Sophokles
Elektra
Sophokles

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Fünfter Auftritt

(Elektra kommt wieder aus dem Haus)

Elektra: Ihr liebsten Frauen! der Männer Tagewerk
erfüllt sich jetzt! Drum harret schweigend hier!

Eine der Frauen: Wie denn? was tun sie jetzt?

Elektra: Sie richtet zur Bestattung schon den Aschekrug,
und beide stehen dich dabei.

Eine der Frauen: Und warum eiltest du heraus?

Elektra: Zu wachen, daß Aigisth nicht unbemerkt das Haus betritt!

Klytaimnestra: (im Haus)
Weh mir! O Haus, von Freunden leer,
doch angefüllt mit Mördern überall!

Elektra: Es schreit wer drinnen! Hört ihr nichts, ihr Lieben?

Chor: Das Unerhörte hörte ich,
daß Schauer mich ergreift!

Klytaimnestra: Wehe! – Aigisthos, wo bist du nur?

Elektra: Gib acht! Es schreit schon wieder!

Chor: O Kind, mein liebstes Kind!
Erbarm dich deiner Mutter!

Elektra: Doch erbarmtest du dich seiner nicht
und auch nicht seines Vaters!

Chor: O Stadt! O Stamm, verlorener!
Im Todeshauch wirst du vertilgt, vertilgt!

Klytaimnestra: Wehe, nun trifft es mich!

Elektra: (sehr heftig)
Stoße doppelt zu, wenn du nur kannst!

Klytaimnestra: Weh mir, noch einmal!

Elektra: Träf's doch Aigisth zugleich!

Chor: Der Fluch vollendet sich!
Es leben die, die tief die Erde birgt!
Denn sühnend fließt des Blutes
reicher Quell den längst Gestorbenen!

(Orest der Alte und kommen aus dem Haus)

Chor: Doch seht, sie kommen wieder!
Blutrot tropft von Ares Opfer noch die Hand!
und tadeln kann ich's nicht!

Elektra: Orest, wie steht's?

Orest: Im Hause recht,
wenn Apoll den rechten Spruch getan!

Elektra: Die Mutter tot?

Orest: Tot liegt die Unselige! Befürchte nicht,
daß dich der Mutter böser Sinn
noch länger schamlos schänden soll!

Chor: Seid ruhig! Aigisthos seh ich nahn!

Orest: Er kommt zur rechten Zeit!

Elektra: Schnell! eilt zurück ihr beiden!

Orest: Wo seht ihr diesen Mann?

Eine der Frauen: Dort aus der Vorstadt kommt er auf uns zu,
mit froher Kunde, wie es scheint!

Chor: Geht in den Torweg, schnell, nur schnell!
Habt ihr das erste gut vollbracht, so nun auch dies!

Orest: Nur Mut! wir enden's!

Elektra: Schnell hin, wo du gedacht!

Orest: Ich eile schon!

(Orest geht mit dem Alten ins Haus)

Elektra: Und ich erwart ihn hier!

Chor: Sende lind gesprochnes Wort
ihm in das Ohr, daß blindlings er
in Dikes Kampf sich stürzt!

(Aigisthos kommt)

Aigisthos: Wer von euch weiß, wo jene fremden Phoker sind,
die, wie man sagt, von Orest uns Kunde überbracht,
daß er sein Leben ließ im Schiffbruch der Gespanne?
(zu Elektra)
Dich da, dich frage ich, ja dich, die sonst so dreiste,
denn am meisten kümmert's dich, so denk ich,
und am besten weißt wohl du mir alles kundzutun!

Elektra: Ich weiß es wohl! Wie sollt ich nicht?
Sonst stünd ich fern dem Schicksal meiner Liebsten!

Aigisthos: Wo also sind die Fremden? Sag es mir!

Elektra: Drinnen! Denn eine liebe Wirtin trafen sie!

Aigisthos: Und daß er tot sei, meldeten sie zuverlässig?

Elektra: Mehr noch als mit Worten wiesen sie es vor!

Aigisthos: So ist er da? Ich kann ihn sehn mit eignen Augen?

Elektra: Als unerwünschter Anblick ist er hier!

Aigisthos: Ganz ungewohnt erfreust du mich!

Elektra: So freue dich! wenn dieses dir erfreulich ist!
(sie weist auf das Haus)

Aigisthos: Schweigen gebiete ich und aufzutun die Tore
für alle Mykener und Argeier zur Schau,
daß, wenn einer noch hoffte auf ihn, diesen Mann,
er nun, da er starb, den Zaum von mir nehme,
und nicht meiner Zucht erst bedarf,
daß er sich vernünftig besinnt!

Elektra: Nun, mir erfüllte sich's schon!
Denn es wies mich die Zeit zu den Stärkeren hin!

(Sie öffnet das Tor. Orest und der Alte treten hervor. Diener bringen die verhüllte Bahre der Klytaimnestra.)

Aigisthos: O Zeus, welch froher Anblick, wenn ohne Götterneid er fiel!
Beschaut ihn aber Nemesis, so schweig ich gern!
Zieht die Verhüllung ganz hinweg vor unsren Augen,
damit verwandtes Blut auch meiner Klagen Teil empfängt!

Orest: Zieh du sie selber weg! nicht mir, nein dir kommt's zu,
dies hier zu sehn und liebreich anzusprechen!

Aigisthos: Nun, du rätst gut, und ich will folgen!
(zu Elektra gewendet)
Ist Klytaimnestra mir im Haus, so rufe sie!

Orest: Sie ist dir nahe! suche sie nicht anderswo!

Aigisthos: (deckt die Bahre auf und fährt entsetzt zurück.)
Weh mir! was sehe ich!

Orest: Vor wem erschrickst du?
Wer beirrt dich?

Aigisthos: In wessen ausgespannte Netze bin ich Unglückseliger hineingestürzt?

Orest: Merkst du nicht längst,
daß du die Lebenden für die Toten ansprichst?

Aigisthos: Weh mir, diese Rede merk ich! Unmöglich
daß dieser nicht Orest ist, der so spricht!

Orest: Und du, der beste Seher, täuschtest dich so lange?

Aigisthos: Verloren bin ich Armer! Doch gewähre mir
nur ein wenig noch zu sagen!

Elektra: (hart)
Laß ihn, bei den Göttern!
nicht weiter sprechen, Bruder, und die Reden dehnen!
Was kann, wenn Sterbliche dem Unheil sich vermählt,
einer, der sterben muß, noch von der Zeit
für Vorteil haben? Eilends, töte ihn,
und wenn du ihn getötet, wirf ihn den
Totengräbern vor, die dieser Mann
verdient hat zu erlangen, fern unsern Augen!
Denn mir kann einzig dieses für die einst'gen
Übel erlösende Entsühnung bringen!

Orest: So gehe eilig hinein! Denn jetzt geht's nicht
um Worte mehr, jetzt geht's dein Leben an!

Aigisthos: Was führst du mich ins Haus hinein?
Tust du ein edles Werk, warum verbirgst du's
und erschlägst mich nicht sogleich?

Orest: Triff keine Anordnungen mehr!
Geh dort hinein, wo du den Vater mir erschlugst,
damit du an der selben Stelle stirbst!

Aigisthos: Unausweichlich soll denn dieses Haus
der Pelopiden Leiden sehn,
die jetz'ge wie die künft'ge Not?

Orest: Gewiß die deine! Dessen bin ich Seher dir!

Aigisthos: Nun,
vom Vater kam dir nicht die Kunst, der du dich rühmst!

Orest: Viel schmähst du, doch den Weg verzögerst du!

Aigisthos: Geh du voraus!

Orest: Du hast voranzuschreiten!

Aigisthos: Damit ich nicht entfliehe?

Orest: Damit du nicht so stirbst, wie's dir beliebt!
Bewahren muß ich dir die Bitterkeit!
(an das Volk gewendet)
Not wär's, daß jeden diese Strafe trifft,
der da zuwider den Gesetzen handeln will:
daß man ihn töte!
Der Bosheit wäre dann wohl weniger!

(Orest und Pylades gehen hinter Aigisth ins Haus. Man trägt die Bahre hinein, der Elektra folgt. Sie schließt das Tor.)

Chor: O Same des Atreus!
Wie führte dich nach ungezählter Not
dies Werk nun endlich doch
der Freiheit zu!


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