August Sperl
Richiza
August Sperl

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Sechzehn Tage waren über das Land gegangen. Im duftenden Walde blühten die Maiglöckchen; kraftlos lag der Blinde auf seinem Bette.

Das Morgenlicht stahl sich durch die Ladenritzen. Zu Häupten des Gemahls kauerte auf niederem Schemel die Gräfin. Zu seinen Füßen war der ermattete Kaplan in Schlummer gesunken.

Da bewegte sich der Blinde und stöhnte: »Wasser!«

Lautlos erhob sich die Gräfin, nahm den Goldbecher und netzte seine trockenen Lippen.

Mit halblauter Stimme sagte der Graf: »Jetzt hat er sich auf den Weg gemacht.«

Da erwachte der Kaplan, fuhr empor und fragte schlaftrunken: »Was befehlt Ihr?«

Die Gräfin lauschte vornübergeneigt.

Zum zweitenmal flüsterte der Graf: »Jetzt hat er sich auf den Weg gemacht.«

Verwundert rieb der Kaplan seine Augen und fragte: »Wer?«

»Der Gewaltige,« sagte der Graf und verharrte in Schweigen.

Da schlich der Kaplan zum Fenster und öffnete den Laden. Starke Morgenluft strömte in das dumpfe Gemach, und aus den Tiefen des Grübert, aus den Gärten der Burg klang das Jubilieren der Vögel über das Bette des Kranken.

Der zog die Knie hoch unter der seidenen Decke, 272 und seine erloschenen Augen starrten auf die östliche Wand: »Ich höre die Steine klingen unter seinen Tritten,« sagte er halblaut vor sich hin. Aber das Weib und der Priester verstanden ihn nicht.

Die erblindeten Augen waren sehend geworden, durchdrangen die Mauer und sahen es unaufhaltsam herangleiten aus der Tiefe der taunassen Wälder – und es war eine übermenschliche Gestalt, grau, gleich einem Wolkenfetzen am Berghang.

Lautlos glitt der Gewaltige zwischen den mattleuchtenden Baumstämmen dahin, seinem Ziel entgegen. Er glitt durch die Dämmerung der Waldestiefe, er glitt über sonnige Blößen – rastlos glitt er seinem Ziel entgegen.

Schnecken krochen träge über den schmalen Pfad – unbarmherzig zertrat sie sein Fuß. Vögel jubilierten auf schwanken Zweigen vor ihren kunstvollen Nestern – unbarmherzig traf sie der Schlag seiner Sichel. Blütenzweige schwankten im Lufthauche des Morgens und sogen begierig das goldene Licht in ihre Kelche – unbarmherzig fuhr der frostige Atem des Würgers darüber, daß sie geknickt herabsanken und ihre schimmernden Blättlein zerstreuten. Unaufhaltsam glitt er vorwärts durch Licht und Schatten, vorwärts, seinem Ziel entgegen.

Der Blinde befahl mit Anstrengung, daß man ihm das Kaiserkleid bringe.

»Das Kaiserkleid?« murmelte der Kaplan und 273 holte den Kämmerling. »Das Kaiserkleid?« fragte dieser und hielt die Hand hinters Ohr. »Das Kaiserkleid?« fragte er zum zweiten Male am Lager des Blinden, weil er's nicht zu glauben vermochte. »Das Kaiserkleid!« murmelte der Graf, und sein Kämmerling hob nun kopfschüttelnd den Deckel der Truhe.

»Da kommt er in die Tirnitz herab,« murmelte der Graf.

»In den Tirnitzwald?« raunte der Diener und schielte hinüber auf den Kaplan. Der aber zuckte die Achseln hinter dem Rücken des Herrn.

Ein finsteres Lächeln ging über das Antlitz des Alten: »Ihr Narren – könntet ihr sehen, was ich sehe!«

Schweigend bedeckten sie ihn mit dem Prachtgewand, in dem er vor Jahren dem Kaiser gehuldigt hatte, und kraftlos fielen seine Knie auseinander.

Die Silberfäden der köstlichen Stickerei blinkten, die tiefrote Seide schimmerte, und die edeln Steine der Borte glühten und funkelten. Mit gefalteten Händen lag der Blinde, und seine erloschenen Augen starrten in die Ecke. Und er sah schärfer als alle, die in der Stube waren.

»Jetzt kommt er die Leeren herauf, über die Waldgräber,« murmelte er nach einer Weile.

Die andern sahen sich schweigend an. Nur der Kämmerling raunte am Ohr der Gräfin: »Er redet irre, der arme Herr.«

274 »Er – redet – nicht – irre!« stieß der Graf mühsam hervor. Nach einiger Zeit aber sagte er: »Jetzt ist er an die Planken gekommen.« Zugleich sank sein Haupt in die Kissen, das Kinn hob sich, schwer ging der Atem, die Augendeckel fielen herab, und von den Nasenflügeln wichen die Wangen zurück.

Auf dem Fahrwege zwischen den Planken kam der Gewaltige heran. Kein Wächter gebot ihm Halt. Wie ein grauer Nebelstreifen glitt er dahin und kam unter die Burg. Kein Hornruf meldete den Burgleuten seine Ankunft. Ungesehen schlüpfte er durch das Pförtlein und glitt quer über den engen Hof zum Palas. Knechte und Mägde hantierten vor dem Küchenbau und vor den Ställen; kein menschliches Auge ward sein gewahr.

»Rett' Castell all Tag!« lallte der Greis. Aber sie verstanden ihn nicht.

Der Gewaltige kam die Freitreppe hinan und lehnte seinen Stab an die Mauer neben die Türe. Dann glitt er den Laubengang hinunter ins Gemach des Grafen, trat ungesehen an sein Bett und berührte seine Stirne. Da war's, als wüchse die Nase des Sterbenden spitz hinaus über das wachsgelbe Gesicht, und seine Schläfen fielen ein. Schweiß perlte auf der hohen Stirn unter den weißen Haaren, Todesgeruch erfüllte das Gemach.

Diener rannten die hallenden Gänge entlang, mit zitternden Händen sprengte der Kaplan seinem 275 Herrn eine wohlriechende Essenz ins Antlitz und murmelte Gebete. Händeringend stand der Kämmerling, schluchzend lag die Gräfin auf den Knien und bedeckte die Hand des Sterbenden mit Küssen. Verstört lehnte Richiza unter der Türe.

Lautlos, unsichtbar, wie er gekommen, so glitt der Gewaltige wieder aus dem Schlosse, hinein in den sonnigen Tag.

Pferde wurden aus dem Stalle gezogen, Hufeisen klapperten auf dem Pflaster des Hofes. Boten schritten sporenklirrend aus dem Palas und schwangen sich in die Sättel.

Das Glöcklein wimmerte vom Dachreiter der Schloßkapelle hinein in den Singsang der Wälder. Die Totenglocke des Dorfes gab Antwort. Gegen Morgen und Abend, gegen Mittag und Mitternacht ritten die Boten auf staubigen Straßen, aus allen Dörfern stieg hinter ihnen das Glockengeläute zum blauen Himmel empor, und es war ein einzig Summen und Klagen über dem ganzen Gau.

Droben aber wuschen sie den Schweiß des Todes von der Stirn des Grafen.

*

Richiza blieb, und leise rieselte die Zeit dahin. Richiza blieb, und bei ihr blieb das Wort des Verstoßenen: »Ich will wieder kommen, wenn ich mit Ehren zu kommen vermag.« 276

 


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