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Der Millionenraub

In dem dunklen Flur des altertümlichen Hauses in der Rosmarienstraße stand Käse-Willem fünf Minuten vor zwei Uhr nachts bewegungslos an die Wand gelehnt. Er trug einen Rucksack auf dem Rücken und einen Koffer in der Hand.

Wenige Minuten später öffnete sich langsam und etwas knarrend die Tür, und vorsichtig trat der schwarze Karl herein, ebenfalls mit einem Rucksack und einem Koffer, der anscheinend eine schwere Last barg.

»St!«

»St!«

»Willem?«

»Karl?«

»Pscht!«

Lautlos stellte sich Karl neben seinen Komplizen an die Wand.

Einige Minuten vergingen. Kaum war das Atmen der Verbrecher vernehmbar. Von der nahen Friedrichstraße klang der klappernde Trab eines Droschkenpferdes herüber, unterbrochen von heiseren Hupensignalen vorbeisausender Automobile. Die Großstadt war noch wach.

Kurze eilige Schritte näherten sich dem Hause. Die Verbrecher lauschten auf. Der Türgriff drückte sich knarrend herunter. Schlosser-Franz steckte den Kopf forschend in den Toreingang und trat vorsichtig ein. Er hatte ebenfalls einen Sack auf dem Rücken und ein schweres Bündel in der Hand. Um den Oberkörper war in Papier eingewickelt ein Bleirohr geschlungen, dessen Last ihn offenbar behinderte und seinen Gang etwas schwankend machte.

»Seid ihr da?« flüsterte er.

»Pscht!« klang es ihm entgegen, »folgt mir jetzt, aber sachte!«

Willem schlich voran, die beiden anderen schritten auf den Zehenspitzen hinterher. Bald war die Mauer erreicht, die den Hof des Bankhauses abschloß. Willem half Karl hinüberklettern und reichte ihm die Koffer nach. Ihm folgte Schlosser-Franz in derselben Weise und zuletzt schwang Willem, der längste von ihnen, sich mit turnerischer Gewandtheit über das Hindernis.

Jetzt ging es im Gänsemarsch an dem Seitenflügel des Bankhauses entlang dem Kellereingang des Vorderhauses zu, wo sich das Klosett für die Kassenboten befand.

Als die Verbrecher die Stufen hinuntergingen, sagte Franz halblaut: »Du, Willem, hier wohn'n ja Leute im Hause, ick denke, hier is keen Aas drin. Drüben im Paterre hab ick Blumentöppe am Fenster jesehen!«

»Kann sin, det et der Pochtje is, det macht nischt!« antwortete Willem gleichgültig.

»Den mach'n wer kalt!« knurrte Karl und zog seinen Genickfänger aus der Tasche.

Während Käse-Willem die Rabitzwand anbohrte und mit einer haarscharfen Säge ein großes Stück herausschnitt und beiseite stellte, bereiteten sich die beiden anderen für die Arbeit vor. Sie zogen die Stiefel aus und bedeckten ihre Füße mit dicken in Karbol getränkten Strümpfen, um Polizeihunden keine Witterung zu geben. Das Sauerstoffgebläse, der mit Motorkraft getriebene Diamantbohrer, das Handwerkzeug, das Bleirohr und die Schutzbrillen für die Stichflamme des Gebläses wurden ausgepackt. Der Klosettraum diente überhaupt als Werkstätte und Ankleidekammer.

Nachdem auch Willem seine Füße präpariert und sich mit seinem Handwerkzeug versorgt hatte, kletterten alle drei in den Keller und begannen sofort planmäßig ihre Arbeit.

Nach einer knappen Stunde flüsterte Willem: »So, Jungens, det hab'n wer jeschafft. Jetzt können wer frühstücken oder pennen. Ick will mal rechnen wie lange. Vier Kubikmeter stehen drüber, det sind viertausend Liter. Det Wasser fließt vier Liter in der Sekunde, macht viertausend Liter in tausend Sekunden. Also, etwa zwanzich Minuten könn'n wer streiken, denn jehn wer ruff und schmelzen de Decke weg!«

Die Verbrecher streckten sich auf dem Fußboden des Kellers aus und rauchten Zigaretten, was in dem dunklen Raum den Eindruck hervorrief, als ob drei Glühwürmchen in der Luft hingen.

Inzwischen zischte und gurgelte das Wasser im Bleirohr.

Als die Zeit gekommen zu sein schien, erhob sich Willem, nahm sein Dietrichbündel und schlich über den Hof durch die offene Tür nach dem Erdgeschoß. Der Eingang zur Kasse war geschlossen, was der Verbrecher vermutete. Mit wenigen Handbewegungen hatte er das Schloß geöffnet. Dann schlich er wieder in den Keller und holte seine Spießgesellen.

Die Arbeit, die nun begann, war verhältnismäßig leicht und einfach.

Franz sprang mit seinem Sauerstoffgebläse auf die Decke der Stahlkammer, die vom Wasser befreit war. Eine Steckdose, die mit einer Tischlampe verbunden war, wurde dazu benutzt, den Strom für das Gebläse zu liefern. Zur Vermeidung des Lichtscheines spannten die Verbrecher ein schwarzes Tuch zeltartig über der Stahlkammer aus. Dann sprangen auch die beiden anderen dem Franz nach, setzten ihre Schutzbrillen auf, und das Sauerstoffgebläse wurde eingeschaltet.

Die violette Stichflamme glitt zischend über den Panzer, während das Wasser im Bassin allmählich verschwand.

Der Stahl des Tresors war hart wie Diamant, aber die Glut der Flamme erweichte ihn langsam und sicher. Lange Fetzen schmolzen ab und fielen mit kurzem Zischen und Dampfen ins Wasser. Kleine Stücke wurden von Karl und Willem mit Asbesthandschuhen abgelöst und hinuntergeworfen. Franz arbeitete mit erstaunlicher Geschicklichkeit und Ruhe, als ob es sich um einen gut bezahlten Auftrag handelte, während die beiden anderen mit wachsender Ungeduld der Öffnung des Tresors entgegensahen. Je näher der ersehnte Augenblick kam, desto nervöser wurde Käse-Willem. Die Vorstellung, daß die Bankleitung noch im letzten Augenblick die Fortschaffung des Riesendepots verfügt haben könne und schließlich alle Mühe umsonst gewesen sei, hatte ihn so gepackt, daß der sonst kaltblütige Verbrecher zu zittern begann und sich die Lippen wund biß.

Er trieb ständig zur Eile an, aber Franz ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und knurrte wütend, wenn er sich behindert fühlte, oder er versetzte seinem Komplizen einen Stoß mit dem Ellenbogen.

Endlich, nach stundenlanger ununterbrochener Arbeit, war die Decke abgeschmolzen und die Aschefüllung wurde hastig in das Bassin geworfen. Nun war die weniger starke Innendecke noch zu überwinden.

»Vorsicht!« flüsterte Käse-Willem, »det de nischt verbrennst, de Platte is man dünne!«

»Quatsch nich!« brummte Franz, »ick weeß Bescheed, kümmre dir um dein'n Klamauk!«

Mit geringer Mühe wurden die Innenplatten der ganzen Länge nach herausgeschnitten und beiseite gestellt, dann waren die obersten Fächer frei. Willem drängte sich aufgeregt vor und steckte seine Nase in den Tresor, mit seinen langen Armen griff er hinein und begann hastig auszukramen, daß seine Komplizen die herausgeholten Bücher und Papiere nicht rasch genug erfassen konnten. Bares Geld war nicht vorhanden, nur einige Bündel Aktien wurden als nicht sehr willkommene Beute zurückgelegt. Alles übrige flog in die Tiefe.

Die Schmelzarbeit begann von neuem, denn der Boden der oberen Fächer mußte noch beseitigt werden, um in den großen Hohlraum der Stahlkammer zu gelangen.

Nach einer spannungsvollen halben Stunde waren die Platten herausgeschält und beiseite gestellt. Das Gebläse hörte zu summen auf, der violette Lichtschein verschwand, und die Blendlaternen traten in Tätigkeit. Alle drei stürzten sich jetzt auf die Papiere, die ihnen matt entgegenleuchteten. Sechs Arme arbeiteten wie Windmühlenflügel und warfen alles auf den Fußboden des Kassenraums.

Käse-Willem war beglückt, seine Brust schwellte sich vor Verbrecherstolz, denn die Kassenscheine häuften sich bereits zu Bergen. Aber er sprach kein Wort. Noch war der Raub nicht geborgen, und die Besorgnis, vielleicht im letzten Augenblick noch überrascht zu werden, schnürte ihm die Kehle zu. Die eingelegten Platten der Fächer wurden mühelos herausgehoben und in wenigen Minuten war der Tresor völlig geleert.

Schnell wurde der Millionenraub zusammengerafft und in den Rucksäcken verstaut. Jeder nahm, was er erfassen konnte. Zur Teilung blieb keine Zeit. Da die Säcke nicht alles bergen konnten, denn sie waren zum bersten gefüllt, wurde aus dem schwarzen Tuch, das zur Verdeckung des Lichtscheins diente, in Eile ein Beutel improvisiert.

Während Karl und Franz mit ihren Werkzeugen und ihrem Raubanteil sich hinunterschlichen, räumte Willem auf. Er sagte sich, der Portier könnte am Ostersonntag oder am Ostermontag zufällig den Kassenraum betreten, und dann wäre es mit dem Vorsprung von zwei Tagen vorbei. Er raffte also alle zurückgebliebenen Kontobücher zusammen, holte die beiseite gestellten Platten und versenkte alles von oben in den Tresor, dann eilte er seinen Komplizen nach.

Das matte Mondlicht, das durch die Fenster hineinschien, fand den weiten Kassenraum friedlich, ruhig und sauber, als ob nichts geschehen wäre. Auf demselben Wege, den sie gekommen, verließen die Verbrecher den Ort der Tat. – Der Tresor unter Wasser war überwältigt.

An der Ecke der Rosmarienstraße hatten die beiden weiblichen Helfer ihren Wachtposten pünktlich angetreten. Anfangs verlief die Zeit ziemlich rasch, denn die Friedrichstraße bot noch immer ein abwechslungsreiches und interessantes Bild. Als aber die vierte Morgenstunde überschritten war und Menschen und Fuhrwerke allmählich verschwanden, stellte sich die Müdigkeit ein, und die Augenlider wurden bleiernschwer. Zwar kreiste eine mit starkem Kaffee gefüllte Flasche, und eine Zigarette folgte der anderen, aber alle diese Gewaltmittel versagten gegenüber dem mächtigen Zwange der Natur.

So saßen Lucy und Irma fröstelnd auf dem Reisekorb mit hängendem Kopf und halbgeschlossenen Augen und gaben sich alle Mühe, durch gegenseitiges Aufrütteln den gefährlichen Schlaf zu bannen, denn sie erkannten, daß sie sofort bereit sein mußten, wenn die Männer ihre Arbeit vollbracht hatten. Der Umgang mit Verbrechern hatte sie gelehrt, daß in einem festgesetzten Programm keine Nummer fehlen durfte, weil sonst der Erfolg des Unternehmens illusorisch gemacht worden wäre.

Von Osten kündete bereits ein blasser Lichtschein am Himmel den nahenden Morgen. Da ertönte ein langgezogener Pfiff im Dreiklang.

Die Mädchen sprangen auf und eilten mit ihrem Reisekorb dem bezeichneten Hause zu.

Willy empfing sie gleich hinter der Türe, gebot Stillschweigen, riß in Eile den Korb auf und packte ohne Wahl Bündel von Kassenscheinen und Aktien hinein. Karl entleerte seinen Rucksack ebenfalls zum größten Teil und gab der Irma den schwarzen Handkoffer, der das Geld enthielt, sowie das zusammengeschnürte Paket mit dem Handwerkszeug. Dann bekamen die Mädchen im Flüsterton ihre Anweisungen. Hiernach wollten die Verbrecher nur eine geringere Summe mit auf den Weg nehmen, der größte Teil des Raubes sollte von den Mädchen in Sicherheit gebracht werden, um im Falle einer Festnahme für spätere Zeit als Reserve zu dienen.

Am Schlusse seiner Anordnungen raunte Käse-Willem seiner »Braut« zu: »Also, paß mal Obacht, Lucy, wat ick dir jetzt sage. Wir fliejen über die Jrenze und schreiben jibts nich. Ick werde mir mit dir vaständjen, aber bloß durch de Presse und in 'ne Zeitung, die's ooch woanders jibt. Nach fünf Tagen, von heute an jerechnet, koofste dir alle Tage am Bahnhof Friedrichstraße de Köllnsche Zeitung. Da findste unter de Anzeijen von Jeburten, Hochzeiten und so'n Quatsch, wenn ick dir wat mitteilen will, 'ne Anzeije von mir mit de Überschrift: Lucy und mit de Unterschrift: Willy. Und wenn de mir 'ne Nachricht zukommen lassen willst, denn jehste in 'n Annoncenjeschäft und jibst for de Köllnsche Zeitung an deselbe Stelle 'ne Anzeije uff mit de Überschrift: Willy und de Unterschrift: Lucy. Vastehste, Meechen?! Un denn adjes. Macht, det ihr schnell nach Hause kommt und det Jeld jleich weg!«

Schlosser-Franz, der mit seinem Bleirohr und dem prall gefüllten Rucksack schwer beladen daneben stand und dem der Boden unter den Füßen brannte, war inzwischen auch zu dem Entschluß gekommen, daß es nicht ratsam sei, eine solche Menge Geld nach Hause zu schleppen.

Während der Rest des Raubes, der in dem schwarzen Tuch eingebündelt war, noch in aller Eile geteilt wurde, schnallte er seinen Rucksack ab, nahm etwa die Hälfte heraus, wickelte die Kassenscheine in einen Bogen Papier ein, den er zusammenschnürte, und gab Lucy das Paket mit dem Hinweis, es für ihn in Verwahrung zu nehmen.

Der Abschied war kurz und kalt, wie es in jenen Kreisen üblich ist. Auch war die Gemütsverfassung der Verbrecher keine derartige, daß sie zu Scherzen und Freundlichkeiten aufgelegt gewesen wären, denn nach vollbrachter Tat stellt sich auch bei dem verhärtetsten Zuchthäusler eine gewisse Unruhe ein, die manche als Gewissensqual, andere wiederum als Furcht vor der Zukunft bezeichnen. Von einer solchen Unruhe waren alle drei befallen und deshalb trieb es sie, möglichst rasch ins Freie zu gelangen.

Die Mädchen zogen mit ihrem Korb ab, der Friedrichstraße zu, Schlosser-Franz folgte ihnen in einiger Entfernung, bog dann nach den Linden ab und eilte nach Hause. In seiner Kehle brannte es wie Feuer.

Willy und Karl gingen zum Bahnhof Alexanderplatz, um von dort mit dem ersten Zug nach Johannisthal zu fahren.

Vor dem Flugplatz trafen sie, wie verabredet, den Soldatenrat und den Major.

»Det klappt ja allens scheen«, sagte Willy zu Karl, »ehe de Polente de Oogen uffmacht, sind wer über de Berge!«

Es »klappte« diesmal aber nicht, denn die Verbrecher hatten vergessen, daß alle Betriebe während der Feiertage geschlossen sind.

Als der Major sichtlich verstimmt berichtete, daß weder ein Mann noch überhaupt ein Flugzeug auf dem Platze vorhanden sei, wandelte sich die ursprüngliche Freude in tiefe Niedergeschlagenheit.

Der Major fügte aber sofort beschwichtigend hinzu, daß er am Dienstag nach Ostern totsicher eine Maschine und die erforderliche Ausrüstung beschaffen würde, wenn er mindestens 25 000 Mark zur Verfügung hätte.

Willy und Karl traten zur Seite und berieten. Gegen das Mißgeschick war nichts zu machen. Außerdem bestand ja wenig Gefahr, daß der Einbruch vor Dienstag entdeckt werden würde. Sie öffneten also ihre Rucksäcke, entnahmen das Geld, jeder zur Hälfte, und überreichten es dem Major. Dieser stieß seinen Begleiter verständnisvoll an, als die Bündelberge der Kassenscheine sichtbar wurden.

Da nicht anzunehmen war, daß vor neun Uhr morgens überhaupt jemand auf dem Flugplatz sein würde und zur Beschaffung der Maschine immerhin eine gewisse Bewegungsfreiheit erforderlich war, wurde als Treffzeit, wenngleich schweren Herzens, die zehnte Stunde vormittags festgesetzt.

Die vier Männer wanderten nun die Chaussee entlang und setzten sich in einem Wirtshaus fest.

Als sie am späten Abend auseinander gingen, fuhren Willy und Karl mit dem letzten Zuge nach Königswusterhausen, wo sie als Ausflügler übernachteten.

Lucy hatte nicht eher Ruhe, bis sie sich ihres Auftrages entledigen konnte. Zu Hause angekommen, entnahm sie dem Reisekorb einige Bündel für ihren eigenen Bedarf – immerhin schon eine beträchtliche Summe –, packte das andere Geld nebst dem Reservefonds des Schlosser-Franz säuberlich in zwei große Blechkästen, die aus Heeresbeständen stammten und zur Fortschaffung von Munition dienten und schleppte den ganzen Schatz nach einer Laubenkolonie in der Nähe des Gesundbrunnens, wo ihre Mutter eine Parzelle gepachtet hatte. Hier fand sie auch den Spaten, um beide Kästen fast einen Meter tief zu vergraben. Zur Beseitigung der Spur trat sie dann die Erde mit den Füßen fest.

Irma war weniger gewissenhaft. Sie schloß den wertvollen Koffer in ein Spind und legte sich zu Bett. Am Abend nahm sie das Geld heraus, kleidete sich elegant an und begab sich in ein Weinrestaurant Unter den Linden, wo sie als »gnädige Frau« ein luxuriöses Souper einnahm.

Am nächsten Tage aber drückte sie der Schatz im Hause, ihr stiegen allerlei Gedanken auf, sie fürchtete sogar, ermordet und beraubt zu werden. Und doch war es ihr unmöglich, zu einem Entschluß zu kommen, wo sie das Geld am sichersten aufbewahren könnte. Schließlich trug sie den Koffer in den Keller und deckte ihn mit altem Gerümpel zu, in der Hoffnung, später ein besseres Versteck ausfindig zu machen.

 

Am Dienstag nach Ostern saß der Depotchef pünktlich neun Uhr an seinem Schreibtisch und wartete auf den Anruf des Generaldirektors, weil dieser sich vor dem Heben der Stahlkammer immer erst zu melden pflegte.

Wenige Minuten später klingelte es.

»Hier Depot!«

»Guten Morgen, Herr Heinemann! Wie haben Sie die Feiertage verbracht?«

»Danke, Herr Generaldirektor, im süßen Nichtstun!«

»Das ist vernünftig! Darf ich Strom geben?«

»Jawohl, Herr Generaldirektor!«

Im nächsten Augenblick sauste die Stahlkammer in die Höhe.

Gewohnheitsgemäß pflegte der Depotchef den Tresor sofort zu öffnen, diesmal aber nahm ihn die während der Feiertage angehäufte Korrespondenz so in Anspruch, daß er sich nicht einmal umblickte. Erst als gegen Viertel zehn ein Scheckkunde kam, um Geld abzuheben, zog er die Schlüssel, die er stets bei sich hatte, aus der Tasche und ging zur Stahlkammer, um eine bestimmte Summe für den Tagesverkehr herauszunehmen und auf seinem Zahltisch zu ordnen.

Noch ehe er von seinem Platz aus den Tresor erreicht hatte, fiel sein Blick auf die obere Kante der Schränke, die den Eindruck machte, als ob feurige Zähne die Decke abgeknabbert hätten.

Nichts Gutes ahnend, schloß er einen der Panzer hastig auf und sofort fiel ein wüstes Durcheinander von Büchern, Platten und Metallstücken vor seine Füße, so daß er rasch zur Seite springen mußte, um nicht verletzt zu werden.

»Beraubt!« stöhnte der pflichtgetreue Beamte und war einer Ohnmacht nahe, denn er hatte das Gefühl, daß ihm eine unsichtbare Kraft mit einer der auf dem Fußboden liegenden Stahlplatten einen wuchtigen Schlag auf den Kopf versetzt hätte.

Kaum vermochte er sich zu seinem Stuhl zurück zu schleppen und die gegenüber sitzende Buchhalterin mit einer Handbewegung auf das entsetzliche Ereignis hinzuweisen. Dann brach er zusammen und war keiner Bewegung mehr fähig, sein Körper war wie gelähmt und seine Blicke stierten ins Leer, weil es ihm unmöglich war, das Unfaßbare, Unbegreifliche zu verstehen.

Das Fräulein stieß einen Schrei des Grauens aus, als sie die Verwüstung sah und eilte hinaus, um die benachbarten Bureaus zu alarmieren.

In wenigen Minuten war der Kassenraum dicht mit Menschen gefüllt, die mit trauernden Mienen vor der Stahlkammer wie vor einem Sarg standen.

Jetzt erschien auch der Generaldirektor, den man herbeigerufen hatte. Kreidebleich, um die Mundwinkel ein nervöses heftiges Zucken, trat er an den Tresor heran und öffnete mit zitternden Händen auch die übrigen Schränke.

Das gleiche Bild. Bücher, Platten und Metallstücke fielen klirrend auf den Fußboden, und durch die Höhlung der herausgeschmolzenen Decke schien das Tageslicht von oben in die Stahlkammer hinein und beleuchtete grell die kahlen Wände.

Aus dem Tresor unter Wasser war über Nacht eine jämmerliche Ruine geworden.

Fassungslos lehnte der Generaldirektor an der Wand, als die Abteilungschefs sich ihm näherten und sich stumm daneben stellten.

Niemand wagte ein Wort zu sprechen, aus Furcht, daß die Erwähnung des Schrecklichen die niederschlagende Wirkung des Unglücks noch verstärken könnte.

Von verschiedenen Seiten zugleich wurde die Polizei benachrichtigt.

Alsbald erschien ein Trupp Schutzleute, die das Haus absperrten und auch den Kassenraum besetzten.

Die Bank war geschlossen. Niemand durfte ohne Ausweis hinein. Selbst der herbeigerufene Baumeister mußte längere Zeit vor der Tür warten, bis er von einem Abteilungschef hineingeholt wurde.

Der Generaldirektor hatte sich inzwischen von seinem ersten Schreck soweit erholt, daß er sich an den Tisch des Depotchefs setzen und mit diesem über die Lage konferieren konnte. Der Depotchef hatte zwar noch immer keinen klaren Kopf, die Disziplin aber erforderte es, daß er sich zusammennahm und vernünftige Antworten erteilte.

Als der Baumeister, der sich selbst noch keine klare Vorstellung davon machte, wie seine genial konstruierte Stahlkammer beraubt worden sein konnte, sich unter tiefen Verbeugungen dem Generaldirektor näherte, traf ihn ein vernichtender Blick mit den begleitenden höhnischen Worten: »Sehen Sie sich nur die Bescherung an, Herr Baumeister. Ihre verrückte Idee ist an dem ganzen Unglück schuld!«

Der noch vor kurzem als der erfindungsreichste Architekt der Neuzeit gefeierte Herr Ressel betrachtete mit scheuem Augenaufschlag das vor ihm stehende Wrack seiner Kunst.

»Ich bin fassungslos, Herr Generaldirektor«, brachte er verlegen hervor, »und begreife nicht, welche dunklen Mächte eine solche Stahlkammer überwältigen konnten. Gegen den Vorwurf aber, daß mich die Schuld an dem Verbrechen träfe, möchte ich mich in aller Form verwahren. Ich habe eine Konstruktion erdacht, die nach menschlichem Ermessen …!«

»Ach was, menschliches Ermessen«, unterbrach der Generaldirektor heftig, »Theorie und Praxis!«

»Und die technische Kunst, mit der ich den Tresor unter Wasser setzte?« warf der Baumeister gekränkt ein.

»Tscha«, erwiderte der Generaldirektor höhnisch, » Ihre Kunst, Herr Baumeister, ist zu Wasser geworden!«

Dann wandte er sich um und ließ den verblüfften Herrn Ressel stehen.


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