William Shakespeare
Troilus und Cressida
William Shakespeare

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Zweiter Aufzug

Erste Szene

Ein anderer Teil des Griechenlagers: Ajax und Thersites

Ajax. Thersites!

Ther. Agamemnon – wie wenn er Beulen hätte, völlig, überall, am ganzen Leib?

Ajax. Thersites!

Ther. Und die Beulen liefen? das angenommen: liefe dann nicht der Feldherr? Wäre dann nicht der ganze Kerl eine Schwäre?

Ajax. Hund!

Ther. Dann käme doch was aus ihm heraus. Jetzt seh ich nichts davon.

Ajax. Du Sohn einer Wölfin, kannst du nicht hören? Dann fühle! Schlägt ihn

Ther. Die Griechenpest über dich, du rindsköpfiger Bastard von Junker!

Ajax. Sprich dann, du schimmeligste Hefe, sprich, ich will dich in den Anstand hineinhaun.

Ther. Eher werde ich dich in Verstand und Frommheit hineinschelten . . . aber ich glaube, dein Pferd lernt eher eine Rede auswendig als du ein Gebet ohne Buch. Du kannst schlagen, nicht wahr? Die Viehseuche auf deine Pferdelaunen!

Ajax. Giftpilz, sag mir den Inhalt des Ausrufs . . .

Ther. Glaubst du, ich habe kein Gefühl, dass du mich so schlägst?

Ajax. Den Ausruf!

Ther. Du bist als Narr ausgerufen worden, glaub ich.

Ajax. Hüte dich, Stachelschwein, hüte dich: meine Finger jucken.

Ther. Ich wollte, es juckte dich von Kopf zu Fuss, und ich hätte dich zu kratzen: ich machte dich zum ekligsten Schorf in Griechenland. Wenn du auf Streifzügen unterwegs bist, schlägst du so langsam wie ein andrer.

Ajax. Den Ausruf, sag ich!

Ther. Du murrst und schimpfst immer über Achilles, und du bist so voll Neid auf seine Grösse wie Cerberus auf Proserpinas Schönheit, ja, du kläffst ihn an.

Ajax. Du Weib Thersites!

Ther. Ihn solltest du schlagen.

Ajax. Teigklumpen!

Ther. Er würde dich in Stückchen zerkrümeln mit seiner Faust wie ein Matrose Zwieback zerbricht.

Ajax. Verflixter Köter! Schlägt ihn

Ther. Nur zu! nur zu!

Ajax. Du Hexenschemel!

Ther. Ja, nur zu! Du brei-köpfiger Junker! Du hast nicht mehr Hirn als ich im Ellbogen habe. Ein Asinus kann dein Vormund sein. Du schäbiger tapfrer Esel! Du bist nur hier, um Trojaner zu dreschen . . . und du bist verraten und verkauft unter Leuten von einigem Witz wie ein barbarischer Sklav. Wenn du mich lange schlägst, beginn ich an deiner Ferse und sag dir was du bist, Zoll für Zoll, du Kerl ohne Eingeweide, du.

Ajax. Du Hund!

Ther. Du schäbiger Junker!

Ajax. Du Köter! schlägt ihn

Ther. Mars sein Hanswurst! Nur zu, Roheit, nur zu, Kamel, nur zu!

Achilles und Patroclus treten auf

Ach. Ei, sieh doch, Ajax? Warum tut ihr das? . . . Sieh da, Thersites! Nun, was gibt es, Mann?

Ther. Seht ihr den da, ja?

Ach. Ja, was gibts?

Ther. Nein, schaut ihn an!

Ach. Ich tus, was gibts?

Ther. Nein, aber betrachtet ihn recht!

Ach. »Recht«, ich tus ja schon!

Ther. Aber ihr schaut ihn immer noch nicht recht an: denn für wen ihr ihn auch haltet: er ist Ajax.

Ach. Ich kenn den, Narr.

Ther. Ja, aber der Narr kennt sich nicht.

Ajax. Deshalb schlag ich dich.

Ther. Ei, ei, ei, ei! Was für Quentchen Witz er von sich gibt! Seine Auslassungen haben Ohren, so lang! Ich hab sein Hirn geschüttelt, mehr als er meine Knochen geprügelt hat. Ich will neun Spatzen für einen Pfennig kaufen, und seine pia mater ist kein Neuntel eines Spatzen wert. Dieser Junker, Achilles – Ajax, der seinen Witz im Bauch trägt und sein Gekrös im Kopf, ich sag euch was ich von ihm denke.

Ach. Was?

Ther. Ich sage, dieser Ajax –

Ajax will ihn schlagen, Achilles tritt dazwischen

Ach. Nein, lieber Ajax –

Ther. Hat nicht soviel Witz –

Ach. Nein, ich muss euch halten . . .

Ther. Als Helenas Nadelöhr füllt, um das er zu fechten kommt . . .

Ach. Ruh, Narr!

Ther. Ich möchte Ruh und Frieden haben, aber der Narr will nicht, der da, seht ihr ihn?

Ajax. O du verfluchter Köter, ich will –

Ach. Wollt ihr euren Witz gegen den eines Narren setzen?

Ther. Nein, dafür steh ich: denn ein Narr würde ihn beschämen.

Pat. Nicht schimpfen, Thersites!

Ach. Worüber zankt ihr euch?

Ajax. Ich hiess die schnöde Eule mir den Inhalt des Ausrufs angeben, und er schmäht mich.

Ther. Ich bin nicht dein Diener.

Ajax. Nun ja, nun ja!

Ther. Ich diene hier freiwillig.

Ach. Beim letzten Dienst habt ihr gelitten, das war nicht freiwillig. Kein Mensch lässt sich freiwillig schlagen. Ajax war hier der Freiwillige, und ihr gepresst.

Ther. Sonst nichts? Euer halber Witz liegt in euren Sehnen, oder man lügt. Hector wird einen grossen Fang tun, wenn er einem von euch das Gehirn herausschlägt: grad so gut könnte man eine faule Nuss ohne Kern knacken.

Ach. Fängst du mit mir auch an, Thersites?

Ther. Da ist Ulyss und der alte Nestor – dessen Witz schon muffig war, eh eure Grossväter noch Nägel an den Zehn hatten, die jochen euch wie Zugochsen zusammen und lassen euch den Krieg durchpflügen.

Ach. Was? was?

Ther. Ja, wahrhaftig, drauf, Achilles! drauf, Ajax, drauf!

Ajax. Ich werd euch die Zunge ausschneiden.

Ther. Macht nichts . . . ich werd nachher immer noch soviel reden wie du.

Pat. Nicht weiter, Thersites, Ruhe!

Ther. Ich werde Ruh halten, wenns des Achill Bracke mich heisst, nicht wahr?

Ach. Das ist für euch, Patroclus.

Ther. Ich will euch Klotzköpfe gehängt sehn, eh ich noch einmal in euer Zelt komme. Ich will hausen wo sich Witz regt und die Narrensippe verlassen. Ab.

Pat. Ein erwünschter Abgang!

Ach. Dies also, Herr, ward kundgemacht im Heer:
Hector ruft bei der Sonne fünfter Stunde
Durch die Trompete zwischen hier und Troja
Für morgen frühe einen Ritter vor
Der Herz hat, einen solchen der sich traut
Zu stehn für – weiss ich was? 's ist Stroh. Lebt wohl.

Ajax. Lebt wohl! . . . Wer stellt sich ihm?

Ach. Ich weiss nicht . . . man lässt losen. Andernfalls wüsst er schon seinen Mann.

Ajax. O, meint ihr euch? . . . Ich geh, um mehr zu hören. Ab.

 

Zweite Szene

Troja, Zimmer im Palast des Priamus: Priamus, Hector, Troilus, Paris, Helenus

Pria. Nach soviel Kosten – Stunden, Menschen, Worte –
Spricht nochmals Nestor für das griechische Volk:
Gebt Helena heraus, und aller Schaden
An Ehre, Zeitverlust, Mühsal und Geld,
Blut, Freunden und was Teures sonst verschlang
Der heisse Hunger dieser Bestie Krieg,
Sei ausgetilgt . . . Sprecht, Hector, was meint ihr?

Hec. Wenn niemand auch die Griechen minder scheut
Als ich, was mich persönlich angeht: dennoch,
Erhabner Priamus,
Gibts keine Frau von sanfterem Gemüt,
Sich voller saugend mit dem Geist der Furcht,
Bereiter zu dem Ruf »wer weiss was kommt«
Als Hector ist. Des Friedens Tod ist Trutz,
Vertrauender Trutz . . . doch massiger Zweifel heisst
Des Weisen Leuchte, Sonde die den Grund
Des Schlimmsten ausforscht. Gebt Helenen hin:
Schon seit dem ersten Schwertstreich dieses Kampfs
War jeder Zehnte von viel tausend Zehnen
So wert wie Helena, das heisst: von Unsren.
Verloren wir so manches Zehnt der Unsern
Beim Hüten des Nicht-unsrigen, was uns
Kein Zehntel gölte, wenn es unser hiesse:
Welch eine Kraft hat dann der Grund der hindert
Dass man sie hingibt?

Tro.                                     Pfui, mein Bruder, pfui!
Legt ihr denn Wert und Ehre eines Königs,
Gross wie mein hehrer Vater, auf die Wage
Gemeinen Pfunds? Wollt ihr mit Blechgeld zählen
Sein Übermass von Unergründlichkeit,
Umgürten seine grenzenlose Weite
Mit Zoll und Spanne, solcher Winzigkeit
Wie Furcht und Gründe? Ernstlich, pfui der Schande!

Helenus. Kein Wunder – denn ihr beisst so scharf auf Gründe,
Da ihr dran arm seid. Soll nicht unser Vater
Der Herrschaft grosse Wucht mit Gründen stützen,
Weil eure Red es will, die keinen hat?

Tro. Bleibt ihr bei Traum und Schlummer, Bruder Priester!
Nehmt sie als Handschuhfutter – diese eure Gründe:
Ihr wisst, ein Feind ist da zum Leidantun,
Ihr wisst, ein Schwert im Kampfe bringt Gefahr,
Und Gründe fliehn den Bringer jedes Leids.
Wer wundert sich, wenn Helenus beim Anblick
Des Griechen der ein Schwert führt gradezu
Der Gründe Schwingen an die Fersen legt,
Wie der vom Zeus gescholtne Merkur fliegt
Und wie ein Stern der irrläuft! Nein, sprecht ihr von Gründen,
Dann schliesst das Tor und schlaft. Mannheit und Ehre
Wird hasenherzig, wenn ihr Sinn verfettet,
Mit Gründen vollgestopft. Rücksicht und Grund
Macht zag die Brust und Hochgemute wund.

Hec. Bruder, sie ist nicht wert was ihr Besitz
Uns kostet.

Tro.                   Nichts ist mehr wert als mans schätzt.

Hec. Doch steht die Schätzung nicht beim Einzelwillen:
Ansehn und Wert erhält sie ebenso
Vom Ding das an sich selber löblich ist
Als durch den Lober. Toller Götzendienst
Nur macht die Andacht grösser als den Gott.
Der Wunsch ist närrisch der ein Ding erhebt
Woran er in krankhafter Weise haftet,
Kein Bild hat vom dran haftenden Verdienst.

Tro. Ich nehme heut ein Weib, und meine Wahl
Wird durch die Führung meines Wunschs gelenkt,
Mein Wunsch erleuchtet durch mein Aug und Ohr,
Zwei kundige Lotsen zwischen felsigen Küsten
Von Wunsch und Urteil. Wie kann ich das Weib
(Selbst wenn mein Wunsch verstiesse was er kor)
Verlassen das ich wählte? Keine Ausflucht
Zu wanken, man muss standhaft sein mit Ehren.
Man stellt dem Kaufmann Seide nicht zurück
Die man befleckt hat, und die Speisereste
Wirft man nicht weg in das gemeine Siel,
Weil man jetzt satt ist. Es erschien euch recht
Dass Paris Rache übe an den Griechen:
Sein Segel blähte eures Beifalls Wind,
Und See und Wind, die alten Keifer, ruhten,
Um ihn zu fördern zum ersehnten Port.
Für eine Muhme die die Griechen fingen
Bracht er die Griechenfürstin, frisch und jung,
Vor der Apollo welkt, der Morgen blasst.
Was hält man die? Sie halten unsre Muhme!
Ist sie es wert? Ja, dieser Perle Preis
Liess von dem Stapel über tausend Schiffe
Und schuf gekrönte Könige um in Krämer.
Lasst ihr als Weisheit gelten Paris' Zug
(Wie ihr ja müsst, denn ihr schriet all »auf auf«),
Rühmt ihr was er gebracht als edlen Fang
(Wie ihr ja müsst, denn ihr schlugt all die Hände
Und rieft »unschätzbar«): warum wollt ihr jetzt
Die Früchte eurer eignen Weisheit schmähn
Und tun was niemals die Fortuna tat:
Den Wert zum Bettel machen den ihr höher
Als Land und Meer geschätzt? O schnöder Raub,
Wenn wir entwandt was wir uns scheun zu halten!
O Diebe, unwert so entwandten Gutes!
Wir haben sie beraubt in ihrem Land
Und halten feig in unsrem Heim nicht stand.

Cas. Draussen: Weint, Trojer, weint!

Pria. Welch Lärmen? Wer schreit so?

Tro. 's ist unsre tolle Schwester, nach der Stimme.

Cas. Draussen: Weint, Trojer!

Hec. Es ist Cassandra.

Cassandra tritt auf mit aufgelöstem Haar

Cas. Weint, Trojer, weint! Leiht mir zehntausend Augen,
Ich fülle sie mit seherischen Tränen.

Hec. Still, Schwester, still!

Cas. Knabe und Maid, Vollkraft und hagres Alter
Und zarte Kindheit die nichts kann als weinen,
Helft mir zu klagen! Zahlen wir beizeit
Den halben Haufen künftigen Geheuls!
Weint, Trojer, weint! Übt euer Aug für Tränen.
Troja darf nimmer sein noch Ilion stehn:
Der Bruder Brandscheit, Paris, sengt uns all.
Weint, Trojer, weint! Helena, böser Stern!
Weint, Troja brennt, ist Helena nicht fern! Ab.

Hec. Nun, junger Troilus: regt dies laute Lied,
Die Sehergabe unsrer Schwester, nicht
Ein wenig in dir Reue? Ist dein Blut
So wild-heiss, dass kein Zuspruch der Vernunft
Noch Angst vor schlechtem Ausgang schlechter Sache
Dasselbe kühlen kann?

Tro. Wir dürfen nicht das Recht zu einer Tat
Nur daraus nehmen wie Erfolg sie zeigt,
Noch darf den Mut uns plötzlich niederschlagen
Cassandras Wahnsinn. Ihr hirnkrank Gerase
Verleide nicht die Güte eines Streits
Der unser aller Ehre auferlegt
Ihn zu verherrlichen. Mir selber rührts
Nicht mehr ans Herz als allen Priam-söhnen,
Und Zeus verhüte dass wir etwas tun
Was auch das zarteste Gefühl verletzt
Wenn mans verficht und festhält.

Par. Es möchte sonst die Welt des Leichtsinns zeihn
So gut mein Abenteuer als euren Rat.
Doch bei den Göttern, euer voller Beifall
Beschwingte meinen Trieb und schnitt hinweg
Jed Bangen im Geleit so riesigen Plans.
Denn ach, was könnte hier mein einzler Arm?
Welch eine Wehrkraft hat ein tapfrer Mann,
Zu stehn dem Anprall und dem Widerstand
Den dieser Kampf aufrief'? Und doch, ich schwöre,
Müsst ich allein durch diese Mühsal durch
Und hätt an Macht den Umfang wie an Wunsch:
Nie löschte Paris aus was er getan
Noch lahmte im Verfolg.

Pria.                                       Paris, ihr sprecht
Wie wer vernarrt ist in sein süsses Glück.
Ihr habt den Honig stets, doch sie die Galle,
Kein Lob verdient der Mut in solchem Falle.

Par. Ich setze mir nicht bloss die Freuden vor
Die solche Schönheit mit sich bringt, mein Vater:
Den Fleck solch holden Raubes wischt ich gern
Hinweg, indem ich rühmlich sie behaupte.
Welch ein Verrat an der errungnen Fürstin,
Abbruch an eurer Würde, Schmach für mich,
Wenn ihr Besitz jetzt preisgegeben wird
Aus Gründen niedern Zwanges! Kann es sein
Dass eine Faser so entartet je
In euren grossen Herzen Wurzel fasse?
Nicht dem Geringsten unsres Lagers fehlt
Das Herz das wagt, noch auch das Schwert das schlägt
Zum Schutz der Helena. Kein Edler nennt
Sein Leben schlecht verbracht, ruhmlos den Tod,
Wenn Helena im Spiel ist. Und so sag ich:
Gut ist der Kampf für sie, die wie man weiss
Ohngleichen ist im weiten Erdenkreis.

Hec. Paris und Troilus, ihr spracht beide gut
Und habt den gegenwärtigen Fall und Streit
Glossiert, doch oberflächlich . . . nicht sehr fern
Den Jünglingen die Aristoteles
Untauglich hielt für die Moralweisheit.
Die Gründe die ihr anführt dienen mehr
Der heissen Wallung des empörten Bluts
Als dazu: zwischen Recht und Unrecht frei
Entscheid zu treffen. Denn die Lust und Rache
Sind tauber als die Natter für die Stimme
Gesunden Urteils. Die Natur verlangt
Dass jedes Gut dem Eigner zufällt. Nun,
Ist Näher-angehöriges in der Welt
Als eine Frau dem Mann? Wenn der Natur
Gesetz durchbrochen wird durch Leidenschaft,
Wenn grosse Seelen, ihren starren Wünschen
Parteiisch zugeneigt, ihm widerstehn,
Dann ist es Pflicht für jed gesittet Volk
Zu steuern diesen rasenden Begierden,
Den unfolgsamen, widerspenstigen.
Ist Helena das Weib von Spartas König,
Wie alle wissen: dies Naturgesetz
Der Sitte und des Staates spricht dann laut
Dass man sie wiedergibt. So zu bestehn
Im Unrechttun vermindert Unrecht nicht,
Nein, macht es noch viel schwerer. Hectors Meinung
Ist dies, der Wahrheit nach . . . Nichtsdestominder,
Ihr muntern Brüder, zieht es mich zu euch
In dem Entschluss stets Helena zu halten.
Denn 's ist ein Fall der kein gering Gewicht
Besitzt für unser samt und sonders Würde.

Tro. Nun, hier berührt ihr unsrer Ansicht Kern.
Wär nicht der Ruhm, der stärker uns erregt
Als die Erfüllung unsrer schwellenden Launen,
Ich wünschte keinen Tropfen Trojerblut
Verströmt zu ihrem Schutz. Doch, werter Hector,
Sie ist ein Gegenstand von Ehr und Ruf,
Ein Sporn zu tapfren und grossherzigen Taten
Die jetzt mit ihrem Mut die Feinde dämpfen
Und deren Ruhm uns künftig selig spricht.
Denn traun, der tapfre Hector gäbe nicht
Solch reiche Gunst verheissner Herrlichkeit
Wie auf der Stirne dieses Feldzugs lächelt
Für aller Welten Zins.

Hec.                                   Ich bin der Eure,
Ihr tapfrer Spross des grossen Priamus.
Ich sende eine trutzige Fordrung zu
Den trägen und zwieträchtigen Griechen-edlen,
Die ihr erschlafftes Herz bestürzen soll.
Ich hörte dass ihr grosser Feldherr schlief,
Indes die Eifersucht durchs Lager lief.
Dies, nehm ich an, erweckt ihn. Ab.

 

Dritte Szene

Das griechische Lager – Vor Achilles' Zelt: Thersites

Ther. Nun, Thersites? Wie, verirrt im Labyrinth deiner Wut? Soll der Elefant Ajax so den Sieg davontragen? Er schlägt mich und ich schimpfe ihn: o würdige Genugtuung! Ich wollte es wäre anders: ich könnte ihn schlagen, während er auf mich schimpft. Potz Blitz, ich will zaubern lernen und Teufel beschwören, wenn ich nicht eine Wirkung meiner zornigen Verwünschungen sehe . . . Dann ist da der Achilles – ein rarer Sturmbock! Wenn Troja nicht genommen wird, eh diese zwei es untergraben, dann werden die Mauern stehn, bis sie von selbst einstürzen. O du grosser Donnerschleudrer vom Olymp! Vergiss dass du Zeus, der König der Götter bist, und Merkur, verliere alle Schlangenklugheit deines Caduceus, wenn ihr nicht das wenige Wenige, weniger als wenig Witz ihnen nehmt das sie noch haben. Die kurzarmige Dummheit selbst weiss, er ist so überschwenglich dürftig, dass er nicht bei der Umgehung eine Fliege von einer Spinne befreien kann, ohne das plumpe Eisen zu ziehn und das Geweb zu zerschneiden. Und somit hol der Teufel das ganze Lager, oder lieber der neapolitanische Knochenschmerz: denn das ist wohl der gebührende Fluch für die welche um einen Unterrock Krieg führen. Ich hab mein Gebet gesagt und der Hass-teufel sage Amen! . . . Heda, mein Herr Achilles!

Patroclus tritt auf

Pat. Wer ist da? Thersites? Lieber Thersites, komm herein und schimpfe!

Ther. Hätte ich an ein falsches Geldstück gedacht, so wärest du aus meinen Betrachtungen nicht herausgefallen. Aber es macht nichts. Du selbst über dich selbst! Der allgemeine Fluch der Menschheit, Narretei und Dummheit möge in grossen Summen dir zufliessen! Der Himmel schütze dich vor einem Lehrer, und Erziehung bleibe dir fern! Dein Blut soll dir Führer sein bis zu deinem Tod. Wenn dann die Frau die dich zurechtmacht sagt, du seist eine schöne Leiche, so will ich schwören und schwören darauf, sie hat nie andre als Aussätzige eingewickelt . . . Amen! . . . Wo ist Achilles?

Pat. Was, bist du fromm? Warst du am Beten?

Ther. Ja, der Himmel erhör mich!

Achilles tritt auf

Ach. Wer ist da?

Pat. Thersites, Herr.

Ach. Wo, wo? Bist du da? Wie mein Käs, meine Verdauung, warum hast du dich bei mir seit so vielen Mahlzeiten nicht aufgetischt? . . . Sprich, was ist Agamemnon?

Ther. Dein Befehlshaber, Achilles! . . . Nun sag mir, Patroclus, was ist Achilles?

Pat. Dein Herr, Thersites . . . Nun sag mir bitte, was bist du selbst?

Ther. Dein Kenner, Patroclus . . . Nun sag mir, Patroclus, was bist du?

Pat. Das magst du sagen, der mich kennt.

Ach. O sag, sag!

Ther. Ich will die ganze Frage durchdeklinieren. Agamemnon befiehlt dem Achill, Achill ist mein Herr, ich bin des Patroclus Kenner und Patroclus ist ein Narr.

Pat. Du Schuft!

Ther. Still, Narr, ich bin noch nicht fertig.

Ach. Er hat alle Freiheit . . . Weiter, Thersites!

Ther. Agamemnon ist ein Narr, Achilles ist ein Narr, Thersites ist ein Narr, und wie gesagt Patroclus ist ein Narr.

Ach. Erkläre das, komm.

Ther. Agamemnon ist ein Narr, dass er dem Achilles befehlen will. Achilles ist ein Narr, dass er sich von Agamemnon befehlen lässt. Thersites ist ein Narr, dass er einem solchen Narren dient, und Patroclus ist ein tatsächlicher Narr.

Pat. Warum bin ich ein Narr?

Ther. Die Frage richte an deinen Schöpfer: mir genügt es dass du einer bist . . . Sieh, wer kommt hier?

Ach. Patroclus, ich will mit niemandem sprechen. Komm herein zu mir, Thersites. Ab.

Agamemnon, Ulysses, Nestor, Diomedes, Ajax treten auf

Ther. Das ist eine Pfuscherei, eine Schwindelei, eine Schufterei! Der ganze Gegenstand ist ein Hahnrei und eine Hure: eine gute Fehde, um neidische Parteien zu bilden und sich zu Tod zu bluten! Nun, die trockne Krätze auf die Geschichte, und Krieg und Buhlerei verderbe alle! Ab.

Aga. Wo ist Achilles?

Pat. In seinem Zelt, doch nicht ganz wohl, mein Herr.

Aga. Ihr mögt ihn wissen lassen dass wir hier sind.
Er schimpfte unsre Boten, und wir sehn
Von unsrer Würde ab bei dem Besuch.
Das meldet ihm, dass er nicht etwa denkt,
Wir wagten unsren Rang nicht zu erörtern,
Unkundig wer wir sind.

Pat.                                       Ich sag es ihm. Ab.

Ulys. Wir sahen ihn am Eingang seines Zelts:
Er ist nicht krank.

Ajax. Ja, löwenkrank, krank vor Hochmut. Ihr könnt es Trübsinn nennen, wenn ihr dem Mann wohl wollt. Aber bei meinem Kopf, es ist Hochmut. Aber warum, warum? Er soll uns den Grund zeigen! Ein Wort, mein Herr! Nimmt Agamemnon beiseit

Nes. Was reizt den Ajax ihn so anzukläffen?

Ulys. Achill hat ihm seinen Narren weggelockt.

Nes. Wen? den Thersites?

Ulys. Ja.

Nes. Dann wird es Ajax an Stoff fehlen, wenn er seinen Gegenstand verloren hat.

Ulys. Nein, ihr seht, sein Gegenstand ist der welcher seinen Gegenstand hat: Achilles.

Nes. Um so besser: lieber, sie schlagen sich als sie vertragen sich. Aber das war eine starke Eintracht die ein Narr entzweien konnte!

Ulys. Die Freundschaft die nicht Weisheit knüpft kann Narrheit leicht lösen . . . Hier kommt Patroclus.

Patroclus tritt auf

Nes. Ohne Achilles?

Ulys. Der Elefant hat Gelenke, aber nicht zum Knicksen. Seine Beine sind Beine fürs Bedürfnis, nicht für die Verbeugung.

Pat. Achilles sagt durch mich: es sei ihm leid,
Wenn etwas mehr als eure Lust und Laune
Eur Hoheit mit den Edeln hier bewog
Nach ihm zu sehn. Er hofft, es ist nichts andres
Als, der Gesundheit und Verdauung halb,
Nach Tisch ein Gang im Freien.

Aga.                                                   Hört, Patroclus:
Solch ein Bescheid ist uns nur zu bekannt,
Doch seine Ausflucht, so beschwingt mit Hohn,
Kann unserem Verständnis nicht entgehn.
Viel Gaben hat er, und wir vielen Grund
Sie anzurechnen: aber all sein Wert,
Wenn er ihn selbst nicht richtig werten kann,
Verliert in unsren Augen schon an Glanz,
Ja, wie die schöne Frucht auf ekler Schüssel,
Verfault er ungekostet. Geht und sagt ihm,
Man woll ihn sprechen, und ihr sündigt nicht,
Wenn ihr ihm sagt, man find ihn überdreist
Und unter-redlich, mehr im eignen Dünkel
Als vor dem Klarblick gross. Bessre als er gehn
Entgegen seiner wüsten Ungebühr,
Verhüllen ihr heilige Lenker-macht
Und unterzeichnen mit Ergebenheit
Sein launisch Herrschgelüst, ja, warten gar
Auf seine grilligen Zeiten, Ebb und Flut,
Als ginge Fahrt und Fracht des ganzen Kriegs
Auf seinen Wassern. Sagt das und fügt bei
Dass, wenn er seinen Preis so überschätzt,
Er für uns tot ist, wir wie ein Geschütz
Das stecken blieb ihn also liegen lassen:
»Setzt es ins Werk, sonst taugt es nicht zum Krieg!«
Ein rühriger Zwerg ist uns willkommener
Als ein verschlafner Riese. Sagt ihm das.

Pat. Ich wills und bringe seine Antwort gleich. Ab.

Aga. Die Stimme eines Zweiten gnügt uns nicht. Wir kamen zu ihm selbst . . . Ulyss, geht ihr! Ulysses ab

Ajax. Was ist er mehr als ein andrer?

Aga. Nicht mehr als er sich dünkt

Ajax. Ist er soviel? Denkt ihr nicht, er dünkt sich besser als mich.

Aga. Ohne Frage.

Ajax. Wollt ihr seinem Dünkel beistimmen und ja dazu sagen?

Aga. Nein, edler Ajax: ihr seid ebenso stark, so tapfer, so weise, nicht minder edel, viel feiner und insgesamt liebenswürdiger.

Ajax. Warum sollte jemand stolz sein? Woher stammt der Stolz? Ich weiss nicht was Stolz ist.

Aga. Euer Geist ist um so heller, Ajax, und eure Gaben um so schöner. Wer stolz ist frisst sich selbst auf. Stolz ist sein eigner Spiegel, seine eigene Posaune, sein eignes Geschichtsbuch, und jeder der sich rühmt ausser durch die Tat, verzehrt seine Tat durch das Rühmen.

Ajax. Ich verabscheue einen stolzen Menschen wie ich das Gehecke der Kröten verabscheue.

Nes. Beiseit: Und doch liebt er sich selbst – ists nicht sonderbar?

Ulysses kommt zurück

Ulys. Achilles will nicht in das Schlachtfeld morgen.

Aga. Was ist sein Grund?

Ulys.                                   Er gibt uns keinen an,
Er lässt sich nur vom Strom der Stimmung treiben,
Ist gegen jeden ohne Acht und Scheu
In Eigenwillen und in Sonder-rücksicht.

Aga. Wie, will er nicht auf unser freundlich Bitten
Aus dem Gehäus, die Luft mit uns zu teilen?

Ulys. Nichtigsten Dingen, nur damit man bitte,
Gibt er Gewicht. Von Grösse wie besessen,
Spricht er zu sich nur so als wär sein Stolz
Mit eignem Wort im Streit. Vermeinter Wert
Führt in ihm so geschwollene, hitzige Sprache,
Dass zwischen seines Geists und Körpers Kräften
Das Königreich Achills in Aufruhr rast
Und in sich selber stürzt. Was soll ich sagen?
So hat ihn Pest des Stolzes, dass die Beulen
Ausrufen »rettungslos«!

Aga.                                       Geh Ajax zu ihm!
Geht, teurer Herr, im Zelt ihn zu begrüssen.
Man sagt, er hält euch hoch, und euer Wunsch
Bringt ihn ein wenig von sich selber ab.

Ulys. O Agamemnon, lasst das nicht geschehn!
Wir wollen jeden Schritt des Ajax segnen
Der wegführt von Achill. Soll man den Stolzen,
Der seine Hoffart schmort im eignen Fett
Und sich kein Ding der Erde in den Kopf
Je kommen lässt als was ihn selbst herum
Bewegt und widerkaut – soll man ihn feiern
Durch ihn, dem unsre Andacht mehr gebührt?
Nein, dieser dreimal würdige, wahre Held
Darf nicht den schön errungnen Kranz entblättern
Noch, gehts nach mir, einjochen sein Verdienst
(So voll berechtigt wie Achilles ist)
Indem er zu Achilles geht.
Das hiesse den zu fetten Stolz noch spicken
Und Kohlen häufen auf den Krebs, wenn er
Zum Gruss dem grossen Hyperion brennt.
Der Herr hier zu ihm gehn! Verhüt es Zeus
Mit Donnerwort »Achilles geh zu ihm!«

Nes. Beiseit: O das ist gut gesagt, das kitzelt ihn!

Dio. Beiseit: Und wie sein Schweigen diesen Beifall trinkt!

Ajax. Ich geh zu ihm und mit der Eisenfaust
Schlag ich ihm ins Gesicht!

Aga. O nein, ihr sollt nicht gehn!

Ajax. Wenn er mir stolz kommt, strähl ich ihm den Stolz.
Lasst mich zu ihm!

Ulys. Nicht für das Gut worum der Streit sich dreht!

Ajax. Ein armseliger unverschämter Bursch!

Nes. Beiseit: Wie er sich selbst beschreibt!

Ajax. Kann er nicht höflich sein?

Ulys. Beiseit: Der Rabe schilt die Schwärze.

Ajax. Ich will seine Launen schröpfen.

Aga. Beiseit: Er will Arzt sein wo er Patient ist.

Ajax. Wenn alle so dächten wie ich –

Ulys. Beiseit: Dann käme der Verstand aus der Mode.

Ajax. – sollte ihm das nicht hingehn. Soll er erst die Klinge verschlucken!
Soll er mit Stolz alles fertig bringen?

Nes. Beiseit: Dann käme auf euch die Hälfte.

Ulys. Beiseit: Vielmehr zehn Anteile.

Ajax. Ich will ihn kneten, ich will ihn geschmeidig machen.

Nes. Beiseit: Er ist noch nicht ganz warm. Setzt ihm zu mit Lob!
Giesst nach, giesst nach! Sein Ehrgeiz ist trocken.

Ulys. zu Aga.: Mein Fürst, ihr nehmt dies Ärgernis zu schwer.

Nes. Mein edler Feldherr, das dürft ihr nicht tun.

Dio. Ihr müsst bereit zum Kampf sein ohn Achill.

Ulys. Ja, es verletzt ihn schon dass man ihn nennt . . .
Hier ist ein Mann – doch ihm ins Angesicht
Will ich mich still verhalten.

Nes.                                             Und warum?
Er ist kein solcher Neidling wie Achill.

Ulys. Hör alle Welt denn: er ist grad so tapfer!

Ajax. Ein verflixter Hund, uns so zu foppen! Wär er nur ein Trojaner!

Nes. Wie schlecht stünde es jetzt dem Ajax –

Ulys. Wenn er stolz wäre.

Dio. Oder ruhmbegierig.

Ulys. Ja, oder mürrisch.

Dio. Schroff oder selbstgefällig.

Ulys. Dem Himmel Dank! du bist von mildem Schlag.
Preis ihm der dich gezeugt, ihr die dich säugte!
Lob deinem Lehrer und, ob aller Schule,
Lob dreifach deinen angebornen Gaben!
Doch ihm, der deinen Arm zum Kampf geübt –
Es teile Mars die Ewigkeit entzwei
Und gebe ihm die Hälfte! Deine Kraft . . .
Stierträger Milo gebe seinen Ruhm
Dem sehnigen Ajax! Nichts von deiner Weisheit,
Die – Grenze, Zaun, Gestade – deine Gaben,
Die weit und breiten, einfasst . . . Hier ist Nestor,
Erzogen von der altehrwürdigen Zeit,
Er muss, er ist, er kann nichts sein als weise . . .
Verzeiht mir, Vater, wären eure Tage
Grün wie des Ajax, euer Hirn so lebhaft:
Ihr hättet nicht vor ihm den Vorrang, müsstet
Wie Ajax sein.

Ajax.                       Soll ich euch Vater nennen?

Nes. Ja, lieber Sohn.

Dio.                             Nehmt ihn zum Lenker, Ajax!

Ulys. Es gilt hier kein Verzug. Der Hirsch Achill
Hält sich im Dickicht. Unser grosser Feldherr
Berufe um sich seine ganze Schar!
Nach Troja kamen neue Fürsten. Morgen
Heisst es feststehn mit unsres Heeres Kern.
Hier ist der Mann . . . kommt, Herrn, von Ost zu Westen,
Pflückt eure Blume: Ajax schlägt den Besten.

Aga. Kommt mit zum Rat. Lasst den Achill der schlief!
Der Kahn mag schnell sein: schweres Schiff geht tief. Ab.

 


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