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Onkel Potzhundert

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Am nächsten Tag packte Christine ihre Sachen, denn morgen sollte die Reise angetreten werden. In der Oberförsterei hatte man an dem Tage alle Hände voll zu tun, und um die Dackel kümmerte sich niemand. Der Kartoffelwagen kam auch noch nicht, Waldel und Bürschel zu holen; also konnte Mama Minka ihre vier Kinder unterweisen, wie sie sich in der Welt benehmen sollten. Vom Leben einer Dame wie Tante Laura wußte Mama Minka nichts, und da nicht anzunehmen war, daß Tante Laura Hasen jagte und in einen Fuchsbau kroch, waren die Belehrungen leider verkehrt, und Lump und Schlingel dachten dann oft: Das hat unsere Mama anders gesagt.

Schon die Reise war ganz anders. Mama Minka hatte geraten: Beißt keinen Schaffner, denn das sind ungemütliche Leute. Also hatten die beiden gedacht: den ersten Schaffner, den wir sehen, den beißen wir in die Beine.

Und dann war gar kein Schaffner da, den man beißen konnte, denn Lump und Schlingel steckten in einer Kiste, und die stand im Gepäckraum, und keine Beine zum Reinbeißen näherten sich ihr. Lump und Schlingel konnten weinen, so viel sie wollten, niemand kümmerte sich um sie, und sie beneideten Waldel und Bürschel, die zu gleicher Zeit wahrscheinlich mit dem Kartoffelwagen ins Land hinein fuhren. Lump und Schlingels Eisenbahnfahrt, um die sie von Waldel und Bürschel viel beneidet worden waren, war recht langweilig, denn auch Christine kümmerte sich nicht um ihre kleinen Reisegefährten; die hatte nämlich Angst, der Zug könnte ihr vor der Nase wegfahren, wenn sie ausstieg. Also blieb sie sitzen, bis der Zug in St. angelangt war, und der Schaffner sagte, nun müßte sie aussteigen. Christine tat es. Und dann stand sie auf dem Bahnsteig und hielt den großen Tannenstrauß vor die Nase. Der sollte nämlich das Erkennungszeichen für Tante Laura sein. Christine stand und stand, kein Wesen, das aussah wie eine Tante, näherte sich ihr. Auf einmal aber sagte eine Stimme: »Potzhundert, ist das Oberförsters Christine?«

»Onkel Potzhundert!« schrie Christine und schaute den kleinen dicken Herrn, der neben ihr stand, erfreut an.

»Potzhundert, woher weißt du denn gleich meinen Spitznamen?« fragte der kleine Herr sehr verwundert.

»Weil du immer potzhundert sagst«, stammelte Christine etwas verlegen.

»Das tue ich ja gar nicht, potzhundert, ist das eine Behauptung!«

Christine mußte lachen, und weil der Onkel sehr gern lachende Menschen sah, hellte sich sein Gesicht gleich auf. Er sagte: »Potzhundert, wir wollen gute Freunde werden, aber bei meinem Spitznamen mußt du mich nicht nennen, so sagt immer Laura zu mir, und potzhundert, sie irrt sich, ich sage gar nicht immer potzhundert. Potzhundert, das wäre doch dumm.«

Da merkte Christine, der Onkel wußte gar nicht, wie oft er das Wort gebrauchte. Sie nahm sich vor, ihn nicht bei seinem Spitznamen zu nennen, denn kränken wollte sie ihn nicht, er hatte so etwas Freundliches im Wesen. Über dieser Begegnung hatte Christine ganz und gar die Dackel vergessen, und als der Gepäckträger ihren Schein nahm, schrie sie erschrocken: »Lump und Schlingel!«

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Der Onkel und der Gepäckträger sahen sie ganz verdutzt an, denn sie dachten, sie wären gemeint. »Potzhundert, bist du aber höflich!« rief der Onkel vorwurfsvoll. »Wie kannst du uns so schimpfen!«

Christine wurde glührot vor Verlegenheit. »Ich schimpfe doch nicht, ich meine doch die Dackel.«

»Potzhundert, da wird sich aber Laura freuen über diese Namen.«

»Ich denke, sie wird schimpfen.« Der Gepäckträger, der Tante Laura zu kennen schien, lachte, daß der Koffer auf seinem Rücken hin und her wackelte.

»Potzhundert, das wird sie.« Der Onkel lachte, sein Bäuchlein mit, auch ihm schienen die Namen unbändigen Spaß zu machen. Er wiederholte ein paarmal: »Lump und Schlingel, Lump und Schlingel.«

Der Gepäckträger lief indessen zurück und schrie den Schaffner an: »Wo sind Lump und Schlingel?«

»Weiß ich nicht, ich bin kein Schutzmann«, antwortete der grob.

Na, endlich begriff er, daß es Dackel waren, die gesucht wurden, er ging denn auch nach dem Gepäckwagen und schrie hinein: »Lump, Schlingel.« Da sagte drinnen eine ängstliche Stimme: »Ich will ja gar nicht stehlen, ich habe nur kein Reisegeld und muß zu meiner Mutter fahren.«

»Potzhundert, können die Dackel reden?« rief Onkel Potzhundert, der mit Christine herangekommen war.

Da hatte der Schaffner schon einen blassen Menschen aus dem Wagen gezogen, den er heftig anschrie, als wäre der wirklich ein Lump oder Schlingel.

Da war es gut, daß Onkel Potzhundert da war, der rief gleich: »Potzhundert, sieht der Mann elend aus. Was fehlt ihm denn?«

Not hatte der Mann gelitten und wollte zu seiner kranken Mutter fahren und hatte kein Geld. Aber der Onkel Potzhundert hatte welches und hatte ein gutes Herz dazu, der half dem Mann, und Christine gewann den kleinen Onkel gleich lieb.

»Potzhundert, nun hätten wir beinahe wieder die Dackel vergessen. Wo sind denn nun Lump und Schlingel?«

Ja, wo waren sie? – Der ganze Gepäckraum wurde um und um durchsucht, die Dackel fanden sich nicht.

»Potzhundert, was wird Laura sagen? Sie freut sich so auf die Dackel!« rief Onkel Potzhundert tief betrübt.

»Sie sind gewiß gestohlen!« rief der Schaffner.

Wie sich alle noch überlegten, was sie tun sollten, um Lump und Schlingel wieder zu bekommen, kam ein Herr mit einem Gepäckträger angerannt.

Der Mann trug eine Kiste, und Christine rief: »Das sind Lump und Schlingel!«

»Erlauben Sie, mein Fräulein, wie können Sie uns so schimpfen«, sagte der Herr gekränkt.

»Ich meine ja die Dackel in der Kiste.«

»Dackel sind darin und keine Hängelampe?« rief der Herr erstaunt.

»Nein, eine Hängelampe ist gewiß nicht drin«, versicherte Christine.

»Ich dachte mir gleich, daß die Sache nicht stimmt. Es ist also wirklich keine Hängelampe?« sagte der Herr noch immer verwundert.

»Eine Hängelampe beißt einen doch nicht in die Nase«, brummte der Gepäckträger mißmutig.

»Wer hat Ihnen denn die Kiste überhaupt gegeben?« fragte der Schaffner streng.

»Das ist so«, berichtete der Gepäckträger, »der Herr wollte seine Hängelampe. Da sagte er mir, ich sollte sie holen. Ich holte sie, und unterwegs knurrt das in der Kiste. Nu, denke ich, ne Hängelampe knurrt doch nicht. Ich sehe also in die Kiste rein, da beißt mich was in die Nase. Nu, denke ich, ne Hängelampe beißt doch nicht. Ich sag' das also zu dem Herrn, und der sagt auch, daß das merkwürdig wäre, und daß er 'ne Hängelampe eingepackt hätte, und mir scheint, es ist die falsche Kiste.«

»Potzhundert, mir scheint's auch so!« rief Onkel Potzhundert, »denn Dackel sind doch keine Hängelampe.«

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»Ganz gewiß nicht«, meinte der Schaffner, »übrigens ist es verboten, ein Stück aus dem Gepäckwagen zu nehmen.«

»Potzhundert, da ist sie!« rief der Onkel, und alle fragten: »Die Hängelampe?«

»Nein, meine Zigarrentasche, potzhundert nochmal, ich dachte, ich hätte sie verloren.«

»Da ist sie!« Diesmal war es wirklich die Hängelampe, die der Schaffner gefunden hatte, und die beiden Parteien verließen nun mit der Hängelampe und den Dackeln den Bahnsteig.

Am Ausgang des Bahnhofs rief auf einmal der Onkel wieder: »Potzhundert, jetzt habe ich meinen Schirm stehen lassen!«

»Wo?« fragten alle.

»Am Gepäckwagen.«

Der Gepäckträger setzte die armen Dackel nieder und rannte zurück; nach einer Weile kam er wieder und berichtete, da sei kein Schirm, und der Herr hätte gar keinen Schirm gehabt.

»Potzhundert, da habe ich ihn wohl im Wartesaal stehen lassen, als ich auf den Zug wartete. Potzhundert, da muß ich schnell mal hin.«

Und der Onkel rannte, so schnell er mit seinen kurzen, dicken Beinchen laufen konnte, und der Herr mit der Hängelampe sagte: »Es ist erstaunlich, wie oft der Herr potzhundert sagt.«

»Darum heißt er ja auch in der ganzen Stadt Onkel Potzhundert.«

»Komisch«, sagte der Herr, »aber da kommt er wieder, und einen Schirm hat er mit.«

»Aber meine Handtasche nicht«, rief Christine erschrocken, die doch den Onkel mit ihrer Handtasche hatte weggehen sehen. Die Handtasche war aber weg, und der Onkel rief ein Potzhundert über das andere. Die Handtasche kam davon nicht wieder.

Alle liefen nun nach dem Wartesaal zurück, und der Gepäckträger sagte immerzu: »Die ist gestohlen, ganz gewiß, die ist gestohlen«, und Christine weinte vor Angst.

Aber sie war nicht gestohlen, sie stand ganz gemütlich auf einem Tisch, eine Dame saß daneben, die rief gleich: »Da ist der Herr, der meinen Schirm genommen hat und dabei die Tasche vergessen.«

»Ich Ihren Schirm genommen? Potzhundert, wie ist das möglich!«

Die Dame deutete auf den Schirm, den der Onkel in der Hand hielt, und versicherte: »Das ist er, und potzhundert haben Sie auch gesagt.«

»Das sage ich nie, das behauptet nur Laura!« rief der Onkel entrüstet. Dann sah er aber doch ein, daß er gar nicht seinen Schirm in der Hand hielt, und er sagte dreimal vor Schreck »potzhundert«, und der fremde Herr sagte dreimal »komisch«.

Auf einmal schrie er aber: »Meine Hängelampe ist weg!«

»Sie sitzen ja drauf«, brummte der Gepäckträger.

»Komisch, wie kann ich denn auf einer Hängelampe sitzen.«

Er saß aber doch drauf, auf der Kiste nämlich. Er sprang auf und rannte hinterher. Der Onkel aber sagte: »Potzhundert, der Mann war aber langweilig mit seinem ewigen ›komisch‹. Potzhundert, jetzt trinken wir Kaffee!«

»Hier?« fragte Christine verwundert. Sie hatte zwar rechtschaffenen Hunger und Durst, meinte aber doch, Tante Laura würde mit dem Kaffee warten. Doch der Onkel versicherte ihr, die warte nie mit dem Kaffee, sie trinke ihn immer selbst aus. Er bestellte also dreimal Kaffee und sehr viel Kuchen, denn der Gepäckträger mußte mittrinken. Der Kaffee kam und der Kuchen auch, und alle drei ließen es sich gut schmecken.

Plötzlich fielen dem Onkel die Dackel ein, und er rief: »Lump und Schlingel müssen auch etwas haben.«

Den beiden gefiel es längst nicht mehr in ihrem Gefängnis; als sie darum ihre Namen nennen hörten, tuschelten sie sich etwas zu, und kaum machte der Onkel den Deckel auf – wutsch – waren sie draußen.

Nun ist es für Dackel aus einer Oberförsterei schon eine Sache, plötzlich in einem vollen Wartesaal ans Licht zu kommen. Die beiden verloren vollständig die Fassung. Sie dachten, ausreißen wäre das Vernünftigste, also rissen sie aus.

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»Lump und Schlingel!« rief Christine erschrocken, und ein Herr sagte ärgerlich:

»Aber mein Fräulein, warum schimpfen Sie denn so?«

»Die Dackel, die Dackel!« klagte Christine und rannte den Flüchtlingen nach. Aber in einem vollgefüllten Wartesaal rennt es sich für Menschen und Dackel schwer, Tischbeine, Stuhlbeine, Menschenbeine, alles kommt in den Weg, pardauz – da lag ein Schnitzel auf einem Stuhl, und ehe es der Kellner, der über Lump gestolpert war, wieder erwischen konnte, saß eine Dame auf dem Schnitzel, und wenn Damen so etwas vorkommt, dann schreien sie. Diese Dame schrie aber erst gar nicht, denn sie wußte gar nicht, auf was sie saß.

»Mein Schnitzel! Ich hatte es doch eben auf dem Teller!« rief der Kellner wütend.

»Ich hab's fliegen sehen«, erwiderte ein Herr.

Das Schnitzel war nicht da, und die Dame, die darauf saß, redete, wie sonderbar es sei, daß ein Schnitzel so verschwinden könne. Gewiß habe es jemand aufgegessen.

Wie die Leute am Tisch noch über das verschwundene Schnitzel redeten, kamen Christine und Onkel Potzhundert mit Lump und Schlingel zurück. Der Onkel stöhnte, denn die Jagd nach den Dackeln war keine Kleinigkeit gewesen.

Der Gepäckträger rief: »Ich bin hier geblieben, denn hier verschwinden sogar die Schnitzel von den Tellern.«

Es war gut, daß niemand auf diese Rede hörte. Die Dame rief entzückt: »Ach, die süßen Hundchen!«

»Potzhundert, die und süß! Teufelskerle sind es, potzhundert. Was wohl Laura sagen wird? Das war eine Jagd!«

»Nein, wie süß, wie zutraulich!« rief die Dame, denn Lump und Schlingel hopsten immer an ihr herum, und – wupp – saßen sie ihr auf dem Schoß. Sie benahmen sich sehr ungebührlich, zerrten an ihrem Kleid herum, und die Dame schrie auf einmal laut: »Hilfe, sie werfen mich vom Stuhl!« Der Onkel sagte gerade potzhundert und wollte zu Hilfe eilen, da lag die Dame schon unten, und Lump und Schlingel stürzten sich auf das Schnitzel, und der Gepäckträger rief: »Sie haben auf dem Schnitzel gesessen!«

Gab das einen Aufstand! Die Dame kreischte vor Ärger um ihr verdorbenes Kleid. Der Onkel potzhunderte, der Kellner schalt, Christine weinte, und die anderen, die darum herumsaßen, lachten.

Lump und Schlingel aber fraßen unbekümmert um all den Lärm ihr Schnitzel auf. Onkel Potzhundert mußte das Schnitzel bezahlen; da er gutmütig war, gab er der Dame noch ein Schmerzensgeld für den verdorbenen Rock, und dann wurde endlich der Heimweg angetreten. Lump und Schlingel sahen nichts von der neuen Heimat, denn sie steckten wieder in der Kiste drin.


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