William Shakespeare
Ein St. Johannis Nachts-Traum
William Shakespeare

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Zweyter Auftritt.

Lysander und Hermia bleiben.

Lysander.
Wie? meine Liebe? wie ist deine Wange
So blaß? warum verwelken ihre Rosen?

Hermia.
Vielleicht weil sie des Regens mangeln,
Woraus ich aus den Wolken meiner Augen
Sie reichlich überthauen könnte.

Lysander.
Hermia; so viel ich in Geschichten las,
Und aus Erzählung hörte, floß der Strom
Der wahren Liebe niemals sanft dahin.
Entweder hemmte ihn des Standes, oder
Der Jahre Abstand, oder Widerwille
Der Anverwandten; und wenn ja die Wahl
Der Liebenden durch ihre Sympathie
Beglükt zu seyn versprach, so stellte sich
Krieg, Krankheit oder Tod dazwischen
Und macht' ihr Glük vergänglich wie der Schall,
Flüchtig wie Schatten, kurz als wie ein Traum,
Vorüberfahrend wie der helle Bliz
In einer schwarzen Nacht, der Erd und Himmel
In einem Wink enthüllt, und eh noch einer Zeit hat
Zu sagen: Sieh! schon von dem offnen Schlunde
Der Finsterniß verschlungen ist.
So eitel sind die Dinge, die am schönsten glänzen!

Hermia.
Wenn denn getreue Liebe jederzeit
Durch Wiederwärtigkeit geprüfet wurde,
Und diß der feste Schluß des Schiksals ist;
So laß uns unsre Prüfung mit Geduld
Besteh'n, weil Widerwärtigkeit und Leiden
Ein eben so gewöhnlichs Zugehör
Der Liebe ist, als Staunen, Träume, Seufzer,
Wünsche und Thränen, das gewöhnliche
Gefolg der liebeskranken Phantasie.

Lysander.
Ein guter Glaube! Höre mich dann, Hermia.
Nur sieben Stadien von Athen entfernt
Wohnt eine meiner Basen, reich, verwittwet,
Und kinderlos. Sie hält und liebet mich
Wie ihren eignen Sohn. Dort, schönste Hermia,
Dort kan ein ewig Bündniß uns vereinen,
Und bis dorthin kan auch Athens Gesez
Uns nicht verfolgen. Liebest du mich also,
So schleiche morgen Nachts aus deines Vaters Hause
Dich weg, in jenen Wald, nah' bey Athen,
Wo ich dich einst mit Helena gefunden,
Als ihr des ersten Maytags Ankunft feyrtet.

Hermia.
Ach! mein Lysander!

Lysander.
Zaudert Hermia? – –

Hermia.
Nein!
Bey Amors stärkstem Bogen schwör ich dir,Der Dr. Warbürton fand, daß Hermia sich zu schnell, und was das schlimmste ist, auf den ersten Antrag, durch eine Reihe von Eyden verbinde, mit dem Lysander davon zu lauffen. Er glaubt, daß Shakespear nicht fähig gewesen einen solchen Fehler zu machen, und schreibt also allen alten und neuen Ausgaben unsers Dichters zuwider, diese schöne Rede: (Bey Amors stärkstem Bogen,) u.s.w. dem Lysander, und nur die zween lezten Verse der Hermia zu. Meine Empfindung widerspricht hier den Vernunftschlüssen des Kunstrichters. Ich finde eine solche Weiblichkeit in dieser Rede, daß sie mit Anständigkeit nur von Hermia gesagt werden kan. Empfindende Leserinnen mögen den Ausspruch thun. Damit aber doch das von Warbürton in dem Text vermißte Decorum gerettet werde, habe ich nach seinem Beyspiel die Freyheit gebraucht, auf die Worte Hermias, my good Lysander, den Lysander sagen zu lassen: Zaudert Hermia? welches er im Englischen nicht sagt. Worauf dann Hermia, als ob sie sich recolligire, erwiedert: Nein! bey Amors u.s.w.
Beym schärfsten seiner goldgespizten Pfeile,
Lysander, bey der unschuldvollen Einfalt
Der Dauben, die der Venus Wagen ziehen,
Beym Feuer das Carthagos Königin
Verzehrte, da sie mit geblähten Seegeln
Den ungetreuen Troyer fliehen sah;
Bey dem was Seelen an einander küttet,
Bey jedem Schwur, den je ein Mann gebrochen,
Bey mehr als Mädchen jemals ausgesprochen;
An jenem Plaz, im Schatten jener Linden,
Sollt du mich zur bestimmten Stunde finden.

Lysander.
Vergiß nicht dein Versprechen, holde Liebe.
Schau, hier kömmt Helena.


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