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Der dritte Aufzug

In dem schmalen, erhöhten Hinterraum des Wohngemachs, vor den beiden Fenstern: Die ganze Szene ist gleichsam nach vorn gerückt, so nahe an den Zuschauer, daß er nur in diesen Abschluß des ganzen Zimmers sieht. In den Fenstern graut der Morgen. Peter auf dem Sessel rechts vom Tisch, mit dem Rücken gegen das Licht, Frau Mirjam sitzt rechts schräg neben ihm auf dem Lehnstuhl, der sonst im Vordergrund des Wohnzimmers stand. Es wird allmählich heller.

Peter. Frau Mirjam.

Frau Mirjam: Das ist's nicht, Peter, du hast mich so mißverstanden; an allem ist Guntwar unschuldig, du verstehst mich nicht.

Peter: Ach, Mirjam! Das weiß ich ja wohl, was du meinst. Kann es mir wohl denken. Nun denke aber, wie soll ich da folgen! Kennst mich doch, Mirjam! Meine leicht mißtrauische Art; – was haben wir auch für Enttäuschungen an Menschen erlebt! Und Guntwar ist ein Mensch wie jeder, und sein Ungestüm nimmt mir Luft und Atem. (Stille.) Ich geh hier nicht mit, Mirjam. Kann's doch nicht!

Frau Mirjam: Ja, – Peter, – dann bleibt nur das Eine; – dann muß es sein.

Peter: Was ist denn, Mirjam –?

Frau Mirjam: Dann muß Guntwar jetzt abreisen. Und Elisabeth.

Peter: Nimmermehr gebe ich das zu, nimmermehr, Mirjam! Ich weiß, was Guntwar für dich an Glück ausmacht, das darf dir nicht genommen werden. Nie und nimmer!

Frau Mirjam: Doch, Peter, es ist besser so. Ich seh. Guntwar muß reisen.

Peter: Ach, Mirjam, tu mir doch das nicht an! Ewig müßt ich mir Vorwürfe machen um deinetwillen. Nein, nur nicht! Es gilt dein Glück. Nur folgen kann ich nicht, Mirjam, kann nicht so hoch fliegen.

Frau Mirjam: Peter, was leidest du!

Peter: Ach, das gehört nicht hierher, Mirjam. Was ich leide, gehört nicht hierher. Ich leide, was sein muß. Aber du – du sollst nicht leiden. Ich habe meine Arbeit, mein klein winzig Teil, muß noch dran haften. Daß ich dich unters Joch spannte! Nimmermehr!

Frau Mirjam: Noch morgen reist Guntwar, Peter; ach, ich seh ja!

Peter: Mirjam! Mirjam, das nicht! Daß du mich nur nicht verstehst –, (leiser) Mirjam, wie soll ich auch – wie soll ich mich Guntwar gleich geben, – was verlangst du auch; – denn das gehört zum Mitfolgen: die Schranke fallen lassen, die letzte, – und du weißt, ich vertraute mich nur dir allein! Ach, Mirjam, ach liebe Mirjam, das weißt du wohl!

Frau Mirjam (mit Tränen): Peter! Guter! Nein, nicht so! Guter Peter! Ich weiß ja! Aber nun sieh, ich weiß auch, daß es besser wird, wenn Guntwar geht. Gut für uns alle. Für Guntwars Sache gut.

Peter: Wie meinst du's wohl, Mirjam?

Frau Mirjam: Wenn er geht, – und er wird gehen –; die Gegenwart, siehst du, bringt so viel falsche, eilige Abwehr. Nur des Augenblicks, Peter. Du kannst dir viel ruhiger klar werden, dich entscheiden, wenn Guntwars Person nicht immer um dich ist. Nicht anwesend, siehst du. Dann wirst du klar, siehst in mein Herz, dann folgst du auch nach, Peter.

(Stille.)

Peter: Dein Herz, Mirjam, dein – Herz – ist mir entrissen.

(Große Tränen rollen aus seinen Augen.)

Frau Mirjam: Peter ach! weinst du nun!

Peter: Nicht um dich! Um dich nicht! Sollst glücklich sein! Versprich mir's!

Frau Mirjam: Peter!

Peter: Überflüssig bin ich; versprich, du willst glücklich sein.

(Die Tränen rollen immer.)

Frau Mirjam (aufschluchzend an seiner Brust): Mein Geliebter, was kann ich dir nur sagen!!!

Peter: Laß mich! Du weißt's!: »Ich bin glücklich, Peter!«

 

Auf dem Flur. Nacht. Die Szene ist vor schwarzer, steifleinener Wand, deren Höhe die Auftretenden etwa um zwei Kopf überragt. Nirgends ein Gegenstand auf der schmalen Bühne, außer rechts vorn zwei Leuchter, dreiarmig, stehen auf schmalem Tisch, links auch ein Leuchter, dreiarmig, steht auf einer groben Holzbank. Es geht ein Mann von rechts nach links über die Bühne, der die Koffer der Abreisenden trägt. Laterne in der Hand, bleibt in der Mitte stehen, rückt seine Last zurecht, geht ab. Peter, Guntwar, Frau Mirjam und Elisabeth kommen von rechts. Peter und Guntwar bleiben während des folgenden Gesprächs ganz rechts, Frau Mirjam und Elisabeth stehen um ein wenig weiter nach links für sich im Gespräch.

 

Peter. Guntwar. Frau Mirjam. Elisabeth.

Peter: Es tut mir leid, daß mein Unwohlsein dich hindert, länger hier zu bleiben.

Guntwar: Laß nur! Es wird schon gut sein. Ich habe auch deiner Frau von mir gesagt, was zu sagen war.

Peter: So, das freut mich. Aber – wie gesagt – es tut mir leid.

Guntwar: Laß nur!

Peter: Ihr seid nun auch gerade nicht zu günstiger Zeit gekommen, wir sprachen darüber schon. Ja. –

Guntwar: Nun leb wohl! Deiner Arbeit wünsch ich Gedeihen.

Peter (fast blöde in Ton und Lächeln): Danke, danke, danke schön. Und dir auch. Euch beiden. Kommt recht gut nach Hause! Gute Reise! Adieu! (Schüttelt auch Elisabeth die Hand) Adieu!

(Rechts ab.)

(Frau Mirjam, Elisabeth, Guntwar gehen nach links vor.)

Frau Mirjam (bewegt, reicht die Hand): Guntwar, lebe wohl!

Guntwar: Lebe wohl, meine Mutter!

(Kuß und Umarmung.)

Frau Mirjam: Ja, leb wohl! Ihr geht nun; ach, es mußte sein!

Guntwar: Es ist die rechte Zeit, meine Mutter, ich ahn es wohl.

Frau Mirjam: Ahnst du's? Sieh, ich mein es auch. Ach, das freut mich!

Guntwar (mit leiser Stimme): Nun wird Peter sich entscheiden müssen.

Frau Mirjam: Ja, nicht wahr, die große Entscheidung kommt nun für ihn. Möcht er nur folgen!

Guntwar: Oder aber mich abwehren und bei sich bleiben. Abwehren den Kniefall und das heilige Offenbarsein Tag für Tag, wie es der Meister will; Apostelgesch. II, 46. und bei sich verbleiben stumm.

Frau Mirjam: Und rätselhaft. Könnt ich nur einmal mit ihm beten! – Ach, Peter hat es so schwer!

Guntwar: Ich weiß es, Mutter! Er muß sich tief für sich, in sich allein entscheiden. Mit Worten kannst du da nichts helfen. Nur verschlimmern. Peter muß allein sein.

Frau Mirjam: Nur einen Strom von Lichtgedanken darf ich um ihn strömen!

Guntwar: Freilich du! Liebe Mutter!

Frau Mirjam: Und du hilfst mir dazu! Guntwar!

Guntwar: Was in meiner Kraft ist, von Herzen!

Frau Mirjam: Dank dir! Du mußt Peter lieben, unentwegt, hörst du? Dich's nicht anfechten lassen! Dann wirst du's schon überwinden, in deiner Liebe. Peter ist, Guntwar – Peter ist, ach so groß! Ein Held, Guntwar! Ich werde klein vor ihm. Du weißt unsere Leben nicht. Ich könnte erzählen. Aufopferung um Aufopferung, ja, alles um mich. Nichts konnte ihn noch treffen. Hatte allem schon entsagt. Diesem einen – meinem Bilde – oh, Guntwar, darauf war er nicht vorbereitet! Er sieht nicht, was ihm Himmlisches dafür gegeben wird: ich neu in neuem Schein. So mein ich es. So weißt du es. Ach, Guntwar, ich bleibe in schwerer Stellung zurück.

Guntwar: Ja, aber dir wird geholfen. Ich weiß auch, was Peter Heiliges trägt. Jahre und Jahre, – die Zeit um ihn irrte ab; – er blieb unentwegt. Seinem Werk, seinem Gott, seinem Weib. Wie sie sind, seine Gestalten, sie unterm Schicksal, schweigsam demütig, sie selbst ihr Schicksal, er selber schicksalstreu sie in sich genommen. Still unter Gott.

Frau Mirjam: Ja, still unter Gott. Stets war Peter Gott untertan. Nur tief verschlossen, nicht rein offen; heimlich. Doch Gott will es anders! – Und wie Peter mich hegt, liebt! Aber starke Erde-Bande blieben auch hier immer. Zäh in sich; ach, Guntwar, das soll jetzt zerrissen werden. Ohne tiefes Bluten geht es da nicht ab. Er soll mich nun neu lieben lernen. Endlich frei! Endlich ohne Fessel! Endlich in Gott! Nicht mehr alle Liebe meiner Person zugetan, so wurzelzäh, so bange um Verlust, so hilflos im Verlust; sondern Peter soll lernen Liebe zu Gott und dann erst mich lieb in Gott.

Guntwar: Er liebt doch Christus.

Frau Mirjam: Weißt du davon? Guntwar, wie siehst du tief! Das soll jetzt alles wach werden! O, da wird vieles schmerzhaft zerrissen!

Guntwar: Ich glaube auch.

Frau Mirjam: Doch will ich hoffen. – Du hilfst mir.

Guntwar: Gott hilft vor allen.

Frau Mirjam: Bitte ihn!

Guntwar: Immer, meine Mutter!

Frau Mirjam: Lebe wohl! (Umfängt ihn.)

Guntwar: Ja, zu Gott auf, meine Mutter! Da steht alles beschlossen. Und wenn es bricht, wenn es untröstlich wird. Dort ist Hilfe, dort ist Wissen. Was Er tut, ist gut.

Frau Mirjam: Schön, Guntwar, ach schön! Dank! Dank! Ja, Gott hat Peter in seine Hand genommen, so muß es gut werden!

Guntwar: Das ist gewiß.

Frau Mirjam: Wie es auch werde! – Lebe wohl, Elisabeth! (Sie umfängt Elisabeth.) Du, Guntwar –!!

(Sie gehen beide ab, die Mutter schaut ihnen nach.)

 

Das Schlafgemach. Zwei Betten der Länge nach von vorn nach hinten nebeneinander. Die Wand über ihnen breitet Schleier herab. Vorn neben dem linken Bett Holzstuhl. Frau Mirjam rechts vorn, sitzt auf einem Stuhl, vor ihr ein Schemel, auf den sie die langen, weißen Bogen der Schrift, die sie liest, gelegt hat. Eine hohe Kerze daneben auf dem Schemel. Peter im Bett rechts. Ein Streifen Mondlicht durch das Fenster der Wand rechts spielt um die Füße von Peters Bett, zu Häupten. Peter selbst bleibt dunkel.

 

Peter. Frau Mirjam.

Peter: Geh schlafen, Mirjam, liebe Mirjam, geh schlafen! Horch, wie der Wind geht! Schön scheint der Mond draußen.

Frau Mirjam: Es wird nicht viel werden mit Schlafen, Peter. Ich will lieber noch auf sein. Guntwar hat mir Blätter zurückgelassen. Voll beschrieben. Ich will sie lieber lesen. Es wird so Schönes sein!

Peter: Ach, Mirjam, das solltest du nicht, solltest es nicht! Schone dir die Augen, denk doch dran! Auch nicht so lange aufsitzen! Denk doch dran! Du bist monatelang krank gelegen, Mirjam, hast du's vergessen?

Frau Mirjam: Ach, das war vor Jahren. Aber jetzt?

Peter: Aber jetzt? Ja, das wirkt nach. Ich weiß, es wirkt nach. Nur nicht, Mirjam! Nur nicht unvorsichtig werden! Nein, nein!

Frau Mirjam: Peter, bin ich nicht in Händen? In Vaters Händen? So sagt Guntwar. So glaube ich tiefinnerst.

(Stille.)

Peter (sieht sie starr an): Ach so, Mirjam! Ach so, Mirjam, meine! In Vaters Händen, ja. Ja, du bist in Vaters Händen. Ja, nun lies nur!

Frau Mirjam: Und du schlaf nun, Peter! Und gut!

Peter: Ach ja, laß. Lies, lies! S'ist gut. Gute Nacht!

Frau Mirjam: Gute Nacht, Peter! (Ist aufgestanden, küßt ihn.)

Peter: Ja, ja in Händen – (Frau Mirjam setzt sich wieder. Liest. Eine große Stille. Nach einer Weile entschläft Frau Mirjam, Haupt auf die Brust, über den losen Blättern. Da richtet sich Peter in seinem Bett auf und sieht die Schlafende groß an. Besieht sich seine leeren Handflächen, zeigt sie nach außen, dehnt die Hände schmerzhaft weit, bricht aus):

Meine Hände! Meine Hände! Meine Hände sind leer!!!

(Frau Mirjams Hände gehen hoch, und sie tut im Traum eine greifende Bewegung vor sich. Alsbald verdunkelt sich die Bühne, zeigt, wie sie heller wird, folgendes Bild):


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