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Tröster

Mit dem Bestellen ging es nicht so schnell, wie Christine gehofft hatte. Sie fand nicht gleich den Weg, bog in die falsche Straße ein, mußte umkehren und fragen. Endlich aber kam sie doch an das Ziel, bestellte alles und lief heimwärts.

Tante Laura wartete auf die Nichte, horchte ein paarmal an der Flurtüre und überhörte doch den leisen Schritt.

Christine war heimgekommen und gleich zu dem Onkel hinaufgegangen. Sie fand aber eine verschlossene Türe. Onkel Potzhundert öffnete ihrem Klingeln nicht. Doch unten die Tante hörte es und es gab Schelte, und sehr böse Worte fielen. Falsch und heimtückisch nannte die Tante die arme Christine, und die wußte gar nicht, wie ihr geschah, so hatte noch nie jemand sie gescholten, denn Christine war ein gutes Mädchen, war offen und aufrichtig; sie hatte keine der schlimmen Eigenschaften, die ihr die Tante andichtete. Sie weinte bitterlich.

Und die Dackel hörten das Schelten und das Weinen, und sie wurden sehr böse, denn sie liebten Christine, die aus der gleichen Heimat stammte wie sie. Sie klagten und weinten, und der Mops staunte – so viel Gefühl hätte er den kleinen unnützen Dackeln gar nicht zugetraut. Es wurde ihm ganz weich um sein Herz. Die kleinen Dackel gefielen ihm auf einmal sehr gut, und er hätte ihnen doch gern etwas zuliebe getan, was er sonst nie tat. Der Mops war eigentlich sehr selbstsüchtig. Er dachte nur an sein Behagen, genau wie seine Herrin. Nun hatte er den Wunsch, für jemand anderes etwas Gutes zu tun, die kleinen Dackel in ihrem Kummer zu trösten. Er watschelte also zu Tante Laura und bettelte, das hieß: gib mir Kuchen, Wurst oder Schokolade. Und die Tante gab ihm auch wirklich ein großes Stück Schokolade.

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Und was tat der Mops? Er trug die den Dackeln hin.

Anna, die gerade in das Zimmer kam, weil sie dachte, sie müßte der armen, ausgescholtenen Christine helfen, schrie laut auf vor Verwunderung: »Nä, so was, unser Bello trägt den Dackeln die Schokolade hin!«

»Die tun ihm leid, weil sie so fremd hier sind«, sagte Christine leise.

Tante Laura schwieg verlegen. Christine war doch auch fremd hier wie die Dackel, und wie ungut war sie eben gegen sie gewesen. Da war ja der Mops besser als sie. Ach, das Gutsein war manchmal schwer. Tante Laura seufzte und dachte, Christine würde fragen: »Tante, was fehlt dir?« Dann hätte sie einlenken können und ein gutes Wort sagen. Aber Christine fragte nicht, und Tante Laura fand das rechte Wort nicht. Sie seufzte noch einmal, und wieder fragte die Nichte nicht.

Auch ein dritter Seufzer nutzte der Tante nichts. Da sagte die endlich: »Geh in den Garten.«

Das ließ sich Christine nicht zweimal sagen, es war zu merken, daß sie froh war, von der Tante wegzukommen. Da sah ihr die Tante mit vielen Seufzern nach, und Anna fragte gutmütig: »Warum seufzen Sie denn so schrecklich, haben Sie Bauchschmerzen?«

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Nein, Bauchschmerzen hatte Tante Laura nicht, aber Herzschmerzen. Sie klagte: »Ach, niemand liebt mich!«

»Doch, vielleicht der Mops«, antwortete Anna.

Das war ein magerer Trost.

Aber Tante Laura beugte sich doch zu dem Mops nieder und sagte zärtlich: »O du Süßer, du mein einziger Trost!«

Aber Bello hatte keine Lust zu trösten. Wutsch – biß er Tante Laura in die Nase.

Das war ungezogen und undankbar; es war auch nur getan, weil er den Dackeln zeigen wollte, daß er auch so etwas tun konnte.

Aber die Dackel waren entrüstet. Man beißt doch nicht seine Herrin in die Nase, so etwas schickt sich nicht, und Tante Laura war auch bitterböse. Sie weinte.

Die Dackel wollten sie trösten und stellten sich aufrecht vor sie hin, aber Tante Laura achtete nicht darauf; die Dackel fingen an, mit den Pfötchen zu scharren. Tante Laura hatte ein seidenes Kleid an, das vertrug das Gescharre nicht, auf einmal – ritsch – gab es ein Loch!

Anna sah zuerst, was die Dackel angestellt hatten. Sie rief: »Jemine, Ihr Kleid!«

Nun sah auch Tante Laura den Schaden, und da sie zerrissene Kleider gar nicht liebte, wäre sie wohl bitterböse geworden, wenn nicht die Dackel so unglaublich niedlich gewesen wären. Sie fanden nämlich ein zerrissenes Kleid nicht so schlimm und standen betrübt da und wußten nicht, was sie tun sollten. Am liebsten hätten sie Tante Laura und Anna in die Waden gebissen, aber das hätte das Geschrei nur vermehrt. Also blieben sie wie die betrübten Lohgerber stehen, taten, als wären ihnen ihre eigenen Felle weggeschwommen, ließen Ohren, Nasen und Schwänze hängen und schielten Tante Laura von unten herauf an. Sehr drollig sahen sie aus, und Tante Laura mußte ein wenig lachen.

Anna ärgerte sich über das Lachen, sie brummte, das Kleid wäre noch so gut gewesen, sie hätte es gern gehabt.

Auch der Mops ärgerte sich über das Lachen, warum liebte nur Tante Laura die beiden Schelme mehr als ihn? Der Mops glich Tante Laura, er wollte auch von allen geliebt sein, ohne Liebe und Güte zu geben. So geht das aber nicht in der Welt. Wie du mir, so ich dir. Bello sah, daß sich die Tante von den Dackeln trösten ließ, er bereute seine Unwirschheit, denn auf einmal fand er es ganz nett, von Tante Laura verhätschelt zu werden. Er stellte sich mühsam auf die Hinterbeine, um Männchen zu machen wie die Dackel; aber kaum stand er da, fiel er wieder um, und das zweitemal kam er überhaupt nicht auf die Hinterbeine. Er rollte gleich wie eine dicke Wurst durch das Zimmer, und Tante Laura und Anna lachten, daß alles wackelte.

»Er will Männchen machen!« rief Anna. »Nä, so 'n kurioser Knopp. Fräulein, ich glaube, der ist eifersüchtig, weil Sie über die Dackel lachten.«

Eifersüchtig! Ihr Bello? Also liebte er sie doch?

Sie begann Bello zärtlich zu streicheln. Der ließ sich das nun gern gefallen und fletschte nicht die Zähne. Und Tante Laura und ihr Mops sahen plötzlich gut und freundlich aus und Anna dachte, wenn doch mein Fräulein ihr Herz auftäte und mehr Menschen lieb hätte, dann wäre sie viel netter. Bloß den Mops, das ist ein bißchen wenig.

Was aber Anna dachte, pflegte sie auch zu sagen. Ihr kam alles, und wenn es der größte Unsinn war, ohne daß sie es wollte, aus dem Munde. So sagte sie jetzt: »Wenn Fräulein man mehr Menschen lieb hätte, das wäre besser.«

»Was wäre besser?«

»Sie wären nicht immer schlechter Laune und zankten nicht so viel.«

Anna wurde ganz rot, als sie das gesagt hatte. Sie sah verlegen auf Tante Laura und stammelte: »Nur so'n Mops ist 'n bißchen wenig.«

Tante Laura schwieg verlegen. Sie hätte gern gesagt: den habe ich noch lieb und den, meinen Bruder, meine Nichte – aber da fiel ihr ein, wie wenig nett sie mit beiden gewesen war, gar nicht liebevoll. Sie schämte sich und hätte beinahe geweint. Anna und die Dackel sahen es, und Tante Laura tat ihnen leid. Die Dackel stellten sich wieder auf die Hinterbeine und machten schön. Das machte nun Anna nicht, aber sie sagte treuherzig: »Was nicht ist, kann ja noch werden.«

Dann ging Anna hinaus, denn sie dachte: zu viel darf man nicht sagen, sonst nimmt sie es übel.

Tante Laura hatte aber das Wort nicht übel genommen, im Gegenteil, es hatte ihr gut getan.

»Was nicht ist, kann noch werden.« Vielleicht konnte sie auch noch Liebe erringen, sie wollte gleich nachher anfangen mit Christine und ihr gute Worte geben. Sie spielte mit den Hunden und dachte nicht daran, daß gute Worte manchmal zu spät kommen können.

Christine saß unterdessen in dem Garten und hatte auch eine kleine Trösterin bei sich.

Als sie auf der Bank saß und über Tante Lauras Unfreundlichkeit weinte, hatte sich auf einmal etwas warm und weich an sie angeschmiegt. Minni war es gewesen. Das Kätzchen legte ihr Pfötchen auf ihren Mund, als wollte es sagen: »Weine nicht.«

Des kleinen, niedlichen Tierchens Zärtlichkeit tat Christine wohl, sie streichelte Minni, die behaglich schnurrte.

Und gerade dachte oben Tante Laura daran, Christine gute Worte zu sagen, als zwei andere Tröster in den Garten sprangen: Jan und Malve.

Sie waren sehr verwundert, Christine in dem Garten zu finden, denn es stellte sich heraus, daß Christine in den falschen Garten gegangen war. Die drei Gärten, die nebeneinander lagen, waren klein, schmal und dürftig, nur der eine wies Blumenschmuck und eine Laube auf. In den war Christine einfach hineingegangen, er gehörte aber Eckarts. Tante Lauras Garten war ein wüstes Durcheinander von ungepflegten Rasenstückchen. Onkel Potzhunderts Garten dagegen hatte ein paar Beete, auf denen alles untereinander wuchs, Salat und Blumen, Gemüse und Heilkräuter, und die Kinder erzählten, daß Onkel Potzhundert ein bißchen zerstreut sei, er vergäße immer, wohin er schon etwas gepflanzt hatte, und säe etwas anderes auf den gleichen Fleck, auch war er kurzsichtig und zog die guten Pflanzen heraus und ließ das Unkraut stehen. Er liebte aber seinen Garten sehr, während Tante Laura nie in ihren Garten ging; aber abgeben wollte sie ihn auch nicht.

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Christine seufzte tief, und die Kinder sahen erst jetzt, daß sie geweint hatte. »Du hast geweint!« riefen beide.

Und Jan und Malve verstanden es gut zu trösten und sich mit Christine über ihre Verlobung zu freuen; sie sagten, sie fänden den Grafen sehr nett, und kein Geld zu haben, wäre nicht schlimm, ihr Vater hätte auch immer kein Geld, aber eine glückliche Familie wären sie doch.

»Du mußt zu uns kommen und bei uns wohnen!« rief plötzlich Malve. »Es ist Platz, du kommst mit in mein Zimmer.«

Jan stimmte der Schwester bei, aber Christine sagte, das könne sie nicht, denn wer wisse, ob es Frau Eckart recht sei.

»Die nimmt dich so gern auf wie Minni«, erwiderte Malve.

Da versprach Christine dankbar das Kommen, wenn Onkel Potzhundert keinen anderen Rat wüßte.

»Warum frägst du ihn denn nicht?« fragte Jan.

»Er ist nicht zu Hause, ich habe schon geklingelt.«

Die Kinder lachten und riefen beide: »Er ist doch zu Hause, er hat vorhin zum Fenster herausgeguckt. Er steckt sich nur immer Watte in die Ohren, damit er durch das Klingeln nicht in seinem Mittagsschlaf gestört wird. Paß auf, wir rufen.«

Die beiden liefen in den Hof, zogen dort an Onkel Potzhunderts Fenster an einer langen Schnur, und gleich darauf kam des Onkels Gesicht zum Vorschein.

Er nickte und winkte und rief: »Ich komme.«

Die Kinder kehrten zu Christine zurück und erzählten der, wenn sie an der Schnur zögen, fiele ein alter Blechtopf mit alten Eisenteilen gefüllt mit furchtbarem Getöse um, davon wachte Onkel Potzhundert auf, selbst wenn er Watte in den Ohren hätte.

»Das ist unsere Geheimsprache, die darf niemand wissen, namentlich nicht Tante Laura, denn ihr Zimmer, in dem sie nachmittags schläft, ist gerade darunter. Sie hat sich schon oft über den Lärm beklagt«, erzählten die Kinder.

»Dann kann sie mich ja sehen.« Christine kroch ängstlich in die Laube zurück; aber keine Tante Laura sah zum Fenster heraus.

Und dann kam Onkel Potzhundert. Er hatte wirklich geschlafen und Watte in den Ohren gehabt. Nun war er aber putzmunter und sagte viele Potzhunderts, als Christine ihm alles erzählte. Er freute sich über die Verlobung, er tat geheimnisvoll und sagte, es würde sich schon Hilfe finden.

Der gute Onkel, dachte Christine, er würde mir schon helfen, wenn er könnte, aber Tante Laura hatte gesagt, er wäre selbst arm, wie sollte er ihr da helfen. Da sagte Onkel Potzhundert, gerade zu ihm könnte sie nicht kommen, das würde Tante Laura übel nehmen.

»Sie kommt zu uns!« riefen die Kinder froh und Onkel Potzhundert nickte. Der Plan gefiel ihm, er erklärte sich auch bereit, an Frau Eckart ein Kostgeld zu zahlen, und die Kinder erboten sich, die Mutter zu bitten, so lange Christine bei sich aufzunehmen, bis diese Nachricht von daheim hatte, was die Eltern zu ihrer Verlobung sagten, und ob sie in der Stadt bleiben oder nach Hause kommen sollte.

»Tante Laura sieht zum Fenster heraus«, sagte der Onkel leise. Er war ein bißchen feige, der gute Onkel.

Aber die Kinder, die seine Schwäche kannten, nahmen ihm das nicht übel, sie dämpften auch ihre Stimmen und sagten, sie würden jetzt aus der Laube laufen und schnell zur Mutter rennen und deren Erlaubnis einholen, und wenn Tante Laura vom Fenster weggegangen wäre, sollten Onkel Potzhundert und Christine in das Haus zurückkehren.

»Fein, die reine Verschwörung!« jubelte Jan. Er liebte so etwas, am liebsten hätte er nun gesehen, wenn der kleine dicke Onkel und Christine beide unter die Bank gekrochen wären auf der Flucht vor Tante Laura.

Doch dazu hatten alle beide keine Lust, und Christine sagte sogar leichtsinnig: »Wenn Tante Laura kommt, dann kommt sie eben!«

»Potzhundert, du weißt nicht, was du sprichst!«

Der Onkel beugte sich ein wenig vor und schielte zur Laube hinaus. In dem Augenblick rief die Tante: »Potzhundert!«

Sie meinte, der Onkel säße oben am Fenster; der aber dachte, sie hätte ihn erblickt, und vor Schreck fiel er von der Bank, auf der er nur halb saß. Er fiel mit dem Kopf in den Eingang der Laube und sah von dort aus die Tante sitzen. Aus Angst, Tante Laura könnte ihn sehen, wagte der arme Onkel Potzhundert nicht, sich aufzurichten. Wie ein rechtes Häufchen Unglück lag er am Boden, und trotz ihrer Liebe zu ihm erstickten die Kinder fast vor Lachen.

Christine fühlte tiefes Mitleid mit dem kleinen dicken Onkel. Sie riet Jan und Malve, sich an den Eingang zu stellen, damit der Onkel sich ungesehen aufrichten könne. Das geschah denn auch, und mit manchem Potzhundert kam der Onkel wieder in die Höhe auf die Bank zurück.

Christine mahnte die Kinder, in das Haus zu gehen und vorsichtig zu sein, damit sie nicht gerade Tante Laura begegneten. Und vorsichtig wie ein Indianerpaar auf dem Kriegspfade schlüpften beide in das Haus und rasten die Treppe hinauf.

Die Mutter war zu Hause, und die Mutter war bereit, Christine aufzunehmen.

Mit dieser guten Nachricht schlüpften beide wieder hinunter.

»Der Weg ist frei«, tuschelte Jan in die Laube hinein.

»Potzhundert, aber das Fenster!« brummelte der Onkel.

»Es steht niemand mehr da. Aber nun kommt, der Weg ist frei.« Jan war schon ganz ungeduldig, seine Schützlinge in Sicherheit zu bringen.

Und nun gingen sie, gingen durch den ungeschützten Garten über den Hof, kamen an die Haustüre, da stand – Tante Laura.


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