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Das zweite Zwischenspiel

Man sieht in eine Straße auf einen freien Platz. Hintergrund bildet die Masse des Domes, der hoch aufragt. Zugänge rechts und links vor dem Dom, als Seitenwege einbiegend zu denken. Rechts seitlich Haus an Haus, zieht sich hin bis in den Vordergrund, wo eine Seitenstraße einmündet; das vorderste ist also ein Eckhaus. Links statt der Häuser eine rote Mauer aus Stein; Baum und Strauchwerk, das überragt, lassen dahinter einen Garten vermuten; nah dem Vordergrund bricht die Mauer plötzlich ab und geht als Gitter weiter, das schließlich nach links schräg umbiegt und so die Scene schließt. Hinter dem Gitter Busch und Baum laubenartig gehegt, Marmorstufen vor einem Marmoraltar, zwei Säulen, frei aufragend, unregelmäßig hoch, mehr wie Überreste früherer Pracht anmutend, geben die Andeutung eines Tempels. Bürgersteige rechts und links, der breite Damm teilt also die Bühne der Länge nach von vorn nach hinten, vor dem Dom erweitert er sich dann, dort auf dem freien Platz sieht man eine Anlage von Bosketts. Vor der Domwand schmaler Pfad (am hinteren Rand der Anlage). Es ist bald vor Mitternacht, die Nacht sternlos, doch in einem fahlen Licht, wie es der Mond hinter Wolken gibt.

( Chor der Straße rechts an der Kante des Bürgersteiges mit den Gesichtern zur Häuserwand in langer Reihe hockend, Männer und Weiber durcheinander, tragen lose, schmutziggraue, oft blauschillernde Gewänder, teils zerrissen, teils besudelt.)

Chor der Männer (durch die Nacht):
Wir tappen auf dem Boden,
Lust suchen unsre Finger,
Um bleiche Glieder Ringer
Kopf und unsere Hoden.

Chor der Weiber (unbändig im Takt):
Wir huren so natürlich
In jedem Arm die Glatze,
Lustkegel ungebührlich
Rollt hin, rollt her die Tatze.

(Hohes Aufkreischend)

Chor der Straße (Mann und Weib):
Wir blöden durch die Weltnacht,
Gier und Gebrüll zum Schatze,
Wir schwärzen unserm Herrgott,
Herre Gott,
Die holde Vaterfratze!

Weib (aus der Masse des Chores sich loslösend, entsetzt gegen die Häuser rechts fliehend):
Trii-i! Helft!
Ich brenne!
Schier an Leib und Bein!
Die alten Lumpen! Verflucht!
Seht ihr's nicht?

Chor der Männer und Weiber (gaffend):
Huii . . holla . . hau! hau!
Die vertrackte Frau!
Augen auf, seht sie an!
Das brennt, als war's ein Span.
Rattertam – – rrr . .

Weib:
Ich brenn – ich brenn – ich brenne,
Bin ich 'ne weiße Kerze ?
Ich bitt dich, Liebster – du da –
Renne
Mir 'nen kühlen Dolch durchs Herze –!

(laut jammernd)

Ach, alle meine Liebsten kommt!

Viele Männer (schattenhaftvorspringend, doch ebenso schnell wieder zurück):
Eins zwei – eins drei –
Hopp! Einerlei!
Sie brennt verflucht!
Sie brennt verrucht!
– Hier gilt es Hände aus dem Spiel!
Und abwarten!

(Setzen sich wieder.)

Weib:
Trii – – – – – i i!!! Zu Asche – Ach!!

(Hohe Flamme steigt drohend auf fällt über der Verbrannten ein, beleckt nur noch den Haufen Ueberbliebenes.)

Chor (Männer und Weiber abwechselnd je zwei und zwei Strophen. Männer beginnen):
Es ist aus, – es ist allemal aus.
Schade drum, – hätt ich sie doch entrissen –!

Weiber:
Es ist aus, – es ist allemal aus.
Sie hatte von Kind an ein schlechtes Gewissen.

Männer:
's wär doch geworden ein Leckerbissen!
Hätt ich sie geholt, sie blieb mir apart –

Weiber:
Es stinkt entsetzlich. Die arme Frau!

(heulend)

Daß es uns nicht so geht, – solche Todesart!!
Tröste mich, Liebster!

(Jubel, Umarmungen; treiben ihr Wesen fort.)

Eine Menge buntgekleideter Leute kommt von rechts und links hinten, sie begegnen sich in der Mitte und schließen sich zum Zug zusammen, der darauf einige Schritte vorwärts kommt. Etliche tragen Fackeln; zwei den Götzen, wie er später beschrieben wird, an langer, hölzerner Stange vorneweg. Ihrer aller Kleidung setzt sich aus mannigfaltigem Schnitt und Tuch zusammen, alles bunt, oft buntscheckig. Auch sind wohl hier und dort ihre Laster (Freßlust, Trägheit usw.) und ihre Abhängigkeit vom Golde auf ihren Kleidern in Bild oder Allegorie angedeutet oder in ihrer Ausrüstung (Kettenschmuck, Geldtasche usw.) bezeichnet. Viel dicke Leute in der Menge, Wänste und Schmerbäuche, aber auch Magere, eifrig Gierige, Schachernde: buntes Volk.

Chor der Bunten:
Nun kommen durch die Mitte
Draufgängerische Schritte,
Ein bunt und frecher Zug,
Den Götzen hier! am Bug.

Zwei Männer (aus der Menge vortretend, das Bildnis des Götzen weisend):
Sehen Sie sich den Erhabenen gefälligst an!
Alle Land und Meere sind ihm untertan.
Sie sehen uns, Menschen aus allen Berufen,
Die seinen hohen Namen anrufen.
Das macht, weil er die Sehnsucht stillt,
Von »rotem Golde« überquillt. –
Ja, Herz und Leber läßt sich von ihm stillen,
Nier und Gier, darum sind wir ihm auch zu Willen.

(Treten zurück.)

Andere Zwei (treten vor, beginnen):
Meine Herrschaften, greifen Sie nur in Ihre Taschen;
Sie werden ihn dort ebenfalls erhaschen,
Teils in Lederumhüllung, teils in Börse und Maschen.
Wissen Sie auch damit umzugehn?
Werden uns auch ohne dies verstehn:

(Sie weisen auf den Götzen.)

Verhüllte Mannsgestalt, verkappte, knieend!
Doch hier unten, zunächst unsichtbar, dem Bauche sich entziehend,
Sich drehend, umwindend, aufwärts wachsend,– dort kommt es zum Vorschein – :

(Treten zurück.)

Andere Zwei (immer rechts und links vom Götzen):
Das ist nämlich sein Gedärm, das kommt dort zum Vorschein.
Und nun, nach oben zu sich verjüngend, wie ein Baumstamm, ein Schaft,
Gedreht aus Därmen und Fasern, steigt es steil in seiner Kraft –;
Doch hier, zu oberst, da sehen Sie es sich verdickend,
Und nun wie ein Schlangenmaul klafft's auseinander!

Andre Zwei:
Einen Schlangenrachen öffnet's, öffnet's drohend nickend,
Daraus dreht sich und droht eine Faust: Der Kopf von dem Götzen.
Jetzt horchen Sie mit den Ohren alle miteinander
Und schauern mit den Augen, sich am Tiefsinn zu letzen –

Stimme (seitlich links aus den Kulissen):
Und an der Schärfe der Wahrheit alle trägen Gewissen zu wetzen!

Die zwei Ausdeuter (eilig fortfahrend):
Eine Faust, wie gesagt, bildet das Haupt von dem Götzen.

Andre Zwei (ungestümer vortretend):
Und aus dieser Faust, aus ihren Schlichen und Ritzen
Quillt es von rotem Gold, überquellend bis zu den Fingerspitzen.
Das sind sie – die hohen Vermutungen, die unsere Sinne erhitzen;
Hohe Vermutungen knüpfen sich all an unsern Götzen.

Stimme (von oben):
Das Ende! Das Ende! –

Ganzer Zug (rasch und jäh allesamt um einen Schritt vortretend):
An das Ende brauchen wir nicht zu denken,
Kann sich jeder sonst gleich in sein Grabloch versenken,
Leben gehört nun einmal zu-zu-zu-zu den Danaergeschenken.

(Rechte Fäuste erhoben.)

Was du hast, hast du! Das ist recht gedacht!
Wir präsentieren hier – horcht den Tiefsinn:

(Alle Fäuste hoch.)

Willen zur Macht!

(Sich langsam zurückziehend.)

Wenn auch einer mal Pech hat, stürzt und verkracht,
Waren's neune, nun sind's eben nur acht.
Jeder sei klug und gebe für sich Acht!
Das bringt mit sich der – Wille zur Macht!

(Sie stehen dicht gedrängt im Hintergrund vor dem Domportal.)

Schiefer, schieläugiger Zwerg (aus der Kulisse rechts mit hüpfenden Schritten, sich verbeugend, Narrenholz in der Patsche):

Das ist gar keine Ausdeutung von dem großen Philosophen,
S' waren langweilige, anmaßliche Strophen,
Hämisch nüchtern; aber doch angewandt.

(Wieder sich verbeugend):

Hieran werde die Gefahr verkappter Philosophie erkannt:
Denn wenn diese sich verkappen: – von dem großen Philosophen
Gibt's den Endspruch; – das ist keine gute Brüderschaft!
Aber am Ende prägte jenes Schlagwort gar – Geschwisterkraft? –
Ach verzeihn Sie meine anmaßlichen Strophen!

(Hüpft lustig in die Höh.)

Wenn der Große sich dies in hohes Wort und Ausdeutung verkappte,
War's dasselbe, was hier frank und frech am Willen sich entkappte?
Einer Wurzel, eines Geists, nur der eine hatte Teufelsglut –?

(hochhüpfend)

Ich aber – ich – wer deutet wohl mich Tunichtgut?
S'ist alles nicht wahr, was ich stotterte und sagte,
Und dennoch wahr, tief wahr, was ich schlotterte und wagte;
– Ich glaube, ich mache mich davon, man ist über mich in Wut.

(Verbeugend ab, springend und hüpfend, wie und von wo er gekommen?)

Chor des Götzen:
Der Zwerg, der schiefe, jetzt bekannt,
Ward »Schiefes Wort« von je benannt.
Wir lassen ihn uns nicht vergällen,
War Wahrheit doch an manchen Stellen.

Jetzt zuckt auf dem Altar links eine Flamme empor; auf den Stufen vor dem Altar und mit dem Rücken gegen ihn gewendet sieht man den Meister sitzen, einem schwermütig Sinnenden ähnlich, den Lorbeerkranz im Haar; im Kreis um ihn knieen seine Jünger. Alle tragen loses, violettes Gewand, das des Meisters ist nur in der Farbe um einen Ton tiefer als der andern, wie auch die Jünger schlichtere Kränze tragen. Während des ganzen Spiels bleibt der Meister stumm.

Chor der Jünger:
Wißt ihr denn, wer wir sind?
Wir träumen uns die Augen blind;
Weihrauch-Wogen umschwankt,
Dem Tage längst abgedankt;
Unsere Lippe lallt Gesang.

(Stille. Schwermütige Musik, fortan weiter begleitend.)

Chor (zur Hälfte):
Wißt ihr auch, wer wir sind?
Des schönen Lebens Kind.
Blumen – wir herzen sie,

Andere Hälfte:
Küsse – verschmerzen wir, –

Erste Hälfte:
Arme – wir breiten sie, –

Zweite Hälfte:
Seufzer – geleiten wir
Hin mit dem Wind.

(Musik stärker.)

Zwei aus dem Chor:
Wißt ihr auch, wie es wird?
Ruhm sei der Mannheit Hirt!
Glanz und Macht, Traum und Tod
In uns höchstes Gebot!
Einmaliges Sein verstört;
Doch wir sind nicht betört –:
Sterben schön hin.

(Musik bricht ab.)

Verhüllte Gestalt einer Frau (klagend vor der Gitterpforte):
Traurig ist ihre Schau,
Müd löst sich hin ihr Bau,
Bittet für sie!
Gottes Schöne in Trümmer verkehrt,
Unvergängliches vergänglichst beschwert, –

Chor in der Höhe:
Weh –!

Gestalt:
Weh! klag ich dies!

(Musik hebt wieder an.)

Gestalt:
Traum von hohem Wort
Ach! zu kurzem Sinn!
Drang von Hochgefühl
Ach! zu Ungewinn!
So befangen im irdischen Sein,
Sang befangen und ewig allein!
Klag ich drum!

(Musik stärker.)

Gestalt:
Weh!
Bittet für sie!
Noch die Liebe, einzig sie löst sie los,
Führt zurück, heimlichst, in Gottes Schoß –;

(umgewandt zu den Jüngern.)

Rettet euch! Rettet euch darein!
Allebendiger Trieb, göttlich rein,
Mystisch dankbar Geste und Sein –
Die Liebe –
Bittet um sie!

(Musik in tiefer Kraft, flehentlich aufwärts, bricht ab. Die Gestalt verschwindet. Die Flamme auf dem Altar brennt fort.)

( Drei graubärtige Alte, sämtlich hochgewachsen, mit grauleinenem Gewand bekleidet, kommen durch die Mitte.)

Im Chor:
Wer kennt uns nun,
Weiß, wie wir tun?
Wir tun in Kraft
Geistmeisterschaft
Lediglich kund.

Der Alte in der Mitte (der Älteste, ein wenig minder groß als Rechts und Links):
Ich, Haupt vom Bund;
Mein Weg geht geistig
Durch die Natur;
Schwenk ich und ahn ich
Jenseitige Spur,
Raff ich als Bildnis
Leibliches nur:
Darf ich zum Ende
Müh alles Ringens
Kosten im Ausruhn
Besseren Bildes,
Ewigen Bildes
Anfang und O.

Alter links:
Schon tiefer schmerz-entzweit
Ich, wage Vergänglichkeit,
Drangsal und Müh
Nichts abzugewinnen;
Nutzlos Beginnen
Späte und früh!
Ach, unbändiges Gedränge
Zu des Todes holder Enge,
Ach, unbändiges Gezwäng
Meines Geistes im Gedräng!
Stößt er kopf-vor an die Mauer
Von Vernichtung, Tod und Trauer,
Schmerzlich hofft er, sie zu sprengen,
Frei ins Weite aus dem Engen,
Frei in solche Brüderschaft,
Wie hier träumte Todeskraft!

Alter rechts:
Weißt du denn, wer du bist,
Weißt du denn, ob du bist;
Was ist, wenn dir des Schmerz'
Geier am Leben frißt?
Weißt du denn, wo du bist,
Weißt du denn, ob du wo?
Du weißt nicht, ob und wie; –
Stellst du dich einmal so,
Wirst auch
Im ewig Vagen froh.

Links:
Ich weiß nicht, wer ich bin,
Doch weiß ich, daß und wo,
Indem ich dieses weiß
Werd ich nimmermehr froh!

Rechts:
Wirf alles von dir fort,
Das Ja und auch das Nein,
So glückt es dir gewiß,
Die Wahrheit und den Schein,
So bist des sicher!

Links:
Was Wahrheit, was Schein?
Alles Wahrheit, nichts Schein?
Alles Schein, wo die Wahrheit?
Mir wird nur immer säuerlicher,
Kann mich nicht missen
Und Klarheit! Klarheit!

(Unterdessen ist Schiefes Wort aus der Kulisse rechts gesprungen, trug ein dünnes, aufgerolltes Seil, hat es an den Fuß des Alten rechts geknüpft und während des Dialogs hurtig die drei vom Fuß bis zum Rumpf darin eingesponnen, nur der Kopf blieb frei. Schiefes Wort hüpft wieder hin, wo er gekommen.)

Chor der Gelddiener:
Seht das Schiefe Wort an!
Hahahahahaha!
Was der Kleine nicht alles kann!
Selbst so alten Philosophen,
Hochbejahrten, Schabernack
Tut er an!
Hahaha!
Zwick und Zwack!

Chor der Drei:
Nun kommen die kleineren Brüder hier im Rinnstein gefahren,
Wir aber wandeln frei,

(machen mühselige Bewegungen, die Arme zu lösen)

Ur-Häupter jener Scharen,
Wir atmen reinere Luft,
Wir blicken himmelan;
Ein jeder frei für sich,
So dünkt uns, – doch gebunden
Freundlich durch Sympathie. –
Nachdem wir offenbart,
Was wir die Stunden lang
Mühselig aufgespart,
Ziehen wir uns zurück, –
Wünschen euch nur
Nacheiferung und Glück!

(Langsam rückwärts weichend, nehmen ihren Platz nahe der Mauer links.)

Schiefes Wort (hervorhüpfend);

Ich bin nicht Sympathie,
Ich heiße Schiefes Wort,
Umband die Ärmsten fest
Zu Unsinn und – zu Wort.
's sind redliche Kerle,
Unredlich das Werk;
Folgt ihnen nicht nach!
Rät euch ein armer Zwerg.

(Ab.)

(Menschen, auf dem Rücken liegend, kommen rechts und links hastig durch die Gosse geschwommen, man sieht, wie sie die Arme in die Höhe recken.)

Im Chor:
Wir recken Arme
Rücklings in Lage;
Her mit der Wage
Unserer Tage,
Pfund und Lot!

Chor rechts:
Weg mit dem Harme!
Unsere Finger,
Greift! greift die Sterne!
Schwer ist die Ferne, –
Mühsame Dinger; –
Doch wir tun's gerne.

Gesamt-Chor:
Im Rinnstein zu Paaren
Unsere Scharen

Links:
Bald heiser krächzend,
Bald Schrei, bald lechzend
Kommen gefahren.

(Es kommen immer wieder Neue geschwommen, die Ersten verschwinden vorne.)

Einzelstimmen (abwechselnd mit dem Gesamtchor):
Nirgends gehemmt,
Weiter geschwemmt. –
Bald bittres Beizen,
Bald tödlich Geizen, –
Bald heimlich Lügen,
Kleinlich Betrügen –:
Von Ort zu Ort,
Immer so fort.

(Halten stille, wie sie stehen!)

(Ein Sturmstoß heult langgezogen aus der Ferne her, zugleich erscheint an der Fassade des Domes auf einem Gange, der rings um den Turm läuft (halbe Höhe), eine schwarzverhüllte, der Stimme nach männliche Gestalt, die Arme flehend und ängstlich zugleich ausbreitend.)

Die Gestalt um den Turm (Peter):
Ach, wer hilft mir aus!
Fest, so fest das Haus!
Wer –?

Chor der Straße (Männer):
Welch ein Zug, welch ein Sturm!

Weiber:
Hu –
Wie's uns anfaßt!
Schauerlich! –

Chor der Jünger:
Bleich und schwarz Gespenst,
Du Irrendes um Turm,
Was willst du –?

Chor der Geldmenschen (Mitte):
Was ihr sagt, ist nur Trug,
Taschenspiel, dummer Spuk!

(Neuer Sturmstoß, heftiger.)

Gestalt um Turm (mit Armen ängstlich schlagend, hin und her, auf und ab):
Wer hilft aus!?
Lebelang
Brach ich nicht Mau'r und Haus.
Ich Ärmster!
Wer –?!

Chor im Rinnstein (gesamt):
Horcht! horcht! horcht!
Schauerliche Töne
Ringsum.

Chor der Straße (unter dem Winde sich duckend, abwechselnd Mann und Weib):
Ohhh –
Es pfeift erbärmlich,
Schauert und friert –!
Es saust und wiehert, –
Unsere Kleider sind nur ärmlich!

Gesamt-Chor:
Weh uns!
Friert!!

Chor der Jünger:
Wie ein Vogel das Flügelpaar ängstlich schlägt,
Auf- und abwärts Wind und Schwäche ihn trägt,
So hier – der rätselhafte Mann!
Schaut ihn, schaut ihn an!

Chor der Straße (gesamt):
Friert –!!

Chor der Mitte (hat sich jäh umgewandt, sieht nach dem Turm):
Wahrhaftig, wir sehen's auch,
's ist nicht bloß Hirngespinst, – ist's Traum aus dem Bauch?
Ach was! Hin und her! Kümmer mich nicht drum!
Alles längst dagewesen: albern und dumm!
Stumpfer, kläglicher Spuk –
Was ist's?
Stelz- und Lakentrug!
Quatsch!
Hahaha!

(Stehen doch immer betrachtend.)

Philosophen (im Rinnstein):
Merkwürdig. –
Horch!
Schauerliche Kunde!
Wer errät's!?

Ältester Philosoph (aus dem Chor der drei Alten):
Nächtlich Volk!
Angst und Schauer geht um!
Seht nur!

Die zwei Andern:
Wir sehn, –
O wir sehen –

Chor der Straße (unter dem wilden Anhieb des Sturms sich duckend):
Friert –!
Weh –

(Die Mitternachtsglocke auf dem Turm tut den ersten Schlag.)

Chor der Mitte (hinaufschauend):
Mitternacht!
Das war der erste Glockenschlag!
Halloh!

Chor der Jünger (von ihren Sitzen sich erhebend, näher zum Altar tretend):
Mitternacht!
Welch tief verschwiegne,
Wundersame
Pracht!

Chor der Mitte (hat sich wieder umgewandt, blickt also nach vom in die Zuschauer):
Mitternacht! –
Wir um den Erdeball
Menschen –
Wir im – Weltenall –:
Was kommt uns an?

(Sturmstoß, rasend über die Szene.)

Chor der Mitte (kurz und scharf):
Hallo!

Chor der Straße (entsetzt):
Hui – iiii..iii

(So auch öfter während des folgenden.)

Weh –

Chor im Rinnstein:
Sssss – sss – horcht!

(So auch öfter während des folgenden.)

(Die Glocke tut den zweiten Schlag.)

Chor der Mitte :
Hallo!!

(Einzeln, später zusammen:)

Es kommt! Es kommt!
O hui, es kommt!
Was kommt? Was kommt?
O hui, es kommt!
Ein Vogel kommt
Mit schwarzen Schwingen,
Mit großen Schwingen
O weh – wie groß!
Zum Kampf! Zum Kampf!
Schlägt in die Brust,
In meine Brust – in meine Brust –
Die Krallen!
Krallen!
Ho, zum Kampf!
Nicht weichen!
Nicht!!
Hände her!
Steht zusammen!
Holla! Holla! Land!
Nicht sinken, nicht! –
Hilf, Bruder Elephant!

(Straßenchor und Chor der Philosophen im Rinnstein wie oben.)

(Die Glocke tut den dritten Schlag.)

Chor der Mitte (mit den Händen scheuchend):
Seh – schsch – – schsch – Fliege fort!
«Woher kommst du wohl –?
Was singst du uns von fremdem Ort –?
Nimmermehr!

Chor der Jünger:
Wir um den Erdeball
Seltsam und Menschen,
Wir zwischen Ewigkeit –

Chor der Mitte (dem Chor der Jünger entgegenschreiend):
Hört auf!
Nimmer Unsterblichkeit!
Niemals! Nein!
Ich will, es soll nicht sein!
Ich!

Ältester Philosoph:
Arme Wichte!

(Chor der Straße und des Rinnsteins wie oben.)

(Die Glocke tut den vierten Schlag.)

Chor der Mitte:
Wo ist der Alte hin?
Der um den Turm?
War seine Rede nicht
Versteckter Sinn –?

(Rings vor sich blickend, mit Rücken gegen den Turm.)

Wo? –
Schlagt ihn tot!

(Die Glocke tut den fünften Schlag.)

Chor der Straße (mit Kichern beginnend):
Kcchch – hihihi –

(Chor der Mitte nimmt's dröhnend auf.)

Chor der Straße:
Ein Blödsinn wie nie –

Chor der Mitte:
Ein Blödsinn wie nie –

Rinnstein (gleichfalls kichernd):
Blödsinn wie nie –

Chor der Mitte, der Straße, des Rinnsteins
(wogend hin und her):
Lacht! Lacht!
Lacht! Lacht!

Chor der Mitte:
Lacht mit frechen Fratzen,
Bis die Adern platzen!

Alle (außer den Jüngern und den drei Alten):
Lacht!!

(Die Glocke tut den sechsten Schlag.)

(Schiefes Wort kommt mit einer Fackel gelaufen, stößt sie hier und dort in den Rinnstein, zwischen die Lagernden?)

Chor der Philosophen (im Rinnstein):
Ai! Ai! Ai!
Was soll das heißen!
Ai!

(Kleine Flämmchen züngeln hier und dort aus der Gosse. Schiefes Wort stürmt und hüpft schweigsam mit der Fackel, woher er gekommen?)

Chor der Mitte (hin und her):
Nicht wahr? – Nicht wahr? –
Der Vogel war vom – alten Gott.
Gott ist tot!
Gott ist tot!

Chor der Straße (aufkreischend):
Herre Gott!

Philosophen im Rinnstein (ebenso):
Gott!

Chor der Drei (seltsam lächelnd, seltsam gehoben):
Gott –?

Chor der Mitte (Fäuste erhoben):
Erschlagen! Erschlagen!
Meine Faust hat ihn erschlagen!

(Hin und her.)

Ha ho – Ha ho!
Ho ha – Ha ho!

Weib (rechts aufstehend, zur Mitte gewendet, kreischend):
Was vom alten Gott?!
Ha! ha!
Wir trugen
Ja seinen Balg in den Kot!

Mitte (dröhnend):
In den Kot! – Ha! –

Rinnstein:
Kot!

Mitte (alle zusammen, mit hochgereckter Faust):
Meine Faust hat ihn erschlagen!

(Die Glocke tut den siebenten Schlag.)

Chor der Mitte:
Horcht! Horcht!
Wieder wie ein Schwingen
Vom Vogel, heulend Singen –
Horcht! o horcht!

Chor der schönen Jünger:
Schon schlug der siebte Schlag,
Die Hälfte schon vorüber, –
Unaufhaltsam
Rollt's hin. –
Wach, nur der Flamme wach!

(Bedienen die Flamme, schüren sie, neigen sich vor ihr.)

(Fürchterlicher Sturm.)

(Die Glocke tut den achten Schlag.)

Chor der Straße:
O huiii – iii –

Weiber:
Wind entführt
Unsere Tücher und Lappen! –

Männer:
Nun seid ihr nackt, –
Braucht nichts zu verkappen!
Ha!

Alle (vom Straßenchor):
O huiii – – – – ii

(Sturm um Sturm.)

Chor der Mitte (teilweise):
Ssss .. sss – ssss – s – Hört nicht hin!
's verkehrt den Sinn, bringt kein'n Gewinn!

Andere aus der Mitte:
Es sprach vom Leben:
Wer hat's ausgegossen,
Wer hat's gegeben?
O weh!

Wenige (hastig furchtsam):
Schufst du das Leben,
Fragte es?
Schufst du's?
Hast es selber dir gegeben?
Ja! ja! ja! es fragte!

Überzahl (stets nur aus dem Chor der Mitte):
Dummer Schnack!!
Mord und Tod,
Hunger und Gei'r
Sind uns Vater und Gebot.
Was weiter?
Heißa!

(Die Glocke tut den neunten Schlag.)

Philosophen (im Rinnstein):
Sss .. sss . ss Hört nicht hin!

Mitte (teilweise):
Hört nicht hin!
Augen zu!
Ohren zu!
Fester Sinn!
Sei es!

(Es wetterleuchtet mächtig, streifenweis über den Himmel.)

Wetterleuchten gar!
Schrecklich!
Verkriecht euch ganz und gar!
Trotz und tapfere Rettung!
Sei es!

Chor der Jünger:
Blitze blind, Blitze sehnsüchtig hellen
Im Augenblick Ferne und Himmel –:
Leuchtend Wetter zieht auf.
Teilt Nacht zu Helle und
Finsternis, nur schrecklich überwältigt.
Kommt nun die Nacht, kommt der Fall,
Sturz und seliger mitten ins All –?
Ohne Wunsch, ohne Weg, ohne Ich – ? –
Auf! Bereite ich mich!

(Bedienen nur eifriger die Flamme.)

(Die Glocke schlägt den zehnten Schlag.)

Gestalt auf dem Turm (ängstlich hin- und herflatternd):
Es naht! Naht es!

(Unterirdisches Erdbeben, noch gedämpft.)

Alle:
Weh –

Mitte (ängstlich wimmelnd durcheinander):
He He He Heeeh! O Jammer! We Wee!
Wer hilft! Hilft! Hilfe, hilft?

Philosophen (im Rinnstein, da auch die Flammen mählich höher treiben):
Helft! Hilfe!

Ältester Philosoph (nicht bittend, aber halb fragend, halb gewiß):
Hilfe –

Weibsbild, vorne rechts (jammernd):
Erzähl wer ein Märchen!

Chor der Mitte (halb unbewußt, steht):
Märchen –

(Links aus dem Rinnstein reckt ein Philosoph sein mageres Haupt heraus):

Philosoph:
Es war eine Spinne,
Riesengroß, die saugt uns jetzt aus;
Hat sie sich satt getrunken,
Kriecht sie in Teufels Haus –

(Verschwindet in der Rinne.)

Anderer Philosoph (hinter dem Vorigen sich erhebend):
Und speit dort ganz gemächlich
Uns elend wieder aus!

(Er sinkt zurück.)

(Die Glocke tut den elften Schlag.)

(Die Gestalt auf dem Turm verschwindet lautlos.)

Chor der Mitte (durcheinander):
Anderes Märchen, rasch, rasch, schnell, schnell!!!

Chor der Straße (durcheinander):
Schönes Märchen!
Geiles Märchen! ha ja!

Alle aus dem Straßenchor:
Ha ja!!

Fetter Mensch (aus der Schar der Mitte eilig in den Vordergrund springend):
Ich weiß – ich weiß ein Märchen,
Da geht es tüchtig drauf!

( Verstottert sich und schnappt ängstlich Luft.)

Chor der Mitte und der Straße (durcheinander):
Weiter! Weiter!
Mach zu, Kerl! Schlagt ihn!

(Dringen vor.)

Philosophen (im Rinnstein):
Die Flamme! Weh!
Wir brennen!

Fetter Mensch (lüstern):
Ein allerliebstes Pärchen, –
Da ging es tüchtig drauf!
– Jiih –

Die drei Chöre (zusammen):
Jiih –

Fetter (wimmernd geil):
Ein Weib! – Ein Weib! – Gebt her!

Die drei Chöre (der Mitte, der Straße, des Rinnsteins; in wild sinnlichem Aufschrei):
Ein Weib! – Ein Weib! – Ein Weib!!

Die Weiber kreischen und umarmen die Männer, die Philosophen im Rinnstein haschen mit den Händen auf, die Mitte drängt und stößt, zügelloser Augenblick von Wollust vor dem Untergang.

Nun tut die Glocke den zwölften Schlag.

Der tolle Lärm bricht miteins zu kurzem Wimmern ab, das sich dann in Stöhnen verkehrt. Auch der Meister steht jetzt auf, und alle Jünger stehen starr.

Der tiefe Ton einer Tube setzt in der Ferne an und schüttert langgezogen über die Szene.

Ein allgemeiner, wilder und kurzer Aufschrei ist die Antwort.

Der Ton kommt zum zweitenmal.

(Aus der Rinne der Gosse rechts wächst zwischen Flamme und Rauch ein zottiges Haupt auf, das des Verkünders, sein Gesicht ist schmerzentstellt und zerrissen, bei allem dennoch Weisheit-überschattet. Wie er sich bis zu den Knieen aufgehoben hat, beginnt er zu reden):

Der Verkünder:
Mein Mund, o Volk, muß sagen,
Was mein Auge schaut,
Kommt an in unsern Tagen,
Wovor mir schlotternd graut.

Horch oh! es kommt geflogen,
Stachel um Stachel, Heer um Heer,
Uns auf das Haupt gebogen,
Schlägt uns die Kappe eisern schwer.

(Ein Wimmern geht durch die Reihen.)

Schlachtjungfraun mit den Lanzen
Und Schlangen in dem Haar
Drehen uns das Herz um,
Durchbohren's Paar für Paar.

Von Aufgang Verderben und Todnacht,
Mit Flügeln schrecklich Gerassel:
Eine Schar eiserner Bremsen
Senkt den Stachel, wo unsere Not lacht

Weh, wider Gott!!!

(Er schluchzt auf.)

(Die Versammlung reglos.)

Von Riesen ein wild Gesindel
Trappt und rast mit schnellen
Bös bereiten Hufen,
Haucht Pest auf wunde Stellen.

Die Wunden, Überwunden,
Die Schmach-Blutenden wir,
Gesunken dann gefunden
Unterm Höllen-Panier.

Dann lösen sich die Seelen
Satanas zu Raub, –
Wird der Leib zu Staub,
Lebendiges muß sich quälen.

Ach! weh! da muß ich schweigen,
Laßt euch geduldig köpfen!
Ihr! Weh! –

(Fällt hin.)

Es wird euch zeitig schröpfen –
Ihr – Ewigkeiten eigen!

(Verstummt?)

(Wieder die Tube.)

Nun stürzen sie alle (Chor der Straße, des Geldes, derer im Rinnstein) nieder und winden sich wie im Krampf am Boden hin und schlagen rechts und links um sich, heulen und schauern, nacheinander, Mann und Weib, der Reihe durch das Folgende:

(Einzeln.)

Es knickt das Bein,
Knickt durch der Rumpf.

Es reißt, es eitert
Fuß und Stumpf.

Es sticht, es zückt
Durch Wirbel, durch Mark.

Das Haupt verrückt,
Die Zung beißt Arg.

Die Wirbel drehen
Sich kreischend um.

Von Kopf zu Zehen
Schlägt es mich stumm.

Der Kiefer wiehert,
Es reißt das Band.

Ein Mann:
Der Lumpen friert;
's ist Tand, Mensch, Tand!
Der Klumpen .... eccchh

Ein Weib:
Die Wollust drängt sich
Hei! in den Tod!

Ein ander Weib:
Zwängt sich drein schamlos
Gevatter Tod.

Gesamtchor (wirr hin und her, in Schreckens-Bewegung):
Wrrrr-Wirbel herum!
Kopf herum, Augen herum!
Hier und dort!
Krach! ist er fort. –
Hals kreischt in den Angeln, –
Zungen zu Triangeln –
A-aha! Wahnsinn! Pest! Tod!

Inspirati (die Angehauchten):

(Wieder einzeln.)

Es fährt mich an ein fauler Geist,
Ein Feuer haucht an, ein Schrecken beißt.

Bläst mich ein schlimmer Wind ins Tiefe,
Mir ist, als ob bislang ich schliefe!

In Sturm meine Wirbel gedreht,
Höllscher Turm, der bebend besteht –

Um die flammende Stadt
Flieg ich um, werd nicht matt!

Ich um knirschende Stadt!

Winde ich mich im Sarge,
Er faßt mich doch, der Arge!

Durch die Luft – hui!
Spaltet an Leib und Gruft!

Ein Weib:
Hui, in strammen Krallen!
Ich krau dich, Satan, sollst mir gefallen –

Anderes Weib (ergänzt den Spruch der ersten):
Doch laß mich auch fallen!

Weib:
O, ich Ärmste von allen!

Weib:
Noch so ein Stoß,
Nackt und bloß
Ringt sich Leib-Geist
Zu Satan los.

Alle (dumpf hingezogen im Schrei):
Satan! Satan Vater!

(Abermals.)

Lipp und Herz Berater!

Straßenchor:
Satan, mußt auch schwärzen
Lippen und Herzen!

Chor der Philosophen:
Wir! Wir!
Fordern auch unsern Teil,
Treiben gern Kurzweil!

Chor des Geldes:
Satan Vater, – unser Recht!!

Unisono:
Nimmer hin, belohn recht –
Dein Geschlecht!

Großer Donnerschlag. Erdebeben. Schleier fällt herab und deckt sich über die drei Philosophen, die sich während der Heimsuchung stille hielten. Glühende Wolke, schwefelfarben, deckt dennoch mit Liebe Meister und Jünger des Bundes. Dann spaltet sich die Erde mit großem Schlag längs des Dammes sowohl rechts wie links, und Feuer schlägt mächtig hochauf durch den Riß; dann folgt tiefe Verfinsterung einem großen Blitz. Wie die Bühne sich wieder bis zur Sichtbarkeit erhellt, sieht man Häuser und Mauer verschwunden, Hügel sind aufgestiegen. Die drei Philosophen und der Bund der traurigen Sänger sind hinweggenommen. Vor die untere Hälfte des Domes hat sich ein Felsentor geschoben; von den bunten Anlagen keine Spur. Das Felsentor fällt in Hängen rechts und links dem Boden zu. Im Grund, der zwischen dem Erdentstiegenen freibleibt, die schlimm verkrümmten Leichen der Geldmenschen, die flamme-geschwärzten des Philosophen-Chors, die verstümmelten der Straße.

Eine bange Stille.

Da dringt ein Licht von links aus dem Hintergrund, weiß und blendend näher und näher, und ein Mann, gekleidet in weißes Leinen, kommt in dem Licht gezogen, hinter ihm eine Schar von Dienern, gekleidet in schlichtes, weites Arbeitsgewand, Spaten in den Händen. Guntwar, man erkennt in ihm den Führer, auf dem Felsentor, niederblickend in das Grab; die Schar der Dienenden dicht hinter ihm.

Guntwar (schlägt über sich das Zeichen des Kreuzes, die Dienenden tun es ihm nach):
Die Kleider wusch ich in barmherziger Welle,
Von Welt zu Welt unsagbar, ewig wogend,
Mir rein. In alles Heiles heiliger Flut. –
Der Schmerz des Einen, der Schmerz Christi
Hat solche Flut gegossen um die Sterne,
Bespült sie alle, alle verbindet sie;
Wer in sie taucht, ward wahrhaft all-gemein.
Guntwar!
Du selbst, es wartet dein ein Amt.
Vollzieh es treulich, nichts versäume, – treu!

(Tritt ein wenig vor.)

Sie liegen hingerichtet, ihre Stirnen
Sind leer und ausgegossen und beraubt
Des Glanzes, und es fehlt das Zeichen T,
Das Merkmal ist der ewigen Erwählung. – Ezechiel (Hesekiel) IX.
Vom Gericht noch der Schrei steigt hier über der Luft,
O schaudervolle Gruft!
Alle gräßlich gemengt,
Verkrümmt und inander gezwängt,
Umgewunden und gehenkt.
Schauriges Gericht!
Doch Trauer ist jetzt fehl, Mitleid gilt hier nicht;
Ander Befohlenes harrt, sich zu erfüllen:

(Zu den Dienern.)

Was offenbar verstohlen liegt, eilt! es zu verhüllen.
Hügel, tragt sie ab,
Schaufelt das Grab
Glatt!
Diener mein!

(Chor der schlicht Gekleideten geht stumm und eifrig an die Arbeit, sie tragen rechts und links mit ihren Spaten die Erde ab, indem sie die Tiefe füllend)

Guntwar:
Lebendige Schollen, heilsam streben sie hin,
Versunkenes zu decken, neu zum Leben;
Die Erde tut aus tiefem Sinn
Mühlos sich von der Stelle heben.
Sie will das Grab, sie will den Sarg,
Neu-Wurzel will sie, verschwendrisch karg. –
Schaufelt fort!

(Stille. Lautlos tun sie den hüllenden Dienst.)

Guntwar:
Ein Bild drängt sich in mein Gesicht:
Stark und licht
Steht es hier,
Hell und strack überm Gericht!
Auf diesen Gräbern gräßlich schwer
Von Sünden-Mal, –
Der einzige Strahl –
Steht der Heils-Strahl,
Leuchtet drüber her.

Chor der Dienenden (tritt zu Guntwar):
Guntwar, die Arbeit ist getan.
Der Boden glatt, sieh es dir an!

Guntwar:
Habt Dank!

(Sie gehen schweigend nach beiden Seiten ab.)

Guntwar (nach einer Stille):
Lebendige Worte, kommt!
O könnt ich eure Angesichter,
Von überirdischer Glut
Entflammte Angesichter, schauen lassen!
Es kann nicht sein.
Glut ist Geist
Aus dem Geist,
Schaut das Auge nicht.

(Stille, dann niederwärts.)

Grab du und Gericht!
Hast wie lebendige Sprache!
Und sprichst doch nicht.
Aber ja! Die Verdammten reden von Heil
Je und je.
Und von Irrweg; die Bahn wird steil
Vor uns, geht himmelwärts. –
Pocht hier nicht jedes Herz
Vor dem Qual- und Siechen-Mysterium ?
Verkrüppelt klafft's schauerlich stumm.

(Niederweisend.)

Ihr Geist wandte sich um;
Freiheit ursprünglich von Anbeginn
Geistig ausgegossen zu Geiste hin,
Freiheit ursprünglich alles Guten
In satanischen Gluten
Verkehrten diese.
Es kam der Riese,
Hauchte sie an, –
Hat so an ihnen getan
Als an seinen Geschöpfen. Ev. St. Joh. VIII, 44.
Doch ursprünglich frei –
Gewißlich!
Weh!
Weh faßt mich an!
Geht dieses uns vorbei,
Wie geht es uns vorbei?
Dürfen wir noch Atem schöpfen?

(Kurze Stille.)

Nimmermehr Weh!
Ich seh! Ich seh! Ich seh!
Schriftzeichen geistlebendige
Und geistig unabwendige
Lese ich über hier in Lüften
Deutlich!
Werden Milliarden zu Grüften
Hinsinken, da Millionen gesunken?
Nimmermehr!
Gewißlich!
Des Leides ist genug getrunken.
Haben wir doch gelernt
An diesen allen, schwarz besternt
Von Sünde!
Oh welche Gründe
Sind hier durchkreuzt!
Doch es greifen unsere Arme im Nu
Höchst Lebendigem wieder zu;
Und es steht auch schon der Strahl
Ewig neu über totem Mal
Heilsam durchkreuzt.
Es drängt, es wimmelt in ihn hinein,
Gestalten, Leiber, hingegeben im Schein,
Mit Armen unendlich sehnsüchtigen,
Gebaren heilsam tüchtigem,
Reicher an Leiden der Vorfahren viel;
Eins ist das Ziel!
Sind nun Leiber, zu Gott reifer,
Sind nun Seelen, stammelnder zu Gott –
O der licht-heilige Eifer!
Neu Geschlecht drängt hin zu Gott!
Singt sein hohes,
Singt sein Lied
Um dies Grab,
Wie's sich sieht.

(Guntwar steigt hinab, tritt auf die neue Erde des Grabes, kommt in den Vordergrund. Elisabeth erscheint zwischen den Felsen und sieht mit Hingebung zu Guntwar.)

Guntwar:
Denn nochmals zeigt dies Grab sein Gesicht:
Ein neu Geschlecht,
Mann und Weib
Vor Gotte bang und recht.

Fröhlich wenden sie die Erde mit Händen,
Ernstlich wollen sie die Seele vollenden.

Schau ich auch eine Nachkommenschaft
An Lichtem reich, vor Gott in Kraft;
Ihr Herz allsamt hält Gott in Haft.
Rein innig geht es zu,
Übt man voll Tugend Ritterschaft
Nahe der leis und starken Kraft.
Halleluja!

Halleluja!
Nun zieht hin, zögert nicht, die Schläfe zu umwinden,
Im Sang, im Dank in euch das Heil zu finden!
Kommt auch die Stunde der Wunden,
Werdet ihr nur tiefer gesunden.
Wie der Herr, der Tugendliche,
Ach, der Ew'ge, Jugendliche,
Schritte euch hat vorgetan,
Zögert nicht, sie nachzutun!

Ich höre Posaunen voll großer Fröhlichkeit,
Ich sehe um schmerzliche Lippen verhangne Seligkeit;

Ein großes Jauchzen bricht
Brusterschütternd der Hülle auf, –
Bricht den Leib, ringt sich hinauf!
Ich muß schweigen.
Werdet Männer!
In Liebe stark.
Werdet Güter
Am Heile reich!
Werdet Hüter
Der Seele euch!
Wache Hüter
Am Grabe euch!
Halleluja!

(Augenblickliche Verdunkelung der Bühne; wie sie wieder hell wird, sieht man noch Frau Mirjam die Arme greifend heben; läßt sie sinken, erwacht.)

 

Frau Mirjam: Guntwar, dein Gesicht! O mein Traum! So wird es, so kommt es! Leibhaftig werd ich's sehn! Leibhaftig ich beisein! Und segnen! Und segnen! Gottes Glück, mein Sohn Guntwar! Gottes heiliger Beruf!

(Breitet von neuem die Arme. Da beginnt Peter schlafend im Traum zu reden, Frau Mirjam horcht auf. Zugleich zeigt sich zu Häupten des Bettes auf rechter Seite, also nahe dem Herzen Peters, eine Engelserscheinung, sein Schutzengel. Der Engel spricht sanft über Peter geneigt die Antwort. Frau Mirjam steht schon nach Peters ersten Worten von ihrem Sitz auf und geht leise rechts zur Wand, hier steht sie und lauscht dem Zwiegespräch mit weit zurückgelehntem Haupt, aber geschlossenen Augen.)

Peter: Um Turm ... ringsum ... um Turm ... Hinab, hinauf – weh!

Sein Schutzengel: Peter! Liebster mein! Ach, hör mich nun! Komm! Dich ruft dein besser Teil, ruf ich – Peter!

Peter: Wer? Wer ruft!? Ach, bist es du? Tat ich dir was zu Leid? – Nur rufe nicht! Ach, Ruh, wer gibt die?

Sein Schutzengel: Du dir selbst.

Peter: Wieder du. Und deine Stimme ist milde. Fort! Kenne dich!

Sein Schutzengel: Ja, Milde tritt dir nah. Peter! Sieh, wie sich's breitet ... ringsum ...: Hügel und Land, ach, und Wind in der Sonne! Grün alles, grün! Mild alles, mild! Und du willst zögern?

Peter: Das Land, was ich träumte ... Gottes Milde ... Gottes Licht. Gottes Wunder! Weh!

Sein Schutzengel: Warum folgst du mir nicht?

Peter: Mir ist, ich bin fest. Meinen Mauern zu Lieb. Ringsum fest. Haltet, – ihr!

Sein Schutzengel: Gebundener, nein! Sieh, ich tret dir heran, (noch näher) Peter! Zerreiß die Fessel, die Mauer brich, ach lebelang dein Drangsal! Nun stürz dich frisch, stürze dich, Peter; ich bin es, ich rufe!

Peter: Mir ist, ich könnte nicht! Willen hab ich schon. Als reicht er nicht hin.

Sein Schutzengel: Tust du's, siehst du Guntwar neu. Tust du's, du Mirjam.

Peter: Mirjam, ach! Ihr Herz ist mir entrissen. Ich will sie nicht neu. Die Alte – die Einzige! Sie – nur sie, und in aller Welt sonst nichts!

(Frau Mirjam zuckt und stöhnt?)

Sein Schutzengel: Dein Gott!

Peter: Ach! Was soll ich da vor dem? Ich bin zu niedrig! Er ist zu hoch. Ihn über alles lieben – nein! Was bin ich denn? Wer vermag's? Ich nicht. Ich bin klein. Ich will demütig sein. Mich nicht brüsten, ich liebte ihn. Über alles, und wer vermag's?

Sein Schutzengel: Du hast zu wählen, Peter.

Peter: Ich will Mirjam wieder.

Sein Schutzengel: Dein Gott?

Peter: Mirjam! Mirjam!

Sein Schutzengel: Dein Gott?

Peter: Gott ist zu hoch, daß ich ihm Treue halten könnte. Liebe in allem. Liebe über alles.

Sein Schutzengel: Du hast gewählt. Ich will dich immerfort segnen. Weh, Peter! Gott führ es gut!

(Tritt zurück und verschwindet. Peter erwacht. Frau Mirjam kommt zu sich.)

Peter: Mirjam!

Frau Mirjam (tritt zu ihm, beugt sich über): Ja, Peter –

Peter (halb im Bett aufgerichtet): Hör, Mirjam, ich hatte einen Traum, – einen großen, tiefen – ja.

Frau Mirjam: Was träumtest du denn?

Peter: Oh, er war tief! Aber es geht mir, wie es dir einmal gegangen ist (Frau Mirjam nickt.): du hattest die Worte vergessen, den Sinn hattest du behalten.

Frau Mirjam: Welches ist hier der Sinn, Peter?

Peter: Der Sinn? (Stille.) Worte weiß ich keines mehr. Der Sinn – ach, Mirjam, – (lehnt sich zurück in die Kissen, schluchzt auf) daß ich bei dir bleibe in Liebe und Treue. (Herzzerreißend aufschreiend.) Ach, wie ich's mußte von Anfang an!

Frau Mirjam: Peter – Peter, bedenk dich wohl – das Himmlische –

Peter: Sprich nicht von Ihm! Ich weiß, was ich bin. Ein Winziges vor Ihm.

Frau Mirjam: So werde groß!!

Peter (sieht erstaunt zu ihr): Mirjam, vermagst du das wohl? Ich nicht. Wer vermag's? (Stille.) Ach ja! ja! du vermagst es ja! Vermiß dich nur nicht!

Frau Mirjam: In Gott mich lieben ... neu ... nicht als den einen Besitz ... lieben aus großer, himmlischer Fülle ... das könntest du nicht? Ach, Peter!

Peter: Du ... ja, du? Du Gesegnete! Du kannst ja auch fliegen. Ich muß an der Erde bleiben. Vor dir in Treue. – Rede mir nicht! Ich denk, es ist Treue. Aber ihr nennt's: an der Erde. Das begreif ich nicht. Ihr habt mich ganz und gar bestürmt. Aber ich weiß dir auch von Gott zu sagen: solche Treue läßt er nicht unbelohnt. Siehst du, das ist mein Gott, meine Hoffnung!

Frau Mirjam (umschlingt und küßt ihn): Ja, Lieber! Ja, mein Treuster! Hoffe nur! Ach, es wird wohl doch gut. Wie du so hoffst.

Peter: Hilf mir es gut werden! Du sollst dein Glück schon haben. Aber ich – – Wir reisen nun ab von hier, Mirjam. Nach der Stadt.

Frau Mirjam: So, – Peter?

Peter: Meine Arbeit ist jetzt dort. Ich will viel Arbeit. Dort gibt es große Arbeit. Du weißt.

Frau Mirjam: Wie du willst. Ich will treu bei dir sein, Peter.

Peter (tonlos, vor sich): Dein Glück sollst du schon haben. – Ich muß Guntwar vergessen.

Frau Mirjam: Ach, Peter, willst du denn das –? Nun wirklich? Ist dies deine Wahl?

Peter: Dir soll er nicht genommen werden.

Ende des dritten Aufzugs.


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