Carl Spitteler
Gedichte
Carl Spitteler

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Die Beiden Züge

        Horch, welch ein Jubel, welch ein Glockenhall!
Die Straße braust von Menschenwogenschwall.
Das ist ein Drängen, Wimmeln und Gewühl,
Begeistrungshungrig und erwartungsschwül.
Da jauchzt der Aufruhr: »Platz, der Festzug naht.«
Musik bricht an. Wie ich ans Fenster trat,
Sah ich beim Bannergruß und Flaggenwinken
Halbarden glänzen, Morgensterne blinken.
Von Samt und Seide lachte Farbenlust,
Und frohe Andacht schwellte jede Brust.

Plötzlich durch die geputzte Sonntagswelt
Ertönt ein: »Halt!« Ein ferner Hornstoß gellt.
Die Menge weicht, das Lebehoch verstummt,
Mit dumpfen Schlägen eine Trommel brummt.
Über die Brücke stampft, bestaubt, bepackt,
Ein schweigend Bataillon in festem Takt.
Die Fahne hoch, der Oberst an der Spitze,
Und aller Augen sprühen Mutesblitze.

»Im Zug zu Vieren!« herrscht Kommandoschall,
Und durch die Reihen klirrt der Widerhall.
Jeder gehorchte ohne Wort und Wank,
Und keiner hofft auf Beifall oder Dank.
Die Züge schwenken links und rechter Hand –
Sagt an, mit welchem zog das Vaterland?

 


 


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