Sophokles
Elektra
Sophokles

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Erster Auftritt

Elektra: O heiliges Licht
und erdumfassende Luft! Wie oft
hört ihr mein Klagelied, mein
Schrein und wie ich rastlos
schlug an meine blut'ge Brust,
sobald die finstre Nacht entwich!
Die bitteren Lager in diesem leidigen Haus,
sie wissen um mein nächtlich Leid.
Den Vater beklag ich, den Ares nicht
im fernen Feindesland erschlug,
die Mutter aber, meine, und ihres
Lagers Genosse Aigisthos,
wie Holzfäller den Eichbaum,
so spalteten sie ihm das Haupt
mit blutigem Beil!
Und keine Klage erhebt sich darüber,
als allein von mir, um dich, mein Vater,
der erbärmlich verging und voller Schmach!

Doch nein, niemals
verstumme meine Totenklage
und der bittre Grabgesang,
solange ich die schimmernden Strahlen
der Sterne seh und jeden neuen Tag,
daß ich nicht gleich ihr, der man ihr Kind erschlug,
der Nachtigall, den Wehruf durch die väterlichen
Türen widerhallend hinausschrei!
O Haus des Hades und Persephones!
O unterird'scher Hermes und du, Ara,
gebietende Göttin des Fluchs!
Und ihr, göttliche Töchter, erhabene Erinnyen,
die ihr schaut auf die, denen man heimlich stahl
das Bett und schändlich sie hinweggerafft.
Kommt! Helft! Erlöst mich!
Rächt den Mord an unserm Vater
und schickt den Bruder mir!
Denn ich allein vermag nicht mehr,
die Waage zu halten dem lastenden Weh!

(Der Chor der Frauen von Mykene tritt auf)

Chor: O Kind! Kind der unseligsten
Mutter, Elektra! Warum zernagt
unstillbare Klage dich
um den von der verruchten
Mutter arglistig überwältigten, von
schnöder Hand verratnen Agamemnon?
Es mag vergehn, wer es ersann,
geziemt mir solcher Fluch!

Elektra: O ihr, entstammt von Edlen!
Ihr kommt zu trösten meine Qual?
Ich weiß, es täuschte niemals mich,
und nicht entgeht es mir!
Doch will ich nimmer davon lassen,
zu klagen um den Vater, den Verlorenen.
Die ihr in Liebe mir vereint,
vergönnt mir dies Verzweifeln,
ich fleh euch an!

Chor: Doch niemals wirst du aus des Hades
allesverschlingendem See den Vater
wieder auferstehen lassen
mit Totenklagen noch Gebeten!
Von dem, was maßvoll wäre fortgerissen
zu unbewältigbarem Schmerz,
richtest du dich klagend selbst zugrund!
Willst du das Untragbare töricht tragen,
löst du das Übel nicht!

Elektra: Töricht, wer die schmählich
geraubten Eltern vergißt!
Die Klage steht nach meinem Sinn,
die um Itys immer, um Itys schluchzt,
die Vogelfrau, die geängstete,
die Botin Zeus, die Schwalbe. –
Dich, allduldende Niobe, dich acht' als Göttin ich,
die du im starren Felsengrab
ewig bittre Tränen weinst!

Chor: Nicht dir allein, Kind,
ward Leid beschieden unter allen Sterblichen,
daß du dich klagend überhebst
der andern deines Hauses, die
doch von gleichem Stamm und Blut wie du:
wie da Chrysothemis lebt
und er, der in verhüllter Jugend trauert,
den das gerühmte Mykene königlich
dereinst empfangen wird als Erben edler Väter,
wenn er mit kühnem Schritt in dieses Land uns
wiederkehrt: Orest!

Elektra: Ja, auf den ich geduldig warte, kinderlos,
ich Arme, und unvermählt, umirr von Tränen feucht,
beladen mit nie enden woll'ndem Kummer!
Doch er vergaß, was man ihm angetan,
was er erfuhr, denn täuschte mich nicht
jeder seiner Boten, daß er sich sehnt, zu kommen,
doch treibt ihn Sehnsucht nie hierher!

Chor: Mutig sei, Kind, voll des Muts!
Noch thront im Himmel Zeus,
der alles schaut und allgewaltig herrscht.
Sein ist der überwall'nde Zorn!
Drum hasse weder, die du haßt
zuviel, noch auch vergiß!
Der Zeiten Gott heilt alles Leid.
Weder er, der die Stierweiden
Krisas bewohnt, des Agamemnons Sproß,
noch des Acherons Herrscher
sind unbekümmert drum.

Elektra: Doch kümmerlich versiegte mir der
Lebensstrom schon lang und jede Hoffnung:
die ohne Eltern ich vergeh, und
ohne Gatte, der mir zur Seite steht;
unwert, einer Fremden gleich,
dien ich so geknechtet im Gemach des Vaters
in so unwürd'gem Kleid
und steh an leeren Tischen!

Chor: Kläglich bei der Heimkehr scholl der Ruf,
kläglich auf dem Ruhebett des Vaters,
als sich verräterisch herniederschwang
auf sein Haupt das erzne Beil.
Arglistig ersonnen, war es die brünst'ge
Lust, die ihn erschlug, einig zeugend
ein graunvoll grausig Schauerbild,
sei es ein Gott, sei es ein Mensch,
der dieses tat!

Elektra: O Tag! Abscheulicher als jeder Tag,
der schwer mich niederzwang!
O Nacht! Des Festmahls unsägliche Last!
Weh Vater, der du schaust den
schnöden Mord von doppelter Hand,
der verräterisch mein Leben niederwarf.
Züchtige sie, Gott der Olympier,
mit peinigendem Schmerz!
Nie werde Freude euch
aus solch verruchtem Tun!

Chor: Hör an, eh du weitersprichst!
Siehst du nicht, wie du dich selbst
in dein Verderben stürzt?
Daß deiner Leiden größter Teil
aus deinem zornerfüllten Herzen drängt,
das Kriege nur gebar. Doch den Gewaltigen
nahst du im Streite nicht!

Elektra: Furchtbares trieb mich, furchtbar stets,
ich weiß es wohl.
Und weil dies endlos treibt, verstummt
mein Klagen nie solang ich leb.
Von wem denn, geliebte Freunde,
der verständig ist,
hörte ich je ein labend Wort?
Genug! Laßt euer Trösten!
Denn niemals erhellt sich mir der Kummer,
der in ungezählten Strömen fließt.

Chor: Wohlmeinend spricht mein Mund,
einer treuen Mutter gleich:
Unheil häuf auf Unheil nicht!

Elektra: Das Maß dies Elends, nennt es mir!
Wem geziemt es zu verschmähen die Gestorbenen?
Wem ward jemals solcher Sinn?
Nie mag ich in Ehre stehn bei jenen,
noch ruhig bei ihnen leben,
wenn nur etwas Gutes ist in mir,
daß ich, entehrend meine Eltern,
gehemmt der scharf gespannten
Klagen Flügelschlag!
Wenn in der Erde verscharrt
der Tote liegt, ein Nichts,
und jene nicht mit Blut
von ihrem Blut die Sühne zahlen,
dann stirbt die Scham
und Ehre aller Menschen!

Eine der Frauen: Gekommen bin ich, Mädchen, um dein Wohl
besorgt, wie um mein eigenes. Aber sprech
ich dir nicht recht, so siege du! Wir folgen dir.

Elektra: Wohl schäm ich mich, ihr Fraun, erschein ich euch
mit vielen Klagen gar zu ungebärdig.
Allein, Gewalt ja zwingt mich, dies zu tun!
Vergebt! Wie sollte denn ein Weib von edler Art,
wenn es des Vaters Unheil schaut, nicht es tun?
Da ich alle Tage und Nächte die Leiden nur
immer mehr erblühn und niemals welken seh,
der erst von meiner Mutter, die mich selbst gebar,
die herbste Feindschaft wurde und ich in meinem eignen
Haus zusammen mit des Vaters Mördern geknechtet
leben muß, denn sie entscheiden, ob ich darben oder
empfangen soll!
Und noch: welche Tage, meinst du, verlebe ich,
wenn ich im väterlichen Stuhl Aigisthos sitzen seh,
der seine Kleider trägt und an dem selben Herd die
Opfer bringt, an dem er ihn erschlug!
Und sieh des Frevels Äußerstes: Im Bett des Vaters
diesen Blutsverbrecher eng geschmiegt an meine Mutter –
wenn Mutter man die heißen soll, die so mit ihm zusammen schläft!
Und sie, so dreist, daß sie mit dem Besudelten zusammen lebt,
furchtlos vor Erinnyen, nein lachend über das, was sie getan,
sobald wiederkehrt der Tag, an dem sie unsern Vater hinterhältig
umgebracht, so richtet sie den Festreihn aus und schlachtet Schafe
als Monatsopfer den Göttern der Erretteten!
Doch ich, wenn ich es seh, die Unglückselige,
verzehre weinend mich, bejammere drinnen
das verruchte Mahl, das meines Vaters Namen trägt:
Agamemnons Ankunftsfreudenmahl!
Allein, stets nur allein für mich – denn auch zu weinen
ist ja nicht erlaubt, wie es das Herz mir abverlangt!
Denn diese nach dem Namen freilich edle Frau
ruft selber schmähungsvoll mich an:
›Gottloses Scheusal! Starb dir allein der Vater nur, und
keiner trauert sonst, der sterblich ist? Schmachvoll vergeh!
Und niemals mögen die unterirdischen Götter
dich von deinem Klagelied befrein!‹
So höhnt sie trotzig. Nur wenn jemand spricht, Orest,
er werde kommen, dann naht sie rasend mir und schreit:
›Bist du mir nicht an diesem schuld? Ist dies nicht dein Werk,
die du mir den Orest aus meinen Händen heimlich fortgestohlen
hast? So merke! Dir wird noch der verdiente Lohn!‹
So bellt sie, und bei ihr steht und hetzt auf gleiche Art
ihr rühmlich jugendlicher Mann, der feige Schwächling,
der nur mit Weiberhilfe seine Schlachten schlägt. –
Ich aber, harrend auf Orest, daß er dies alles hemmt,
ich Unglückselige vergeh, den stets das Tun verzögernd,
hat er die nahen wie die fernen Hoffnungen mir ausgelöscht!
So, Freundinnen, ist weder Mäßigung noch fromme Scheu gefragt:
Denn gewaltig zwingt uns solches Übel, übel selbst zu leben auch!

Eine der Frauen: Sag! Wagst du in Aigisthos Nähe so zu sprechen?
Oder ging er aus dem Haus?

Elektra: O denkt nicht, wär er hier, ich käme vor die Tür!
Nach den Feldern ging er heut.

Eine der Frauen:
So kann ich frei und offen mit die reden?

Elektra: Er ist fort! Drum frage, was du magst!

Eine der Frauen:
So frag ich dich, was du vom Bruder weißt:
kommt oder zögert er? das wüßt ich gern.

Elektra: Er sagt es! Aber was er sagt, er tut es nie!

Eine der Frauen:
Jeder zögert wohl vor großer Tat.

Elektra: Ich rettete ihn ohne Zögern!

Eine der Frauen:
Faß Mut! Edel wie er ist, wird er den Seinen helfen!

Elektra: Das ist mein fester Glaube! Sonst lebt ich längst nicht mehr!

Chor: Sprich jetzt nichts mehr! Ich sehe deine Schwester,
gleichen Bluts wie du, vom selben Vater und der Mutter,
Chrysothemis, mit Grabesschmuck
in ihrer Hand, den man den untern Göttern weiht.

Chrysothemis: Was läßt du vor den Toren, Schwester,
wieder erschallen dein Geschrei,
und willst auch nach der langen Zeit nicht lernen,
daß du vergeblich leeren Groll nur hegst?
Fühl ich doch selbst nicht minder, wie ich leide
an dem, wie es hier steht, daß, fände ich die Kraft,
ich zeigen wollte, wie ich gegen sie gesonnen bin!
Jetzt aber, in der Not, dünkt es mich besser,
mit gerefftem Tuch zu segeln und nicht
zu scheinen nur, als tät ich was,
und schade nicht!
Und darum bitt ich dich, es ebenso zu tun!
Zu recht zwar folgst du meinen Worten nicht,
nur deinem eignen Sinn, doch soll frei
ich leben, muß ich Beherrschte die Beherrscher hören.

Elektra: Furchtbar, wahrhaftig, wenn solchen Mannes Tochter,
ihn vergißt und es hält mit der Gebärerin.
Denn alle deine guten Lehren, hast du gelernt
von ihr, und nichts kommt von dir selbst!
So wähle denn, unklug zu sein wie ich,
oder der Deinen klüglich zu gedenken nicht.
Wenn du zwar sprichst: fändst du die Kraft,
sollt sich dein Haß wohl gegen sie beweisen,
jedoch wenn ich den Vater sühnen will,
so stehst du mir nicht bei und hältst mich ab!
Zeugt dies zu allen Übeln nicht von Feigheit?
Drum lehre du mich – oder lern von mir! –
welcher Gewinn mir würde, ließe ich mein Klagen!
Denn leb ich nicht? – übel zwar, ich weiß,
doch reicht es hin! Allein, ich kränke sie,
daß ich dem Toten Ehre schaff! –
wenn es in seinem dunklen Reich noch Freuden gibt!
Du aber, du meine "Hasserin", du hassest allein
den Worten nach und stehst tatsächlich
den Mördern deines Vaters bei!
Nie aber wollte ich, und reichten sie mir so wie dir
all die Gaben, die dich beglücken, mich vor ihnen beugen!
Mag dir ein reicher Tisch dastehn, voll Überfluß.
Ich labe mich an ihrer Kränkungsqual allein.
Dein "Glück" begehr ich nicht, noch würdest du es,
wenn du ehrsam dächtest! Zurecht des besten Vaters
Kind geheißen, nenn du dich nun nach deiner Mutter!
So wirst du schlecht vor jenen dich erweisen, die
du verrätst, den toten Vater und die Deinen!

Chor: Nur nichts im Zorne! Bei den Göttern!
In euren Reden liegt Gewinn nur,
wenn du lernen wolltest, die ihren
zu gebrauchen und die deinen sie!

Chrysothemis: Ich bin, geliebte Fraun, ihre Reden
lange schon gewohnt und hätt' geschwiegen,
vernähm ich nicht das große Übel,
das ihr naht und enden wird ihr Klagen!

Elektra: Verkünde denn das Schreckliche! Denn wenn
du Größeres mir nennen kannst als dieses hier,
so widersprech ich ferner nicht!

Chrysothemis: So sag ich alles, was ich weiß!
Sie wollen dich, sofern du nicht stillst
dein Klagen, an einen Ort verbannen,
wo dir die Sonne nie mehr strahlen soll
und du in tief vergrabner Kammer,
fern deines Heimatlands, dein Klaglied
singen magst.
Darum besinne dich und gib nicht mir
hernach die Schuld, wenn du so leiden mußt!
Es drängt die Zeit, bedenke dies!

Elektra: Auch das noch wagen sie mir anzutun?

Chrysothemis: Gewiß! sobald Aigisthos wiederkehrt!

Elektra: So mag er eilen!

Chrysothemis: Was rufst du, Unglückselige, auf dich herab?

Elektra: Er soll nur kommen, wenn er dies zu tun gedenkt!

Chrysothemis: Damit was dir geschieht? Bist du noch rechten Sinns?

Elektra: Um möglichst weit von euch hinwegzukommen!

Chrysothemis: Gilt dir hier dies Leben nichts?

Elektra: Ja, wahrlich, herrlich ist dies Leben! zur Bewunderung!

Chrysothemis: So wär' es, wenn du klug zu sein verstündest!

Elektra: Lehre mich nicht, zu den Meinen schlecht zu sein!

Chrysothemis: Das lehr ich dich nicht! Nur zu beugen dich der Macht!

Elektra: So schmiege du dich in den Staub! niemals ich!

Chrysothemis: Doch ist es töricht, durch Unbedacht zu fallen!

Elektra: So wir fallen sollen, so rächen fallend wir den Vater!

Chrysothemis: Unser Vater, das weiß ich sicher, vergibt es dir!

Elektra: So spricht die Feigheit selbst!

Chrysothemis: Also folgst du meiner Rede nicht?

Elektra: Niemals! Nie wär' so töricht ich!

Chrysothemis: So geh ich denn, wohin man mich gesandt!

Elektra: Gesandt wohin? Wem bringst du diese Gaben?

Chrysothemis: Unsere Mutter schickt mich mit diesem
Opfer zu unseres Vaters Grab.

Elektra: Was sagst du? Diesem Allerunglückseligsten
und ihrem ärgsten Feind?

Chrysothemis: Den sie selbst erschlug, willst du wohl sagen?

Elektra: Und, grausam verstümmelt, ehrlos verscharrte!

Chrysothemis: Doch schickt sie ihm jetzt diese Gaben, ihn auszusöhnen.

Elektra: Von welchem Freund dazu beredet? Wer sprach ihr zu?

Chrysothemis: Von einem nachtgebornen Schreckgesicht, so scheint es mir:

Elektra: (sehr erregt)
O Vatergötter, kommt herab!

Chrysothemis: Faßt du Mut um dieses Wahnbilds willen?

Elektra: Nenn mir dies Gesicht, dann sag ich's dir!

Chrysothemis: Nur wenig weiß ich dir zu sagen!

Elektra: So sage dieses! Oft schon hat geringes Wort
den Menschen hingeworfen oder aufgerichtet!

Chrysothemis: Man spricht, sie sah, wie unser Vater,
der deine wie der meine, im Strahl des
Lichtes wiederkam an ihre Seite.
Er nahm den Herrscherstab, den er einst trug,
doch jetzt Aigisth, und pflanzte fest ihn ein an
unserm Herd. Und dem Stabe sei entsproßt
ein üppger Zweig, der über ganz Mykene
seinen Schatten warf.
So hört ich einen reden, der dabei war,
als sie diesen Traum dem Helios enthüllte.
Näher weiß ich nichts, als daß sich mich
entsandt ob dieses Schreckgesichts.
Drum, bei den Göttern unsres Hauses
beschwör ich dich: komm, folge mir
und falle nicht durch Unbedacht!
Stößt du mich jetzt zurück, wirst
du in bittrem Leid mich später suchen!

Elektra: Hör, Geliebte! von dem, was du in Händen trägst,
laß nichts das Grab berühren. Nicht ziemt es dir
nach Sitte und nach heilgem Brauch,
daß du die Gaben des verhaßten Weibs hinträgst
und opferst an des Vaters Grab.
Nein! In den Wind damit! Oder birg sie
tief verscharrt im Sand, daß nichts das
Ruhbett unsres Vaters je berührt, nein,
für sie selber sei, wenn sie verdirbt!
Wär nicht das frechste Weib in ihr erstanden,
nie schmückte sie mit solcher falschen Gabe ihn,
den sie selbst erschlug!
Besinne dich: dünkt dir, der Tote werde
wohlgesonnen gegen sie in seinem Grab
empfangen diese Ehrgeschenke, von ihr,
die, zu entehren ihn, den Toten noch verstümmelte
gleich einem ärgsten Feind, um nun an seinem
Haupt sich reinzuwaschen von der Tat!
Ja meist du denn, dies entsühnt sie von dem Mord?
Niemals! Darum hinweg damit! Schneid zarte
Lockenspitzen dir vom Haupt und mir, der Armen.
Es ist wenig nur, doch was ich habe. Spende demutsvoll
ihm unser Haar und meinen Gürtel, den Prunk nicht ziert!
Und wirf dich flehend hin, daß er selbst uns
aus der Erde Schoß ersteht mit uns dem
Feind zu wehren und daß Orest, lebend,
sie alle niedertritt, damit wir künftig
mit reicheren Gaben ihn bekränzen,
als jetzt wir spenden!
Glaub ich doch – ja, ich glaub es fest, ihm selbst war
dran gelegen, ihr dieses böse Traumgesicht zu senden!
Doch, wie dem auch sei, Schwester! Hilf dir wie
mir mit solchem Dienst und dem liebsten
aller Sterblichen, der da im Hades ruht,
deinem wie meinem Vater!

Eine der Frauen: Voll Ehrfurcht sprachst du, Mädchen!
Und du, wofern du weise bist, Teure, folge ihr!

Chrysothemis: Ich will es tun! Denn das, was rechtens ist,
gibt keinen Grund zu streiten, befeuert nur die Tat!
Doch wag ich dieses Werk, bewahrt mir euer Schweigen,
ihr Lieben, bei den Göttern! Denn hört die Mutter dies,
wird bitter mir dies Wagnis enden!
(geht ab)

Chor: Irrt nicht mein sehender Geist
und fehlt mir nicht Besonnenheit,
so naht verkündend Dike schon,
in Händen heilige Gewalt!
Zu strafen kommen wird sie, Kind,
in nicht zu ferner Zeit!
Voll Zuversicht ist mein Gemüt,
weil ich des süßen Traumbilds
Hauch empfing.
Nie wird der Vater dich vergessen,
der Hellenen starker Herrscher,
noch auch das alte erzgetriebne
doppelschneidge Beil, das ihn
zu seiner Schmach erschlug!

Ja, vielfüßig und vielhändig,
tritt die Erinnye mit ehernen Füßen
schon hervor aus grausem Hinterhalt,
weil schnöden Bettes scheußliche Begier
zu mordbeflecktem Ehebund
die beiden aufgehetzt.
Darum faß ich Zuversicht,
nimmer werde dieses Zeichen
den Tätern und Gehilfen
ohne Kummer nahn.
Niemals weissagt sonst ein böser Traum
noch je ein Götterwort,
wenn dieses Nachtgesicht
zum rechten Ziel nicht führt!

O du, des Pelops Wagenrennens trauriger Gewinn!
Wie leidvoll kamst du über dieses Land!
Denn seit Myrtilos im Meer versank,
geschleudert aus seines goldnen Wagens Sitz,
wich Unheil und Verderben
niemals mehr von unserm Haus!


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