August Sperl
Richiza
August Sperl

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Fünftes Kapitel

Acht Türme ragten über die Ringmauer des Grafenschlosses empor, fünfeckige Türme mit braunroten, spitzigen Hüten. Ein hölzerner Wehrgang lief ringsum an der Innenseite der Mauer. Enge Rundbogen führten aus den Türmen auf den Wehrgang heraus. Jeder von den Türmen hatte seinen besonderen Namen von alters her. Und der äußerste gegen Westen, der über dem Dorfe, hieß Turm Frankenland. Er barg die Kräuterkammer der Gräfin.

Es war kühl in dem lustigen, sonnenhellen Raume zwischen den dicken Mauern. Der Boden war mit Ziegelsteinen gepflastert, rings auf den hölzernen Wandgestellen blinkten zahllose glasierte Töpfe, getrocknete Kräuter hingen bündelweise an kreuz und quer gespannten Schnüren, nach allen Heilmitteln des Waldes und des sonnigen Feldrains duftete das große Gemach.

Die Gräfin stand mit ihrer alten Gürtelmagd am Eichentische und füllte die lange Reihe kleiner Töpfe mit grauer, wohlriechender Salbe. Richiza hockte auf einem Schemel, hatte eine große Schüssel 64 im Schoße und plätscherte mit der schmalen Hand im Wasser.

»Sie sind ganz weich, Frau Patin,« sagte sie und zog eines der Pergamentblättchen heraus.

Die Gräfin hob das verweinte Antlitz und antwortete leise: »Du kannst gleich anfangen – stell die Schüssel hierher!« Und damit nahm sie ein triefendes Pergamentblatt, spannte es über den ersten Salbentopf und schlang Bindfaden darum. »So – nun lege die Fingerspitze hierher,« sagte sie und zog die Schlinge zu.

»Au!« stöhnte Richiza.

»O du –!« murmelte die Gräfin mit trübem Lächeln.

»Ei, Frau Patin, Ihr habt mich doch gezwickt!« klagte Richiza und rieb den Finger. »Aber nun laßt mich's machen, ich kann's.«

»Sie ist wehleidig wie die Jungfrau im Märlein!« spottete die Gürtelmagd.

»Jawohl – du mit deinen Reibeisenhänden!« schmollte das Kind. »Frau Patin, ich sag' Euch, wenn einem die Kunne ein Seidentüchlein um den Hals schlingt – brr –!«

»Was ist dann?« fragte die Gräfin.

»O, Frau Patin –!« Richiza verzog das Gesicht und schüttelte sich. »Man spürt's bis in den Magen; es ist anzuhören, wie wenn einer mit dem harten Griffel über die Schiefertafel fährt.«

Die Gräfin strich den Rest der Salbe in das 65 letzte Töpfchen. Die Magd aber murrte: »Ich sag's ja, sie ist wehleidig wie die Königstochter im Märlein.«

»Sputet euch!« mahnte die Gräfin. »Es ist nicht Zeit, an Märlein zu denken.« Und damit ging sie hinaus, den verdeckten Wehrgang hinunter, mit sehr müden, schleppenden Schritten.

Richiza spannte das Pergament über die Töpfchen, und die alte Kunne legte den Finger dorthin, wo der Knoten zu schlingen war.

Eine Zeitlang verrichteten sie schweigend ihr Geschäft. Dann hub die Magd an: »Die Mannsleut hauen und stechen einander wund, wir Weiberleut aber müssen ihnen die Salben schmieren. Es ist ein grausam Ding um den Krieg.«

»O Kunne,« rief das Mägdlein, »was verstehst denn du davon? Wenn's keinen Krieg gäb', dann gäb's keine Helden, und wenn's keine Helden gäb', dann gäb's keine Sänger, und wenn's keine Sänger gäb' –« Sie hatte ein Pergament aus dem Wasser gehoben, ließ es wieder sinken, faltete die nassen Hände, warf den Kopf zurück, sah mit verzückten Augen zu den Balken empor und flüsterte: »Weißt, Kunne, wenn's keine Sänger gäb', dann – möcht' ich gleich gar nimmer leben.«

Die Magd lächelte spöttisch und rieb ihre Nase. Dann sagte sie: »Sputet Euch, Jungfrau, wir müssen fertig werden!«

»O du –!« schmollte die Kleine. »Aber was 66 weißt du auch von Helden und Sängern?« Und mit spitzen Fingern nahm sie wieder ein Pergamentblatt aus dem Wasser. »O, wenn ich ein Mann wäre und dürft' übermorgen mit all den andern zu Pferd steigen und in den Krieg ziehen –!«

Spöttisch lächelte die alte Kunne und preßte den knochigen Zeigefinger auf den Bindfaden.

»Wie der grimme Hagen wollt' ich unter die Feinde fahren und hauen und stechen und – und dann käm' ich heim, bedeckt mit Wunden – –«

»So, doch wieder heimkommen?« erkundigte sich die Magd.

»Eia, gewiß!« meinte Richiza eifrig. »Als ein siegreicher Held heimkommen, das ist schön. Heimkommen, gewiß –! Du, Kunne,« unterbrach sie sich, »wo hat denn die Frau Patin ihre Feigen?« Begehrlich wandten sich die glänzenden Augen zu den Wandgestellen. Die Magd aber schlurfte über die Ziegel, nahm einen Topf herab und holte eine Handvoll Feigen heraus.

Behaglich aß Richiza zwischen der Arbeit und wob weiter an ihrem Heldentraum. Immer wieder mahnte die Magd, und nur ihr war's zu danken, daß sich trotz Feigen und Heldentaten ein Salbentöpflein nach dem andern mit Pergament überspannte.

Endlich aber fuhr es der alten Kunne aus dem zahnluckigen Munde: »Ist ja doch alles zum Lachen, was Ihr da sagt, zum Lachen, wenn's einer wirklich erlebt hat.«

67 »Aber Kunne, bist du grob!« schmollte das Kind.

»Tut mir leid, kann nit anders,« murrte die Magd. »Laßt mich aus mit Euern Helden und Sängern, ich hab's gesehen, wie's wirklich ist, und – und hab's auch gerochen.«

»O, erzähl!« bat Richiza und klatschte in die Hände.

Einen mitleidigen Blick warf die Alte auf das Kind. »Ist aber kein Märlein, Jungfrau.«

»O, erzähl!« schmeichelte Richiza.

»Sputet Euch!« mahnte die Magd, und gehorsam hob das Kind wieder ein Pergament aus der Schüssel.

Raunend erzählte die Magd unter der Arbeit: »Wenn sie ausfahren, blitzblank und freudig, dann ist's wohl schön und stolz. Bin auch jung gewesen, hab' auch gern geguckt nach den grimmigen Reitern und mutigen Pferden und gerne gehorcht auf die Pfeifen und Trommeln und Hörner. Und hat sich auch, dürft's glauben, manch einer nach mir umgeschaut. Manch einer, und nicht bloß von den Knechten – o nein! Aber ich – ich – na, Ihr seid noch jung, Ihr könnt mich doch nit verstehen –«

»O,« wehrte sich Richiza, »du darfst mich nit für ganz dumm halten. Ich weiß auch, wie's in der Welt zugeht. Du hast gewiß« – nun wurde sie ein wenig rot – »du hast halt einen Geliebten gehabt?«

»Schau einer das Kind!« staunte die Magd. »Jawohl, Jungfer, ich hab' einen gehabt, der hat 68 mich gern gesehen in Ehren, und ich ihn auch. Muß mich nit schämen, wenn ich davon erzähl' – jawohl, ich hab' einen Geliebten gehabt.« Sie fuhr mit dem rauhen Rücken der Hand über ihre Augen. »Und die andern, jawohl, die haben ihn einen Helden geheißen hernach –«

»Einen Helden, einen leibhaftigen Helden hast du gehabt?« rief das Kind.

»Einen Helden,« murmelte die Magd. »Jawohl, aber was hat's mir genutzt, daß er ein Held gewesen ist?« Sie wandte sich weg und kämpfte mit dem Weinen. »Drunten in den zwei Hofstuben sind sie gelegen hernach – o Jungfrau! Und wenn heut etwa Fahrende unter die Linde kommen und zupfen die Saiten, recken sich und wiegen sich hin und her, verdrehen die Augen und singen:

Mit Wunden bedeckt,
Auf den Rasen gestreckt,
So liegen die tapferen Mannen –

ei, das hört sich anders an als damals Tag und Nacht in den heißen Stuben das Schreien und Stöhnen und Ächzen. O Jungfrau – wenn einem der Schädel eingeschlagen ist, daß sich die Scherben unter der Haut bewegen, als wär's ein zerbrochener Topf – das ist das Ärgste noch nit; gut ist ein solcher dran – er weiß ja nichts. Wenn einer aber liegt todwund mit abgebrochner Lanzenspitz' in der Brust und keucht dem Tod entgegen Tag und Nacht – –«

69 »O hör auf!« bat die Kleine mit bebenden Lippen.

»Einem war das Auge ausgeschlagen,« fuhr die Magd unbeirrt fort; »einem war der Arm zerstochen, einem andern das Bein, und so sind sie gelegen, haben durcheinander gebetet, geheult, geschrien, geflucht auch, daß es uns Weiberleuten gegraust hat. O Jungfrau, davon singen die Fahrenden nit. O Jungfer, Schüsseln voll Eiter –!«

»Hör auf, Kunne!« bat die Kleine mit gefalteten Händen.

»Und das Schreien, Jungfer!« sagte die alte Magd und rieb ihre Stirne. »Nur einer hat nit geschrien. Kein einzigmal hab' ich ihn schreien hören. Und der mit dem Eisen in der Brust ist's gewesen. Er hat nur dann und wann ganz leis gestöhnt und hat mich angeschaut. Dann ist das helle Wasser in seinen blauen Augen gestanden. Und er ist immer ganz bei sich gewesen. Gar nichts hat helfen wollen. Kein Wort, kein Kraut, kein Stein, kein blauer Diktam und kein Essig. Und zuletzt ist er brandig geworden. O Jungfer, es ist zum Erbarmen, wenn ein Mannsbild daliegt, jammert, heult, schreit; es ist zum Erbarmen und ist dennoch ein Ekel. Aber das Herz möcht' sich einem verkehren im Leib, wenn einer daliegt und verbeißt seine wütigen Schmerzen. Er tut keinen Schrei; nur das Wasser treibt's ihm in die Augen, und nur ächzen muß er von Zeit zu Zeit: ›Ach Gott, ach Gott!‹«

70 »Das ist eben ein Held!« flüsterte das Mägdlein mit bebenden Lippen. »Und gelt, Kunne, der – der Held ist der deine gewesen und –?«

Mit rauher Stimme fuhr die Alte dem Kinde in die Rede: »Zwölfe von den dreiundzwanzig haben sie, einen nach dem andern, hinunter auf den Kirchhof getragen. Seitdem geht unser gnädiger Herr mit blinden Augen umher –«

»Seitdem?« rief das Mägdlein.

»– und seitdem, wenn ein Fahrender singt von Krieg und Not und Helden – lauf' ich davon, kann's nimmer hören, lauf' davon und denk' mir: Was weißt denn du davon, du windiger Tropf? Hast denn schon sitzen müssen Tag und Nacht in heißer Sommerzeit zwischen todwunden Menschen? Oder – weißt du's und lügst?«

Sie schwieg. Dann mahnte sie mit murmelnder Stimme: »Sputet Euch, sputet Euch!«

Schweigend spannten sie die Pergamente über die letzten Töpflein. Richizas Brust hob und senkte sich in hörbaren Atemzügen, und ihre Wangen waren dunkelrot.

»Ich muß jetzt gehen,« sagte die Alte; »muß Linnen schneiden. Ihr könntet derweile das da zerzupfen.« Und damit schob sie dem Kind ein Bündel alter Leinwand zu.

»Kunne!« flüsterte Richiza.

»Was, Jungfrau?«

»Kunne, ich fürcht' mich.«

71 Die Alte nahm das nasse Händchen zwischen ihre knochigen Finger und streichelte es. Die Kleine aber ließ es ruhig geschehen, blickte mit großen, schwimmenden Augen in das gute, runzlige Gesicht und flüsterte: »Wenn sie ihn nun auch also zerstochen heimbringen, Kunne?«

Die Magd zwinkerte fast unmerklich mit den Augen und raunte: »Den Jungherrn Friedel?«

Wortlos nickte die Kleine und schluckte gegen ihre aufsteigenden Tränen.

»Der gnädige Herr wird ihn nit reiten lassen, weil er zu jung ist,« versuchte die Magd zu trösten.

Heftig schüttelte Richiza das Haupt: »Er darf – ich weiß.«

»So müßt Ihr ihm ein Heiltum ins Kleid nähen, aber er soll nichts wissen davon,« raunte die Magd nach einer Weile.

»Hast du – Kunne, hast du das auch getan?« erkundigte sich Richiza.

»Ich?« Die Stimme der Alten klang rauh. »Als wenn – ja meint Ihr denn, die Heiltümer liegen auf der Gasse? Wie hätt' ich ihm ein kräftiges Heiltum kaufen können in meiner Armutei? Ja, wenn er ein kräftiges Heiltum gehabt hätt' –«

»O Kunne, wo krieg' ich ein kräftiges Heiltum?«

»Beim Pfaffen.«

»O Kunne – beim Pfaffen? Und hilft's dann gewiß?«

72 »Nit alle Heiltümer helfen, Jungfrau; es muß das richtige Heiltum sein, Jungfrau, das richtige.«

»O Kunne, hilf mir –!«

»Ich –?«

Nachdenklich stand die Alte. Angstvoll starrte das Kind auf ihr braunes Gesicht.

»Der gnädige Herr hat eines, Jungfer, ich weiß. Habt Ihr noch nie vom Casteller Heiltum gehört?« sagte sie endlich zögernd.

»Noch nie, Kunne,« flüsterte Richiza.

»Wer's trägt, der ist aus aller Not,« murmelte die Alte geheimnisvoll. »Es macht ihn fest gegen Hieb und hart gegen Stich. In einer kostbaren Truhe verwahrt's der gnädige Herr. Es ist in Seide gebettet. Und er wird's herausnehmen in diesen Tagen und wird's einem von den Jungherrn geben, und der eine wird's tragen –«

»Der eine –!« flüsterte Richiza mit schmerzlich verzogenem Antlitz. »Und alle die andern?«

»Ich muß nun gehen,« sagte die Alte. »Und ich will mich besinnen,« setzte sie mitleidig hinzu. »Es wird mir schon etwas einfallen, Jungfrau.«

»O gelt, Kunne!«


Mit gefalteten Händen stand das Kind allein im Gemach. Die schlurfenden Schritte der Alten verklangen auf den knarrenden Brettern des Wehrganges. Tief auf seufzte das Kind, rückte einen Schemel zurecht und begann zu zupfen. Und sachte 73 rannen die Tränen über das Gesichtlein und tropften auf die schneeweiße Leinwand herab.

 


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