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Trügerische Hoffnungen.

Die Almosenempfängerin Agate Brinkmann rieb sich auch heute wieder ihre knochigen Hände, aber diesmal geschah es nicht der Kälte wegen, sondern mehr aus Vergnügen, denn das Zimmerchen war überhitzt und an der Wand neben dem Ofen aufgeschichtet standen einige hundert Preßkohlen. Für das armselige Fräulein ein ganzes Bergwerk.

Und in dem Töpfchen des Ofenherdes brodelte ein ganzes Huhn – für die Alte ein Fabelwesen wie der Phönix – und verbreitete einen herrlichen Duft, den sie im Vorgefühl des wundersamen Geschmackes gierig einsog. Nicht genug damit, standen auf einem Küchentisch kleine Berge von Tüten und Paketen, die Fräulein Brinkmann immer wieder lächelnd und sich die Hände reibend betrachtete.

Der Spender dieser Reichtümer war kein anderer als Hugo Schramm. Gleich am nächsten Tage, als er seinen Raub in Geld umgesetzt und die Taschen voll mit Kassenscheinen wattiert hatte, gab er der »Schnutengräfin« hundert Mark, um für Fräulein Brinkmann Einkäufe zu besorgen, die er mit einigen einleitenden Worten persönlich überbrachte. Seitdem war der »Schlidderhujo« für wenige Minuten täglicher Gast in dem kleinen Mansardenzimmer. Und er kam nie mit leeren Händen.

Auch heute trat er wieder nach kurzem Klopfen herein, angezogen wie ein vollendeter Kavalier und beide Arme bepackt mit Lebensmitteln.

Fräulein Agate Brinkmann machte einen tiefen Knix und warf ihrem Wohltäter, während sie ihm, vor Aufregung ganz zapplig, die Pakete von den Armen nahm, schmachtende und verhimmelnde Blicke zu.

»Großer Gott,« rief sie aus, »Ihre Güte, mein hochverehrter Herr, ist übermenschlich. Womit habe ich arme verlassene Frau soviel Gnade eines engelhaften Mannes wie Sie verdient?! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen tausend – tausendfach und untertänigst, und werde nicht verfehlen, in meinem Morgen- und Abendgebet unseres Gottes und Heilands Segen auf Sie herabzuflehen, damit alles, was Sie auch unternehmen mögen, zu Ihrer Zufriedenheit gelinge und Sie ein so glücklicher Mensch werden sollen, wie Sie mich beglückt haben!«

Der Verbrecher grinste so breit, daß seine Mundwinkel an den Ohren standen und erwiderte mit seiner rauhen Stimme:

»Na, nu lassen Se man jut sind, sonne olle Frau jibt man jerne wat, wenn se nischt zu knabbern hat. Ick hab ooch mal 'ne Mutter jehatt und wenn ick Ihn'n so sehe, mit Ihr'm wacklijen Kopp und dem krummen Rücken und det Knochenjerippe, denn denke ick immer an ihr!«

»Ach Gotte doch«, flötete die Almosenempfängerin mit spitzen Lippen, »ach Gotte doch, wie rührend, nein, wie mich das freut, daß ich Ihrer Frau Mutter, sicher einer hochedlen Dame, so ähnlich sehe und Sie mir die Gefühle eines Sohnes entgegenbringen! Zuviel Ehre, zuviel Ehre! Ein unfaßbares Glück, denn nur unser Herr und Heiland hat Sie mir gesandt, weil ich nie verheiratet war und deshalb auch keine Kinder habe!«

»Schlidderhujo« grinste wieder wohlgefällig und sagte zum Abschied: »Na, wat die Kinder anbetrifft, die hätt'n Se ooch so hab'n könn'n. Sie hab'n bloß immer zulange jezögert. Na, heute is ja nischt mehr zu mach'n, also adjeß denn uff morjen. Ick bringe Ihn'n nu 'n scheenen Sonntagsbraten mit, aber wenn Sie eener fragt, ob Sie mir neulich nacht jeseh'n hab'n, denn schüttel'n Se mit 'm Kopp und sag'n: I Jott bewahre!«

»I Gott bewahre!« wiederholte das alte Fräulein mit dem Brustton innerster Überzeugung und schüttelte so heftig mit dem Kopf, daß die grauen Haare wild herumflatterten. »I Gott bewahre!«

Der Schneider Butterfaß hatte inzwischen Glück gehabt. Ein Reisender, der gegenüber in einem jüdischen Hotel wohnte, ließ sich von den gestohlenen Stoffabschnitten einen Anzug und eine Hose bei ihm machen.

Der Anzug hing zur Abnahme bereit an einem Ständer, und Frau Butterfaß freute sich schon im voraus, das gute Geschäft als ihr ureigenes Werk rühmend preisen zu können. Aber es kam in diesem Falle, wie meistens, anders als erhofft, denn das, was man Zufälle nennt, kümmert sich wenig um die eitlen Wünsche geldgieriger Menschen.

Der Hausbesitzer Chill, der sich mit Vergnügen nur der Geldeinnahme an jedem Monatsersten hingab, aber ebenso ungern in die Wohnungen seiner Mieter ging, war nun ausnahmsweise einmal gezwungen, sich in den Keller des Schneiders zu begeben, da der Gastwirt Gabel sich beklagt hatte, daß die Speisen in seiner Vorratskammer verderben, weil Frau Butterfaß in der Küche wasche und die heißen Wasserdämpfe die Schuld an dem ihm zugefügten Schaden hätten.

Während der Hausbesitzer mit der stets aufsässigen Frau Butterfaß eine heftige Auseinandersetzung hatte, weil sie die Tatsache bestritt, fiel sein Blick zufällig auf den an dem Ständer hängenden Anzug. Es drängte ihn, etwas zu fragen, aber er war doch klug genug zu schweigen, verwies noch einmal auf die Waschküche, die benutzt werden müßte und ging ganz ruhig hinaus.

Kaum hatte er den Keller hinter sich, als er schnurstracks zur Polizei lief und dort meldete, er habe soeben beim Schneider Butterfaß einen Anzug hängen gesehen, der aus der ihm gestohlenen Ware angefertigt sei. Es wurde sogleich der Anzug beschlagnahmt und eine Haussuchung vorgenommen, wobei auch die Hose ans Tageslicht kam.

Der Schneider ist angesichts der uniformierten Schutzleute fast von Sinnen vor Angst, man könnte ihn sofort ins Gefängnis werfen, und er beteuert daher jammernd und zitternd, daß er sich keines Verbrechens bewußt sei, denn seine Frau habe die beiden Stoffabschnitte im Bäckerladen gekauft.

Eine dort vorgenommene Haussuchung konnte zwar von dem Diebesgut nichts mehr entdecken, es wurde aber, da die Bäckerleute, in die Enge getrieben, jetzt ihrer Selbstrettung wegen nicht mehr schweigen konnten, ermittelt, daß zwei Galizier vor einiger Zeit an einem frühen Morgen von zwei Männern Pelze und Stoffe gekauft hätten.

Die Beschreibung der beiden Männer paßte auf »Schlidderhujo« und Kunze.

Diese Vorgänge spielten sich völlig geräuschlos ab. Niemand wußte etwas davon – mit Ausnahme der Frau Toches, die sich mit Herrn Chill wieder ausgesöhnt hatte, weil der Hausbesitzer ohne ihre Kochkunst, die ihm doch noch mehr wert war, als die gestohlenen Schätze, nicht leben konnte.

Die Haushälterin begegnete nun schon am selben Abend, als ihr das Geheimnis anvertraut war, Frau Kunze auf der Treppe, und da Frau Toches einige verdächtige Äußerungen machte, die sich auf den Metallarbeiter und seine Mitwirkung an dem Einbruch bezogen und Frau Kunze, die nicht die geringste Ahnung von den Vorgängen in der fraglichen Nacht hatte, sich die Beschimpfung der Ehre ihres Mannes nicht gefallen lassen wollte, kam es zu einem Streit zwischen den beiden Frauen, der so leidenschaftliche Formen annahm, daß die taube Haushälterin einen Topf mit Sauerkohl, den sie soeben vom Kaufmann geholt hatte, ihrer Gegnerin ins Gesicht schüttete.

Der Streit erreichte zwar auf diese Weise ein schnelles Ende, weil Frau Kunze eiligst in ihre Wohnung flüchten mußte, um sich die beißende Säure aus den Augen zu wischen und die Kohlsträhnen aus den Haaren zu kämmen, aber ein viel schlimmeres Nachspiel folgte, als der Metallarbeiter, betrunken, wie fast immer, nach Hause kam.

Noch mit ihrer Toilette beschäftigt, empfing sie ihren Mann gleich mit Vorwürfen, daß er ihr und den Kindern Schande bereite, und die Leute mit Fingern nach ihm zeigen, weil er verdächtig sei, sich an einem Einbruch beteiligt zu haben. Und sie hätte schon immer gewußt, daß er bei seiner Lebensweise im Zuchthaus enden würde.

Herr Kunze war absolut nicht in der Stimmung, von seiner Frau, deren Anblick ihn meistens in Harnisch brachte, solche Redensarten zu hören und er versetzte ihr daher zunächst eine schallende Ohrfeige. Solche Brutalität des Gatten, die ein schlagender Beweis seines ehrbaren und rechtschaffenen Charakters sein sollte, empörte Frau Kunze nur noch mehr und sie erging sich in weiteren noch schlimmeren Beschimpfungen, was zur Folge hatte, daß es jetzt massenweise Ohrfeigen hagelte.

Frau Kunze schrie um Hilfe und wehrte sich, indem sie eine Kartoffelkeule, die auf dem Tisch lag, ergriff und den Kopf ihres liebenswürdigen Gatten damit etwas unsanft streichelte. Herr Kunze wiederum, der an solche Zärtlichkeiten des sogenannten schwachen Geschlechts nicht gewöhnt war, verlor in seiner Trunkenheit nunmehr gänzlich den Verstand, holte eine Axt aus der Küche und begann das ganze Mobiliar wutschnaubend zu demolieren.

Der Skandal, der sich nun entwickelte, war den Hausbewohnern keineswegs ungewohnt. Frau Kunze und die Kinder lagen schreiend und weinend auf der Treppe und aus der Wohnung klang es heraus, als ob jemand im übermäßigen Arbeitseifer Holz hackte.

Die schnell herbeigerufene Polizei nahm den Tobenden fest und schleppte ihn zur Wache. Hier ernüchterte er sich etwas, und erkannt und über den Einbruch befragt und in die Enge getrieben, gestand er, sich an dem Verbrechen beteiligt zu haben und bezichtete den Gelegenheitsarbeiter Hugo Schramm als den Haupttäter. Dann verfiel er wieder in Raserei und mußte schließlich einer Irrenanstalt überwiesen werden.

Die Nacht war inzwischen schon angebrochen und die Suche nach dem »Schlidderhujo« dadurch erschwert. Trotzdem wurde unverzüglich ein polizeiliches Streifkommando entsandt, das alle benachbarten Lokale, in denen Schramm zu verkehren pflegte, ausfindig zu machen und zu durchforschen hatte.

In einer kleinen Budike an der Ecke der Hirtenstraße zechte »Schlidderhujo« in Gesellschaft der Breitenbach und zweier ebenso verwegener Kumpane. Das Gastzimmer der Kaschemme war so klein, daß kaum ein halbes Dutzend Menschen sich darin bewegen konnte. Das hinderte aber nicht, daß die vier Gäste, deren Tisch mit Bier- und Schnapsgläsern bepackt war, in ihrer Trunkenheit mehr Lärm verursachten, als eine ganze Herde von Wölfen verfolgter Stiere.

Es wurde gejohlt und gesungen und just im rechten Augenblick, als die animierte Stimmung ihren Höhepunkt erreicht hatte, traten zwei Frauen in die Kneipe, von denen die eine Gitarre, die andere Geige spielte. Letztere, im großmütterlichen Alter, schloß gewohnheitsgemäß die Augen, weil die rohe Gesellschaft, der sie, vielleicht nur der Not gehorchend, aufspielen mußte, ihr zu stark auf die Nerven *fiel. Die andere Frau hingegen, etwa in den dreißiger Jahren und nicht übel von Gesicht und Gestalt, machte einen unbefangenen und absichtlich unnahbaren Eindruck, als die Kaschemmengäste schon nach dem ersten Gassenhauer, der ertönte, wild lebendig wurden. Sie tanzten alle wüst durcheinander in allen möglichen Verrenkungen, halb auf der Erde kriechend und den Steiß in die Höhe, oder sich gegenseitig umarmend und schiebend, wobei mit Leibeskräften gegröhlt wurde und die Gläser von den Tischen fielen und klirrend zerschellten.

In dieses bestialische Treiben kam etwas Abwechslung, als sich zwei Herren durch die Türe schoben und die Gäste mit scharfen Blicken musterten. Der eine Herr verschwand sogleich wieder und kehrte unverzüglich mit einem halben Dutzend Schupoleuten zurück, die ihre schußbereiten Pistolen auf die übermütige Gesellschaft richteten. Musik und Geschrei verstummten, als der eine der Kriminalbeamten Hugo Schramm und dessen Begleiterin für verhaftet erklärte.

»Schlidderhujo« wußte jetzt, daß seine Stunde geschlagen. Er machte noch den letzten verzweifelten Versuch, durch einen Hechtsprung die goldene Freiheit zu retten, die gerade noch vor kurzem so ganz nach seinem Geschmack war. Die Fensterscheiben zersplitterten. Wie vom Sprungbrett ins Schwimmbassin glitt der Verbrecher mit einem Satz durch das Fenster auf die Straße – um hier von bereit gehaltenen Polizisten empfangen und gefesselt zu werden. Die Breitenbach ergab sich ruhig in ihr Schicksal, denn sie wußte, daß die zu erwartende Strafe nur gering sein konnte.

Esther Machschewes hatte sich in ihrer Einsamkeit, als die Mutter noch immer nicht zurückkehrte, dem Rabbinatskandidaten Dr. Speckowski anvertraut, an dessen Tisch sie auch speiste.

Moritz Feigenbaum, der mit dem unerwarteten Ausgang der verhängnisvollen Reise sehr zufrieden war, schätzte sich glücklich, das Mädchen ganz nach Belieben bei sich haben zu dürfen und ihren Kummer durch Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten verscheuchen zu können.

An einem Freitag abend, als die Lichter wieder brannten und die fromme Tischgesellschaft im trauten Familienkreise ihre Gemüter in der warmen Behaglichkeit gegenseitig weich stimmte, saß Moritz Feigenbaum mit Esther in einer Ecke des Zimmers, hielt ihre Hände in den seinen und sprach innig zu ihr von Liebe und Lebensglück.

Und als der dampfende Kaffee mit dem einladenden Butterkuchen aufgetragen wurde, konnte der junge Mann seinem Schwager bekannt geben, daß er sich soeben mit Esther verlobt habe.

Nach der herzlichen Beglückwünschung machte der Rabbinatskandidat mit Rücksicht auf die gegenwärtige Lage der Braut den Vorschlag, schon morgen, am Sonnabend, die Ehe nach ostjüdischem Ritus in seiner Wohnung zu vollziehen In Rußland wurden die Ehen nur nach religiösem Ritus geschlossen. Standesämter gab es nicht. Und nur die Geistlichkeit hatte das Recht, Ehen zu trennen., die deutsche standesamtliche Beurkundung könnte dann nach der Rückkehr der Mutter mit deren Zustimmung erfolgen. Die jungen Eheleute würden zunächst in der Wohnung der Frau Machschewes ihren Haushalt einrichten und später nach Posen übersiedeln.

Das Brautpaar war überaus glücklich, allen ihren Sorgen ein so schnelles Ende bereitet zu sehen.

Am nächsten Tage, nach dem Gottesdienst in der Synagoge, wurde die Chuppe mitgenommen und einige dem Rabbinatskandidaten bekannte Herren, Damen und junge Mädchen wurden als Trauzeugen zu Tisch gebeten.

Das ganze Zimmer war mit Blumen und Blattpflanzen geschmückt. In der Nähe des Fensters war ein Altar errichtet, auf dem zwei Lichter brannten und hinter dem nach einem Einleitungsgebet Dr. Speckowski eine Ansprache hielt.

Von einem Nebenzimmer aus wurde die Braut von dem Bräutigam unter die Chuppe Chuppe ist der sogenannte Brauthimmel, unter dem die jüdischen Bräute eingesegnet werden geführt, die von vier Mädchen gehalten, eine Art Baldachin aus rotem Samt mit vergoldeten Ornamenten darstellte.

Jetzt trat der Rabbinatskandidat an die Braut heran, die unter der Chuppe auf einem Stuhle saß, bedeckte sie ganz mit einem Schleier und sprach ein Gebet. Dann nahte sich Moritz Feigenbaum, küßte seine Braut, hob sie vom Stuhl und schloß sie in seine Arme.

Dem Zeremoniell folgte noch eine hebräische Beurkundung mit der Unterschrift des Paares und der anwesenden Zeugen, und die Ehe galt als vollzogen. Allgemeines Gebet beschloß die Feier.

*

Die Hochzeitsgäste hatten sich schon verabschiedet und das junge Ehepaar war soeben nach dem Bahnhof gefahren, um die Flitterwochen in Wiesbaden zu verleben, als es bescheiden an der Tür klopfte und Joel Gewürz niedergedrückt und verstört hereinschlich.

Er entschuldigte sich, noch so spät zu stören, aber er könnte es nicht länger ertragen. Er fühle, wie sein Geist sich allmählich umnachte und der Druck, der auf seinem Herzen laste, ihm das Blut aus den Adern presse, sodaß er kaum noch die Kraft habe, seinem Berufe nachzugehen. In dieser grenzenlosen Not komme er zu dem Rabbiner, um ihn flehentlich zu bitten, seinen Leiden dadurch ein Ende zu bereiten, daß er mit Esther Machschewes, die jetzt fast ständig in seiner Wohnung sei, unter Hinweis auf die göttliche Gerechtigkeit eindringlich rede und ihr klarmache, daß sie ihm, ihrem Retter, Dank schulde und ihn deshalb nicht umkommen lassen dürfe. Wahrscheinlich sei es dem Rabbiner doch bekannt, daß er die Verkuppelung der Esther Machschewes nach einem holländischen Bordell verhindert habe.

Dr. Speckowski senkte die Augen, denn der kleine verwachsene Mann tat ihm wegen seiner unglücklichen Liebe in der Seele leid, aber angesichts der Tatsachen war er außerstande ihm anders zu helfen als durch Trostworte. Er zog den gebeugten Uhrmacher daher auf einen Stuhl, legte seine Hände auf den Kopf des Joel Gewürz, sprach ein kurzes Gebet und sagte warm und herzlich: »Lieber junger Mann in Israel, des Herren, unseres Gottes Wille ist unabwendbar. Ich habe soeben seinen Segen auf Ihr Haupt herabgefleht, auf daß er Sie tröste und Ihnen Kraft verleihe, den Schmerz zu ertragen, den die mangelnde Gegenliebe eines Mädchens Ihnen bereitet hat. Wenn Sie eine Wohltat an ihr geübt, wird Gott der Herr Ihnen danken, aber die Liebe läßt sich nicht zwangsweise in ein Herz pflanzen. Ertragen Sie mit Manneskraft die Nachricht, daß Esther für Sie unerreichbar ist. Ich habe Sie vor einigen Stunden vor Gott und den Menschen mit meinem Schwager vermählt!«

Joel Gewürz zuckte zusammen. Er wurde noch kleiner als er schon war. Seine Blicke fielen scheu auf die Chuppe., die noch in einer Ecke stand, und nachdem er zitternd die Hand des Rabbiners ergriffen und geküßt hatte, schlich er völlig gebrochen hinaus.

Am nächsten Morgen fand ihn Frau Schüßler entseelt in seinem Bette. Er hatte sich in der Nacht vergiftet. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, die er im Todeskampfe drohend gegen den Himmel streckte.

Von Nero Pufèles war keine Spur mehr zu entdecken. Er hatte noch Zeit genug gehabt, seine Wohnung an einen Landsmann zu hohem Preise zu verkaufen. Sein Bankkonto, das mit Beschlag belegt werden sollte – die Polizei hatte die Bank durch den Scheck des Pflaumenhaft ermitteln können –, war bis auf eine geringe Summe abgehoben, denn der Gauner nahm fast sein ganzes Vermögen, das mehrere Millionen betrug, vorsichtshalber auf jeder Reise mit sich.

Jules Samson, der sich als französischer Untertan legitimierte, wurde von den Behörden mit Glaceehandschuhen angefaßt. Und da man ihm nichts nachweisen konnte, weil er die Verhandlungen mit den Mädchen nie persönlich geführt hatte, mußte man ihn bald entlassen. Ebenso mußte Frau Machschewes, weil der Untersuchungsrichter annahm, daß sie nur aus Dummheit und Unkenntnis gehandelt habe, freigelassen werden. Von Niemßdorf, der sich immer hinter den Kulissen hielt, konnte ebenfalls nicht unter Anklage gestellt werden, obwohl er stark verdächtig war. Und da er ständig viel Geld gebrauchte, zog er aus den Ereignissen dieser Tage keine Lehre, sondern setzte sein schmutziges aber einträgliches Gewerbe weiter fort.

Die Eheleute Butterfaß büßten zwar den schönen Anzug und den erhofften reichlichen Gewinn ein, aber sie waren herzensfroh, ohne Strafe davonzukommen, weil man annahm, daß Frau Butterfaß den Stoff in gutem Glauben gekauft und ihrer Ansicht nach angemessen bezahlt habe.

Hingegen wurde der Bäckermeister wegen Hehlerei mit einem Jahre Gefängnis bestraft, die Breitenbach erhielt sechs Monate Gefängnis, Frau Diamant büßte ihre Gewissenlosigkeit mit zwei Jahren und »Schlidderhujo« wanderte wieder auf sechs Jahre ins Zuchthaus.

Die einzige Person, die sich mit dem Wechsel der Dinge nicht abfinden konnte, war die Almosenempfängerin Fräulein Agate Brinkmann. Als ihr Pflaumenhaft gelegentlich erzählte, was sich ereignet habe und daß der Nachbar eines schweren Einbruchs wegen bei Chill zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt worden sei, wehrte sie ungläubisch ab, schüttelte heftig mit dem Kopf, daß die grauen Haare herumflatterten und rief mit dem Brustton innerster Überzeugung: »I Gott bewahre, I Gott bewahre, ein so guter Mensch kann ein so garstiges Verbrechen nimmer begehen!«

Und nach wie vor betete sie des Morgens und Abends für das Glück und Seelenheil ihres Wohltäters.

*

 


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