Mendele Moicher Sforim
Die Fahrten Binjamins des Dritten
Mendele Moicher Sforim

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Binjamin tut sich mit Senderl, genannt das »Weib«, zusammen

Man sollte meinen, daß die Geschehnisse, von denen Binjamin betroffen wurde, die seinem Weibe so viel Kummer und in der Stadt, hinterm Ofen im Bethaus und auf der obersten Bank im Männerbad ein solches Gerede der Leute verursacht hatten, ihm jeden Gedanken an Reisen in die fernen Länder für immer aus dem Kopf hätte schlagen müssen. Weit gefehlt. Er begann, sich selbst mit Respekt zu betrachten, als einen erfahrenen Mann, der mancherlei im Leben ausgestanden, er fing an, sich für einen Helden zu halten, für einen großen Wissenden, einen in alle sieben Weisheiten Eingeweihten, soviel ihrer in der Schrift »Schatten der Welt« nur enthalten sind; als einen Mann, der sich aus ähnlichen Büchern vollgesogen und von allen Geschehnissen der Welt Kunde hat. Er hegte jetzt Verständnis für sich und Bedauern darüber, daß ein Mensch wie er, wie eine »Rose ins dornige Gestrüpp« verschlagen sei und wohin? Nach Tunejadowka, in ein solch abgelegenes Nest, unter unwissende Menschen, die nichts verstehen, ja von ihrem eignen Leben nichts wissen! Das Gerede der Leute und die Witze, die über ihn im Umlauf waren, trieben ihn an, sich auf den Weg zu machen. »Wenn ich es nur schon erlebte«, dachte er oft, »dahin – in die Ferne zu gelangen und glücklich, mit Trost und Hilfe für alle Juden zurückzukehren, hochgeehrt und berühmt in der Welt, dann wird ganz Tunejadowka, groß und klein, erfahren, wer ich, Binjamin, bin, was ich, Binjamin, bedeute.«

Indessen hielten Binjamin nur einige kleine Hindernisse zurück: erstens, woher Reisegeld nehmen? Er selbst hatte nie einen Heller in der Tasche, er saß müßig im Bethaus, und seine Angetraute war die Schafferin, die Ernährerin als Inhaberin eines kleinen Standes auf dem Markt, den sie sich eingerichtet, bald nachdem das junge Paar aus Kost und Quartier bei den Eltern entlassen worden war. Aber, was war schon der ganze Kram wert? Hätte sie dazu nicht noch Socken gestrickt, spät in den Winternächten Federn geschlissen, Schmalz ausgekocht, um es für Pejssech zu verkaufen, an Markttagen nicht bei Bauern, die ihr freundlich gesinnt waren, wohlfeile Einkäufe gemacht, so wäre im Haus nicht genug dagewesen, um die liebe Seele am Leben zu erhalten. Sollte er etwas von seiner Einrichtung verkaufen, doch was war denn schon da? Zwei Messingleuchter, die seine Frau Selde von ihren Eltern geerbt, über denen sie den Lichtersegen spricht und die blank zu putzen ihr stets so viel Freude macht. Schmuck besitzt sie keinen, außer einem silbernen Ringlein mit einer Perle, die noch aus dem Stirnband ihrer Mutter stammt. Sie hält es verschlossen und steckt es nur gelegentlich einer großen Feier an, oder wenn sie einen Gratulationsbesuch macht. Sollte er von seinen eignen Kleidern etwas verkaufen? Er besaß aber nur eine Kapote aus Atlas für den Sabbat noch von seiner Hochzeit her; sie war hinten und vorne zerschlissen und ließ das gelbe Futter sehen. Zwar besaß er noch einen Pelz, der war aber innen schon ganz kahl und als Kragen war nur die Unterlage da. Bei Binjamins Hochzeit nämlich hatte sein seliger Vater angeordnet, nicht zu sparen, im Gegenteil einen recht ansehnlichen, vollen Kragen zu machen und ihn vorläufig mit einem Stück Futter zu besetzen, das von der Kapote übriggeblieben war, und sich feierlich verpflichtet, den Kragen, so Gott will, mit Feh beziehen zu lassen, sobald er den Rest der Mitgift hinterlegt haben würde. Er hatte aber die Mitgift nicht hinterlegt, und so blieb der Kragen, wie er war, bis auf den heutigen Tag. Zweitens wußte Binjamin nicht, wie er es anstellen sollte, sein Heim zu verlassen. Mit seinem Weibe über die Reise sich offen auszusprechen und ihr deutlich seine Absicht kundzutun – behüte und bewahre! Welch ein Geschrei und Getobe würde da anheben, ein Tränenstrom sich über ihn ergießen: er sei rein verrückt! Woher auch hätte ein Weib den Verstand, um solche Dinge zu begreifen? Ein Weib, und sei es noch so tüchtig, bleibt doch nur ein Weib; auch der geringste Mann hat mehr Weisheit im kleinen Finger als das klügste und beste Weib im ganzen Kopf! Heimlich sich davonzumachen, ohne Abschied, geht gegen das Gefühl, das riecht nach litauischer Manier. Aber zu Hause bleiben und auf die Reise überhaupt verzichten, ist wieder ganz unmöglich, das hieße so viel wie das Leben aufgeben. Wie ein Jude täglich dreimal beten muß, so mußte Binjamin immerfort an die Reise denken, selbst im Schlaf kam sie ihm nicht aus dem Sinn, sie beherrschte seine Träume. Es konnte geschehen, daß er plötzlich mitten im Gespräch die Worte: Indien, Sambatjen, Antikuda, Vipernatter, Lindwurm, Esel, Maulesel, Johannisbrot, Mannaspeise, Türke, Tatar, Räuber und dergleichen hervorstieß. Die Reise mußte unternommen werden! Er fühlte, er hätte jemand nötig, mit dem er sich darüber aussprechen und beraten könnte.

Ein Mann lebte in Tunejadowka, und sein Name war Senderl nach seinem Urgroßvater Reb Senderl. Senderl war ein einfacher Mensch, das heißt, ein schlichter, ohne Fürwitz. Im Bethaus hatte er seinen Platz hinter dem Balemmer, woraus allein man schon klar ersehen kann, daß er nicht dem vornehmen Clan von Tunejadowka, nicht der Fettschicht und der »goldnen Fahne« dort angehörte. Den Unterhaltungen im Bethaus und an andern Stätten pflegte er meist schweigend zuzuhören, wie ein Außenseiter oder Hospitant – warf er jedoch ein Wort dazwischen, so erregte es viel Gelächter, nicht etwa, weil es besonders witzig oder originell war, nein, einfach weil ein Wort aus seinem Munde die Leute lachen machte, obwohl er es in aller Einfalt von sich gab und solche Wirkung gar nicht beabsichtigte. Im Gegenteil, wenn man lachte, glotzte er mit großen Augen verwundert die Leute an. Er nahm es auch niemand übel, denn er war von Natur demütig wie eine sanfte Kuh, er wußte nicht einmal, daß man dergleichen übelnehmen könnte. Lacht einer, nun so laß ihn lachen, wahrscheinlich macht es ihm Freude. Doch muß man zugeben, daß in Senderls Aussprüchen manchmal in der Tat ein origineller Einfall steckte, obgleich er selbst es kaum wußte, geschweige sich darum bemüht hätte. Man trieb deshalb gern seinen Spaß mit ihm, die meisten Disteln am neunten Ab pflegten in seinen Schläfenlocken zu stecken, ihm fiel der größte Teil der Kissen auf den Kopf, mit denen man in der Nachtwache von Hejschano-Rabbo einander bewarf, dagegen der geringste Teil der Buchweizenküchel und des Branntweins bei rituellen Anlässen, oder wenn es einfach und ohne Anlaß Branntwein gab. Kurz, Senderl war immer und überall das »Sünden-Huhn«. »Was stört mich das« – war seine Art zu sprechen, »was kümmert's mich – du willst just, daß es so sei, gut, sei es so!« Unter den Halbwüchsigen war Senderl ein Halbwüchsiger und nahm an ihren Spielen teil. In ihrer Gesellschaft war Senderl wahrhaft das sanfte Tier, das Kinder auf sich reiten und aufs Maul tätscheln läßt. Die Straßenjungen stiegen ihm auf den Kopf und zupften ihn am Bart, was zuweilen sogar den Zorn der Vorübergehenden erweckte, die ihnen zuriefen: »Respekt, ihr Lausbuben! Vor einem Mann mit einem Bart! Warum zaust ihr ihm den Bart?« – »Macht nichts, macht nichts!« pflegte Senderl zu begütigen, »was tut es mir, was schadet's denn! Sollen sie ihren Spaß haben!« In seiner eignen Häuslichkeit war Senderls Leben nichts weniger als vergnüglich, hier waltete unumschränkt sein Weib, und er hatte ein bitteres Los an ihrer Seite. Sie hielt ihn in strenger Zucht, und oft mußte er auch einen Schlag in Demut hinnehmen. Kurz vor einem Feiertag stellte sie ihn mit einem Tuch um den Bart und mit dem Kalkpinsel in der Hand hin und befahl ihm, die Stube frisch zu weißen. Er mußte Kartoffeln schälen, die Nudeln walken und schneiden, den Fisch füllen, Holz für den Ofen herbeitragen und heizen – akkurat wie ein Weib! Darum wurde er »Senderl das Weib« genannt.

Eben diesen »Senderl das Weib« hatte unser Binjamin auserkoren, ihm sein Herz zu eröffnen und mit ihm Rats zu pflegen, was er beginnen solle. Die Gründe, warum seine Wahl auf Senderl fiel, waren mannigfache: Binjamin fühlte sich schon immer zu ihm hingezogen, Senderl gefiel ihm, in mancherlei Dingen empfanden sie gleich, und ein Gespräch mit ihm war ihm oft eine wahre Labsal. Vielleicht rechnete Binjamin auch damit, daß Senderl so gar nicht rechthaberisch war, so wird auch Senderl seinen Plan ohne weiteres gutheißen und zu allem, was er vorschlagen würde, ja sagen. Sollte Senderl dennoch in manchen Punkten seine eigne Meinung haben, so würde er ihn mit Gottes Hilfe vermöge seiner Überredungskunst schon zu überzeugen wissen.

Als Binjamin zu Senderl kam, sah er ihn auf der milchigen Bank sitzen und Kartoffeln schälen. Die eine Backe war stark gerötet, und unter dem geschwollenen Auge hatte er eine bläuliche Schramme, als wäre ihm jemand mit den Fingernägeln ins Gesicht gefahren. Er saß ganz benommen da, bekümmert und traurig, wie eine junge Frau, deren Mann sie verlassen hat und übers Meer gezogen ist, oder wie eine, die eben von ihrem Mann geohrfeigt wurde. Senderls Weib war nicht zu Hause.

»Guten Morgen, Senderl, was bist du so betrübt, mein Lieber?« fragte Binjamin eintretend und wies mit dem Finger auf Senderls Backe. »Was, wieder sie? Wo ist sie, dein Schatz?«

»Auf dem Markt!«

»Das ist recht«, rief Binjamin hocherfreut, »laß, mein Herz, deine Kartoffeln stehen und komm mit mir in die Kammer. Ist niemand drin? Ich kann jetzt keinen Aufpasser brauchen, ich will dir mein Herz eröffnen. Ich kann nicht länger schweigen, in mir kocht es! Schnell, mein Lieber, schnell, sie könnte sonst plötzlich kommen und uns stören, ehe wir zu Ende gerechnet haben!«

»Mir ist's recht – ist es eilig, auch gut! Was macht es mir aus?« antwortete Senderl und folgte ihm in die Kammer.

»Senderl«, hub Binjamin mit diesen Worten an, »sprich, weißt du auch, was jenseits von Tunejadowka ist?«

»Da ist Pritschepe, man bekommt dort zuweilen einen Schluck guten Branntweins.«

»Du bist dumm, ich meine weiter weg, viel weiter.«

»Noch weiter als Pritschepe?« rief Senderl verwundert, »nein, weiter weiß ich nicht. Und du, weißt es du?«

»Und ob, wie kannst du nur fragen? Dort erst fängt eine Welt an«, rief Binjamin ekstatisch, wie Kolumbus von Amerika gesprochen haben mochte.

»Was ist also dort?«

»Dort, dort . . .« fuhr Binjamin entflammt fort, »Vipernatter, Lindwurm . . .«

»Meinst du den Lindwurm, mit dem König Salomo die Steine für den heiligen Tempel hat spalten lassen?« warf Senderl in seiner Einfalt ein.

»Ja, mein Lieber, ja, dort ist das Land Israel, dort sind jene Stätten. Ha, möchtest du dort hin?«

»Und du, möchtest du?«

»Du kannst noch fragen? Ich will, Senderl, ich will und werde auch bald hingelangen!«

»Ich beneide dich, Binjamin. Wirst dich dort nicht schlecht mit Johannisbrot und Datteln vollessen.«

»Aber auch du, Senderl, könntest essen wie ich, du hast den gleichen Anteil am Lande Israel wie ich.«

»Den habe ich wohl, aber wie kommt man dorthin? Dort sitzt ja der Türke.«

»Dagegen ist ein Mittel vorhanden! Sag, mein Lieber, hast du schon einmal von den Roten Juden gehört?«

»Genug Geschichten darüber hab ich hinter dem Ofen gehört, aber wo sie sitzen und wie man zu ihnen gelangt, weiß ich so genau nicht. Wüßte ich's, ich würde es dir sagen, warum denn nicht, was würde es mir schaden?«

»Ha, und ich weiß, siehst du, ich weiß!« rief Binjamin stolz und zog die »Preisung Jerusalems« aus der Tasche, »willst du hören, was hier drin steht, ich will's dir vorlesen!

›Als ich nach Bruti kam‹ – so steht es hier geschrieben –, ›fand ich dort vier Juden aus Babel. Ich sprach mit einem von ihnen, der die heilige Sprache verstand und Rabbi Mosche hieß. Er erzählte mir wahrhaftige Dinge von dem Fluß Sambatjen, wie er sie von den Ismaeliten gehört hat, die ihn mit eignen Augen gesehen, und daß dort die Bne Mosche leben.‹ Dann heißt es weiter: ›Wie der Magnat mir erzählt hat, ist es etwa dreißig Jahre her, daß bei ihm einer zu Gast war aus dem Stamme Schimon, und der hatte gesagt, daß in seinem Wohnort vier Stämme ansässig seien, einer davon ist der Stamm Jisaschar, der sich nur mit Thoralernen befaßt, und aus diesem Stamme gibt es einen König über ihnen.‹ Davon abgesehen steht auch in dem Buche ›Die Reisen Binjamins‹ folgendes: ›Von dort ist es eine Reise von zwanzig Tagen bis zum Berg Gischon, der an dem Strom Gosan liegt. In den Bergen Gischon wohnen vier Stämme, der Stamm Dan, der Stamm Sebulun, der Stamm Ascher und der Stamm Naphtali. Sie besitzen Länder und Städte in den Bergen. Von der einen Seite werden sie von dem Flusse Gosan umströmt. Sie haben nicht das Joch der Völker auf sich lasten, nur ein König herrscht über ihnen, und der heißt Rab Joseph Amarkla. Und sie haben einen Bund mit dem Kufr al-Turk.‹ Außerdem stehen da noch viele Dinge über die Bne-Rechab im Lande Tema, die einen jüdischen König haben und um der Vertriebenen Israels willen ständig fasten und zu Gott beten. Nun, was denkst du, mein Lieber, wenn die plötzlich zum Beispiel mich erblicken, mich, ihren Bruder Binjamin aus Tunejadowka, der zu ihnen zu Gast kommt? Ha, was denkst du, Senderl? Na, sag, ich bitte dich, was meinst du dazu?«

»Sie würden einfach aufleben, sag ich dir, Binjamin. Man denke, welch ein Gast. Welch ein willkommener Gast . . . Jeder würde dich zum Essen einladen . . . und der König Amarkla gewiß auch. Grüß sie alle freundlich von mir. Wenn ich nur könnte, wahrhaftig, wie gern würde ich mit dir hinziehen.«

»Ha!« rief Binjamin, von einem neuen Gedanken erleuchtet, »ha, vielleicht würdest du in der Tat, mein lieber, mein guter Senderl, mit mir zusammen die Reise machen? Jetzt hast du wahrhaftig die beste Gelegenheit dazu. Ich gehe auf alle Fälle hin, ich kann dich mitnehmen, mein Guter. Zu zweit ist es gemütlicher. Am Ende werde ich dort, kann man's wissen, gar König, dann mach ich dich, ich schwöre es dir, zum Vizekönig. Hier gebe ich dir meine Hand darauf. Was sollst du Ärmster hier sitzen und Galuthleiden von deinem Weibe ausstehen, von der Bösen. Sieh dir bloß deine Backe an! Was hast du doch für ein trauriges, finsteres Geschick an ihrer Seite. Komm mit, Senderl, wirst es bestimmt nicht bereuen!«

»Nun«, sagte Senderl, »wenn du es durchaus willst, so soll es so sein! Und was sie betrifft, ach, was mach ich mir daraus? Ein Dummer müßte ich sein, ihr zu sagen, wohin ich fortziehe.«

»Lass dich umarmen, mein Herz«, rief Binjamin entzückt aus und umarmte Senderl, »das Weib« zärtlich, »du hast mir mit einem Wort eine große Schwierigkeit gelöst. Ich sage so wie du: Und was sie betrifft, ich meine die meinige, was mache ich mir daraus? Es gibt aber noch eine Schwierigkeit! Wo nimmt man das Geld für die Reise her?«

»Reisegeld? Willst du dir denn neue Kleider anschaffen, Binjamin, oder deine Kapote wenden lassen? Hör, was ich dir sage: man braucht's nicht, im Gegenteil, unterwegs ist es in alten Kleidern noch besser. Und dort werden wir bestimmt neue und schöne Kapoten bekommen.«

»Ja, das ist wahr, wenn ich erst dort bin, sorg ich mich nicht weiter, aber bis dahin muß man doch etwas Geld haben, schon um zu essen.«

»Was heißt, um zu essen, Binjamin? Willst du denn etwa eine Küche mitführen? Wozu? Gibt es unterwegs keine Wirtshäuser, keine Häuser?«

»Ich versteh nicht recht, was du meinst, Senderl«, sagte Binjamin verwundert.

»Ich meine«, antwortete Senderl einfältig, »wenn es nur Häuser gibt, kann man ja unterwegs zugleich auch in den Häusern sammeln. Was tun alle andren? Heute gehen die einen bei den andern sammeln und morgen gehen die andern bei den einen. Das ist doch einmal so bei uns Juden, es ist ja nur ein zinsloses Darlehen.«

»Du hast wahrhaftig recht!« rief Binjamin freudig, »mir ist es jetzt ganz hell vor den Augen . . . Wenn dem so ist, bin ich, gepriesen sei Sein Name, reisefertig und mit allem versorgt. Wir können sogar gleich morgen ganz früh aufbrechen, wenn alle noch schlafen, es wäre eine Sünde, Zeit zu verlieren. Bist du einverstanden?«

»Wenn du morgen willst, so soll es morgen sein, was mach ich mir daraus?«

»Also, hörst du, Senderl, morgen ganz früh gehe ich heimlich von zu Hause fort. Bei der verlassenen Windmühle will ich auf dich warten! Also merk's dir, Senderl, morgen ganz früh mußt du hinkommen. Merk dir's«, wiederholte Binjamin und schickte sich zum Gehen an.

»Wart einen Augenblick, wart, Binjamin«, sagte Senderl, indem er sich an der Brusttasche seiner Unterjacke zu schaffen machte, aus der er schließlich einen alten durchschwitzten Stoffetzen zutage förderte, kreuz und quer mit Strippen umwunden und vielfach verknotet. »Siehst du, Binjamin, das hier habe ich glücklich hinter dem Rücken meines Weibes während der ganzen Zeit unseres Zusammenlebens zusammensparen können. Es wird uns für den Anfang recht zustatten kommen. Nicht?«

»Jetzt, mein Lieber, muß ich dir sagen, verdienst du, daß man dich in Gold faßt«, rief Binjamin mit erhobener Stimme und schloß Senderl in die Arme.

»Daß dich der Böse in die Arme nimmt und davonträgt! Seht euch bloß die große Liebe an! Und in der Stube steht die Ziege und frißt die Kartoffeln auf!« hörte man plötzlich schreien.

Das war Senderls Angetraute. Sie stand zornentflammt da, mit der einen Hand wies sie auf die Ziege und mit der anderen winkte sie Senderl zu sich. Senderl näherte sich ihr mit gesenktem Kopf ganz langsam, wie ein schuldbewußtes Kind, das seine Züchtigung erwartet.

»Mut, nur Mut, mein Herz, es ist ja zum letztenmal! Vergiß nicht, morgen«, flüsterte Binjamin Senderl ins Ohr und schlich sich wie eine Katze hinaus.


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