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Reisevorbereitungen

Die Tage vergingen, und Oberförsters Christine sah mit einigem Entsetzen, daß der Tag der Abreise immer näher rückte. Ihr bangte vor der großen Stadt und den fremden Menschen, denn sie war noch nie aus ihrer lieben Oberförsterei weggewesen und wußte gar nicht, wie es in der Stadt aussah. Die Tante kannte sie auch nicht, und auf dem Bilde gefiel sie ihr nicht sehr; das sagte aber Christine niemandem, sie wollte nicht, daß die Eltern sich sorgten. Die hatten Sorgen genug mit den sechs Kindern, die alle etwas lernen wollten, da mußte die Älteste tapfer sein und den Jüngeren mit gutem Beispiel vorangehen. Also weinte und klagte Christine nicht und tat wunder wie sehr sie sich freue, daß sie in die Stadt kam.

Der Graf besuchte in dieser Zeit öfters die Oberförsterei. Er sagte, er wollte Waldel und Bürschel kennen lernen. Die beiden aber sagten zu Mama: »Er kümmert sich gar nicht um uns, er sieht immer Christine an, er will sie wohl in die Nase beißen.«

Aber das wollte der Graf nicht. Nasebeißen war ihm nicht vornehm genug, er war nämlich ein sehr vornehmer Herr, der Graf Rolf. Trotzdem hätte er gerne Oberförsters Christine geheiratet, so gut gefiel sie ihm. Nur eins war schlimm: der Graf hatte kein Geld, nur einen reichen Onkel, der für ihn sorgte, und der wollte, er sollte auch eine Gräfin heiraten. Christine war ihm nicht vornehm genug. Der Onkel sagte: »Wenn du mein Geld haben willst, dann mußt du tun, was ich will, und heiraten, wen ich dir aussuche.« Das gefiel dem Grafen Rolf gar nicht, er hatte aber für seine Mutter zu sorgen, da konnte er nicht tun, was er wollte, er mußte an seine Mutter denken. Darum war Graf Rolf immer traurig, wenn er in die Oberförsterei kam. Waldel und Bürschel sahen das wohl, und sie sagten zu Mama Minka: »Unser Herr ist nicht nett, der kann nicht lachen.«

»Menschen sind manchmal so komisch, die lachen nicht immer.«

»Aber Dieter lacht doch immer.«

»Ja, das ist auch ein Kind, Kinder lachen sehr viel.«

»Dann wollen wir zu Kindern, lachen gefällt uns!« riefen Lump und Schlingel.

»Ihr kommt zu einer alten Dame.«

Mama Minka sah sehr wichtig drein, so, als hätte sie schon viele alte Damen in ihrem Leben kennen gelernt, dabei kannte sie keine einzige.

»Darf man alte Damen ins Bein beißen?« fragten Lump und Schlingel, die das für ein großes Vergnügen hielten, weil die Oberförsterskinder immer dabei lachten.

»Ja, das dürft ihr.« Mama Minka hielt das Beinekneifen auch für einen lustigen Spaß und dachte, alte Damen liebten so etwas.

Mama Minka gab ihren Kindern überhaupt viele gute Lehren in den Tagen, da sie noch mit ihnen zusammen war. Aber Mama Minka war eben eine Dackelmama und war in der Oberförsterei groß geworden und hatte dort ihre Erfahrungen gesammelt; die paßten nicht für die Großstadt. Wenn Mama Minka die Oberförsterin in die Wade kniff, schrie die nicht, sondern sagte »dummer Dackel«, aber eine Stadtmadam benahm sich ganz anders. Nu, man wird sehen!

Vor allem schärfte Mama Minka ihren Kindern ein, daß sie furchtbar vornehm wären. »Dackel sind unter den Hunden, was Prinzen unter den Menschen sind«, sagte sie da einmal.

»Hoho, hoho«, bellte Karo, der das hörte, »ihr mit euren krummen Beinen!«

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Da machte er Mama Minka aber böse, denn die krummen Beine hielt sie für den Gipfel der Vornehmheit. Sie behauptete ernsthaft, die Menschen wären neidisch auf der Dackel krumme Beine.

Karo wurde ganz wütend über diese furchtbare Einbildung, und er bellte so, daß der Oberförster angelaufen kam. Und wenn der Oberförster zu den Hunden ging, kamen die Kinder mit, das war mal so. Sie kamen alle und hörten, wie sich Mama Minka und Karo zankten. Sie verstanden nicht, was die Hunde redeten. Aber die Tiere verstehen, was die Menschen sagen, und so verstand Mama Minka ganz gut, daß der Oberförster rief: »Gewiß haben die Dackel wieder was angestellt, das ist zu unnützes Viehzeug!«

»Ja, die kann ich nicht mit ins Abteil nehmen, die müssen im Hundeabteil fahren«, sagte Christine, »da schäme ich mich ja.«

»Bläff, bläff«, bellte Mama Minka ganz heiser. Sie war so wütend, daß sie keinen ordentlichen Ton herausbrachte. Unnütz sollten ihre begabten Kinder sein, und im Hundeabteil sollten sie fahren! Das ging doch wirklich über die Schwanzspitze.

Lump und Schlingel, Waldel und Bürschel sahen ihre Mutter ganz erstaunt an. Was fehlte der? Die verzog ihre Schnauze so traurig und seufzte, wirklich, sie seufzte.

Und was sagte der Oberförster dazu? »Minka hat mal wieder zu viel gefressen, Minka hat eine Wurst gestohlen.« Die Oberförsterin, die sonst immer so freundlich aussah, machte ein ganz ernstes Gesicht, und Mama Minka wurde es unheimlich, sie senkte ihr Schnäuzchen, und der Oberförster drohte: »Du Teufelskerl, warte du nur, du kriegst noch Wichse.«

Was Wichse war, wußten die kleinen Dackel schon, aber nicht, was ein Teufelskerl war. Da es aber ihre Mutter sein sollte, dachten sie, es wäre etwas sehr Kluges, und sie nahmen sich alle vier vor, Teufelskerle zu werden. Um damit anzufangen, biß Lump den Veit, der ihm am nächsten stand, in die rechte Wade.

»Au!« schrie Veit. »Du Teufelskerl!« Das Wort des Vaters hatte ihm gefallen.

Hei – war der Lump flink ein Teufelskerl geworden! Die drei Geschwister dachten: wir machen es ihm nach. Und gerade suchte sich jedes eine Kinderwade zum Beißen aus, als der Oberförster sagte: »Hol mal die Peitsche, Dieter.«

»Bläff – bläff!« Mama Minka duckte sich schnell und fing so kläglich an zu winseln, daß ihren vier Kindern himmelangst wurde und sie mit der Mutter um die Wette winselten. Ganz jammervoll klang es.

»Schlag sie nicht«, bat die Oberförsterin. »Ich verzeihe Minka ihren Raub, sie hat die Wurst für ihre Kleinen genommen, sie ist so eine gute kleine Mutter, sie darf keine Schläge kriegen, sonst weinen ihre Kinder.«

»Was wird aber Tante Laura sagen, wenn Lump und Schlingel so unerzogen sind?«

Der Oberförster sah ganz bedenklich drein.

Die ganze Familie machte dem Vater das bedenkliche Gesicht nach. Es ging den Kindern wie den jungen Dackeln, sie wollten auch sein wie der Vater; wenn der vergnügt war, hing ihnen der Himmel voller Geigen, und wenn der Vater eine ernste Miene aufsetzte, war auch ihnen die Geschichte bedenklich. Und mit Tante Laura war das so eine Sache, niemand kannte sie. Es gingen in der Familie die wunderbarsten Reden über Tante Laura um, keiner aber wußte recht, wie sie war, denn Tante Laura hatte sich bisher um niemand aus der Verwandtschaft gekümmert. Wenn einer sie besuchen wollte, dann war sie merkwürdigerweise immer verreist. Wohin sie gereist war, erfuhr nie jemand, und die Boshaften unter den Verwandten sagten, sie wäre gar nicht verreist. Sie lebte in einem Hause mit dem jüngeren Stiefbruder Adolf, den alle Welt »Onkel Potzhundert« nannte. Er rief nämlich immer, wenn er sich wunderte: »Potzhundert!« Und da er sich immer wunderte, sagte er am Tage immerzu: »Potzhundert!«

Der Onkel war ganz im Gegensatz zu Tante Laura immer zu Hause. Wenn jemand kam, dann sagte er: »Potzhundert, da bist du ja, na, das freut mich aber.« Wenn man dann nach Tante Laura fragte, rief er: »Potzhundert, ist sie schon wieder verreist?« Mehr sagte er nicht, und von ihm erfuhr auch niemand, wohin Tante Laura immer so flink verreiste.

Onkel Potzhundert selbst verreiste nie, er hatte einfach Angst, mit der Eisenbahn zu fahren, darum war er auch noch nie in der Oberförsterei gewesen, und die Kinder kannten ihn nicht. Die wieder wären schon gerne mal nach der großen Stadt gefahren, aber dazu langte das Geld in der Oberförsterei meist nicht. Reisen konnten nicht unternommen werden. Die Buben und Mädels gingen einträchtig in die eine halbe Stunde entfernte kleine Stadt in die Schule und lernten dort mit mäßiger Begeisterung, denn ihnen allen war der Wald lieber als die Schulstube. Da gab es bei Oberförsters gewöhnlich keine Glanzzensuren, wenig Einser, aber auch keine Vierer, die Oberförsterkinder hielten sich immer in der Mitte auf, und die Eltern waren damit zufrieden. Sie wollten gar keine Musterkinder, gute rechtschaffene Menschen wollten sie erziehen, dafür braucht einer nicht immer auf dem ersten Platz zu sitzen.

In diesen Tagen vor Christines Abreise wurden die Schularbeiten leider sehr flüchtig gemacht, denn in der ganzen Oberförsterei hatte man nur den einen Gedanken: Christine verläßt das Heimathaus. Vielleicht für immer, denn ihren gewählten Beruf konnte sie doch nicht im Vaterhaus ausüben. Wer weiß, in welche Ferne einst Christine wegzog. Darum war es für Eltern und Geschwister ein schwerer Abschied. Selbst die Dackel litten an Trennungsschmerz. Mama Minka wurde es bange um ihre Kinder; wie würden sie in der Welt bestehen, vor der sogar Christine Angst hatte. Denn daß Christine Angst vor der Reise und der großen Stadt hatte, das merkte Mama Minka wohl. Sie sagte darum zu ihren Kindern, als Oberförsters wieder in das Wohnzimmer gegangen waren: »Es geht mir zwar über die Schwanzspitze, daß ihr nur Hundeabteil fahren sollt, aber benehmt euch, ein Dackel muß auch im Hundeabteil seine Würde wahren.«

»Ist denn ein Hundeabteil so sehr schlimm?« fragten Lump und Schlingel, die ganz niedergeschlagen wegen des Hundeabteils waren.

»Sehr schlimm«, bellte Mama Minka gekränkt.

»Wir fahren im Wagen«, frohlockten Waldel und Bürschel.

Mama Minka wollte gerade ihre Freude darüber ausdrücken, als Karo, der sich wieder herangeschlichen hatte, bellte: »Hoho, im Kartoffelwagen!«

»Ist nicht wahr«, kläffte die Dackelmutter zornig.

»Ist doch wahr.«

Karo hatte recht. Der Graf war am Nachmittag dagewesen und hatte sich verabschiedet. Er reiste zu seinem Onkel, der in der gleichen Stadt wohnte wie Tante Laura. Der Onkel hatte dem Grafen Rolf eine schöne vornehme Frau ausgesucht, die sollte er heiraten, und darum war der junge Graf so traurig gewesen, denn so gut wie Oberförsters Christine gefiel dem Grafen Rolf niemand auf der Welt. Freilich hatte der Graf gesagt, der Leopold kommt mit dem Kartoffelwagen und holt Waldel und Bürschel. Darüber war Mama Minka sehr böse, und sie bellte: »Der Graf taugt nicht viel!«

»Hoho!« bellte Karo. »Er ist ein sehr guter Herr, viel zu schade für deine Teufelskerle von Jungen.«

»Heio – nun sind wir auch Teufelskerle!« riefen Waldel und Bürschel zufrieden.

»Nur mich hat niemand so genannt«, Schlingel war ganz traurig.

»Du mußt was tun, damit du auch ein Teufelskerl wirst«, rieten die Geschwister.

»Was denn?«

Ja, was, das wußten die Geschwister auch nicht; sie waren noch unerfahren in dummen Streichen. Desto mehr wußte Karo, der hatte schon viel mit Dackeln verkehrt, und weil er sich immer über sie geärgert hatte, darum hatte er sich alle ihre Streiche gemerkt. Und der gute Karo dachte wunder wie klug das sei, wenn er den vier Dackelkindern all die Streiche erzählte. Er meinte, es sei gut für die weite Welt da draußen, und aufgebläht vor Wichtigkeit begann er zu erzählen. Da war ein Dackel in die Speisekammer geraten und hatte sich dick und voll gefressen, ein anderer hatte seinem Herrn das Bier ausgetrunken und sich betrunken.

 

Mama Minka dachte, das ist ja nun arg gescheit von dem guten Karo, daß er alle Streiche erzählt. Die werden meine Kinder alle nachmachen, das ist eine nette Reisevorbereitung. Und wirklich dachten die vier kleinen Dackel bei jeder Geschichte: Heio – das machen wir auch! Daß Karo freilich jedesmal den unnützen Dackel Wichse kriegen ließ, störte die vier gar nicht, sie nahmen sich vor, sich nicht erwischen zu lassen.

»So«, bellte Karo, »endlich habe ich euch gut für die Reise vorbereitet, nun macht mir keine Dummheiten, macht der Oberförsterei keine Schande, benehmt euch, denkt an mich!«

»Sie werden schon an dich denken.« Mama Minka lachte ein bißchen.

Aber der gute Karo legte sich sehr befriedigt zur Ruhe nieder; er meinte, er habe die Dackel gut erzogen.

Ein Weilchen später sagte der Oberförster auf einmal: »Was krabbelt nur immer an meinen Beinen herum?«

.

Veit und Dieter fuhren wie ein Blitz unter den Tisch. »Schlingel!« riefen die beiden wie aus einem Munde. »Er zerrt an deinen Hosen herum.«

Der Oberförster faßte mit der Hand unter den Tisch, doch ehe er Schlingel fassen konnte, war der entwischt zur offenen Tür hinaus, heidi – weg war er.

»Was hat er denn getan, sieh doch nach«, riet die Oberförsterin, die immer ein wenig Angst vor den Streichen der Dackel hatte.

Und der Oberförster sah nach und fand, daß seine ganze Hose unten angefressen war. Genau wie Karo es beschrieben, hatte es Schlingel gemacht.

»Das muß bestraft werden!« rief der Oberförster ärgerlich. Er riß die Peitsche vom Nagel und ging hinaus, und die ganze Familie folgte. Sie folgten, weil sie Angst um Schlingel hatten; der Vater war etwas heftig und schlug gleich derb zu.

Und dann standen alle vor der Dackelei. Und die kleine Familie lag so einträchtig beisammen, alle sahen sie so unschuldig und treuherzig aus, als könnten sie kein Wässerchen trüben, und der Oberförster fragte: »Soll ich alle hauen? Teufelskerle sind es alle.«

»Keinen!« rief die ganze Familie.

Der Oberförster haute wirklich keinen, er brummelte: »Mögen Tante Laura und der Graf sie erziehen.«

Wer sich aber ärgerte, war Karo; denn als Oberförsters weg waren, bellte Minka:

»Siehst du, das kommt von deinen dummen Geschichten!«

Soll man sich da nicht ärgern, wenn man ein ordentlicher Hund ist?


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