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VII.
Methodologisches

1. Kategorienlehre. 2. Logik und Dialektik. Induktion.


1. Als Abschluß und Ergänzung des im Vorstehenden ausgeführten Zusammenhangs der aristotelischen Grundlehren folgen hier noch die wichtigsten der formalen Bestimmungen des Philosophen hinsichtlich der Methode des wissenschaftlichen Denkens.

Da für Aristoteles die Idee oder das Allgemeine dem Gegebenen, also dem Zusammenhange des Einzelnen und Besondern nicht, wie bei Platon, als überwirkliches Ideal gegenübersteht, sondern in diesem selbst sich zur Darstellung bringt, so besteht ihm die wesentliche Leistung der Philosophie selbst in dem Aufweise der aller Orten erfaßbaren Gegenwart des Allgemeinen im Besondern, oder in. a. W. in der Erklärung des Gegebenen (der empirischen Zusammenhänge in Natur und Leben) durch die Bestimmung der in ihnen waltenden allgemein-begrifflichen Formen und Gesetze. Je nach dem vorliegenden Stoffe ist dabei natürlich der Inhalt, der an der Hand dieser Aufgabe sich herausstellt, jedesmal ein anderer; das methodische Verfahren aber, welches im Sinne derselben für die verschiedenen Gebiete durchgreift, hat seine bestimmten gemeinsamen Voraussetzungen und Normen, und bildet an sich selbst wieder den Gegenstand einer philosophischen Disziplin, die als Propädeutik für das wissenschaftliche Verfahren überhaupt ihren selbständigen Wert besitzt: die Wissenschaft der Logik.

Die allgemeine Aufgabe der Logik liegt in der Bestimmung der formellen Kennzeichen hinsichtlich der Tragweite von gegebenen Aussagen betreffs des darin zwischen dem Allgemeinen und Besondern obwaltenden Verhältnisses. Als eine Einleitung zu ihr selbst erscheint darum wieder die Lehre von den »Kategorien«, d. h. von den allgemeinsten Arten der Aussage selbst, welche überhaupt möglich sind. Als solche findet Aristoteles die Modifikationen, in denen der oberste Begriff, das allgemeinste Aussage-Subjekt, nämlich der des Seienden, die Verschiedenheit und Gliederung seiner Bedeutungen herauskehrt. Es sind dies die Begriffe der Substanz, der Qualität und Quantität, der Relation oder Beziehung, des Ortes und der Zeit, endlich des Thuns und Leidens, denen gelegentlich noch (unnötigerweise) die der Lage und des Habens angefügt werden. Die Kategorien zusammen sollen das Fachwerk von obersten Begriffen abgeben, in welches alle betreffs der Dinge und ihren Beziehungen möglichen Aussagen sich ein- und unterordnen, wodurch dann weiter die verschiedenen Arten der logischen Grundfunktion, nämlich des Urtheils, sich sollen klar legen lassen. Der moderne Begriff der Kategorie, wie er insbesondere durch Kant begründet worden ist, geht über den Inhalt des aristotelischen erheblich hinaus. Er bezeichnet, wie jener, eine bestimmte Anzahl von Begriffen, die als allgemeinste Aussagen über die zwischen den Dingen der Erfahrung bestehenden Beziehungen dienen (Einheit, Vielheit, Substanz und Eigenschaft, Kausalität u. a.), fügt aber den Gedanken hinzu, daß diese Beziehungen durch den Verstand nicht von der Beschaffenheit der Dinge erst entnommen und gleichsam abgelesen werden, sondern der Art und Weise, wie der Verstand von sich aus nicht umhin kann, den gegebenen Stoff der Erfahrung einheitlich zusammenzufassen – als synthetische Verstandesfunktionen – immer schon zu Grunde liegen.

 

2. Zum Schöpfer der Logik ist Aristoteles hauptsächlich dadurch geworden, daß er die Gesetze des wissenschaftlichen Beweises, und zwar hauptsächlich des deduktiven, auf sichere Formen gebracht, und überhaupt die Technik dieses ganzen Verfahrens zuerst in grundlegender und relativ abschließender Weise analysiert hat, (wie er denn auch den allgemeinen Teil der bezüglichen Lehren, die Theorie der Schlüsse und des Beweises, in zwei besonderen Werken unter dem Titel der »Analytiken« vorträgt). Zu dem Folgenden vgl. H. Maier, die Syllogistik des Aristoteles (Tüb. 1896 f.). Die methodische Begründung und Behandlung der logischen Denkformen im Allgemeinen ist entsprungen aus Bedürfnissen, welche im 4. und 5. Jahrh. v. Chr. in der hellenischen Geisteswelt durch das Auftreten und die Ausbreitung der von den Sophisten angebahnten skeptischen Richtung in Bezug auf die Inhalte und Ergebnisse sowohl der bisherigen, wie der Erkenntnis überhaupt wachgerufen wurden. Es handelte sich dieser gegenüber schon bei Platon angelegentlich darum, den Anspruch des Erkennens auf allgemeine und objektive Geltung seiner Resultate aufrecht zu erhalten und dem Gedankenfortschritt innerhalb der theoretischen wie der praktischen Reflexion Handhaben zu schaffen, vermöge deren er sich den Charakter der Notwendigkeit und Allgemeingiltigkeit zuzusprechen berechtigt ist. Dieser Gesichtspunkt ist auch das treibende Motiv für die logische Untersuchung und Systematik des Aristoteles. Die Grundlage seiner Theorie ist, wie schon bemerkt, die Funktion des Urteils und ihren Ausgangspunkt gewinnt er durch die Art, wie er den Begriff der Wahrheit zu der Form desselben in Beziehung setzt: Als wahr oder falsch können nur Verbindungen von Begriffen in der Form von Urteilen angesehen werden, weil lediglich in und mit dieser Form des Vorstellens der Hinweis auf Uebereinstimmung bestimmter Verhältnisse von Vorstellungen mit bestimmten in ihnen zum Ausdruck kommenden Seinsverhältnissen gegeben ist. Die Kriterien für die Wahrheit des Urteils liegen für Aristoteles nicht in der formalen Beschaffenheit des Vorstellens und Denkens an und für sich, sondern in der Beziehung desselben auf die realen Verhältnisse, und zwar in der Hauptsache darin, daß im Urteil das, was in Wirklichkeit verbunden ist, als verbunden, das dort Getrennte als getrennt vorgestellt wird, wobei dann, je nachdem es sich um ewige (zeitlose) oder vergänglich-zeitliche Objekte handelt, das Urteil entweder immer (absolut) oder je nach der wechselnden Lage der Dinge (relativ) als wahr oder falsch anzuerkennen ist. Die Urteilsfunktion selbst ist aber wieder erst die Unterlage für das eigentliche logische Organon, den Syllogismus, mittelst dessen aus gegebenen Urteilen folgerichtig ein neues erschlossen werden kann. Im syllogistischen Denken bilden zwei durch einen gemeinsamen Begriff (den »Mittelbegriff«, τὸ μέσον) auf einander bezogene Urteile vermittelst der Analyse des Verhältnisses, worin jener betreffs seines Inhalts oder Umfangs zu den beiden nicht gemeinsamen (dem jetzt s. g. Ober- und Unterbegriff) sich befindet, als »Prämissen« (προτάσεις) das Material zur Gewinnung eines dritten Urteils, das (als Schlusssatz oder Conclusion, (συμπέρασμα) über das Inhalts- oder Umfangsverhältnis jener beiden etwas Neues aussagt. Der Mittelbegriff steht m. a. W. zu den beiden andern Begriffen in einem bestimmten logischen Verhältnis des Inhalts oder Umfangs, welches die Synthese derselben als Subjekt und Prädikat im Schlusssatz und damit die Folgerung aus den Prämissen ermöglicht. Je nachdem er nun hinsichtlich seines logischen Umfangs zwischen jenen in der Mitte steht oder ihnen übergeordnet ist oder seinerseits selbst im Umfange jedes der beiden sich befindet, ergeben sich für Aristoteles die Unterschiede der drei zuerst von ihm aufgewiesenen Schlussfiguren, denen erst die spätere logische Theorie noch eine vierte hinzugefügt hat.

Neben dem deduktiv-syllogistischen Verfahren für die Gewinnung allgemeiner und notwendiger Erkenntnisse steht das induktive oder epagogische, das Aristoteles ebenfalls zuerst einer durchgreifenden und systematischen, wenn auch nicht in gleicher Weise wie für die Syllogistik weittragenden und relativ abschließenden Untersuchung unterzogen hat. Die Induktion (ἐπαγωγή) bedeutet das Hinführen (ἐπάγειν) von dem bekannten Einzelnen zu dem daraus zu bestimmenden Allgemeinen, die Gewinnung allgemeiner Sätze aus den Aussagen über Einzelnes und Spezielles, wozu schon Sokrates im Interesse der ethischen Begriffsbestimmungen praktische Anleitung gegeben hatte. Der sachliche Zusammenhang der beiden entgegengesetzten Methoden, der syllogistischen und der epagogischen, liegt für Aristoteles wiederum in der Ueberzeugung, daß das dem Wesen nach Frühere hinsichtlich seiner Entstehung und der Art des Hervortretens das Spätere sei: das allgemeine Wesen und Verhältnis, wie es sich in den abstrakten Begriffen darstellt, ist der Realgrund für das, was in der Erfahrung als Eigenschaften und Verhältnisse des Wahrgenommenen heraustritt; deswegen aber eben sind diese letzteren für uns der Erkenntnisgrund (und Hinweis) auf das, was als allgemeines und durchgreifendes Wesensgesetz dem betreffenden Wirklichkeitsgebiet immer zu Grunde liegt. Von dieser Einsicht her bekundet sich ihm die Unerläßlichkeit einer sorgfältigen Erforschung der Thatsachen und des Erfahrungszusammenhangs, der nun andrerseits doch wieder seinen Zweck nicht in sich selbst hat, sondern in der Tendenz, aus dem, was thatsächlich gegeben ist, und aus der Art, wie es sich aufeinander bezogen zeigt, das allgemeine Wesen oder die Idee zu erkennen, wodurch es in seiner konkreten Beschaffenheit im Grunde bedingt ist. Und das Wesentliche dieses Verfahrens bleibt dasselbe, gleichviel ob es sich vom Wahrscheinlichen aus um Gewinnung wahrscheinlicher allgemeiner Sätze oder von unzweifelhaften Thatsachen aus um Begründung wissenschaftlich feststehender Wahrheiten handelt. Im ersteren Falle ist das Verfahren »dialektisch«, Unter »Dialektik« versteht Aristoteles den Wahrscheinlichkeitsbeweis eines allgemeinen Gesetzes auf Grund der Thatsachen der Erfahrung, soweit sie eben zugänglich sind, Hand in Hand mit der Prüfung der bisher darüber hervorgetretenen Ansichten. Von einer Dialektik im modernen Sinne dieses Wortes, der sich an die bereits bei Platon vorliegende Auffassung des dialektischen Denkens anschließt, als Aufweisung womöglich sämtlicher obersten und allgemeinsten Begriffe und Gesetze und systematische Ermittelung ihres abstraktbegrifflichen Zusammenhangs ist hierbei nicht die Rede. im andern dient es als Unterlage für den apodiktischen oder streng begrifflichen Beweis. Die obersten Instanzen für den letzteren sind die Axiome, Sätze allgemeinsten und unmittelbar einleuchtenden Inhalts, welche für die Deduktionen innerhalb der verschiedenen wissenschaftlichen Gebiete gemeinsame Voraussetzungen bilden. Als die anerkanntesten von ihnen bezeichnet Aristoteles den Satz des Widerspruchs und den vom ausgeschlossenen Dritten; sie im Einzelnen vollständig zu ermitteln, liegt nicht in seinem Absehen. Als Ersatz für den ihrer Natur nach unausführbaren Beweis der Axiome muß der mit Hilfe der Induktion geführte Nachweis gelten, daß sie für das endgiltige und abschließende zusammenhängende Verständnis der in der Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse aller Orten die unentbehrliche letzte Voraussetzung bilden. Von diesem Gesichtspunkte her ergiebt sich nun auch die Einsicht in den Unterschied, der zwischen der aristotelischen und der modernen Auffassung und Handhabung der Induktion zu Tage tritt. Die letztere ging hervor aus dem Bestreben, unter einstweiligem Absehen von einem allgemeinen Naturbegriff zunächst das am meisten Wesentliche und Charakteristische einzelner Vorgänge und Gebiete innerhalb des Naturganzen auf bestimmte und hinsichtlich ihrer Tragweite sachlich abgegrenzte Gesetze zu bringen; auf Grundlage dieser sollten sich dann erst allmählich größere und allgemeinere Ansichten über den Zusammenhang des Ganzen selbst herausbilden können. Für Aristoteles dagegen war das Streben nach Totalität der Erkenntnis überall das Maßgebende und Unumgängliche, und die Voraussetzungen für die Methode, die aus diesem Gesichtspunkte entsprangen, wollte er nie und nirgends zu Gunsten des (in jenem Sinne) voraussetzungslosen Versuchs und der von Abstraktionen unbeeinflussten Beobachtung suspendiert wissen. Bei dem Mangel an feineren Vorrichtungen und Instrumenten mussten ja in seinem Zeitalter die Beobachtungen und etwaigen Versuche in ihren für heutige Maßstäbe oberflächlichen Ergebnissen sich auch viel leichter einer relativ mühelosen Ausdeutung im Sinne abstrakter Begriffe und Grundsätze zugänglich zeigen, als es bei genauerem Eindringen in das Tatsächliche der Fall gewesen wäre. Die Folge davon war, daß der Begriff des Naturgesetzes im Sinne der funktionellen Beziehung zweier konkreten Erscheinungen aufeinander für seine Methodik überhaupt noch keine Bedeutung gewann. Dieser Begriff verdeckte sich ihm außerdem auch schon dadurch, daß für ihn die irdische Natur, wie wir gesehen haben, (S. 48. 51) wegen der unvollkommneren Beschaffenheit der ihr zugehörigen Materie überhaupt noch nicht das Gebiet der absoluten Regelmäßigkeit und ausnahmslosen Notwendigkeit darstellt.


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