August Sperl
Richiza
August Sperl

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Zwanzigstes Kapitel

Schön grün, gelb, rot und braun stand der stille Grübertwald im Sonnenschein.

Die Mägde rannten aus den Türen, der 249 Torwart spähte neugierig aus seiner Stube. Knechte des Grafen kamen zum Turm, pfeifend bewegte sich der Eichenflügel in den Angeln. Sie ließen den langen Strick hinab in die Tiefe und zogen den Tannhauser rittlings auf dem Querholz aus seinem Kerker empor ans Tageslicht.

Sie fesselten die Hände des bleichen Mannes und führten ihn hinaus in den Hof. Da schloß er, geblendet vom Lichte, die Augen.

Sie sagten, er solle sich die letzte Gnade vom Grafen erbitten.

Lange blieb er die Antwort schuldig. Dann aber reckte er sich, atmete tief auf und sprach mit Trotz: »So will ich noch zum letztenmal sitzen unter einem Lindenbaum!« –

Schön grün, gelb, rot und braun stand der stille Grübertwald, und am sonnigen Hang des Schloßberges las man die Trauben.

Gefesselt an Händen und Füßen saß der Verräter den ganzen Nachmittag zwischen seinen Wächtern auf der Bank unter dem gelben Blätterdach der heiligen Linde und starrte hinunter ins Waldtal. Droben im Schlosse aber saß Graf Rupert hinter einem Guckloch und spähte hinab auf den gefangenen Mann. –

Gegen Abend kam der Burgkaplan aus dem Tor, trat vor den Gefesselten und hielt ihm ein Pergament unter die Augen: »Mich hat der gnädige Herr geschickt. Könnt Ihr das lesen?«

250 Der Tannhauser warf einen Blick auf die Schrift, schüttelte verächtlich den Kopf und sah wieder, am Pfaffen vorbei, hinab auf den herbstlichen Wald.

Da begann der Andächtige mit leiser Stimme zu lesen – Satz für Satz, wie der Blinde befohlen hatte. Droben im Schloß aber spähte der Verkrüppelte hinter dem Guckloch herab auf die beiden. Mit leiser Stimme las der Andächtige Zeile für Zeile und verdeutschte den Inhalt, und mit erhobener Stimme las er zweimal das Datum.

»Dies alles wäre Euer gewesen,« sagte er traurig. »Habt Ihr verstanden?«

Trotzig sah der arme Sünder an ihm vorbei, hinaus auf den herbstlichen Wald und gab keine Antwort.

Leise tönten die Glocken des Herdenviehs aus dem Tal empor, sehnsüchtig klang das Lied eines Hirten im Walde. Seufzend faltete der Andächtige das zerschnittene Pergament zusammen und wandte sich dem Schloßtor zu. Dann lehrte er um und trat wieder an den Gefesselten: »Wollt Ihr nicht Reu und Leid machen vor Euerm letzten Gang?«

Der Tannhauser sah ihm voll ins Gesicht, nickte und starrte wieder hinaus auf den Wald.

»So werd' ich morgen mit Sonnenaufgang zu Euch kommen,« sagte der Priester. –

Schön grün, gelb, rot und braun stand der Wald im Sonnenschein. Stumm saß der Mann, stumm saßen die Wächter. Zuweilen fiel ein gelbes 251 Blatt von der heiligen Linde. Allerlei Volk kam den Schloßberg herauf, neugierige Blicke richteten sich auf den Steinsitz. Ein kühler Luftstrom stieg aus dem Wald und trug den Modergeruch des Herbstes empor.

Die Sonne versank hinter den Hügeln des Maintales, und die Knechte führten ihren Gefangenen zurück ins Schloß. Da saß er in wohlverwahrter Kammer und aß das Henkersmahl. Dann streckte er sich auf den weichen Pfühl, lag und starrte in die Dunkelheit, bis seine Augendeckel herabfielen.


Am wolkenlosen Himmel stieg die Sonne empor. Schön grün, gelb, rot und braun stand der bereifte, stille Wald.

Vom Kirchturm wimmerte ein Glöcklein, und oben im Dorf, wo die Schloßstraße einmündete, warteten barfüßige Kinder.

»Zuerst darf er in der Luft reiten, und hernach wird er in vier Stücke zerrissen,« meinte einer.

»Ich weiß besser!« rief ein andrer. »Auf der Kuhhaut wird er hinausgeschleift. Nachher werden ihm die Augen ausgestochen, und nachher wird er von den Rössern zerrissen.«

»So ist's,« sagte ein dritter. »Und mir hat's der Martin erzählt, und der Martin muß doch eins von den vier Rössern reiten. Der weiß's.«

»Sie kommen!« rief ein Büblein, das ganz vorne stand, hob die Arme und rannte auf 252 patschenden Sohlen zurück. »Sie kommen!« ging's durch den Haufen. Und im Nu waren sie zerstoben. Hinter Zäunen und Holzstößen lugten die weißblonden Köpfe hervor.

Bewaffnete ritten zu Tal. Hinter ihnen schleiften zwei Esel die Kuhhaut mit dem armen Sünder. Zum Schlusse kamen wieder bewaffnete Reiter.

Schrittweise zogen sie durchs Dorf. Das Glöcklein wimmerte, und der stille Sonnenschein lag in den Gassen.

Zur Rechten und zur Linken standen die Leute. Höhnische Rufe flogen hinüber und herüber: »Der kriegt sein Teil! Dem g'schieht ganz recht! Übern bloßen Erdboden sollten s' ihn schleifen!« Eine schrille Weiberstimme erhob sich aus allen den andern: »Der ist schuld dran gewesen. Der hat unsre Grafen verraten! Gebt ihm sein Teil!« Faule Eier flogen auf den Verräter, über und über besudelt lag er auf der Kuhhaut. Gleichmütig zerrten ihn die Esel durch den Staub. Gleichmütig ritten die Bewaffneten fürbaß durchs Dorf, schimpfend und johlend trollte die Bauernschaft hintendrein im Staub des Weges, hinaus zum Galgenberg.


Schön grün, gelb, rot und braun stand der Wald im Sonnenlicht. Blutüberströmt, mit zusammengebissenen Zähnen, lag der Geblendete unter dem Galgen. Ungeduldig stampften die Rosse. Im 253 weiten Halbkreise, zurückgehalten von den Bewaffneten, wartete gierig die Bauernschaft.

»Warum wird er denn noch immer nit zerrissen?« fragte ein Weib.

»Weil der Graf noch kommen will,« antwortete ein Söldner.

»Er wird ihn sehen wollen, den Verräter,« sagte ein Schöffe.

»Sehen?« lachte ein andrer. »Er wird heut nit besser sehen wie sonst! Er will ihn hören, wimmern will er ihn hören.«

»Er wimmert aber nit,« sagte ein Bewaffneter.

»Wißt ihr's schon?« flüsterte ein Fußknecht, der vom Galgen herkam.

»Was?«

»Der Hund hat ihn rufen lassen, den alten Herrn!« –

Murrend, lachend, schwatzend wartete das Volk und drängte sich immer näher an den Richtplatz. Endlich kam der Blinde vom Dorfe heraufgeritten. Neugierig streckten sich die Hälse. Scheltend trieben die Grafenknechte die Gaffer zurück. Der Blinde stieg vom Pferd und ging an der Hand eines Knechtes nahe an den Gerichteten. Er winkte, und der Knecht wich zurück.

Der Graf und der Verräter waren allein.

»Du hast mich rufen lassen, Tannhauser?« sagte der Blinde.

Mühsam antwortete der Geblendete: »Ich habe 254 Euch zu danken, Graf. Es war gut sitzen gestern nachmittag unter der Linde, und auch das Essen ist schmackhaft und reichlich gewesen.«

Regungslos stand der Graf. Er hatte sich auf sein Schwert gestützt und die erloschenen Augen dorthin gerichtet, wo die Stimme erklungen war. Lautlos, mit zusammengebissenen Zähnen lag der Geblendete im Schmutz und im geronnenen Blut.

Nach langer Zeit begann er: »Ihr habt Euch geirrt, Graf. Ihr meint, ich will Euch was vorheulen, Graf. Dann geht doch heim, Graf. Denn Ihr habt Euch geirrt! Nein, geht nicht heim, Graf. Ich hab' Euch hergebeten, ich will Euch noch etwas erzählen.« Er hielt inne und atmete tief auf. »Denkt Ihr zuweilen an Euern Friedel, Graf?«

Der Alte schwieg.

»Ein schöner Knabe, Graf. Manch ein Vater könnte Euch um den tapferen Knaben beneiden, Graf! Ihr schweigt? Ei, warum schweigt Ihr denn, Graf? Ja so – er hat ja – nicht wahr, er hat wohl eine Schlacht verschlafen?« Es war totenstill unter dem Galgen. Hörbar atmete der Geblendete, und mit Anstrengung fuhr er nach einer Weile fort: »Kann er denn wirklich dafür, Graf, der tapfere Knabe? Wollt Ihr – Graf, wollt Ihr wissen, was ich weiß?«

Näher trat der Blinde und lauschte auf die Rede des Gerichteten: »So sag's, was du weißt!«

»Jawohl, sag's, was du weißt!« höhnte der Geblendete und wälzte sich auf die andre Seite.

255 »Sprich!« flehte der Greis.

»So kommt noch näher heran!« sagte der Geblendete. »Noch näher – so!«

Mit Staunen sahen die Bauern, wie sich der Graf auf die Knie niederließ und über den Gerichteten neigte. Aber kein Ohr verstand, als der Verräter murmelte: »Laßt Boten reiten, Graf, und holt ihn mit Ehren zurück, denn er ist schuldlos!«

»Sprich, Tannhauser, und ich lasse dich aufstehen als freien Mann!«

»Als freien Mann, Graf?« Der Geblendete stöhnte: »Nein, Graf, laßt Eure Knechte das Werk vollenden; jetzt brauch' ich Eure Gnade nicht mehr.«

»Sprich, Tannhauser!« flehte der Alte.

Der Gerichtete lachte, daß sich sein blutbeflecktes Antlitz verzerrte: »Unschuldig, Graf und edler Herr, so wahr mir Gott helfe zwischen jetzt und dem Abendrot. Und seht Ihr, gnädiger Herr und Graf, das hab' ich Euch sagen wollen, und mehr sag' ich nicht. Reitet wieder heim, es ist ja doch alles umsonst.«

»Ich will dich zum Reden bringen. Ich laß dir die Haut stückweise vom Leib ziehen, du Hund!« flüsterte der Alte.

»So tut's doch, Graf!« sagte der Geblendete und spuckte zur Seite. »Und wenn ich etwas sage, wißt Ihr dann auch, ob es die Wahrheit ist?«

Da ging ein Schauer über den Leib des Alten, und langsam schritt er zurück zu seinem Roß.


256 Gesenkten Hauptes kehrte er heim ins Dorf und ritt langsam den steilen Weg zur Burg hinan.

Schön grün, gelb, rot und braun ragte der Wald im Sonnenschein. Der Blinde sah es nicht.

Schwerfällig stieg er aus dem Sattel; unwillig schob er den Arm seines Begleiters zurück. Die Rosse klapperten in den Stall. Ohne Beihilfe ging er die Freitreppe hinan und schloß sich in sein Gemach.

Mit verstörtem Antlitz kam die Gräfin, pochte an die versperrte Tür und rief ihn beim Namen. Sie pochte stärker und stärker. Endlich kam's dumpf aus der Stube: »Laß mich allein!«


Die Leute trollten vom Richtplatz ins Dorf zurück, und das Wirtshaus unter der Linde hinter der Kirche füllte sich mit Einheimischen und mit Gästen aus Rüdenhausen und Wüstenfelden.


Die Gewappneten des Grafen zogen den Schloßberg hinan – mitten unter ihnen auf den starken Rossen die vier Reiter, die das blutige Werk vollendet hatten.

Bis in den Stall drang die alte Kunne und lauschte mit grimmigem Behagen auf die Erzählung der Leute. Dann stieg sie schweratmend die Freitreppe empor und suchte das Kind Richiza.

»Wollt Ihr's hören, wie er dahingefahren ist, Jungfrau? Alles weiß ich!«

257 Da stampfte das Kind und preßte die Hände an die Ohren: »Nichts will ich hören, gar nichts!« Und floh aus der Stube.


Drunten im Dorfe, zwischen den Gräbern des sonnigen Kirchhofs, spielten die Kinder. Auf einer alten Strohmatte lag der heulende Verbrecher. Es war ihm ernst mit seinen Tränen; denn mit Schlägen hatten sie den Schwächsten zum Spiele gepreßt. Ringsumher hielten die andern auf ihren Steckenpferden und schickten sich an, den Verräter zum Richtplatze zu schleifen. Wiederum entbrannte der Streit. Keiner von allen war willens, den Esel zu machen.

In den Schenken tauschten die Männer aufgeregte Rede und Wechselrede, und am Brunnen schwatzten die erhitzten Weiber. »Tapfer ist er gestorben, der Schuft, keinen Schrei hat er getan,« so sagten sie alle. Und die einen sagten es im Tone der Bewunderung, die andern mit unverhohlenem Bedauern. Nur die kleine schwarzhaarige Viehmagd des Wirtes, die mit der aufgeworfenen Nase und den frechen Äuglein, sprach es an jenem Abend geradeheraus: »Das ist auch was Rechtes gewesen! Er hat nit geschrien, wie sie ihn auseinander gerissen haben, und nit einmal krachen hab' ich's hören, weil der alte Rotmichel grad seinen Husten gekriegt hat.«


258 Ruhelos, mit schweren, müden Schritten wanderte der blinde Alte in seinem Gemach auf und nieder bis gegen Mitternacht. Dann zog er die Glocke und befahl, den Grafen Rupert aus seinem Bette zu holen.

Als der Verkrüppelte ins Gemach stampfte, saß der Alte zusammengesunken in seinem Stuhl. Er winkte, und der Sohn ließ sich auf den Schemel zu seinen Füßen nieder.

Lange schwieg der Blinde, dann mußte der junge Graf wieder einmal alles erzählen, was sich in jener bösen Nacht mit Jung-Friedel begeben hatte.

»Es ist gut,« sagte der Alte endlich, »du kannst gehen.«

Gehorsam erhob sich Graf Rupert und stampfte zur Tür. Da rief ihn der Vater zurück und fragte dringend: »Und du weißt gewiß, daß der Knabe nicht trunken war?«

»Er war nicht trunken, Herr Vater.«

»Du kannst gehen.«

Schon hatte der junge Graf die Klinke in der Hand, da rief ihn der Vater noch einmal zurück: »Rupert!«

»Herr Vater?«

»Rupert, könnte nicht doch –?« Der Greis hielt inne, preßte die flache Hand an die Stirn und seufzte tief auf. »Stehst du noch immer da?« fragte er nach einer Weile mit rauher Stimme.

259 Wortlos wandte sich der junge Graf und stampfte aus dem Gemach.

Wiederum zog der Blinde die Glocke, ließ sich vom Kämmerling in seinen Mantel hüllen und hinab zur Linde führen. Er setzte sich auf den Steinstuhl, scheuchte den Getreuen von sich, saß und horchte auf das leise Rauschen des Nachtwindes im Grübert und in dem Wipfel des Baumes.

Der alte Knecht ging bis zum Tor. Dann blieb er stehen und kam mit zögernden Schritten zurück.

Unwillig fuhr der Graf in die Höhe.

»Euer Gnaden,« sagte der Getreue mit stockender Stimme, »es wird heut eine kalte Nacht –«

»Pack dich!« grollte der Blinde. Da ging der Kämmerling, stieg auf die Ringmauer, setzte sich hinter eine Luke und bewachte seinen Herrn aus der Höhe.

Schön grün, gelb, rot und braun stand der Wald im tiefen Tal, und das milde Licht des wachsenden Mondes war darübergegossen. Der Alte sah nicht den Wald und sah nicht den silbernen Schimmer. Um ihn her war tiefe Nacht. Aber trotzdem war ihm, als zuckten ferne Blitze, und grelle Lichter fielen auf den Tannhauser und auf sein verstoßenes Kind.

Und die Lichter fielen anders als vordem. 260

 


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