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Es wird eine unruhige Nacht

Lump und Schlingel hatten wohl die Bratwurst gerochen, und ihr Hunger nach einem guten Bissen war groß. Sie sahen sich in der Kammer um, ob es nicht eine Gelegenheit gäbe, auszureißen. Das einzige kleine Fenster stand zwar offen, war aber so hoch, daß die Dackel es nicht erreichen konnten. Nun hatte Mama Minka gesagt: »Wenn man euch Unrecht tut, gebraucht eure Stimme, heult, was ihr heulen könnt.« Lump und Schlingel wollten gerade der mütterlichen Mahnung folgen, als sie nebenan Tante Lauras Stimme hörten, die von Bello angeknurrt wurde. Da schwiegen die beiden, denn vor Tante Laura hatten sie Angst.

Sie schwiegen noch eine ganze Weile. Erst als alle in der Wohnung in tiefem Schlummer lagen, ging es los: »Uhuuhuuwäff – wäffwäff – uhuhuuhuu.«

Als erster hörte Bello den Singsang, und er bellte zornig: »Seid stille, ich will schlafen.«

Wer sich um seine Rede nicht kümmerte, waren die beiden Schelme; die fuhren in ihrem Geheul fort, und je mehr der Mops schalt, um so lauter tönte ihr »Uhuuuhuu – wäffwäffwäff«. – Es war eine schaurige Musik.

In dem Hause saß an diesem Abend einer fleißig über seiner Arbeit. Das war im dritten Stock in der Mansardenwohnung der Schriftsteller Eckart, der Vater von Jan und Malve, den einzigen Kindern in dem großen Hause. Im Erdgeschoß war das Büro eines Rechtsanwaltes, im ersten Stock wohnte Tante Laura, im zweiten Onkel Potzhundert, und im dritten Herr Eckart; bei ihm lebte noch sein Neffe, Hans Mönkemeier. Der junge lustige Student hatte einmal dem dicken Bello ein großes Herz auf den Rücken gemalt, weil Tante Laura ihn immer Herzchen nannte, seitdem hieß der Mops in der ganzen Nachbarschaft »das Herzchen«, und jedesmal, wenn die Tante den lustigen Studenten sah, ärgerte sie sich.

Hans Mönkemeier saß an diesem Abend auch über seiner Arbeit. Er hatte viel zu tun, denn er wollte im Winter sein Staatsexamen machen. Er blickte darum ärgerlich auf, als die Dackel zu heulen anfingen. Da tat sich die Türe auf, und herein trat sein Onkel; der sagte mißmutig: »Hörst du das Geschrei? Was ist denn da los?«

»Das sind Fräulein Minkerlings junge Dackel«, antwortete Hans Mönkemeier. Lachend erzählte er dann, was sich am Nachmittag im Hausflur zugetragen hatte.

»Fräulein Minkerling hört es nicht, die schläft nach der Straße hinaus«, fügte der junge Student hinzu.

»Aber wir hören es«, rief sein Onkel, »ich kann gar nicht arbeiten und muß morgen mit meinem Artikel fertig sein.«

»Ich gehe hinunter und sage es, gewiß hat der Mops den Kleinen alles weggefressen.«

Der junge Mann stand auf, aber sein Onkel mahnte: »Tue es nicht, Fräulein Minkerling ist ohnehin böse auf dich.«

»Was ist das nur für ein schrecklicher Lärm?« fragte eine liebe, sanfte Stimme. Frau Eckart war munter geworden. Sie stand in der Türe und sah ganz ängstlich drein. Hinter ihr tauchten Jan und Malve auf. Auch sie waren munter geworden, denn der Lärm drang in die Höhe.

Und alle riefen sie mitleidig: »Die armen kleinen Tierchen!«

»Ich gehe zu Onkel Potzhundert, der kann den armen Tieren helfen!« rief der Student.

Das war seinem Onkel recht. Jan und Malve, die nur ihre Schlafanzüge anhatten, verlangten stürmisch das Mitgehen, aber sie durften nur von der Türe aus zuhören, was unten Onkel Potzhundert sagen würde.

Der Onkel war schon wach, und als es klingelte, kam er mit einem großen Gewehr an die Tür und rief von drinnen: »Wer ist da?«

»Ich bin's, Herr Minkerling!«

»Potzhundert, wer ist ich?«

Der Student lachte. »Ich, Hans Mönkemeier.«

Die Tür tat sich auf, und in ihrem Rahmen stand Onkel Potzhundert in einem viel zu langen Nachthemd, wie ein Gespenst anzuschauen. »Potzhundert, endlich kommt jemand, mir zu helfen!«

»Bei was denn helfen?«

»Gegen die Einbrecher!«

Da kam es Hans Mönkemeier erst in den Sinn, daß unten wirklich Einbrecher sein könnten, das Gebell der Dackel verhieß nichts Gutes.

»Schießen Sie Ihr Gewehr nur nicht vorher los, Sie halten es so komisch, Herr Minkerling.«

»Potzhundert, es ist doch nicht geladen, ich werde doch nicht ein geladenes Gewehr nehmen. Potzhundert, das wäre unvorsichtig.«

Der Student mußte über den vorsichtigen Mann lachen, aber dann fiel ihm ein, daß man doch eilig hinunter gehen müßte, und er sagte das.

»Potzhundert, ja, kommen Sie!« rief Onkel Potzhundert eifrig.

»Im Nachthemd?«

»Ja, freilich im Nachthemd, da denken sie, ich bin ein Gespenst.«

Nun, wie ein Gespenst sah Onkel Potzhundert mit seinen roten runden Backen wirklich nicht aus, und gespensterhaft war sein Gehen auch nicht, er hatte nämlich Latschen an, die er immerfort verlor, und wenn er sie wieder holen wollte, bumste er mit dem Gewehr auf. Unten wollte er die Türe aufschließen, aber der Schlüssel steckte innen.

»Das haben die Einbrecher gemacht, potzhundert, das ist ein Streich.«

Onkel Potzhundert flüchtete die halbe Treppe hinauf, er war nicht sehr mutig.

»Was machen wir nun?«

»Wir rufen die Polizei.«

»Wenn es aber keine Einbrecher sind?«

»Potzhundert, es sind welche, man hört es doch an dem Geschrei.«

Das Geheule der Hunde war fürchterlich, das stimmte.

Also erhob Hans Mönkemeier keine Widerrede mehr, als Onkel Potzhundert die Treppe hinaufschlurrte und mit dem Fernsprecher die Polizei anrief. Die kam auch, brachte eine große Feuerleiter mit und stieg durch das Küchenfenster in die Wohnung.

»Potzhundert, jetzt geht es denen an den Kragen«, sagte der Onkel und bumste vor Freude mit seinem Gewehr auf.

Auf einmal ertönte drinnen ein lautes Geschrei, es rasselte an der Türe, die wurde aufgerissen und Tante Laura, in eine Bettdecke gewickelt, stürzte heraus. Sie starrte ihren Bruder wie ein Gespenst an und fragte angstvoll: »Potzhundert, bist du es?«

»Na, wer denn sonst?«

»Einbrecher.«

»Die sind drin.«

»Woher weißt du das?«

»Die Dackel haben es verraten.«

»Ach, die lieben Tierchen, und sie haben nicht mal was zum Abendbrot bekommen!« rief Tante Laura mitleidig.

»Nichts zum Abendbrot bekommen? Ja, dann« –

Onkel Potzhundert konnte nicht zu Ende sprechen, die Türe wurde aufgestoßen und die Polizei kam heraus: »Wir finden nichts«, sagten die Männer.

»Nichts zu finden«, rief auch Anna, die hinter den Polizisten zum Vorschein kam.

»Aber wo ist Christine?« fragte Tante Laura ängstlich.

Anna lachte. »Die schläft aber feste. Ich wollte sie wecken, da hat sie sich umgedreht und gemurmelt: ›Wann geht der Zug?‹ und weiter geschlafen.«

»Ein guter Schlaf«, murmelte der Wachtmeister. Dann wollte er aber wissen, warum und wieso die Dackel so geschrien hätten.

»Sie hatten Hunger«, antwortete Onkel Potzhundert für seine Schwester.

»Hunger, ja wie kann man Dackel hungern lassen. Das weiß doch jeder Mensch, daß Dackel dann das ganze Haus zusammenschreien«, brummte der Wachtmeister sehr ärgerlich.

.

In diesem Augenblick wurde heftig an der Hausglocke geschellt. Hans Mönkemeier lief öffnen. Onkel Potzhundert wollte auch laufen, aber seine Schwester hielt ihn fest und sagte streng: »Schäme dich!« Onkel Potzhundert schämte sich auch. So sehr, daß er mit lautem Krach sein Gewehr zu Boden warf.

Es dröhnte durch das ganze Haus, und an der Haustür rief ängstlich eine Stimme: »Herrje, hier wird geschossen!«

»Potzhundert, hier wird nicht geschossen; sagen Sie, was Sie wollen!« rief der Onkel, der neugierig wie eine Elster war.

Da kam eine lange Klage, im Nebenhause wäre jemand krank und die Hunde heulten so fürchterlich, daß der Kranke nicht schlafen könne.

Als Tante Laura das hörte, lief sie rasch ins Haus, um den Dackeln etwas zu fressen zu geben, und Anna lief hinterdrein. Onkel Potzhundert aber konnte sehen, wie er mit den Polizisten fertig wurde.

Lump und Schlingel bekamen nun noch ihr Abendessen, und Bello mußte zusehen. Tante Laura wußte nichts von der geraubten Wurst und hatte Angst, der gute Bello könnte zu viel fressen.

Zu Bellos Ärger erhielten Lump und Schlingel auch ein weiches Lager. Bello knurrte und brummte und Schlingel rief: »Wenn du nicht ruhig bist, bellen wir wieder!«

Bello schwieg vor Schreck bei dieser Drohung. Eine gestörte Nachtruhe liebte er nicht, und er hatte für diese Nacht gerade Unruhe genug.

Tante Laura hatte auch genug und Onkel Potzhundert erst recht, auch die übrigen Bewohner waren froh, daß die Dackel nun still waren. Christine aber hatte von allem Lärm und Getöse nichts vernommen, sie schlief weiter und träumte von ihrem lieben Heimathaus.


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