ihn im April 1887, mit mir nach Pola zu reisen. Ich hatte mit des Kaisers Erlaubnis dem neuerbauten österreichischen Turmschiff meinen Namen geben dürfen; so sollte ich dem Stapellauf S. M. S. »Kronprinzessin Stephanie« beiwohnen.

Das Fest wurde großartig gefeiert, aber alle meine Erwartungen wurden übertroffen. Worte vermögen nicht zu schildern, wie mich die Kriegsmarine empfing. Das war nicht gewöhnlicher Jubel, das war mehr. Es war der Ausdruck inniger Liebe und höchster Wertschätzung, der in meinem Herzen Dankbarkeit entflammte und die gleichen Gefühle erweckte. Die Kriegsmarine war meine Liebe, das wußte jeder Offizier und jeder Mann. Ich kannte die Flotte, das Leben an Bord, die Disziplin. Es lag in meinen Plänen, einst als Kaiserin das Gedeihen der Flotte ganz besonders zu fördern.

*

Als ich nach Wien zurückkam, fand ich den Kronprinzen stark verändert, nicht nur, daß seine Gesundheit erschüttert war, auch seine Unrast hatte zugenommen; seine Jagdleidenschaft hatte sich ins Unnatürliche gesteigert und seine Abende verlebte er in Kreisen, in die ich ihm nicht folgen konnte. Ich fühlte deutlich, daß er mir jetzt völlig entglitten war, hinabgezogen in eine andere Welt. Heute weiß man, daß das veränderte äußere Wesen des Kronprinzen nur eine Folge des schweren moralischen und politischen Konfliktes war, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte. Das war die Zeit, da sich das Schicksal des Kronprinzen Rudolf entschied. Damals vermochte ich das noch nicht klar zu erkennen, aber ich litt unsagbar, und je mehr ich mich bestrebte, mich ihm anzupassen, desto mehr beschlich mich das Gefühl von etwas Drohendem, das über ihm lastete.

Es war traurig, daß man von alledem, solange es sich noch vorbereitete, nichts wußte oder aber wissen wollte. Erst als durch den Zustand des Kronprinzen die Aussichten auf einen Thronfolger immer mehr schwanden, versuchte man ihn zu einer mehr ausgeglichenen Lebensweise zu bewegen. Aus gleichem Grunde wandte man auch mir alle Sorgfalt zu. Ich wurde nach Franzensbad, von dort in die Schweiz geschickt, dann war ich auf der Insel Jersey und bei meinen Eltern. Ich kam blühend zurück, aber im Leben des Kronprinzen war keine Änderung eingetreten, es wurde sogar noch schlimmer.

Später wurde es wenigstens äußerlich besser, aber in diesen Monaten wußte ich nicht wie es weiter gehen sollte. In der Folge kam es vor, daß der Kronprinz erst frühmorgens in einer unerfreulichen Verfassung nach Hause kam. Unter solchen Umständen war ein wirkliches Zusammenleben nicht mehr möglich, mein ganzes Wesen empörte sich dagegen. Nur Mitleid war für mich noch die Brücke zu ihm, da Achtung und Vertrauen in meinem Herzen erstarben. Trotzdem mußte ich nach außen hin alles verheimlichen, die Welt durfte von dem Jammer, in den wir geraten waren, nichts erfahren. Man sah mich stets an der Seite des Kronprinzen. Unser gemeinsames Auftreten bei den unzähligen Anlässen, die unsere Gegenwart in der Monarchie verlangten, ließ mir zum Glück kaum Zeit zum Grübeln, so daß es mir zunächst noch erspart blieb, die ganze Härte meines Kummers zu erfassen. Mein Gottvertrauen, der Anblick meines Kindes, die Liebe und Achtung von Millionen unseres Volkes mußten mir Trost und Ersatz für den Mangel an Eheglück sein. Es war meine Pflicht, auszuharren, zu dulden und zu schweigen.

*

Dem Wunsch des Kaisers nachkommend, daß alle Völker seines Reiches das Kronprinzenpaar sehen und kennenlernen sollten, fuhren wir nach Galizien. Wir kamen nach Krakau, der alten Königsstadt, sahen Lemberg, sahen das ganze Land der Polen und das der Ruthenen. Alle Orte bereiteten uns imposante Huldigungen. Wir erlebten überall freundliche Aufnahme, festliche Stimmung, sahen malerische, farbenreiche Trachten und Festesbilder. Wir sahen aber auch das Leben der einfachen Leute und jenes der großen Herren, und ich wußte, daß hier noch viel zu leisten war – ein reiches Feld zukünftiger Tätigkeit.

Im Juli mußte der Kronprinz zum fünfzigjährigen Regierungsjubiläum der Königin Victoria nach London eilen, wo er mit seiner Kunst, zu bezaubern, ungeahnte Erfolge errang. Es war ganz außergewöhnlich, daß ihn die Königin mit dem Hosenbandorden auszeichnete. Der Kronprinz schrieb mir darüber aus London:

»Ich kann Dir nur einige Zeilen schreiben, da die Hetze fürchterlich ist und ich wirklich keinen freien Augenblick habe. Heute ist die alte Königin angekommen; sie ist mir ganz besonders freundlich und hat mir den Hosenbandorden gegeben, selbst angezogen und mich dabei gestreichelt, so daß ich fast gelacht habe. Deine Eltern sehe ich nur bei den Festen, denn niemand hat Zeit; gestern beim Speisen bin ich nahe und heute beim Diner neben Deiner Mama gesessen, so daß ich mit ihr sprechen konnte; sie ist sehr guter Laune und war sehr erfreut, mich zu sehen und mit mir ungarisch sprechen zu können ...«

Die wenigen Wochen, die uns nach des Kronprinzen Rückkehr bis zu den großen Übungen im Brucker Militärlager blieben, galten einem Besuch in der Steiermark – eines der habsburgischen Kronländer, das wie manches andere der Alpenländer allzu sehr vernachlässigt wurde, obwohl sie in ihrer unwandelbaren Treue durch die Jahrhunderte hindurch die Pfeiler der Dynastie bildeten. Steiermark ist ein liebliches, grünes Land, dessen stille Reize mich ganz gefangen nahmen. Sehr eindrucksvoll verband alle Vorzüge des Landes ein vom liebenswürdigen Adel und Bürgertum veranstaltetes Festspiel: die strahlende, frische Schönheit der jungen Mädchen stellte in lebenden Bildern Symbole der Alpenwirtschaft, der Landwirtschaft, des Obstbaues u. a. m. dar, es war wirklich eine Verkörperung der grünen Steiermark. Unser recht ausgedehntes Besuchsprogramm bereitete mir viel Freude, aber es gab Abende, an denen ich vor Erschöpfung kaum mehr zu stehen vermochte, obwohl ich darin schon eine ausreichende Übung besaß.

Nun begannen die traditionellen Übungen in Bruck an der Leitha, unweit von Wien, die der Kronprinz als Kommandant der 25. Infanterie-Truppendivision zu leiten hatte. Obwohl nicht eigentlich mit Leib und Seele Soldat, sagte ihm der Militärdienst dieser Art doch sehr zu. Es gab da keine Ruhepause, und das war ihm recht; es befriedigte sein Bedürfnis nach bravouröser Höchstleistung, das freilich in einem argen Widerspruch zu seiner Gesundheit stand. Es peitschte seine überspannten Nerven auf, diese von ihm stets mißhandelten Mahner zu Ruhe und Entspannung.

Unterdessen sollte ich, gelegentlich eines neuerlichen Kuraufenthaltes in Franzensbad, sämtliche böhmischen Kurorte besuchen. Ein neues Konzert von Ovationen begleitete mich auf Schritt und Tritt, was mir um so mehr Freude bereitete, als ich stets die Huldigungen ohne Skepsis nahm, so, wie sie auf mich wirkten.

Ich erhielt in diesen Wochen viele Briefe vom Kronprinzen. Es ist schwer, sie mit unserem damals innerlich schon zerbrochenen Zusammenleben in Einklang zu bringen. Sie sind geschrieben aus dem Bemühen, diesen Bruch zu heilen, aber sie vermochten in ihrer immer gleichen, zur Gewohnheit gewordenen Form, nicht Wärme zu vermitteln; sie atmen nur Unrast – Unrast.

Einige davon will ich wiedergeben:

Wien, 27. Juli 1887.

Liebe Stephanie!

Gestern erhielt ich keinen Brief von Dir; es thut mir sehr leid zu hören, daß Du wieder so oft an Migräne leidest; hoffentlich hört das auf, sobald Du Franzensbad verlassen wirst.

Gestern kam ich vormittag von Laxenburg in die Stadt, war beim Bildhauer Tilgner und dann in der Burg; fuhr bei einer fürchterlichen Hitze nach Baden und speiste um drei Uhr bei Onkel Wilhelm Der Hoch-und Deutschmeister, Generalartillerieinspektor Erzherzog Wilhelm. in seinem neuen Haus; einige alte Weiber aus der Weilburg, Piret, Major Fischer, Wuckerer, der boshafte Peteneg, der halb Frau, halb Mann, halb Deutscher Ritter, halb Geistlicher ist und jetzt immerfort bei Onkel Wilhelm steckt, und Wilczek waren da; Du kannst Dir denken, wie da getratscht wurde. Das Diner war recht gut, nur die Getränke nicht kalt genug, worüber ich sehr gekränkt war. Nach dem Diner ging und saß man im Haus, im Stall und im Garten herum, dann fuhr alles in den Gassen von Baden herum – kurioses Vergnügen bei dem Staub und Gestank; von da nach Vöslau, wo es nur Juden gibt, minden zsidó gazember; zum Schluß begleiteten sie mich alle auf die Bahn. Ich kam abends nach Wien, fand hier eine Luft zum schneiden, so heiß und schwer, so daß ich gezwungen war, noch sehr viele kalte Getränke zu mir zu nehmen. Zum schlafen war es zu warm, und so blieb ich lange auf und schlief dann mit offenem Fenster, den etwas kühleren Morgen benützend, bis 10 Uhr. Dann kam Weilen Der Dichter Joseph Ritter von Weilen (eigentlich Weil), Präsident des Journalisten- und Schriftstellervereins. zu mir, der in den Händen mehr als je schwitzt und vor Hitze keucht und aus dem Munde saftelt, wie ein alter Hühnerhund; er wohnt am Semmering und dichtet ein Theaterstück – arme Menschheit! Nach Wien kommt er jetzt nur wöchentlich einmal, um mir ein Willkommen zuzurufen und mich mit einem feuchtwarmen Händedruck zu begrüßen. Wenn ich diesen Brief fertig haben werde, setze ich mich in eine Badewanne, wo ich rauche, schlafe und singe, dann speise ich sehr gut und viel (der Sacher ist Heuer viel besser) und abends fahre ich nach Bruck, wo ich nach acht Uhr ankomme und mit einigen Herren soupieren werde. Dann geht die Cantate Bruck los, das gewöhnliche Brucker Leben, sehr heiß, viel Staub, Schwitzen, viel Gestank, Musik und Plauschen. Ich bitte Dich, schreibe und telegraphiere mir nach Bruck von jetzt an.

Nun muß ich schließen, da man mir die Haare schneiden und den Kopf waschen wird.

Aus ganzem Herzen bin ich
Dein Dich innigst liebender Coco.

Bruck, am 29. Juli 1887.

Liebe Stephanie!

Innigsten Dank für Deinen lieben Brief, den ich heute erhielt. Hoffentlich werde ich am 14. von hier abkommen können, falls Du in Ischl bist; ich werde den Commandierenden darum bitten, am 1 ten Abends kömmt er ohnehin hierher. Gestern erlegte ich 4 Rehböcke in Eckartsau und schoß noch einen stark an. Ich bin jetzt schon wieder hier, ich fange an mich zu unterhalten.

Heute ist Esterházy hier. Die Hitze ist fürchterlich, seit vielen Jahren erinnere ich mich nicht etwas ähnliches erlebt zu haben, man schwitzt den ganzen Tag und wenn man in der Nacht etwas schlafen will, ist es am ärgsten, denn man liegt in einem Wasser; dabei ist die Luft so schwer und ungesund, wie in keinem der anderen Jahre.

Leopold Salvator, Sohn des Nino, macht jetzt Dienst bei Deutschmeister; es ist ein langweiliger, frommer, pedantischer und gelehrter Jüngling, paßt nicht zu mir und meiner Gesellschaft. Ich muß jetzt schließen, da es schon sehr spät in der Nacht ist und zeitlich früh wieder ausgerückt wird.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend bin ich
Dein Dich innigst liebender Coco.

Bruck, 31. Juli 1887.

Liebe Stephanie!

Innigsten Dank für Brief und Telegramme. Ich schwitze den ganzen Tag und die ganze Nacht; natürlich habe ich dann fürchterlichen Durst und trinke fortwährend Champagner und dann schwitze ich noch mehr. Die Hitze ist so, wie ich sie in unseren Gegenden noch niemals erlebt habe; dabei stinken die ausgetrockneten Bäche und Sümpfe fürchterlich; das ganze ist nicht gesund. Gestern bin ich abends mit Esterházy nach Himberg gefahren, er fuhr weiter nach Wien, ich nach Laxenburg, wo ich mit Portois Portois & Fix, Wiener Haus für Innen-Einrichtung. zu tun hatte; ich übergab ihm Bilder, Möbel etc. etc. für Mayerling. Dann kutschierte ich nach Wien, wo ich sehr gut soupierte, heute bis neun Uhr früh schlief; um 10½ fuhr ich selbst kutschierend nach Schwechat, von dort mit einem anderen Paar Pferde bis Fischamend, wo mich Lori erwartete, und nach einem guten Galopp war ich um 12½ schon hier in Bruck. Nachmittags kam das Regiment 86 aus Krems hier an, wir erwarteten es alle; da das ganze Lager überfüllt ist, wohnen sie neben dem Kavallerielager unter Zelten.

Jetzt ist es schon recht spät in der Nacht und überall spielen noch Musiken und ist so ein Lärm, daß man nicht schlafen kann.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend bin ich
Dein Dich innigst liebender Coco.

Bruck, 3. August 1887.

Liebe Stephanie!

Innigsten Dank für Brief und Telegramme; seit gestern haben wir kühles Wetter, umwölkten Himmel und hie und da auch etwas Regen.

Gestern und heute früh war ich hier bei den Übungen der 77. Cavalleriebrigade, mit dem Commandierenden, der sehr guter Laune ist und zu den Mahlzeiten immer zu mir kömmt, um sehr viel zu essen.

Heute nach der Übung, die bei Parndorf endete, ritt ich in einem Galopp in das Lager, um den Rapport schnell zu erledigen; um 10¼ fuhr ich mit Esterházy nach Himberg, von dort zu Wagen, von Laxenburg an selbst kutschierend, nach Baden, um Onkel Albrecht zu seinem 70. Geburtstag zu gratulieren. Um ¾12 Uhr war ich schon in der Weilburg, wo ich sehr viel Familie im Gratulationsrappel fand; F... leidet fortwährend an Zwicken, sieht elend aus und trägt jetzt einen ungepflegten Bettlerbart, I... ist grüngelb, alt und kolossal dick, die anderen alle sehen wie immer aus. Der Feldmarschall war sehr guter Laune und unglaublich frisch. Ich blieb nicht lange, das Familiengewurstel langweilte mich, und so kutschierte ich bald wieder auf den Bahnhof, setzte mich in einen Zug und fuhr nach Wien, wo ich in aller Gemütsruhe ein gutes Diner verzehrte.

Von Wien aus fuhr ich zu Wagen in zwei Stunden über Schwechat und Schwadorf nach Bruck. Morgen abend kommt Onkel Albrecht hier an, fährt aber übermorgen nach dem Diner wieder weg. Morgen und übermorgen haben wir größere Übungen, Divisionsmanöver; wenn sie gut ausgefallen sind, geb ich dann mir und den Truppen am Samstag Rasttag, den ich sowie auch den Sonntag zu Ausflügen in die Donauauen benützen will. Jetzt muß ich schließen, da es Mitternacht ist und morgen früh ausgerückt wird.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend bin ich
Dein Dich innigst liebender Coco.

Bruck, 7. August 1887.

Liebe Stephanie!

Innigsten Dank für die Photographien und die zwei Briefe, die mich sehr freuten. Ich konnte Dir seit Donnerstag abend nicht mehr schreiben, da ich eigentlich nirgends mich längere Zeit aufgehalten habe.

Am Freitag hatten wir ein langes und sehr gelungenes Manöver vor dem Onkel Albrecht; nach demselben speiste er noch bei mir und fuhr um fünf Uhr nach Baden zurück.

Für mich war es ein ausgiebiger Tag; von sechs Uhr früh bis 12½ Uhr mittag mußte ich ohne Unterbrechung herumgaloppieren, da ich als Übungsleiter viel zu tun hatte; ich wechselte Pferde, da es für eines zu viel war. Nach der Abreise des Onkels Albrecht galoppierte ich mit einem Pferd bis Schwadorf, mit dem anderen bis Wien, also wieder meine sechs deutschen Meilen; ich hatte in Wien zu tun, mußte Rennpreise bestellen für das Rennen, welches ich hier arrangiere. Am Samstag war hier Rasttag; in der Früh ritt ich nach Bruck, machte hier meinen Rapport ab und galoppierte dann wieder hinauf in unsere Donauauen, wo ich drei Böcke erlegte und drei anschoß; fuhr dann nach Wien. Heute früh kam ich, teils zu Wagen, teils zu Pferd, wieder hierher; nach meinem Rapport speiste ich mit General Lichtenberg und fuhr dann mit ihm über Wildungsmauer nach Eckartsau; er erlegte einen und ich drei Rehböcke. Jetzt soupierte ich mit einigen Herren und nun ist es schon ziemlich spät in der Nacht; im Lager ist es kühl und angenehm, die Tage sind sehr heiß, aber die Nächte seit kurzer Zeit fast kalt. Morgen haben wir Manöver, zum Diner kommen Wilczek und Weilen, abends besucht mich dann im Fiaker aus Wien in aller Stille und mit viel Geheimnistuerei Ferdinand Coburg, der mich dringend sprechen will; sage es nicht den Suiten, denn er hat mich gebeten, unbemerkt kommen zu können.

Sehr gerne möchte ich schon wissen, ob Du am 14. in Ischl sein wirst. Ich kann nicht anders kommen, als mittag in Ischl an, wo ich bis 15. nachmittag bleibe, da ich am 16. zum Manöver wieder hier sein muß.

Den Hund werde ich ansehen, wenn er genug schön ist, Dir zu Deinem Namenstag schenken.

Jetzt muß ich meinen Brief schließen, um etwas zu schlafen, eine Beschäftigung, die ich mir ohnehin schon fast ganz abgewöhnt habe.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend bin ich
Dein Dich innigst liebender Coco.

Bei dem geheimen Besuch des Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha handelte es sich um dessen Wahl zum Fürsten von Bulgarien. Als diese dann tatsächlich erfolgte, löste sie in Wien größtes Aufsehen aus. Der Kronprinz war nicht dafür gewesen, der Kaiser auch nicht, und doch war man nicht eigentlich dagegen. So erschöpfte sich das Urteil der Wiener Gesellschaft in dem Satz: »Schon wieder ein Coburger!« In dieser unausgesprochenen Ablehnung lag eine Haltung gegenüber dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha, unter der ich später als »Coburgerin« selbst nicht wenig zu leiden hatte. Prinz Ferdinand bewies indessen große Fähigkeiten als Herrscher. Seine hohen politischen Talente, die er seiner neuen Heimat weihte, waren ein Erbteil von seiner außergewöhnlich begabten Mutter Clementine, einer Prinzessin von Orléans-Bourbon.

Ich will auch die weiteren Briefe des Kronprinzen aus dieser Zeit nicht vorenthalten, weil sie ein charakteristisches Bild seiner überhasteten Lebensweise geben.

Freitag, 19. August 1887.

Liebe Stephanie!

Zu Deinem Namenstag sende ich Dir, leider nur schriftlich, meine innigsten und herzlichsten Glückwünsche; Gott segne und schütze Dich.

Verzeihe, wenn ich einen kurzen Brief nur schreibe, aber ich bin auch einmal fertig. Von vorgestern auf gestern habe ich sehr wenig geschlafen. Der gestrige Tag war famos, aber sehr mühsam; von gestern auf heute habe ich einen großen Teil der Nacht vertanzt, so daß es nur gestaubt hat, und den Rest über brachten wir bei einem Souper zu; jetzt ist es 7 Uhr früh und eben haben wir uns erst getrennt.

Um 11 Uhr muß ich reiten, denn die famose Schnitzeljagd und die anderen Unterhaltungen zu Pferd konnten gestern vormittag wegen Regen und schlechtem Wetter nicht abgehalten werden. Heute abends marschieren wir weg, durch die ganze Nacht, morgen 4 Uhr nachmittag fahre ich nach Ischl.

Dich und Erzsi aus ganzem Herzen umarmend bin ich
Dein Dich innigst liebender Coco.

Wien, 8. Dezember 1887.

Liebe Stephanie!

Es ist leicht möglich, daß ich erst um acht Uhr oder noch später nach Laxenburg komme. Ich werde rechtzeitig telegraphieren.

Ich bitte Dich, sage Dorntreil, daß wir morgen um 7 Uhr früh einen offenen Leib- und einen Suitenwagen brauchen; in Schwechat um ¾8 ebenfalls einen Leib- und einen Suitenwagen. Die Jäger sollen mit Gewehren und kaltem Frühstück voraus fahren; für mich soll mitkommen ein englischer Stutzen und zwei oder drei Schrottgewehre; von Hunden nur Cigány und Waldl. Wenn ich um 8 Uhr abends heute erst nach Laxenburg komme, dann brauche ich kein Diner mehr, da esse ich hier etwas.

Den Kaiser habe ich sehr lang gesprochen. Aus ganzem Herzen Dich umarmend
Dein Dich liebender Coco.

Leider drang allmählich allerlei über die Lebensweise des Kronprinzen auch in die Öffentlichkeit und sogar ins Parlament. Im Februar 1888 hielt der damals noch deutschnationale, später sozialdemokratische Abgeordnete Pernerstorfer anläßlich eines Gesetzes, dessen Spitze gegen die deutschnationalen Studentenverbindungen gerichtet war, folgende Rede: »Man spricht von Rohheiten unserer Jugend. Ich weiß auch von Rohheiten der Jugend zu erzählen. Da ist mir eine Geschichte bekannt von einem sehr hohen jungen Herrn, der nach überaus wüstem Gelage mit seinen Kameraden diese in das Zimmer seiner Frau führen wollte. Ein bekannt hoher Herr! Da ist mir eine andere Geschichte bekannt von einem anderen hohen Herrn, der mit seinen Kameraden, lauter fürstlichen Bluts, über Feld stürmte; von fern sehen sie einen Leichenzug, sie zwingen denselben stillzustehen, und all das edle Fürstenblut macht sich ein Vergnügen, die Pferde über den Sarg hinwegspringen zu lassen. Die patriotische Entrüstung des Unterrichtsministers«, rief Pernerstorfer schließlich aus, »wird darum nicht geringer werden, weil die Stellung der jungen Herren eine verflucht hohe ist.«

Der Abgeordnete hatte keine Namen genannt, aber in ganz Wien bezeichnete man einige Erzherzöge und den Kronprinzen als die Beschuldigten.

Wenige Tage darauf wurde der Abgeordnete Pernerstorfer in seiner eigenen Wohnung von zwei unter irgendeinem Vorwand gemeldeten und vorgelassenen Herren mit der Reitpeitsche aufs gründlichste verprügelt. Wer den Schaden hatte, braucht für den Spott nicht zu sorgen – die Lacher waren nun auf der Seite des Kronprinzen, der Skandal war auf gut wienerisch zu einer Hetz geworden. Populäre Stimmungserfolge solcher Art gingen aber auf Kosten des wahren Ansehens im Volk. Diese Affäre und andere skandalöse Einzelheiten, die der Abgeordnete aufgedeckt hatte, beleuchteten blitzartig, in welch erschreckender Weise der Kronprinz die Rücksichten, die er seiner hohen Stellung schuldete, bereits außer Acht gelassen hatte.

Nach Abbazia schrieb er mir damals folgenden Brief:

Wien, 5. März 1888.

Liebe Stephanie!

Herzlichen Dank für Deinen Brief, der mich sehr freute. In Abbazia muß es sehr kalt sein und die Reise kann auch nicht angenehm gewesen sein. Ich bin recht froh, daß ich hier geblieben bin, ich hätte mich gewiß wieder verdorben. Meine Augen sind viel besser, aber ich gebe auch sehr acht; auf der Jagd war ich noch immer nicht und überhaupt fast gar nicht spazieren. Das Wetter ist sehr schlecht, heute früh wurde es plötzlich wärmer, jetzt ist es wieder eiskalt, in der Nacht schneit es immer und wird von Tag zu Tag winterlicher. Samstag und Sonntag speiste ich zuhause, einmal mit Otto, das anderemal mit Pausinger. Heute diniere ich bei Philipp und Louise mit Onkel Carl, Marie Theres und Onkel Ludwig.

Im ganzen führe ich ein ruhiges Garçonleben, schlafe sehr lange und sehe nachmittags sehr viele Leute. Die Polizei hat mir schlechte Stunden bereitet; sie haben die Spuren entdeckt und auch das Regiment, von welchem die Prügel ausgegangen sind. Die Leute konnte sie nicht finden, denn wir haben den einen in Südungarn, den anderen in der Herzegowina angebaut. Es hat meine ganze Frechheit und Findigkeit dazu gehört, um mich und Bolla aus allem zu salvieren. Jetzt sind wir wieder ganz in Sicherheit. Gestern waren die beiden Todfeinde bei mir, zuerst Mopurgo Baron Mopurgo, Bankier aus Triest. und dann Kuranda Der brasilianische Konsul in Fiume.; letzterer erzählte mir einiges aus Abbazia, auch, daß Du sehr gut aussiehst und daß Du mit ihm und seiner Frau sehr freundlich warst. Zum Diner sollst Du sie aber nicht einladen, sonst bekommen die Suiten und die aristokratischen Kurgäste das Gallenfieber.

Gestern war ich für eine halbe Stunde nachmittags im Theater an der Wien, wo Udel Udel, Sänger und Schauspieler. sehr gut spielte und mit einer großen blonden Perrücke kaum zu erkennen war.

Onkel Albrecht, bei dem ich einen langen Besuch machte, fand ich recht elend, matt, zerstreut und herabgestimmt. Er will bald nach Arco reisen.

Die Kleine ist eigentlich unberufen ganz wohl und geht wieder herum. Ich glaube, falls ich noch abkommen kann, am 9. abends von hier abzureisen. Ich werde noch rechtzeitig schreiben und telegraphieren.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend bin ich
Dein Dich innigst liebender Coco.

Zu dieser Zeit lag der greise Kaiser Wilhelm in den letzten Zügen. Er verschied am 9. März 1888. Für mich entstand die Frage, ob ich von Abbazia, wo ich weilte, nach Berlin reisen sollte, um an den Beerdigungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Am Tag, da die Todesnachricht eingetroffen war, schrieb mir der Kronprinz:

Wien, am 9. März 1888.

Liebe Stephanie!

In aller Eile einige Zeilen. Der Kaiser will nicht, daß Du mitfährst, aus dem Süden in die Kälte von Berlin; dann werden dort sehr viele Herrschaften und kein Platz, große Konfusion und keine rechte Frau von Haus sein. Das ist auch ganz meine Meinung. Bombelles lasse ich sagen, er möchte bei Dir bleiben; mit mir wird wahrscheinlich Nicola Pejacsevich reisen, dann die zwei Adjutanten und die Deputationen seiner zwei Regimenter.

Von gestern auf heute war hier eine große Hetz. Um sieben Uhr kam die Todesnachricht aus Berlin. In Berlin wurden Extrablätter ausgegeben, ganz Berlin glaubte an den Tod; der alte Herr muß durch einige Zeit scheintot gewesen sein. Hier versprengten das Korrespondenzbüro und alle Blätter die Nachricht, es wurden um neun Uhr schon Extrablätter mit schwarzem Rand ausgetragen, große Bewegung in der Stadt. Frischauer Die Journalisten Dr. Berthold Frischauer und Moriz Szeps, der Gründer und Leiter des »Neuen Wiener Tageblatt«, waren beide politische Vertraute des Kronprinzen., Szeps Die Journalisten Dr. Berthold Frischauer und Moriz Szeps, der Gründer und Leiter des »Neuen Wiener Tageblatt«, waren beide politische Vertraute des Kronprinzen. kamen zu mir, ich sandte als der erste die Nachricht auf den Ballhausplatz, wollte eben mein Beileidstelegramm loslassen, als im letzten Moment Szeps mit dem Telegramm kam: alles falsch, der Kaiser lebt. Um Konfusion zu verhüten, lief ich zum Kalnoky hinüber, der eben im Begriff war, die falsche Todesnachricht auszusprengen. Um 12 Uhr noch viel Bewegung. Um 12 einhalb unternahm Schönerer mit seinen Kumpanen einen Raubzug in die Zeitungsredaktionen Der deutschnationale Abgeordnete Georg Ritter v. Schönerer war mit Gesinnungsgenossen in die Redaktion des »Neuen Wiener Tageblatt« eingedrungen und halte die Redakteure verprügelt. Er beschuldigte sie, absichtlich falsche Nachrichten über den Tod des deutschen Kaisers ausgesprengt zu haben.; Du wirst das im heutigen Abendblatt lesen. Heute wirkliche Todesnachricht, auf der Börse Hausse – warum, das begreift kein Mensch.

Die Stimmung im Publikum war kostbar, wie immer. Gestern abends große Hetz, nicht theilnahmsvoll gerührt, sondern eben nur Hetz. Wie die Nachricht kam, er ist nicht tot, hieß es allgemein: Das ist fad; wie die Telegramme kamen, er hat in der Nacht noch gegessen und Champagner getrunken, war hier Heiterkeit; die richtige Todesnachricht nahm man indifferent auf, eher in der Stimmung: Gott sei Dank, jetzt hat man Ruh mit diesen ewigen Nachrichten. Schönerer-Skandal belustigt momentan, und noch mehr hat dem Interesse an dem Tod des Kaisers Wilhelm der große Brand am Bauernmarkt geschadet, der so merkwürdig war, da die Stiege einstürzte und die Damen im Hemd in das Sprungtuch springen mußten, die Pintscher, Möpse und andere Verreckerln aber durch den Rettungsschlauch gerettet wurden, als ob sie die wichtigsten Persönlichkeiten wären. Das ist halt weanerisch, weanerisch, weanerisch und hat an Schan, aber an eigenen Schan! Das Lied ist sehr wahr und richtig, das hab ich in den letzten zwei Tagen wieder gesehen.

Sobald ich mit meiner Berliner Mission fertig bin, komme ich nach Abbazia. Der Kleinen geht es unberufen sehr gut, Wetter ist stürmisch und sehr warm.

Ich umarme Dich aus ganzem Herzen und bin
Dein Dich innigst liebender Coco.

Wien, den 13. März 1888.

Heute hatte ich einen sehr bewegten Tag; ich stand für meine Verhältnisse früh auf, etwa 10 Uhr; um einhalb elf war schon Minister Gautsch bei mir, um elf Uhr mußte ich viele Leute in meiner Kanzlei sprechen. Um 12 Uhr war ich beim Kaiser wegen einer Menge Sachen; um 1 Uhr hatte ich eine Sitzung, von 2 bis 3 Uhr sah ich bei mir verschiedene Herren. Um 3 Uhr fuhr ich in den Prater, wo bei dem warmen Wetter sehr viele Leute waren; ich ritt bis gegen 5 Uhr auf der Lori in einem sehr schönen blauen Pelz, sehr fesch! Um 5 einhalb war Chlumetzki bei mir, den ich reden mußte wegen der Auslieferung Schönerers durch das Parlament an das Gericht – diesmal dürfte die Canaille politisch und sozial umstehen. Um 7 Uhr speiste ich mit Szögyeny, um 8 Uhr beglückte mich Kuranda, der mir eine Menge Geschichten aus Abbazia erzählte. Ich gab ihm einen Brief an Baron Hirsch mit; morgen reist er nach Paris und London. Jetzt ist es 10 Uhr und da gehe ich mich mit etwas Champagner erholen. Morgen werde ich sehr lange schlafen und dann viel zu thun haben, und abends 10 Uhr nach Berlin fahren; es kann sehr interessant aber zugleich mühsam werden. Ich hoffe am 17. abends in meiner guten Weanerstadt und am 19. früh in Abbazia zu sein ...

Zu Ostern wurde die längst geplante Reise nach Dalmatien auf S. M. S. »Greif« angetreten. Erzherzog Otto, seine Gemahlin und einige Freunde des Kronprinzen waren unsere Gäste. In fröhlicher Stimmung schifften wir uns abends im Kriegshafen Pola ein. Es herrschte undurchdringliche Finsternis, und der Schiffskommandant schlug einen anderen Kurs vor, da es gefährlich war, während der Nacht durch die Inselwelt des Quarnero, die keine Leuchtfeuer hatte, zu steuern; die Strecke war wegen ihrer tückischen Stellen berüchtigt. Aber trotz der Warnung befahl der Kronprinz, Kurs zwischen den Inseln zu nehmen.

Es war nach dem Diner, die Marinemusik spielte, die Herren waren mehr als heiter, der Champagner floß in Strömen. Wir Damen hatten uns schon zurückgezogen, bevor die Stimmung allzu ausgelassen wurde. Auf einmal, es muß gegen Mitternacht gewesen sein, erfolgte ein furchtbarer Krach, ein Ächzen ging durch das Schiff. Mit einem Satz war ich aus dem Bett, warf mir einen Mantel über und lief in den Speisesaal; dort sah es so wüst aus, daß ich begriff, ich müsse selbst handeln. Ich eilte also auf Deck, da kam mir bereits ein Offizier entgegen. Der »Greif« war aufgefahren, hatte ein riesiges Leck erhalten, und das Wasser drang herein; allerdings war die See ruhig und die Gefahr eines Unterganges nicht unmittelbar bevorstehend.

Mit den Offizieren und der Mannschaft leitete ich die Ausschiffungsarbeiten und die Auspumpung des Wassers. Es war pechfinster, und wir waren nicht imstande, genau festzustellen, auf welchem Felsen wir lagen. Es gelang uns, mit Leitern und Tauen den Kronprinzen, den Erzherzog Otto und die anderen Gäste, die infolge des vorangegangenen Diners in einen nicht zu vertreibenden Schlaf gefallen waren, an Land zu befördern und zu versorgen. Ich blieb bis zum Morgengrauen an Bord bei den verzweifelten Offizieren. Dann endlich kam Hilfe. Wir konnten aber erst gegen Mittag auf einem kleinen Küstendampfer die Rückfahrt von Pago antreten.

Das Mißgeschick des »Greif« betrübte mich unendlich, ich fühlte den Schmerz der Marine über dieses Unglück mit dem Kronprinzen an Bord. Marinekommandant Admiral von Sterneck, der Held von Lissa, war sehr ungehalten. Er wollte den Kommandanten und den Wache habenden Schiffsleutnant sofort in den Ruhestand versetzen; meinen Bitten gelang es, zu erwirken, daß man die unschuldigen Offiziere in ihrer Charge beließ. Der »Greif«, schwer beschädigt, ging in Dock zur Reparatur. Unsere Gesellschaft trennte sich in Abbazia.

Nach Wien zurückgekehrt, hatte der Kronprinz wegen des Unfalles einen schweren Stand beim Kaiser. Ich hatte als Ersatz für den »Greif« ein anderes Schiff erbeten, um unsere Reise doch durchzuführen, denn ich sah, daß der Kronprinz dringend eine Veränderung seines Lebens brauchte. Über das Ergebnis der Schritte, die er unternahm, berichtete er mir aus Wien, am 6. April:

»Den Kaiser fand ich sehr gnädig und guter Laune, aber gegen die Schlamperei in der Marine wegen der Greif Geschichte ist er sehr bös. Sterneck ist wütend, sehr aufgeregt und eigentlich noch nicht zu sprechen. Der Greif hat auf der Fahrt von Arbe nach Pola soviel Wasser eingeschifft, daß es kaum zu bewältigen war; er geht jetzt in Abrüstung, um repariert zu werden, und ist vor Ende April nicht zu benützen. Um ein Schiff jetzt zu bitten, bei der Stimmung, die ich hier fand, wäre nicht möglich. Ich würde es nicht thun. Ich hatte heute gleich viel zu thun, ich war in der Marinesektion, beim Kaiser, zweimal in der Militärkanzlei, weil meine organischen Bestimmungen aus Arco zurückgekommen sind. Der Ballplatz ist momentan auch sehr interessant.«

Daraufhin wiederholte ich meine Bitte an den Kronprinzen, aber ich hatte kein Glück damit. Aus Wien kam die Antwort, vom 12. April:

»Ich werde morgen wegen des Greif den Kaiser bitten, doch ich glaube, er wird es nicht gut aufnehmen; die ganze Sache würde Sterneck sehr viel Scherereien bereiten. Versuchen werde ich es unter jeden Fall, weil es Dir Spaß macht. Hier ist es hundskalt; ich habe Schnupfen, Husten, Halsweh, Rheumatismus und einen großen blutunterlaufenen Fleck auf der Hüfte, den ich mir durch eine Ungeschicklichkeit zugezogen habe, lebe aber so fort wie immer und gebe gar nicht acht. Morgen reise ich nach Komorn, Budapest und Gran. Am 17. bin ich wieder hier, doch ganz incognito, um allen Gratulationen und dem Auerspergischen Ball auszukommen. Ich will auch nicht in der Stadt bleiben, sondern irgendwo am Land mich herumtreiben. Am 18. reise ich in aller Früh wieder auf Inspizierungen weiter.«

Tags darauf hieß es weiter in seinem gehetzten Briefstil:

»Ich fahre fort herum, hatte lange im Kriegsministerium und beim Kaiser zu tun, dienstlich nur Angenehmes und Schmeichelhaftes, privatim manchen Ärger und Schererei. Der Kaiser wäre sehr froh, wenn Du den Greif jetzt in Ruhe lassen würdest, er hat Angst vor diesem Schiff. Außerdem soll jetzt eine sehr brillante Eskadre nach Barcelona fahren, für die man viel Mannschaft und Offiziere braucht. Du solltest Landpartien in Istrien und im Quarnero machen und dann zurückkommen, wenn es warm geworden ist.

In Alland liegt so viel Schnee, daß man nicht auf Auerhähne jagen kann, ich hab etwas ähnliches noch nicht erlebt. Ich sehne mich nach Wärme, da ich elend friere.«

Und aus Budapest am 15. April 1888:

»Vorgestern verließ ich Wien, gestern inspizierte ich von 7 Uhr früh mit einer kurzen Unterbrechung, um etwas zu essen, bis 5 Uhr nachmittag in einem Zug, zu Fuß, ununterbrochen stehend oder herumtrippelnd, oder auf einem alten Artilleriegaul. Es war sehr interessant, aber auch mühsam. Seit 9 Uhr abends bin ich in Pest, wohne im Hotel Königin von England, den Abend brachte ich mit Pista Karolyi zu. Heute bleibe ich hier, will mich ausschlafen, dann lasse ich mich photographieren, gehe später zu Bensur ins Atelier und mit Karolyi in die Bilderausstellung. Um 6 Uhr haben wir ein Diner im Kasino und um 9 Uhr abends reise ich nach Gran, wo ich am Montag das Regiment 26 inspizieren muß. Das Wetter ist kalt und grau, ich habe heute den ganzen Tag über elend gefroren, was meinem Schnupfen nicht sehr wohl getan hat. Da es jetzt bald zwei Uhr früh ist, schließe ich meinen Brief, um mein Bett aufzusuchen.«

Die neue, eigens für ihn geschaffene Stellung des Kronprinzen als Generalinspektor der Infanterie des Heeres überanstrengte in Verbindung mit seiner unruhigen privaten Lebensführung seine Gesundheit und seine Nerven in immer steigendem Maße. Selbst eine festere Natur als die seine würde diese Lebensweise angegriffen und zerrüttet haben. Aber diese neue Tätigkeit freute den Kronprinzen. Am 18. Mai schrieb er mir aus Wien:

»Ich war heute zu Znaim und machte einen Übungsmarsch und eine Übung des Regimentes 3 und eines Bataillon von 99 mit, es ist ein interessantes, aber mühsames Leben. Jeden Tag andere Pferde, oft fürchterliche Tiere reiten und meistens schlecht essen, das ist weniger angenehm; sonst aber bin ich über meine Stellung sehr zufrieden, sie bringt Bewegung in mein Leben und paßt sehr gut für mich. Morgen gehe ich nach Brünn, um dort gründlich zu inspizieren. Gestern war ein großer Ball bei Auersperg, von der Familie durfte niemand gehen wegen Kaiser Friedrichs Zustand; es scheint ihm schon sehr schlecht zu gehen.«

Während April und Mai für den Kronprinzen mit Inspizierungen in Ungarn, Böhmen und Mähren vergingen, lebte ich in Laxenburg; wenn er zwischen seinen Inspektionsreisen zuweilen auf einige ruhelose Tage kam, begleitete ich ihn auf Jagden in die Donauauen oder nach Mayerling. Damals fuhr ich auch nach Pola zu den Regatten der Kriegsmarine, zu denen ich eingeladen war.

Im Monat Juni stand eine neue wichtige Reise in Aussicht, zu der wir uns vorbereiten mußten. Wir sollten nach Kroatien, Bosnien und der Herzegowina. Aus Bosnien vernahm man eigentlich nur Kriegerisches und Unerquickliches. Die Unterdrückung der Christen brachte ständige Klagen, und die materielle Not des bosnischen Volkes, das unter dem türkischen Joch geknechtet gewesen war, rief nach Hilfe. Große Aufgaben harrten hier der Erfüllung; man erwartete sehnsüchtig den Besuch des Kronprinzenpaares.

Unsere Reise begann in Agram mit den üblichen Empfängen; überall in Kroatien wurden wir jubelnd aufgenommen. Kaum war die Grenze des Okkupationsgebietes überschritten, veränderte sich das Bild mit einem Schlag. Türken drängten sich neugierig an die Bahn; Minarets blinkten überall aus dem Tiefgrün des für die Landschaft charakteristischen Laubwaldes. Banjaluka, unser erster Aufenthaltsort, bot außer einer Moschee nichts Bemerkenswertes, aber seine Umgebung war lieblich; von einer Höhe genoß ich die schöne Aussicht in das Vrbas-Tal und die Save-Ebene. Eigenartig war die Fahrt nach Bosnisch-Gradiska, das nur von Mohammedanern und Störchen bewohnt war; jedes Haus trug ein riesiges Nest, in dem meist fünf Junge mit zwei Alten hausten. Die Weiterfahrt auf der Save war eintönig. Am Abend erreichten wir Bosnisch-Brod, wo unser eine vieltausendköpfige Menschenmenge harrte, die sich malerisch an den Hängen gruppierte. Minister von Kállay Benjamin von Kállay, 1882-1903 öst.-ung. Finanzminister, zugleich Leiter der Verwaltung Bosniens und der Herzegowina. begrüßte uns an der Spitze sämtlicher Behörden. Von hier ab benutzten wir die k. u. k. Militärbahn mit ihren schmalspurigen Gleisen und hübschen Miniaturwaggons. Ein schöner, klarer Morgen fand uns im Bosnatal.

Hohe Berge verkündeten dann die Nähe der Hauptstadt Sarajevo. Von schneebedecktem Hochgebirge, Eichen- und Buchenwäldern umrahmt, ist ihre Lage ganz einzig. Nicht umsonst nannte man sie das goldene Sarajevo.

Enge Straßen, malerische Häuser mit vergitterten Haremsfenstern, bunte Kostüme, schöne Türkengestalten, ein interessanter Bazar charakterisieren diese orientalische Stadt. Vom Bahnhof, wo ein großartiger Empfang stattfand, bis zum Regierungsgebäude begleitete uns beim Einzug ein Banderium von bosnischen Begs auf reichgezäumten Pferden. Tausende Menschen füllten in buntem Durcheinander die Straßen.

Während des großen Diners hielt der Kronprinz eine Ansprache, in der er den Pionieren der Kultur im Okkupationsgebiet seinen Dank zollte. Bevor er das Zivio auf den Kaiser ausbrachte, flocht er die Bemerkung ein, es sei die Mission Österreich-Ungarns, abendländische Kultur nach dem Osten zu tragen. Die Worte riefen ein ziemliches Aufsehen hervor. Vor allem in Rußland, das in diesem Ausspruch ein scharfes Zukunftsprogramm des als Russengegner bekannten Kronprinzen erblickte. In Bosnien war man auch nicht ganz einverstanden – man wollte seine morgenländischen Sitten und Gebräuche nicht mit den europäischen vertauschen. Die höchste Erregung aber herrschte am Ballhausplatz, wo man zwar die Politik der Beeinflussung der Balkanländer vertrat, jedoch bestrebt war, diese politischen Pläne geheimzuhalten.

Zwischen den vielen offiziellen Besichtigungen konnten wir doch auch den Stadtteil Carsik, wo sich die Bazare befinden, durchkreuzen; hier pulsierte der Handel in einem orientalisch wogenden, lärmenden Treiben. Bei tropischer Hitze fuhren wir dann zu dem am Ufer der Bosna gelegenen orientalisch-orthodoxen Seminar in Reljavo und widmeten einige Stunden dem reizenden, damals im Aufblühen begriffenen Kurort Ilidze.

Als wir nach dem Festdiner aus dem Gebäude traten, zeigten sich uns die Höhen rings um die Stadt von lodernden Feuern erleuchtet; die in tausend Farben erglühenden Minarets der zahllosen Moscheen strahlten hoch über dem Häusermeer. Wir hatten Ähnliches schon oft gesehen, aber eine derartig imposante Beleuchtung wie in Sarajevo selten.

Am nächsten Tag fand ein Diner im Militärkasino statt. Nach demselben wurde ein Hochzeitszug mit dem Kola nach altserbischem Brauch von den höheren Ständen der Bevölkerung aufgeführt. Alles war in Nationaltracht; die Musik wurde auf der Guzla, einer Art Mandoline, von jungen Notablen gespielt. Die Abnahme der gesamten Garnison durch den Kronprinzen am Morgen war wunderschön. Die straffe Haltung der stattlichen bosnisch-herzegowinischen Regimenter machte den besten Eindruck; sie hatten einst als Elitetruppe zu den tapfersten der türkischen Armee gezählt.

Nach der Revue verließ der Kronprinz mit Erzherzog Otto, der uns begleitet hatte, Sarajevo, um eine Inspektionsreise in der Herzegowina anzutreten. Da diese einen ausschließlich militärischen Charakter hatte, verblieb ich noch einen Tag dort, um sämtliche Klöster und Bildungsanstalten zu besichtigen, aber auch, um die heulenden Derwische in einer Moschee des Türkenviertels zu betrachten.

Die einheimischen Frauen wollten mich natürlich auch sehen; nur war es schwer, die mohammedanischen Damen, die sich öffentlich nie zeigen dürfen, zu bewegen, bei mir zu erscheinen. Mein ganzes Absteigequartier mußte von Männern geräumt werden, sogar die Schildwachen vor dem Regierungsgebäude mußten weichen. Meine Hofdamen, Kammerdienerinnen und Dienstmädchen versahen Lakaien- und Türhüterdienste und geleiteten die erschienenen Damen in meine Räume, wo sie von meiner Obersthofmeisterin sowie der Gräfin Silva-Tarouca, geb. Gräfin Kalnoky und der Baronin David als Dolmetsch empfangen wurden. Ich fand die Türkinnen herrlich naiv und ungeniert, kaum konnte ich mich ihrer erwehren. Sie interessierten sich lebhaft für meine Kleider, tasteten sie ab und stellten die köstlichsten Fragen. Ich mußte herzlich über ihr Erstaunen und ihre Neugierde lachen. Schön war eigentlich keine, aber ihre Kostüme verliehen ihnen einen unleugbaren Reiz. Bei ihrer Abfahrt spähte mein verstecktes männliches Gefolge sehr gespannt nach ihnen aus, bekam jedoch von den vermummten Mohammedanerinnen nicht viel zu sehen.

Recht angeregt von meinen Erlebnissen, reiste ich nach Donja Tuzla. Auf allen Stationen mußte ich aussteigen, die Leute schienen von weit und breit herbeigewandert zu sein, um mir Ovationen zu bringen. Ich wohnte einem ungeheuren Volksfest und einem Wettrennen bei, das sich besonders malerisch gestaltete durch die bunten Trachten der nach vielen Tausenden zählenden Landleute aus der Umgegend; sogar auf den Abhängen der nahen Hügel lagerten in weißen Verhüllungen die Frauen. Das landesübliche Rennen von Pferden ohne Reiter, nur durch Zurufe angetrieben, interessierte mich lebhaft. Originell war auch die Begleitung der türkischen Musik zu einem riesigen Kola, der von vielen Hunderten von Tänzern ausführt wurde. Auf dem Exerzierplatz nahm ich die Defilierung der Garnison ab und bei dem darauf folgenden Bankett brachte ich einen Toast auf das Offizierkorps aus, der lebhaft akklamiert wurde. Ich sprach gern und leicht, Verlegenheit kannte ich nicht; meine Natürlichkeit im Verkehr mit allen Klassen und mein gutes Gedächtnis kamen mir dabei zu statten.

Damit war meine Reise in Bosnien beendet. An der Grenze verabschiedeten sich die Chefs der Landesregierungen. In Budapest erwartete mich Minister von Kállay. Einige Stunden später stieg der Kaiser in meinem Salonwagen ein; beim Frühstück drückte er mir seine Genugtuung über den Erfolg unserer Reise aus.

Während der Kronprinz noch in der Herzegowina weilte, fuhr ich zu meiner Schwester Louise ins Honter Komitat und verblieb dort bis zur Eröffnung der Jubiläumsausstellung in Wien, wo ich mit dem Kronprinzen wieder zusammentraf. Nach kurzem Aufenthalt setzte er seine militärischen Inspizierungen zunächst in Oberösterreich und Tirol, dann in Galizien fort.

Aus Lemberg schrieb er mir am 30. Juli:

»Ich bin sehr abgehetzt. Die letzten Tage waren ungemein mühsam; von früh bis abends in Bewegung, dabei den Tag über die fürchterliche Hitze, Staub, Gestank, elendes Essen, jeden Abend kolossales Gewitter, aber immer ohne Abkühlung. So geht es fort in angenehmer Abwechselung.

Das Land hat sich seit vorigem Sommer ganz geändert, man glaubt schon im Beginn kriegerischer Operationen zu leben; überall Zelt- und Barackenlager, Befestigungen, Depots und neue Bahnen, dabei ist alles vollgestopft mit Soldaten, die mehr oder weniger eine recht elende Existenz führen.

Bei Potocki erlegte ich einen recht guten Hirsch; ich konnte nur sehr kurze Zeit pirschen, da ich sehr viel zu tun hatte. Morgen inspiziere ich wieder und übermorgen in aller Früh fahre ich nach Ungarn.

Hoffentlich hast du gutes Wetter und unterhältst Dich gut in Bayern.

Dich und die Kleine von ganzem Herzen umarmend bin ich
Dein Dich liebender Coco.

Im September kam mein Onkel Eduard, Prinz von Wales, zu Besuch – eine neue, wenn auch für den Kronprinzen freudige Belastung. Am 12. September schrieb er mir aus Belovar in Kroatien.

»Endlich kann ich Dir wieder schreiben, ich hatte in den letzten Tagen wirklich keinen freien Augenblick. Am 9. mußte ich in Stellvertretung des Kaisers bei der Ausstellung in Wels sein. Am 10. kam der Wales an, und da hatte ich die Aufgabe mich mit ihm zu beschäftigen; gestern und vorgestern waren große Diners, dann Ausstellungsbesuch im Prater, Schützenfest, Visiten etc. Ich bin müde und sehne mich nach Ruhe. Gestern abend reisten wir von Wien ab, heute früh trafen wir hier ein. Großer Empfang, viel Spektakel, dieselben Leute alle wie in Agram und Hetze ohne Ende. Morgen und übermorgen sind Manöver, dann reise ich nach Wien und gleich weiter nach Orth. Am 17. fahre ich zu Potocki nach Galizien. Wann kommst Du in Wien an? Wales geht auch nach Rumänien und dann nach Görgény. Er ist der besten Laune und will alles sehen, alles mitmachen; unermüdlich bleibt er immer der alte.«

Die zwei Thronerben verstanden sich vortrefflich, wenn es sich um Jagd oder Vergnügen handelte. Beide waren vorzügliche Schützen, starke Trinker und große Feinschmecker. Der Prinz von Wales war jedoch auch ein außergewöhnlich scharfsinniger, kluger und taktvoller Mensch. Mir war er ein guter Verwandter; sein Gespräch war anregend, sehr gut pointiert und seine Bildung hervorragend.

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