William Shakespeare
Mass für Mass
William Shakespeare

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Fünfter Aufzug

Erste Szene

Platz beim Stadttor: Mariana verschleiert, Isabella und Bruder Peter – Herzog, Varrius, Gefolge – Angelo Escalus, Lucio, Schliesser, Gerichtsdiener, Volk

Hzg. Mein hochgeschätzter Vetter, seid gegrüsst . . .
Willkommen, unser alter treuer Freund!

Ang. und Esc. Glück zu der Rückkehr eurer gnädigen Hoheit!

Hzg. Vielmals und herzlich danken wir euch beiden.
Wir haben uns erkundigt, und man sprach uns
So gut von eurer Rechtlichkeit, dass wir
Euch spenden müssen öffentlichen Dank,
Vorläufer weitern Lohns.

Ang.                                       Ihr bindet mich nur stärker.

Hzg. O, eur Verdienst spricht laut: ich tat ihm unrecht
Es in verschlossnen Busens Haft zu sperren,
Da es verdient in Buchstaben von Erz
Geschirmt zu bleiben vor dem Zahn der Zeit
Und löschendem Vergessen. Gebt mir die Hand,
Lasst es die Untertanen sehn und wissen
Dass äussre Freundlichkeit bekennen möchte
Die Gunst die drinnen wohnt . . . Kommt, Escalus,
Geht neben uns auf unsrer andren Seite . . .
Und gute Stützen seid ihr.

Bruder Peter und Isabella treten vor

Pet. Jetzt ist es Zeit. Sprecht laut und kniet vor ihm.

Isa. Gerechtigkeit, o Herzog! Senkt den Blick
Auf ein misshandelt – gerne sagt ich Mädchen!
O hoher Fürst, entehrt nicht euer Aug,
Indem ihr es auf andre Dinge werft,
Eh ihr mich hört mit meiner wahren Klage
Und ihr mir Recht verschafft habt, Recht, Recht, Recht!

Hzg. Klagt euer Leid: worin? von wem? Seid kurz.
Hier ist Lord Angelo, der schafft euch Recht:
Enthüllt euch ihm.

Isa.                               O hochgepriesner Fürst,
Ihr heisst mich Rettung suchen bei dem Teufel!
Hört mich ihr selbst. Denn was ich sprechen muss
Muss mich bestrafen, wenn man mir nicht glaubt,
Sonst euch zur Hilfe zwingen. Hört, o hört mich hier!

Ang. Mein Herr, ihr Geist, ich fürchte, ist nicht klar.
Sie kam zu mir in Sachen ihres Bruders,
Der starb nach Gang des Rechtes.

Isa.                                                         Gang des Rechtes!

Ang. Und sie wird sehr gereizt und seltsam sprechen.

Isa. Sehr seltsam, doch sehr wahrhaft werd ich sprechen.
Dass Angelo den Eid brach, ists nicht seltsam?
Dass Angelo gemordet, ists nicht seltsam?
Dass Angelo ein buhlerischer Dieb,
Ein Heuchler und ein Jungfraunschänder ist,
Ist es nicht seltsam, seltsam?

Hzg.                                                 Ja, es ist zehnmal seltsam.

Isa. Nicht wahrer ists dass er der Angelo,
Als all dies wahr ist wie es seltsam ist.
Ja, es ist zehnmal wahr. Wahrheit ist Wahrheit,
Solang man zählen wird.

Hzg.                                       Fort mit ihr . . . Ärmste!
Sie redet solches aus geschwächtem Geist.

Isa. O Fürst, lass dich beschwören! Wenn du glaubst
An noch ein andres Heil als diese Welt –
So übersieh mich nicht in dieser Meinung,
Ich sei vom Wahn gepackt! Mach nicht unmöglich
Was nur unglaublich scheint, 's ist nicht unmöglich:
Nein, jemand kann, als ärgster Schelm auf Erden,
Sich schüchtern stellen, ernst, gerecht, vollkommen
Wie Angelo . . . Grad so kann Angelo
Mit allen seinen Zierden, Titeln, Formen
Ein Erzhalunke sein. Glaub, hoher Fürst:
Wenn weniger, ist er nichts. Doch ist er mehr,
Hätt ich der Worte mehr für Schlechtheit.

Hzg.                                                                 Meiner Treu,
Wenn sie im Wahn spricht – wie ich sicher glaube –
Dann sieht ihr Wahn so seltsam aus nach Sinn . . .
Solch ein Zusammenhang von Ding mit Ding
Wie nie der Wahnsinn sprach.

Isa.                                                 O gnädiger Herzog,
Hängt daran nicht. Verbannt nicht die Vernunft
Wegen Unebenheit: nein, heisst Vernunft
Die Wahrheit kundtun die versunken scheint
Und Trug der Wahrheit scheint versenken.

Hzg.                                                                     Manchem nicht Tollen
Fehlt sicher mehr Vernunft . . . Was wollt ihr sagen?

Isa. Ich bin die Schwester Claudios . . . der ward
Verurteilt wegen des Vergehns der Unzucht
Zum Tod durchs Beil, von Angelo verurteilt.
Mich, einer Schwesterschaft Novizin, liess
Mein Bruder holen . . . ein gewisser Lucio
War damals Bote –

Luc.                                 Das bin ich, eur Gnaden.
Ich kam zu ihr von Claudio und bat sie
Ihr gutes Glück bei Angelo zu wagen
Für ihren armen Bruder.

Isa.                                         Ja, er wars.

Hzg. Es hiess euch niemand reden.

Luc.                                                   Nein, mein Herr,
Doch auch nicht still sein.

Hzg.                                         Nun, so tu ichs jetzt.
Das merkt euch, bitte, und wenn für euch selbst
Ihr ein Geschäft habt, bittet Gott, ihr mögt
Dann gut bestehn.

Luc.                               Ich bürge euer Gnaden.

Hzg. Den Bürgen braucht ihr selbst . . . nehmt euch in acht!

Isa. Der Herr hier sprach ein Wort zu meiner Sache.

Luc. Recht.

Hzg. Recht mag es sein, doch es ist falsch von euch,
Zu sprechen vor der Zeit . . . Fahrt fort.

Isa.                                                               Ich ging
Zu diesem tückischen Schurken von Verweser.

Hzg. Das ist ein wenig toll gesagt.

Isa.                                                 Verzeiht!
Die Wendung passt zur Sache.

Hzg. Schon wieder gut. »Zur Sache.« Fahrt fort.

Isa. Kurz – um unnötigen Bericht zu sparen,
Wie ich beredet, wie ich bat und kniete,
Wie er mich abwies und wie ich erwidert
(Denn dieses währte lang) – den schnöden Schluss
Beginn ich nun mit Gram und Scham zu künden:
Er wollte nur, wenn sich mein keuscher Leib
In seine sträflich brünstige Gier ergäbe,
Den Bruder lösen, und nach langem Streit
Erlag dem Schwester-mitleid meine Ehre,
Und ich willfahrte ihm. Doch nächsten Morgen früh,
Als er die Lust gebüsst, schickt er Befehl
Zu meines armen Bruders Tod.

Hzg.                                                   Sehr glaublich!

Isa. O, wenn es nur so glaublich wär als wahr!

Hzg. Bei Gott, du Närrin weisst nicht was du sprichst,
Bist gar bestochen durch gehässigen Anschlag
Auf seinen Ruf. Erst: seine Lauterkeit
Ist ohne Makel. Dann war ohne Sinn
Mit solcher Hitze Sünden zu verfolgen
Die auch er tut. Mit solchen Fehlern hätte
Er deinen Bruder nach sich selbst gewogen,
Nicht ihn geköpft. Man hat dich angestiftet.
Bekenn die Wahrheit, sag auf wessen Rat
Du hier zu klagen kamst.

Isa.                                         Und ist das alles?
O dann, ihr seligen Diener Gottes droben,
Bewahrt mir die Geduld und, reift die Zeit,
Enthüllt das Böse das sich hier verdeckt
Mit sichrem Halt. Gott schirme euch vor Weh,
Wie ich, so schwer gekränkt, verkannt nun geh!

Hzg. Ich weiss, ihr möchtet gerne gehn . . . Ein Häscher!
In Haft mit ihr! Soll so gestattet sein
Dass giftiger und lästerlicher Hauch
Den uns so Trauten trifft? Das muss ein Anschlag sein.
Wer weiss von eurem Plan und eurem Kommen?

Isa. Ich wollt, er wäre hier: der Bruder Ludwig.

Hzg. Es scheint, ein Beichtiger . . . Wer kennt den Ludwig?

Luc. Mein Herr, ich kenn ihn: ein betriebiger Mönch.
Ich mag ihn nicht. Als Laien hätt ich ihn
Für einige Reden gegen euer Hoheit,
Als ihr entfernt wart, gründlich durchgewalkt.

Hzg. Was, Reden gegen mich? Ein feiner Mönch!
Und hier dies jämmerliche Weib zu hetzen
Auf unsren Stellvertreter! . . . Sucht den Mönch!

Luc. Noch gestern nacht, Herr, sah ich im Gefängnis
Sie und den Mönch. Ein unverschämter Mönch!
Ein ganz ekliger Bursch!

Pet.                                         Heil euer Hoheit!
Ich stand dabei, mein Herr, und hab gehört
Dass man eur fürstlich Ohr betrog. Zunächst:
Dies Weib verklagt höchst unrecht den Verweser.
Er ist so frei von Fleck und Fehl mit ihr
Wie sie derselben ledig.

Hzg.                                       So stand es fest für uns.
Wisst ihr vom Bruder Ludwig, den sie nennt?

Pet. Ich weiss, er ist ein heiliger frommer Mann,
Nicht eklig, nicht ein weltlicher Betreiber,
Wie er von diesem Herrn geschildert wird,
Und meiner Seel, ein Mann der niemals noch,
Wie er versichert, euer Gnaden schmähte.

Luc. Herr, aufs abscheulichste, verlasst euch drauf.

Pet. Wohl: seinerzeit kann er sich selbst entlasten,
Doch augenblicklich liegt er krank, mein Herr,
An jähem Fieber. Bloss auf seinen Wunsch,
Weil er erfuhr, man wolle Klage führen
Gegen Lord Angelo, kam ich hierher,
Um als sein Mund zu sagen was er weiss
Als wahr und falsch, was er mit seinem Eid
Und allem Zeugnis ganz erhellen will,
Wenn man ihn vorlädt. Erstlich sollt ihr hören
Wie zur Rechtfertigung dieses würdigen Edlen,
So öffentlich und in Person Verklagten,
Dies Weib vor ihren Augen widerlegt wird,
Bis sie es selbst bekennt.

Hzg.                                         Sprich, lieber Mönch.
    Isabella wird von der Wache abgeführt – Mariana tritt vor
Ihr lächelt dazu nicht, Lord Angelo?
O Gott, die Eitelkeit der armen Narrn! . . .
Bringt Stühle her. Kommt, Vetter Angelo,
Hier bleib ich unbeteiligt. Seid ihr Richter
In eigner Sache . . . Mönch, ist das die Zeugin?
Sie zeig erst ihr Gesicht und spreche dann.

Mar. Vergebt, Herr, mein Gesicht werd ich nicht zeigen,
Bis michs mein Gatte heisst.

Hzg.                                             Wie, seid ihr vermählt?

Mar. Nein, mein Herr.

Hzg.                             Seid ihr Mädchen?

Mar.                                                             Nein, mein Herr.

Hzg. Dann Witwe?

Mar.                       Auch nicht, Herr.

Hzg.                                                   Wie, also seid
Ihr gar nichts, weder Witwe, Weib noch Mädchen?

Luc. Herr, sie mag eine Metze sein: denn manche von ihnen sind
weder Witwe, Weib noch Mädchen.

Hzg. Schweigt diesen Burschen! Hätte er doch Grund
Zu schwatzen für sich selbst!

Luc. Wohl, mein Herr.

Mar. Herr, ich bekenne, ich war nie vermählt,
Und ich bekenne auch, ich bin kein Mädchen.
Ich kenne meinen Mann, doch unbekannt
Ist ihm dass er mich je erkannt.

Luc. Dann war er betrunken, Herr, es ist nicht anders möglich.

Hzg. Um vor dir Ruh zu haben – wärst nur du es auch!

Luc. Wohl, mein Herr.

Hzg. Dies ist kein Zeugnis für Lord Angelo.

Mar. Jetzt komm ich drauf, mein Herr:
Sie, welche ihn der Buhlerei beschuldigt,
Bezichtigt gleicherweise meinen Mann,
Und sie bringt vor, mein Fürst, dieselbe Zeit
Wo ich – bezeug ich – ihn im Arme hielt
Mit aller Tat der Liebe.

Ang. Klagt sie noch andre an?

Mar.                                           Nicht dass ich wüsste.

Hzg. Niemand? Ihr sagt doch, euren Mann?

Mar. Ja eben, Herr, und das ist Angelo.
Er meint, er weiss dass er mich nie erkannt,
Doch weiss, meint er, er kannte Isabella.

Ang. Ein sonderbarer Trug! Zeig dein Gesicht!

Mar. Mein Gatte wills: nun werd ich mich entschleiern.
Sieh dies Gesicht, grausamer Angelo:
Ehmals, wie du mir schwurst, des Anschauns wert!
Sieh diese Hand die beim gelobten Bund
Sich fest in deine schloss! Sieh hier den Leib
Der Isabellen ihres Gangs enthob
Und dich in deinem Gartenhaus bediente
An der Gewähnten Statt.

Hzg.                                       Kennst du dies Weib?

Luc. Fleischlich, sagt sie.

Hzg.                                 Du, Bursch, nicht weiter!

Luc. Genug, mein Herr!

Ang. Mein Herr, ich muss gestehn, ich kenne sie,
Und vor fünf Jahren war von Eh die Rede
Zwischen uns beiden: dies ward abgebrochen,
Zum Teil weil ihr versprochnes Heiratsgut
Zurückblieb hinter dem Beding, doch deshalb
Hauptsächlich, weil ihr Ruf gelitten hatte
Durch leichten Wandel. Während der fünf Jahre
Sprach ich sie nie, sah, hörte nichts von ihr,
Bei meiner Treu und Ehre!

Mar.                                           Edler Fürst,
Wie Licht vom Himmel kommt und Wort vom Hauch,
Wie Wahrheit Sinn und Tugend Wahrheit hegt:
Ich bin dem Mann hier angetraut so fest
Als Worte binden – und, mein gnädiger Fürst,
Erst Dienstag nacht in seinem Gartenhaus
Erkannt er mich als Weib. So wahr dies ist,
Lasst wohlbehalten aufstehn mich vom Knien,
Sonst will ich ewig angebannt hier sein –
Ein marmorn Mal.

Ang.                             Ich lächelte bis jetzt.
Jetzt, gütiger Fürst, gewährt mir Raum fürs Recht,
Hier reisst mir die Geduld. Ich merke nun,
Die armen überspannten Weiber sind
Nur Mittel eines mächtigeren Arms
Der auf sie wirkt. Herr, lasst mir freie Bahn
Den Anschlag zu entdecken.

Hzg.                                               Ja, mit Freuden,
Und sie zu züchtigen nach Herzenslust . . .
Du, dummer Mönch, du, unheilstiftend Weib,
Im Bund mit der die ging, meinst du, dein Eid,
Und schwürst du jeden Heiligen eigens her,
Sei Zeugnis gegen dessen Wert und Ruf
Der durch die Probe sie besiegelt? . . . Escalus,
Setzt euch zu ihm. Mit eurer gütigen Müh
Helft ihm entdecken wo der Trug entspringt.
Ein andrer Mönch noch ist es der sie treibt . . .
Man soll ihn rufen.

Pet. Wär er doch hier, mein Herr! Denn freilich er
Treibt diese Frauen an zu ihrer Klage.
Eur Schliesser kennt den Ort wo er verweilt
Und kann ihn holen.

Hzg.                                 Tut es unverzüglich. Schliesser ab
Und ihr, mein edler wohlbewährter Vetter,
Dem anliegt diese Sache ganz zu hören,
Belegt was man euch antat nach Belieben
Mit jeder Strafe. Ich verlass euch jetzt
Ein Weilchen . . . doch ihr geht nicht, bis ihr ganz
Mit den Verleumdern aufgeräumt.

Esc. Mein Herr, wir werdens gründlich tun. Herzog ab Signor Lucio, sagtet ihr nicht, ihr wüsstet, der Bruder Ludwig sei kein ehrlicher Mann.

Luc. Cucullus non facit monachum: ehrlich in nichts als in seiner Tracht . . . und er hat sehr garstige Reden gegen den Herzog geführt.

Esc. Wir bitten euch hierzubleiben, bis er kommt, und dies ihm gegenüber zu bestätigen. Wir werden in diesem Mönch einen berüchtigten Burschen finden.

Luc. Wie keiner sonst in Wien, auf mein Wort.

Esc. Ruft diese Isabella noch einmal vor . . . ich möchte mit ihr sprechen . . . Bitte, Herr, erlaubt mir sie zu verhören. Ihr sollt sehn wie ich sie anfasse.

Luc. Nicht besser als er, nach ihrer eignen Aussage.

Esc. Ihr meint?

Luc. Freilich, Herr, ich denke, wenn ihr sie abseits anfasst, wird sie rascher zugeben: öffentlich wird sie sich schämen.

Diener kommen mit Isabella zurück

Esc. Ich will sie im Dunkel herumführen.

Luc. Das ist gut: Weiber sind bei Nacht am leichtesten zu behandeln.

Esc. Kommt her, Dämchen. Dieses Fräulein bestreitet alles was ihr gesagt habt.

Luc. Mein Herr, hier kommt der Schurke von dem ich sprach, hier mit dem Schliesser.

Esc. Grad zur rechten Zeit. Sprecht nicht mit ihm, bis wir euch auffordern.

Luc. Hmhm.

Der Herzog als Mönch verkleidet und der Schliesser treten auf

Esc. Kommt, Mann: habt ihr diese Weiber angestiftet Lord Angelo zu verleumden? Sie haben das gestanden.

Hzg. 's ist falsch.

Esc. Wie, wisst ihr wo ihr seid?

Hzg. Achtung vor eurem Hochsitz . . . auch der Teufel
Wird oft geehrt für seinen Flammenthron!
Wo ist der Herzog? Er muss mich vernehmen.

Esc. Er ist in uns: wir werden euch vernehmen.
Sprecht ihr nur richtig.

Hzg. Mutig zum mindesten . . . Doch o ihr Ärmsten!
Kommt ihr das Lamm zu fordern hier vom Fuchs?
Gut Nacht dann, Hilfe! Ist der Herzog weg?
Dann ists auch eure Sache. Er tut unrecht
Dass er so abweist eure offne Klage
Und das Verhör legt in des Schelmen Mund
Den ihr beschuldigen wollt.

Luc. Das ist der Schurke, er von dem ich sprach.

Esc. Wie, unehrbarer und unfrommer Mönch,
Ists nicht genug, die Frauen hier verleiten
Zu dieses würdigen Mannes Unglimpf, dass du
Mit schnödem Mund vor seinen eignen Ohren
Ihn Schelmen nennst? und dann von ihm zu schielen
Zum Herzog selbst und ihn des Unrechts zeihn?
Hinweg! Zur Folter mit ihm! Glied für Glied
Zerreisst ihm, bis wir seine Absicht kennen.
Was! »Ungerecht!«

Hzg.                               Seid nicht so rasch: der Herzog
Darf mehr nicht einen Finger an mir renken
Als an sich selbst. Ich bin nicht seines Lands
Noch dieses Bistums. Mein Geschäft im Staat
Liess mich Zuschauer werden hier in Wien,
Wo ich Verderbnis brau'n und brodeln sah
Bis übern Rand: Gesetz für jeden Frevel,
Doch Frevel so gedeckt, dass streng Gebot
Vorschriften in den Baderstuben gleicht:
Nicht mehr zur Warnung als zum Witz.

Esc. Schmähung des Staates! Weg mit ihm zum Kerker!

Ang. Was wisst ihr gegen ihn, Signor Lucio?
Ist ers von dem ihr spracht?

Luc. Ja, Herr . . . Kommt her, Gevatter Kahlkopf, kennt ihr mich?

Hzg. Ich entsinne mich euer beim Klang eurer Stimme. Ich traf euch im Gefängnis, als der Herzog weg war.

Luc. So, ihr traft mich? Und entsinnt ihr euch was ihr vom Herzog sagtet?

Hzg. Ganz genau, Herr.

Luc. So, Herr? Und war der Herzog ein Dirnenjäger, ein Narr und ein Feigling, wofür ihr ihn damals ausgabt?

Hzg. Ihr müsst mit mir die Person tauschen, eh ihr das zu meiner Aussage macht. Ihr spracht allerdings so von ihm, und noch viel mehr und viel schlimmer.

Luc. O du Galgengesell, gab ich dir nicht Nasenstüber für deine Rede?

Hzg. Ich beteure, ich liebe den Herzog wie mich selbst.

Ang. Gebt acht wie der Schurke jetzt einlenken möchte nach seinen verräterischen Schmähungen.

Esc. Mit so einem Burschen spricht man nicht. Fort mit ihm ins Gefängnis! Wo ist der Schliesser? Fort mit ihm ins Gefängnis! Legt ihn gehörig in Ketten, lasst ihn nicht mehr sprechen! Und fort mit diesen Dirnen und dem andren Spiessgesellen! Der Schliesser legt Hand an den Herzog

Hzg. Wart, Freund, wart ein wenig!

Ang. Was, wehrt er sich? Helft ihm, Lucio!

Luc. Kommt nur, kommt nur, kommt nur! Puh! Ei, ihr kahlköpfiger lügnerischer Schurke, müsst ihr euch Verkappen, ja? Zeigt euer Spitzbuben-gesicht, und zum Henker mit euch! Zeigt euer Schafspelz-gesicht und lasst euch gleich hängen! Wills nicht herunter? Zieht dem Mönch die Kapuze ab und enthüllt den Herzog

Hzg. Der erste Schelm der einen Herzog machte . . .
Erst, Schliesser, bürg ich für die edlen Drei . . .
Zu Luc.: Schlüpft nicht davon, Mann: denn der Mönch hat gleich
Ein Wort mit euch zu sprechen . . . Nehmt ihn fest!

Luc. Das kann schlimmer werden als Hängen.

Hzg. zu Escalus: Was ihr gesagt vergeb ich. Setzt euch nieder,
Wir borgen seinen Platz. Zu Angelo: Herr, ihr erlaubt . . .
Hast du noch Witz, noch Wort, noch Dreistigkeit,
Um dir zu dienen? Wenn du welche hast,
Nimm sie zu Hilfe, eh mein Spruch erging,
Und mach dem Spiel ein End.

Ang.                                               Gestrenger Fürst!
Ich wäre schuldiger als meine Schuld,
Dächt ich mich undurchdringbar, da ich sehe,
Eur Hoheit hatte, als ein göttlich Wesen,
Mein Tun bewacht. Drum, gütiger Fürst, sitzt länger
Nicht über meine Schande zu Gericht,
Nein, mein Verhör sei meine eigne Beichte.
Unmittelbaren Spruch und raschen Tod
Wünsch ich als einzige Gnade.

Hzg.                                                 Kommt, Mariana . . .
Sag, warst du je verlobt mit dieser Frau?

Ang. Ich wars, mein Herr.

Hzg. So nimm sie mit, heirate sie sogleich . . .
Mönch, ihr verseht das Amt. Wenn dies geschehn,
Bringt ihn hierher zurück . . . Geht mit ihm, Schliesser.

Angelo, Mariana, Bruder Peter, Schliesser ab

Esc. Mein Fürst, ich staune mehr vor seiner Schande
Als ihrer Seltsamkeit.

Hzg.                                   Komm, Isabella,
Dein Mönch ist nun dein Fürst . . . so wie ich jüngst
Berater war und heilig dir zur Seite,
Tausch ich das Herz nicht mit der Tracht und diene
Dir stets als Anwalt.

Isa.                                 O vergebt dass ich
Als Untertan die unbekannte Hoheit
Verwendet und bemüht.

Hzg.                                       Euch ist vergeben, Isabella.
Und jetzt, mein Kind, seid grad so frei mit uns.
Ich weiss, des Bruders Tod drückt euer Herz.
Ihr staunt vielleicht dass ich mich so vermummte
Im Streben ihn zu retten und nicht lieber
Rasch Einhalt tat mit der verborgnen Macht
Als ihn verderben liess. O liebstes Mädchen,
Es war die hastige Schnelle seines Tods,
Den ich mit trägerm Gang erwartet hatte,
Was meinen Plan zerschlug. Doch ruh er sanft!
Ein bessres Leben, frei von Todesfurcht,
Ist dies als fürchtend Leben. Seis eur Trost:
Dies Glück hat euer Bruder.

Isa. Ja, mein Herr.

Angelo, Mariana, Schliesser kommen

Hzg. Dem Neuvermählten der hier kommt, der schon
Durch brünstigen Gedanken sich verging
An eurer wohlverwahrten Ehre, müsst ihr
Verzeihn, um Marianen: doch – mit eurem Bruder –
Ist er Verbrecher durch zwiefachen Bruch
Von heiliger Keuschheit und gegebnem Wort
(Daran geknüpft für eures Bruders Leben)
Und selbst die Gnade des Gesetzes ruft
Höchst deutlich, wie aus seinem eignen Mund:
»Ein Angelo für Claudio, Tod für Tod,
Ernst wird mit Ernst bezahlt und Spass mit Spass,
Gleiches steht ein für Gleiches, Mass für Mass.«
So, Angelo, ist deine Schuld denn klar –
Verneinst du sie auch, sie verneint den Fürspruch
Du bist verurteilt zu demselben Block
Wo Claudios Haupt fiel, und mit gleicher Schnelle . . .
Hinweg mit ihm!

Mar.                           O mein huldreichster Herr,
Ich hoff, ihr höhnt mich nicht mit einem Gatten.

Hzg. Eur Gatte höhnte euch mit einem Gatten.
Bedacht auf die Beschützung eurer Ehre,
Glaubt ich die Heirat nötig: dass kein Anwurf,
Er habe euch erkannt, eur Dasein schmäle
Und späterm Glück im Weg sei. Seine Güter,
Wenngleich durch Einziehung sie unser sind,
Sind euch von uns als Wittum ausgesetzt,
Euch einen bessern Mann zu kaufen.

Mar.                                                             Teurer Herr,
Ich fordre keinen andren, keinen bessern.

Hzg. Nicht diesen fordert mehr, wir sind entschlossen.

Mar. Mein edler Fürst . . .

Hzg.                                 Verliert nicht eure Müh . . .
Hinweg mit ihm zum Tod! zu Lucio: Nun, Herr, zu euch!

Mar. O lieber Herr! . . . Helft, süsse Isabella,
Leiht mir die Knie, und all mein künftig Leben
Will ich euch leihn, euch lebenlang zu dienen.

Hzg. Ganz wider allen Sinn dringt ihr in sie.
Wenn sie um Mitleid kniet für diese Tat,
Sprengt ihres Bruders Geist sein steinig Bett
Und rafft sie weg im Grausen.

Mar.                                                 Isabella,
O kniet doch mit mir, süsse Isabella!
Hebt eure Hände, sprecht nichts, ich sag alles.
Es heisst, der Beste sei geformt aus Schuld
Und werde meist um so viel besser als er
Ein wenig schlecht war: so vielleicht mein Gatte.
O Isabella, leiht ihr mir kein Knie?

Hzg. Er stirbt für Claudios Tod.

Isa.                                             Mildreichster Herr:
Seht, mit Vergunst, auf diesen schuldigen Mann,
Als wenn mein Bruder lebte. Beinah glaub ich
Dass volle Rechtlichkeit sein Tun gelenkt,
Bis er mich angeschaut. Da dem so ist,
Lasst ihn nicht sterben. Meinem Bruder ward
Nur Recht, weil er das tat wofür er starb.
Doch Angelo –
Sein Werk erreichte nicht die böse Absicht
Und muss begraben werden nur als Absicht
Die unterwegs verdarb. Gedanken sind nicht Dinge,
Absichten nur Gedanken.

Mar.                                         Herr, bloss dies.

Hzg. Dies Flehen frommt euch nichts, steht also auf . . .
Mir fällt da noch ein andrer Fehler ein:
Schliesser, wie kams dass man Claudio enthauptet
Zu ungewohnter Frist?

Schl.                                   Es ward verlangt.

Hzg. Bekamt ihr dazu richtigen Befehl?

Schl. Nein, gütiger Herr, persönliches Geheiss.

Hzg. Dafür entlasse ich euch aus dem Dienst.
Gebt eure Schlüssel.

Schl.                                 Edler Herr, verzeiht.
Es schien mir ein Versehn, doch wusst ichs nicht.
Auch reut' es mich nach bessrer Überlegung.
Nehmt zum Beweis dess, dass ich einen Sträfling
Der durch geheim Geheiss sonst sterben sollte
Am Leben liess.

Hzg. Wer ist es?

Schl.                   Er heisst Bernardin.

Hzg. Hättet ihrs nur bei Claudio so gemacht!
Geht, holt ihn her . . . wir wünschen ihn zu sehn. Schliesser ab

Esc. Mich schmerzt dass ein so Kundiger und so Weiser,
Wie ihr, Lord Angelo, euch stets gezeigt,
So gröblich irrte, erst im Brand des Bluts
Und nachher im Verlust gerechten Masses.

Ang. Mich schmerzt es dass ich solchen Schmerz bereite,
Dies haftet mir so fest im reuigen Herzen,
Dass mich nach Tod verlangt mehr als nach Gnade.
Ich habe ihn verdient und bitte drum.

Schliesser kommt zurück mit Bernardin, dem vermummten Claudio und Julia

Hzg. Welcher ist Bernardin?

Schl.                                     Der hier, mein Herr.

Hzg. Ein Mönch erzählte mir von diesem Mann . . .
Man sagt, du habest ein verstocktes Herz,
Das über diese Welt hinaus nichts fühle,
Und lebest dergestalt. Du bist verurteilt.
Doch deine irdische Schuld erlass ich ganz
Und heisse dich mit dieser Gnade sorgen
Für bessre Zukunft . . . Bruder, unterweist ihn,
Ich lass ihn euch . . . Wer ist hier der Vermummte?

Schl. Ein andrer Sträfling welchen ich gerettet:
Er sollte sterben, als man Claudio köpfte –
So gleich dem Claudio beinah wie er selbst. Enthüllt Claudio

Hzg. Ist er gleich eurem Bruder: seinethalb
Sei ihm verziehn . . . und eurer Anmut halb
Gebt mir die Hand und sagt, ihr seid die Meine,
So ist er auch mein Bruder. Doch davon hernach! . . .
Dies zeigt dem Angelo, er ist gerettet . . .
Mich dünkt, es regt sich neu in seinem Aug.
Ja, Angelo, eur Böses endet gut.
Liebt euer Weib, seid ihres Wertes wert.
Ich fühle zur Erlassung mich geneigt . . .
Doch einem hier, dem kann ich nicht verzeihn.
Zu Lucio: He, ihr, der mich gekannt als Narrn, als Memme,
Als Wüstling durch und durch, als Vieh, als Irren:
Womit hab ichs um euch verdient
Dass ihr mich so erhebt?

Luc. Meiner Treu, Herr, ich sprach alles nur in der Laune. Wenn ihr mich dafür hängen wollt, so tut es, aber lieber wäre mirs, es würde euch gefallen mich peitschen zu lassen.

Hzg. Zuerst gepeitscht und dann gehängt . . .
Verkünd es, Schliesser, durch die ganze Stadt:
Wenn dieser wüste Bursch ein Weib entehrt
(Ich hört ihn selber schwören dass er eine
Geschwängert hat) so solle sie erscheinen:
Er muss sie nehmen. Nach vollzogner Trauung
Wird er gepeitscht und dann gehängt.

Luc. Ich ersuche euer Hoheit, verheiratet mich nicht mit einer Hure. Eure Hoheit sagte eben jetzt, ich habe euch zum Herzog gemacht: mein lieber Herr, vergeltet mirs nicht, indem ihr mich zum Hahnrei macht.

Hzg. Bei meiner Ehre, du sollst eine nehmen.
Dein Schmähn vergeb ich und erlasse dir
Hiermit die andren Bussen. Führt ihn in Haft
Und sorgt für die Vollstreckung unsres Willens.

Luc. Eine Vettel heiraten, Herr, heisst zu Tod gequetscht, gepeitscht und gehängt werden.

Hzg. Die Lästerung des Fürsten hats verdient . . .
Claudio, wo du entehrt hast mach es gut . . .
Glück euch, Mariana! . . . Liebt sie, Angelo:
Ich kenne als ihr Beichtiger ihre Tugend . . .
Dank dir, Freund Escalus, für all dein Gutes!
Dahinter steht noch weitere Anerkennung . . .
Dank, Schliesser, deiner Sorgfalt, deinem Schweigen!
Wir brauchen dich auf einem höhern Platz.
Vergib ihm, Angelo, dass er den Kopf
Des Ragozin statt Claudios dir gebracht.
Dies spricht sich selbst frei . . . Teure Isabella,
Noch hab ich ein Gesuch zu eurem Besten,
Und möchtet ihr ein willig Ohr ihm leihn,
So wird was mein ist euch, was euch ist mein . . .
Auf zum Palast, wo ihr erzählt bekommt
Was, dunkel noch, euch all zu wissen frommt. Ab.

 


 


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