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II.
Aristoteles' Leben

Biographisches. Gesamtleistung und Persönlichkeit.


1. Aristoteles ist geboren im Jahre 384 v. Chr. in Stageira auf der thrakischen Halbinsel Chalkidike. Sein Vater Nikomachos, der, wie schon seine Vorfahren, dem medizinischen Berufe angehörte, war Leibarzt des damaligen Königs von Makedonien. Wir dürfen annehmen, daß der Sohn der Familientradition gemäß eine den naturwissenschaftlich-medizinischen Interessen dienende Vorbildung erhielt und so bereits mit einigermaßen geschultem Blick für die Thatsachen der Erfahrung und die darauf bezügliche Beobachtung und Untersuchung ausgerüstet war, als er im achtzehnten Lebensjahre von der Grenze der griechischen Welt nach dem Mittelpunkte ihrer Kultur, nach Athen kam und dort die unvergleichlich großartige Entwickelung, welche das hellenische Geistesleben des fünften Jahrhunderts auszeichnet, gerade auf ihrem Höhepunkte antraf. Seine wissenschaftliche Fortbildung fand er hier in der Akademie, der ersten im großen Stile durchgeführten Organisation der wissenschaftlichen Arbeit unter der Leitung Platons. Da in deren Verbande nicht bloß lernende, sondern auch bereits selbstständig gewordene und zu eigener wissenschaftlicher Bedeutung gelangte Persönlichkeiten arbeiteten, so ist Aristoteles zwanzig Jahre (bis zum Tode Platons) in diesem geblieben und hat im Verlaufe dieses Zeitraumes schon durch allmähliche Ausbildung seines eigenen Standpunktes und durch eine erhebliche Anzahl von schriftstellerischen Ergebnissen, die, wie die Werke seines Lehrers die dialogische Form trugen, sich hervorzuheben begonnen. Leider ist uns von den Schriften aus dieser Periode, obwohl gerade sie noch im späteren Altertum viel gelesen wurden, keine erhalten geblieben. Sein universal beanlagter Geist umfaßte mit gleichem Eifer und Erfolg das historische und litterarische, wie das naturwissenschaftliche Gebiet, und zwar beide sowohl in der Richtung auf den Zusammenhang der Thatsachen, wie auch namentlich als Unterlage für den systematischen Ausbau seiner philosophischen Weltanschauung. Die litterarische Legende weiß von unerquicklichen Vorfällen mit Platon zu berichten, zu denen es in der letzten Zeit seines Aufenthalts in der Akademie infolge seiner mehr und mehr hervortretenden Selbständigkeit gekommen sei. In den erhaltenen Schriften dagegen (und zwar sowohl des Aristoteles, wie auch m. E. des Platon selbst) liegen Anzeichen vor, die auf den Fortbestand eines auf gegenseitige Achtung und Ideenaustausch begründeten Verhältnisses, von seiten des Schülers sogar auf pietätvolle Verehrung des Meisters schließen lassen.

 

2. Nach Platons Tode lebte Aristoteles einige Jahre in der Stadt Atarneus in Kleinasien, in freundschaftlicher Beziehung zu dem dortigen Dynasten Hermeias, mit dem er in der Akademie bekannt geworden war. Dieser Aufenthalt fand sein Ende durch den Tod jenes Fürsten, der in einem gegen ihn gerichteten Aufstande umkam. Die Nichte des Freundes, Pythias, folgte ihm von dort als seine Gattin zunächst nach Mitylene auf Lesbos. Das wissenschaftliche Ansehen, dessen Aristoteles sich schon damals erfreute, und die von früher her bestehenden Beziehungen seiner Familie zum makedonischen Königshause mögen zusammengewirkt haben, um ihm bald darauf den ehrenvollen Ruf an den Hof König Philipps als Erzieher von dessen Sohne Alexander zu verschaffen, dem er 348 Folge leistete. Er scheint in dieser Stellung bei dem König auch politischen Einfluß gewonnen zu haben, mehr jedenfalls, als nachmals bei dem Sohne, der bereits nach drei Jahren, als er siebzehnjährig zum Reichsverweser ernannt wurde, seinem Unterricht entwachsen mußte, ihm aber auch später ein dankbares Wohlwollen in Gesinnung und Leistungen dauernd bethätigt hat.

Im Jahre 335, in seinem fünfzigsten Lebensjahre, kehrte Aristoteles nach Athen zurück, um sich fortan ausschließlich seinem wissenschaftlichen Lebenswerke zu widmen. Er begründete jetzt seine eigene Schule in den Räumen des Lyceums, eines mit dem Tempel des Apollon Lykeios verbundenen Gymnasiums. Der Name der Schule war der der peripatetischen, der an eine Äußerlichkeit anknüpfte, an Aristoteles' Gewohnheit nämlich, über wissenschaftliche Probleme gelegentlich auch beim Herumwandeln (περίπατος) in den das Gebäude umgebenden Baumgängen zu sprechen. Die Schule wurde jedenfalls nach dem Vorgange der Akademie so eingerichtet, daß eine bestimmte Ordnung des Studienganges und eine Planmäßigkeit der wissenschaftlichen Forschung an der Hand der vorhandenen Bücher und Sammlungen vorgesehen war, zugleich aber auch eine Einordnung der verschiedenen fachwissenschaftlichen Interessen in den Zusammenhang der philosophischen Weltanschauung des Meisters. Und was dieser in seinem Lebenswerke hier zu erreichen wußte: die großartige Vereinigung von Allseitigkeit der Forschungsgebiete mit der Tiefe spekulativer Erfassung des Zusammenhangs und der letzten Gründe der Dinge, tritt uns noch lebendig entgegen in den erhaltenen Schriften. Sie tragen teils den Charakter von systematisch zur Veröffentlichung angelegten Werken, teils von Lehrschriften für die speziellen Zwecke des Unterrichts innerhalb der Schule, zum Teil wohl auch von Nachschriften seiner Vorträge von seiten der Zuhörer. In die erstgenannte Klasse zu rechnen sind wohl die meisten seiner Schriften zur Logik, sowie die zur Naturphilosophie (»Physik«), Ethik und Rhetorik nebst einigen der spezifisch naturwissenschaftlichen Werke (Meteorologie, Ueber die Teile der Tiere u. a.); vorwiegend zu den beiden andern dürften die unter dem Titel der Metaphysik vereinigten Abhandlungen gehören, ferner die Schriften zur Psychologie (worunter als Hauptwerk die drei Bücher »Von der Seele«), die Politik und die nur unvollständig erhaltene Poetik.

 

3. Als Denker wie als Forscher, als Organisator wie als Lehrer hat Aristoteles in den zwölf Lebensjahren, die ihm seit der Rückkehr nach Athen noch beschieden waren, eine Gesamtleistung vollbracht, die noch heute als ein unerreichtes Ideal des wissenschaftlichen Menschenwerkes angesehen werden muß, auch wenn man in Betracht zieht, daß der Umfang des zu bewältigenden Stoffes zu seiner Zeit noch sehr erheblich geringer war als heute, und daß ihm so hervorragende und geschulte wissenschaftliche Persönlichkeiten, wie Theophrast u. a., dabei zur Seite standen. Der gewaltige Reichtum seiner positiven Kenntnisse würde für uns noch handgreiflicher heraustreten, wenn nicht gerade von denjenigen Schriften, die als Unterlagen für systematische Bearbeitung das Material zusammenfaßten, das Meiste verloren gegangen wäre. Es gehörten dazu eine Reihe naturwissenschaftlicher Werke, ferner Abhandlungen über die Lehren gleichzeitiger und früherer Philosophen, eine Uebersicht der bisherigen Theorien der Beredsamkeit; außerdem eine beschreibende Sammlung der Verfassungen von 158 griechischen Staaten (in den Πολιτεῖαι), von welcher ganz neuerdings ein hochinteressantes größeres Bruchstück, die athenische Verfassung betreffend, wieder zu Tage gekommen ist. – Das Verhältnis zu seinem ehemaligen königlichen Zögling soll sich in seinen letzten Lebensjahren getrübt haben durch das Zerwürfnis zwischen Alexander und einem an seinem Hofe befindlichen Verwandten des Philosophen, Kallisthenes, der sich (ganz im Sinne des Aristoteles) der vom Könige eifrig betriebenen Gleichstellung der Hellenen und »Barbaren« widersetzte und infolgedessen als Verschwörer behandelt wurde. Doch hatte dies für Aristoteles selbst keine unmittelbar nachteiligen Folgen. Schlimmer aber war für ihn der frühzeitige Tod des Königs, sofern dieses Ereignis in Griechenland und namentlich in Athen selbst eine politische, auf die Befreiung von der makedonischen Oberherrschaft gerichtete Bewegung zur Folge hatte. Sein persönliches Verhältnis zu Alexander, und seine bisherige Freundschaft mit dem makedonischen Statthalter Antipater ließen ihn als eine der Hauptstützen der fremdherrlichen Partei erscheinen. Dem Zwecke seiner Beseitigung mußte das Mittel dienen, welches zu Athen bisher immer mit Erfolg gegen unliebsam gewordene Denker (Anaxagoras, Protagoras, Sokrates) in Anwendung gekommen war: die gerichtliche Anklage wegen »Gottlosigkeit«. Um sich dem Verfahren zu entziehen, begab sich Aristoteles 323 nach Chalkis auf Euböa, wo er dann bereits im folgenden Jahre, dreiundsechzigjährig, gestorben ist.

Was uns über Aristoteles' Persönlichkeit und Charakter überliefert ist, zeigt ihn in Uebereinstimmung mit dem, was wir aus seinen Schriften erschließen können, als eine nach Abkunft und Lebensgestaltung vornehme, entschieden aristokratisch bestimmte Persönlichkeit, scharf im Urteil und gelegentlich spöttisch, wählerisch im Umgang und Anschluß, vorwiegend als Verstandesmensch, aber auch als wohlwollend, dankbar, und jedenfalls auch den zarteren Seiten des geistigen Wesens, wie sie namentlich das Familienleben und außerdem die Freundschaft mit Gleichgesinnten zur Entfaltung bringt, voll aufgeschlossen. Nach dem Tode seiner Gattin Pythias war er in eine zweite Ehe mit Herpyllis aus Stageira getreten. Aus jener ersten stammte eine Tochter, aus der andern ein Sohn Nikomachos, der in jungen Jahren starb, nachdem er noch die Ethik seines Vaters herausgegeben hatte.


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