August Sperl
Richiza
August Sperl

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Sechstes Kapitel

»Das Heiltum!« sprach Richiza ganz laut vor sich hin, schreckte beim Klange der eignen Stimme zusammen und sah sich um. –

Eifrig zupfte sie, stärker flossen die Tränen.

Da kamen aus der Ferne schwere Tritte: Sporen klirrten über die ächzenden Bretter des Wehrganges.

Das Kind fuhr empor, warf die zerzupfte Leinwand auf den Tisch, steckte die Hände ins Wasserbecken und näßte hastig seine rotgeweinten Augen.

Die Schritte kamen näher, und ratlos blickte Richiza in der Kammer umher.

In der Ecke neben der offenen Tür hingen, an langen Schnüren aufgereiht, große Zwiebeln herab, dicht nebeneinander, anzusehen wie ein Vorhang. Da griff das Kind nach einem Messer, huschte in die Ecke hinter den Vorhang, riß eine Zwiebel ab und begann sie zu zerschneiden.

Vor der rundbogigen Türöffnung stand der Jüngste des Hauses Castell, barhäuptig, aber gewappnet vom Scheitel bis zur Sohle, staubbedeckt, wie er vom Buhurd gekommen war.

»Chizza!« rief er, bückte sich und spähte hinein.

Regungslos stand die Kleine hinter dem Vorhang und schnitt mit zitternder Hand an ihrer Zwiebel.

74 »Chizza!« rief er zum zweitenmal und trat über die Schwelle in das sonnige Gemach.

Leise bewegten sich die Zwiebeln an ihren Schnüren. »Aber da bist du ja –! Warum sagst du denn nichts?« Klirrend ging er gegen die Ecke.

Richiza schlüpfte hervor, hielt in der Linken die Zwiebel und in der Rechten das Messer und murmelte mit niedergeschlagenen Augen: »Du bist's – Friedel?«

Er fuhr mit den gespreizten Fingern durch seine feuchten Locken und starrte ratlos auf das Jungfräulein. »Aber – was stehst du denn am hellen Abend da hinten und flennst?«

Krampfhaft schlossen sich ihre Hände um Zwiebel und Messergriff, und trotzig, mit abgewandtem Gesichte, stieß sie hervor: »Die dummen – die dummen Zwiebeln treiben einem das Wasser in die Augen – – das kannst du doch wissen?«

»So leg die Zwiebel weg und gib mir die Hand!« sagte er.

Mit zögernden Schritten ging sie an den Tisch, legte die Zwiebel darauf, begann mit dem Messer in das harte Holz zu bohren und zeigte dem Knaben beharrlich den Rücken.

»Du wirst die Spitze verderben,« äußerte sich Jung-Friedel in belehrendem Tone.

Da senkte sie den Kopf tief auf die Brust, stampfte zornig und bohrte weiter. »Du aber – du sprichst 75 immer mit mir – immer mit mir, als wär' ich – als wär' ich ein Päppelkind!«

»Dumme Chizza!« sagte er gutmütig und kam näher.

»Und ich bin aber doch keines!« rief sie stampfend mit halberstickter Stimme, wandte das dunkelrote Gesicht einen Augenblick über die Schulter und bohrte weiter.

»Liebe, dumme Chizza,« sagte er nun ganz dicht hinter ihr. »Abschied möcht' ich nehmen. Die Kunne hat mir's verraten, daß du heroben bist – hörst du, Chizza? Übermorgen – du weißt doch – übermorgen reisen wir. Hörst du? Wer weiß, ob ich dich morgen noch einmal – ob ich dich allein sehe? Da – da möcht' ich dir heut schon die Hand geben zum Abschied.«

Klirrend fiel das Messer auf die Tischplatte; Richiza schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut auf.

Ratlos stand der lange Junge und zerrte an den flaumigen, weißblonden Härchen seiner Oberlippe.

Vor ihm stand das Kind mit abgewandtem Gesicht und schluchzte, daß es bebte. Und wiederum versuchte es zu stampfen; aber das wollte ihm nicht mehr gelingen. Unverständliche Laute kamen von den zitternden Lippen.

»Ich versteh' nicht,« sagte Jung-Friedel und legte schüchtern die Hand auf ihre Schulter. Heftig stieß 76 ihn Richiza mit dem Ellbogen zurück und schluchzte: »Die dumme, dumme Zwiebel, die dumme!«

Ein frohes Lächeln ging über das Gesicht des Gewappneten. Er kreuzte seine Hände über dem Rücken, er neigte sich nach vorn und flüsterte nahe an dem brennroten Öhrchen der kleinen Dame: »Ist dir's ein wenig leid um mich, sag doch, Richiza?«

Krampfhaft preßte sie die Finger ans Gesicht, schüttelte den Kopf und murrte: »Kein – bissel –!«

Nun legte der Junge behutsam den linken Arm um ihre Hüfte.

Ein Zittern lief über ihre Glieder. Doch sie ließ sich's gefallen und begann nur wieder leise zu weinen.

Sachte streichelte seine Rechte ihr lockiges Haar und die Hände vor ihrem Antlitz: »Ist dir's ein wenig leid um mich, Richiza?«

Sie nickte etliche Male, und sachte streichelte er die Hände vor ihrem Antlitz.

Da ließ sie die Hände sinken, wandte sich jählings, klammerte sich an ihn und stieß heraus: »O Friedel – sie werden dir einen Speer in den Leib rennen!«

»Hoffentlich nicht!« lachte er, faßte sie unterm Kinn und küßte sie schüchtern auf den bebenden Mund: »Süße Chizza!«

Willenlos lehnte sie an seiner Brust. Ihre Augen waren geschlossen, und mit halbgeöffnetem Munde stammelte sie: »Aber Friedel – aber – Friedel!«

77 »Du mußt mir deinen Schleier an die Lanze binden – hörst du? Den weißen Schleier mit den roten Tupfen, Chizza!«

Sie nickte, seufzte tief auf, schreckte zusammen, entriß sich seiner Umarmung und huschte an die Türe.

»Chizza – bleib doch!« rief er.

Unter dem Türbogen wandte sie sich und streckte abwehrend die Rechte gegen ihn. Er wollte zu ihr, doch er getraute sich nicht.

Der Widerschein des glühroten Abendhimmels leuchtete auf ihrem weißen Kleidchen, auf ihrem verweinten Gesicht und auf ihrem goldflimmernden Haar.

Ein Kind war vor wenigen Stunden durch den Rundbogen in die Kräuterkammer getreten. Aber es war kein Kind mehr, das nun mit krampfhaft gefalteten Händen im gleichen Rundbogen stand, mit großen Augen auf den Geliebten sah und langsam sprach: »O Friedel – was haben wir getan!«

»Chizza, was denn?« rief er schmeichelnd und suchte nach einem Scherzwort. Aber es fiel ihm nichts ein. Und so blieb er gehorsam stehen, bis die leichten Schritte verhallt waren auf den knarrenden Brettern des Wehrganges.

Dann besah er in Gedanken das Häuflein zerzupfter Leinwand und die wohlverschlossenen Töpfe mit Wundsalbe – und ging klirrend aus der Kammer. 78

 


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