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XII

Fec war nämlich seit seinem Besuch bei Gaby, ohne im Grund zu wissen weshalb, fest davon überzeugt, daß Bichette in Paris war. Tag und Nacht streifte er durch die Straßen, durch Restaurants, Cafés, Bars, Dancings. Kein Quartier ließ er aus und kein Bistro. Auch die vornehmen Restaurants und Tea-Rooms frequentierte er regelmäßig.

Etwa drei Wochen lang führte er dieses Leben. Pimpi war er einmal begegnet, hatte vorsichtig versucht, ihn auszufragen, aber stets Antworten erhalten, die ihn im Zweifel ließen, ob Pimpi wirklich etwas wüßte oder nicht. Gaby hatte er einige Male im Hospital besucht, ohne irgendetwas von Bedeutung erfahren zu können; neuerliche kunterbunte Erzählungen, fieberhaft und zweifellos teilweise erfunden, hatten vielmehr den Eindruck der ersten so verwischt, daß Fec es aufgab zu versuchen, Loute in den Weg zu geraten. Nur Jean konnte ihm mitteilen, daß er Ralix zweimal gesehen habe, wie er, augenscheinlich jemanden suchend, durch das Café ging; einmal sei er in Begleitung gewesen. Nach der Beschreibung vermutete Fec, daß es Loute war.

Am selben Abend sah er sie an der Ecke der Rue Caulaincourt stehen, vor einem Plakat des Gaumont Palace und sprach sie an.

Loute, die ihn lediglich vom Sehen kannte, war gar nicht erstaunt, ja benahm sich, als hätte sie einen guten alten Bekannten vor sich.

Fec begleitete sie, auf ihren Wunsch hin, bis vor ein Haus in der Rue Lamarck. Unterwegs sprachen sie ununterbrochen und sehr heiter, oft sogar sekundenlang gleichzeitig, und überboten sich gegenseitig in Liebenswürdigkeiten, lustigen Einfällen und tollen Übertreibungen.

Während Fec vor dem Hause auf Loute wartete, ging es ihm durch den Kopf, daß ihr Verhalten von derselben Absicht wie der seinen, ein gewisses Interesse zu verbergen, veranlaßt sein dürfte. Er nahm sich vor, sehr vorsichtig zu sein.

Loute kam lachend aus dem Haus gesprungen, hing sich an Fecs Arm und zog ihn, vor Laune sprudelnd und unausgesetzt schwatzend, in ein kleines Café.

Daselbst entstand nach einigen Minuten ganz unvermittelt und ohne daß es einem der beiden möglich gewesen wäre, es zu verhindern, eine jener qualvollen Pausen, die alles vernichten und manches verraten.

Auch Loute schien das zu fühlen. Sie mied geflissentlich Fecs Blick, beschäftigte sich angelegentlich mit ihrem Picon und begann schließlich in der primitivsten Weise Konversation zu machen.

Als Fec später auf der Straße, innerlich wütend über seine Erfolglosigkeit, sich verabschieden wollte, bat Loute ihn, sie doch noch ins ›Elysée Montmartre‹ zu begleiten. Fec, der schon ablehnen wollte, erklärte sich gerne bereit, da es ihm war, als verfolge sie damit eine bestimmte Absicht. Während sie tanzte, beobachtete er sie unauffällig, ohne jedoch irgendetwas Besonderes wahrzunehmen. Und als sie weder darüber verwundert sich zeigte, daß er sie nicht zum Tanz aufforderte, noch auch nur indirekt sich bemühte, es ihm nahezulegen, war er überzeugt, daß es sich ihr nicht darum handelte, ihn gegen Ralix auszuspielen, den er im Saal vermutet hatte.

Bereits gegen elf Uhr schlug Loute vor, zu gehen, aber in der Liberty's Bar noch einen Cocktail zu trinken. Fec war, wenn auch nurmehr resigniert, einverstanden.

Bei ihrem Eintritt wandten sich ihnen alle Köpfe heftiger zu, als dies im allgemeinen der Fall zu sein pflegt.

Als sie saßen und bestellt hatten, sah Fec deshalb besonders scharf umher. Und plötzlich erblickte er, geradeaus vor sich, nur durch das kleine Tanz-Viereck getrennt, Bichette.

Sie saß zwischen zwei Herren mittleren Alters, lachte und scherzte und änderte, obwohl sie Fec zweifellos längst bemerkt haben mußte, durchaus nicht ihr Verhalten.

Fec war verblüfft darüber, daß der so unerwartete Anblick Bichettes ihn keineswegs erregte. Er unterhielt sich wie bisher mit Loute, die allem Anschein nach dieser Begegnung gar keine Wichtigkeit beimaß, und überlegte zwischendurch, was zu tun am schlauesten wäre. Er entschloß sich endlich, als er Bichette tanzen sah, sie zu einem One-Step aufzufordern, der die beste Gelegenheit zu einem Gespräch bot.

Bichette stand, als er an ihren Tisch trat, höflich auf und hob, als wäre er der Erstbeste, liebenswürdig nachlässig die Elbogen.

Fec umfaßte sie mit größter Zurückhaltung und sagte nach wenigen Takten ruhig: »Ich möchte dich gerne heute noch allein sprechen.«

Bichette sah ausdruckslos auf seine Achsel. »Wird schwierig sein.«

»Warum bist du abgereist?« Fecs Stimme vibrierte nun doch.

Bichette lachte mit dem Atem. »Bah. Ich hab mir gar nichts dabei gedacht.«

Fec, dem der doppelte Hohn dieser Worte sofort bewußt wurde, starrte an ihrem Ohr vorbei. Dabei sah er miteins auf ihrem Hals und im Nacken nur schlecht verpuderte bläuliche Flecke, die von Schlägen herrühren mußten. Augenblicks dachte er an Ralix. »Hat er dich so zugerichtet?«

»Er? ... Wer!«

»Ralix.«

»Zugerichtet?«

»Die Prügelflecke.«

»Sssss ... Überhaupt, was gehts dich an, hein?«

»Also doch Ralix.«

»O, da kennst du mich schlecht.« Bichette wandte den Kopf zur Seite und sandte den Herren an ihrem Tisch ein gemeines Lächeln.

»Eh ben. Sag mir, wann und wo ich dich sprechen kann.«

Bichette schwieg lange. »Komm morgen nachmittag gegen fünf hierher.«

»Du wirst nicht da sein.«

»Taf? Bei mir nicht.«

»Ça y est.«

»Und sag Loute, daß sie tüchtig ist.«

»Tüchtig ...?«

Bichette ließ ihn stehen.

*

Als Fec im Bett lag, dachte er immer wieder darüber nach, warum Loute ihn mit Bichette zusammengebracht haben könnte; und warum sie so hämisch gelächelt haben mochte, als er sie danach gefragt hatte. Das Wahrscheinlichste war, daß sie Bichettes Eitelkeit hatte verletzen und gleichzeitig feststellen wollen, wie sie zu ihm stünde. Dem widersprach aber, daß Loute sich sogar geweigert hatte, mit ihm zu tanzen, und in die Toilette gegangen war, während er mit Bichette getanzt hatte.

Schließlich verdrängte das Denken an die bevorstehende Begegnung, an der Fec nicht zweifelte, alles andere. Er durchdachte sie nach allen Möglichkeiten hin. Und kam nach drei Stunden zu dem immerhin verwunderlichen Ergebnis, daß der Ausgang ihm letzthin durchaus gleichgültig sei. Wichtig blieb ihm nur, daß er noch einmal mit Bichette sprechen konnte und daß er es wäre, der als erster weggehen würde.

Gleichwohl verbrachte er den Vormittag völlig in der Gewalt einer unerträglich quälenden Erwartung. Seine Ungeduld steigerte sich bald dermaßen, daß er bereits um drei Uhr nachmittags sich an ein Fenster der Brasserie Graff setzte, von wo er fast die ganze Place Blanche übersehen konnte. Eigenartiger Weise war es hier, während dieser entnervenden zwei Stunden, daß ihm Zusammenhänge aufgingen, für die er blind gewesen war, Situationen klar wurden, welche ihm rätselhaft geblieben waren, Worte einfielen, deren eigentlichen Sinn er jetzt erst begriff. Dennoch brachte er es über sich, erst zehn Minuten nach fünf Uhr seinen Platz zu verlassen.

Als Fec etwa vier Schritte vom Eingang der Bar entfernt war, sah er, wie Bichette aus der Rue Blanche auf ihn zukam. Es fiel ihm sofort auf, daß sie mit größter Sorgfalt gekleidet war, fast noch eleganter als in Nizza, aber keinen Schmuck trug.

»Hab nicht die geringste Lust, mich dahinein zu setzen.« Bichette hatte ihm nicht einmal die Hand gereicht. »Gehen wir ein bißchen spazieren ... wenn dirs recht ist.«

»Ich glaub dir schon, daß du dich nicht fürchtest ... Eh ben, gehen wir.«

Schweigend bogen sie auf den Boulevard de Clichy ein.

»Ich wollte noch einmal mit dir sprechen,« begann Fec endlich mit unfreier Stimme, »um dich zu fragen, warum du so plötzlich abgereist bist.«

»Wußte ich.« Bichettes Oberlippe warf sich angewidert. »Ich habe mir wirklich nichts Spezielles dabei gedacht. Es hat mich ganz einfach gelangweilt.«

»Das glaube ich nicht.« Fec, der sich doch ärgerte, steckte die erregten Hände in die Hosentaschen und ärgerte sich noch mehr darüber, daß er es tat. »Unser Debüt da unten hat dir sehr gefallen. Und auch das Resultat hat dir sehr gefallen. In Mentone warst du ja geradezu ausgelassen vor Freude. Und erst in Cap d'Ail, wo du den kleinen Groom küßtest! Und wie der Chauffeur bei der Rückfahrt rasen mußte! Und wie du schriest und tolltest! So hatte ich dich nie zuvor gesehen.«

»Bah. Du könntest ebenso gut Szenen nennen, denen zufolge ich närrisch in dich verliebt war.«

Fec unterließt es, um nicht ihren Stolz herauszufordern, darauf zu antworten. »Was hat dich also gelangweilt?«

»Du.« Bichette drehte ihren dicken kleinen Schirm unter der Achsel und blickte verdrossen geradeaus.

»Und warum?«

»Weil ...« Bichette spitzte bösartig die Lippen. » ... weil du ein zu feiner Kerl bist. Oder besser noch – ein zu feiner Mensch. Und wie ich dir ja schon ganz zu Anfang sagte, ist das ein Typ, den ich zum Verrecken finde.«

Fec war maßlos überrascht. »Ich – ein feiner Mensch?«

»Ja, du! Dieses Klugscheißen war ja schon nicht mehr auszuhalten. Gefallen hast du mir ganz zu Anfang, als du noch dein Maul hieltest. Als du den Japaner umlegtest. Als du dieses As von einem Bailot in der Avenue des Ternes blamiertest. Und als du besoffen warst und diese großartige Abmachung verzapftest. Und als du bei unserer Abreise, nach diesem verrückten Getriller im Taxi, verlangtest, ich solle dich ohrfeigen. Und als du da unten so entzückend frech losgingst. Aber am besten hast du mir doch ganz zu Anfang gefallen, als du noch dein entsetzliches Maul hieltest. Und natürlich auch im Bett. Aber das wird ja auf die Dauer mit jedem langweilig.«

Fec schwieg sekundenlang, so sehr hatten diese Worte ihn überrumpelt. Mühsam brachte er endlich hervor: »Du hast einmal etwas sehr Richtiges gesagt ... – daß alles eine Dummheit ist ...«

»Deshalb geht ja auch alles. Und deshalb wundere ich mich, daß du mich von neuem zu langweilen beginnst. Warum denn noch lang und breit darüber hinmeckern, daß ich abgereist bin? Ich bin eben abgereist und damit basta! Oder wäre das allein vielleicht nicht gegangen, hein?«

»Bichette!« Fec war ihr Name gegen seinen Willen entfahren. Um auch den Schein zu vermeiden, als hätte er es einlenkend getan, fragte er, so heiter er nur konnte: »Sag mir noch etwas. Kurz bevor du in jener Nacht vor dem Coup zu Flinsparker zurückgingst, sagtest du, ich wäre – duschnock ... Warum sagtest du das?«

Bichette, welche bisher mit kaltem Hohn gesprochen hatte, lachte affektiert. »O ... damals ...?« Sie stockte, als verursache es ihr Anstrengung, sich zu erinnern. »Damals? Damit wollte ich sagen, daß ich immer dein erbittertster Feind war.«

»Ah!« Fec mußte lächeln. »Aber einige Male hatte es nicht den Anschein.«

»Einige Male?« schmetterte Bichette. »Ist ja großartig! Sehr viele Male sogar! Aber was beweist das, hein? Was macht man nicht alles, um etwas Neues zu erleben? Was macht man nicht alles? Man macht alles

Fec blieb errötend stehen. Sein ganzes Gesicht zuckte nach der Mitte zu. In seinen Augen war ein wässeriger Glanz, während er leise, aber mit deutlichem Entzücken in der Stimme sagte: » Das hätte ich wahrhaftig nicht von dir erwartet, Bichette. Das nicht. Du bist ja einfach – meisterhaft. Hut ab!« Und er zog tatsächlich die Mütze und verneigte sich vor ihr.

»Merci.« Bichette spielte, mit Mühe ihre Genugtuung verbergend, mit ihrem elfenbeinernen Schirmknauf. »Und man macht sogar Weinkrämpfe.«

Fecs Kopf schnellte hoch. » Das glaube ich nicht. Das nicht

»Doch.«

Fec, der mit einem Mal zu zweifeln begann, hielt es für klüger, nachzugeben, um alles zu erfahren. »Vielleicht.«

»Absolut.«

»Absolut?« Fec lächelte dünn, aber fast schon überzeugt.

»Absolut!« Bichette ging langsam weiter. »Bah. Ich werde deinem Gedächtnis helfen. Und vielleicht auch dir.«

»Mir helfen?«

»Und zwar, indem ich dich von mir kuriere. Indem ich das Geheimnis preisgebe. Indem ich dir ...«

»Geheimnis ...?«

»Ja, Geheimnis! ... Indem ich dir also ergebenst mitteile, daß ich von allem Anfang an die holde Absicht hatte, dich in mich verliebt zu machen, hörst du – verliebt! Und dich dann zu verlassen. V'lan, ich sage dir sofort, daß es mir nicht ganz gelungen ist.«

»Nicht ganz,« meinte Fec gelassen.

»Nur Geduld, Herr Baron!« Bichette hüstelte überlegen. »Mit dem Weinkrampf fing ich an, um zu sehen, was du nun tun würdest. War er nicht wirklich meisterhaft gemacht, hein? Bist du nicht job auf ihn hineingefallen? Du bist es. Denn du kauftest mir die gelbe Wollkappe. Du nahmst die dreihundert Francs. Und du hast angebissen, als ich dir vorschlug, uns zu machen. Ich habe mir darunter zwar nicht deine reizende Abmachung vorgestellt, aber doch etwas Ähnliches. Ich wollte, du solltest versuchen, in mich verliebt zu sein, um es dann wirklich zu werden. In diesem Sinne war ich der treibende Teil. Und nur deshalb sagte ich damals, du gehörst mir und ich gehöre dir. Deine Abmachung hat mir natürlich nicht gepaßt. Deshalb machte ich übrigens die Szene mit meinem Schmuck im Hotel Puget. Nicht, weil ich wankelmütig geworden war. Denn deine köstliche Abmachung hatte ich doch keine Sekunde lang ernst genommen. Ich wollte dich durch diese ... durch diese aufopfernde Handlungsweise besonders fest an mich fesseln, um es leichter zu haben, dich in mich verliebt zu machen. Deshalb war ich auch sehr zufrieden, als du mich daraufhin schlugst. Du hast mich damals nur geschlagen, weil du glücklich darüber warst, daß ich mich so ganz hingab, so ganz ... Ich schrie aber nur, um dich in mich verliebt zu machen. Deshalb habe ich damals auf dem Balkon im Hotel Ruhl gefragt, was mit dir los sei: nicht, weil ich glaubte, daß unsere Liebe sich mache, und nicht, weil ich glaubte, daß ich dich zu langweilen beginne, sondern weil ich damals zum ersten Mal fürchtete, es könnte mir nicht gelingen, dich in mich verliebt zu machen. Deshalb war ich ärgerlich, als dann dein Zuhälterton begann. Nicht der, den ich sehr genau kenne und der ganz anders ist und hinter dem das Blickgetürm steht und das Herz und ... Schlingue! ... sondern dieser trockene sachliche Ton, auf den ich nicht gefaßt war nach allem, was vorhergegangen war. Und deshalb machte ich nach unserem ersten Arbeitsabend in der Jetée diese schlaffe Liebesszene, über die ich am Schluß sogar selber lachen mußte. Deshalb depeschierte ich an Pimpi, er solle mir schreiben. Der Brief von ihm zog ja auch. Du warst tatsächlich wütend darüber und ein bißchen eifersüchtig. O, nur ein bißchen. Deshalb fiel ich am zweiten Arbeitsabend in der Jetée aus der Rolle und wurde boshaft. Deshalb machte ich nachher im Zimmer das Geständnis, es wäre stärker gewesen als ich. Mit dem Erfolg, daß du eingestandest, du hättest ähnliche Zustände gehabt, als du Pimpis Brief lasest. Und deshalb meine Wut, als ich am Morgen darauf, nachdem ich mich schlafend gestellt hatte, bemerken mußte, daß du vielleicht doch nicht in mich verliebt werden könntest. Und deshalb, aber auch aus Wut darüber, weil es mir nicht gelingen wollte, versetzte ich am selben Abend in der Jetée der roten Bia einen Fußtritt. Deshalb diese ganze Szene. Mit dem Erfolg, daß du Watt-Wayler verprügeltest. Das war schließlich doch nur Eifersucht. Darum war ich nachher wirklich davon überzeugt, daß du mich liebst, als ich sagte: ›Wir lieben uns‹. Aber schon am nächsten Morgen, während des Frühstücks, als du sagtest, daß Flinsparker trotzdem gemacht werden müsse, fühlte ich, daß ich mich getäuscht hatte. Und als dann dieses lange blödsinnige Gespräch hinter Cannes kam, wußte ich endgültig, daß es mir nicht gelingen würde, dich in mich verliebt zu machen. Von diesem Moment an begann ich mich eigentlich schon zu langweilen. Begannst du mich zu langweilen. Daß ich am Schluß jenes Gesprächs so vergnügt war, das war Schwindel. Am liebsten wäre ich damals schon davongelaufen. Ich blieb nur, um zu einer Zeit davonlaufen zu können, wo ich dir die meisten Rätsel zu knacken geben würde. Wo es ganz unwahrscheinlich und unerklärlich erscheinen mußte, daß ich davonlief. Daher meine ausgelassene Stimmung in Mentone und Cap d'Ail. Und weißt du, weshalb ich in Monte plötzlich in dein Zimmer kam, scheinbar ganz grundlos? Nur um zu sehen, ob du nicht vielleicht doch nicht wolltest, daß ich mit Flinsparker ... Und als ich nachher, gegen drei Uhr morgens, nochmals zu dir kam, wieder scheinbar ganz grundlos, kam ich nur, um zu sehen, ob du vielleicht jetzt anders wärst. Statt dessen warst du nicht einmal mau und lau wie die andern, sondern sogar entzückt darüber, daß es geschehen war. Oder tatest bloß so, um mich zu ärgern. Ich bemerkte aber auch, daß du während des folgenden Gesprächs zum ersten Mal weniger beteiligt warst als sonst, zum ersten Male nicht deine ganze Energie ... couçi couça zum Dichten verwendetest, zum ersten Mal beinahe gleichgültig warst. Du gabst dir nicht einmal die selbstverständlichste Mühe, meine gefährlichen Fragen auch nur halbwegs geschickt zu beantworten. Das aber war nur möglich, nachdem ich mit einem andern geschlafen hatte. Das ist immer so. Bei dir aber hätte es nicht so sein dürfen. Bei dir nicht. Du hättest ... V'lan, weißt du, womit ich zu halten gewesen wäre? Du hättest mich lieben müssen und deshalb verlassen. Du – mich. Dann wäre ich dir nachgelaufen und hätte dich vielleicht niedergemacht, wenn du nicht bei mir geblieben wärst. Ich hielt dich für den einzigen Mann, der dazu fähig gewesen wäre, mir davonzulaufen. Und mir muß man davonlaufen, wenn man mich liebt. Du aber bist mir nachgelaufen wie alle andern. Und ich bin dir davongelaufen, als ich ganz sicher wußte, daß du mir nie davonlaufen würdest. Nie. Und das wußte ich, als du mir sagtest, daß auch ich dein erbittertster Feind wäre. Denn so was sagt ein Mann nur, um sich besonders raffiniert vom Gegenteil zu überzeugen. Und ich wiederhole dir, daß ich immer dein erbittertster Feind war. Denn hätte ich ganz erreicht, was ich wollte, so wärst du mir davongelaufen, hättest mich, die ich dir dann nachgelaufen wäre, zurückgestoßen und ich hätte dich dafür niedergemacht oder ... Bah! Jedenfalls wäre es dir sehr übel bekommen ... Übrigens, glaubst du denn wirklich, ich hätte nicht gewußt, daß du mich seit Wochen in ganz Paris suchst? In jedem Loch!« Sie hatte sich so in Hitze geredet, daß sie die Übersicht über das, was sie noch sagen wollte, verlor und fast auch die Stimme, die ihr während der letzten Sätze nicht mehr gehorchte.

Fec, der es zuwege gebracht hatte, sie nicht zu unterbrechen, um vielleicht die Wahrheit zu hören, wartete ein wenig, da er hoffte, Bichette würde weitersprechen. Sie tat es nicht, weil sie dieses Warten fühlte, aber auch, weil sie nicht mehr imstande gewesen wäre, längere Zeit zusammenhängend zu sprechen. Sie schlug während des Gehens mit ihrem Schirm im Takt auf den Sand und lächelte dazu, als dächte sie an etwas ganz Fernliegendes.

»Eh ben, daß du wußtest, wie ich dich suchte ...« Fec war es in diesem Moment wichtiger, daß er etwas sagte, als was er sagte. »Es war selbstverständlich, daß du es erfuhrst.«

»Noch am Tag meiner Ankunft in Paris habe ich gewußt, daß du, nur wenige Stunden später, ebenfalls angekommen warst.«

»Hat dich das nicht – überrascht?«

»Ja. Denn ich habe es von dir selbst erfahren.« Bichette belauerte ihn neugierig von der Seite her.

»Mach keine faulen Scherze!« Kaum aber, daß er das gesagt hatte, fiel Fec ein, daß er ja ... Er sah Pimpis steif wegstehende pomadisierte Haare ...

Aber da sagte Bichette es auch schon. »Ich stand hinter der Tür, als du mit Pimpi auf dem Korridor sprachst.«

»Ça y est.« Fec vermochte doch nicht, sich eines leisen Wutgefühls zu erwehren. »Deshalb ließ er mich nicht eintreten. Und deshalb fragte er mich noch, wo du seist, dieser ...«

»Pimpi war der erste, den ich aufsuchte. Ich fuhr direkt vom Bahnhof zu ihm.«

»Der Portier war wohl instruiert.« Fec rieb die Zähne auf einander.

Bichette nickte, die Zunge hinter den offenen Lippen hin und her bewegend. »Aber ich mach dir mein Kompliment.«

Fec blieb, wütend, weil er vermutete, es würde eine neuerliche Demütigung sein, mit gespreizten Beinen stehen.

Bichette lächelte verbindlich. »Mein Kompliment dazu, daß es dir gelang, Mentone so rasch zu verlassen. Das hat mir eigentlich von allem, was du geleistet hast, am meisten imponiert. Wie hast du das nur gegouapt? Du bist per Auto gekommen, hein? Du warst ja ganz staubig. Das sah ich durch die Ritze.«

»Ja.« Fec ging beruhigt weiter.

»Du hattest aber doch nur noch ... vielleicht dreihundert Francs.«

»Hundertfünfzig.«

»Also eine Gelegenheit.«

»Nein. Ich depeschierte Laugier um dreitausend.« Fec, der jetzt erst sich erinnerte, Bichette von seiner letzten Begegnung mit Laugier nichts gesagt zu haben, erzählte, sachte triumphierend.

»Warum hast du mir das verschwiegen?« schrie Bichette.

»Ich habe darauf vergessen.«

»Vergessen? Du vergißt ja sonst nichts!« Bichette versuchte gar nicht, ihren Zorn zu verbergen.

»Allerdings.« Fec schneuzte sich, besonders geräuschvoll, um Bichette noch mehr zu ärgern. »So vergaß ich zum Beispiel auch nicht, nachträglich darüber erstaunt zu sein, daß Flinsparker, als er den Scheck für mich ausschrieb, nicht entdeckte, daß er bestohlen worden war. Ich weiß nämlich, daß er sein Scheckbuch in seinem Portefeuille aufbewahrt. Eh ben.«

»Was willst du damit sagen, hein?« Bichette bemerkte nicht einmal, wie lächerlich ihre Empörung war. »Übrigens hast du gelogen. Du hast einfach gespielt.«

»Gespielt?« Fec begriff nicht sofort.

»Ist das nicht das Nächstliegende? So dumm ist Laugier denn doch nicht.«

»Ah ...« Fec dachte angestrengt nach. »Ha, jetzt hab ichs! Ja, selbstverständlich! Ja, so war es! So und nicht anders!«

»Wovon sprichst du denn?«

»Von Flinsparker.« Fec steckte kurz einen Finger zwischen die Zähne. »Während du das erste Mal bei mir warst, damals nachts im Hotel in Monte, war er im Casino und spielte. Die fünfzehntausend hatte er gewonnen und dir geschenkt, kurz bevor du zum zweiten Mal zu mir kamst. Deshalb hast du die Vase im Korridor nicht benutzt. Es ist mir damals, freilich nur flüchtig, aufgefallen, daß du in diesem wichtigen Detail abgewichen bist. Du erzähltest es mir auch, ohne daß ich nach dem Geld gefragt hätte. Und zogst es – aus dem Strumpf.« Fec senkte die Augen, so sicher war er. »Nun, hab ichs erraten?«

»Teilweise.« Bichette war doch erstaunt über seinen Scharfsinn und darüber, wie nahe er der Wahrheit gekommen war. Deshalb log sie seltsamer Weise nicht, obwohl sie es gerne getan hätte. »Flinsparker hat sich natürlich sofort mit mir zeigen wollen, gab mir zwanzigtausend Francs zum Spielen und ging mit mir ins Casino. Da ich nie Glück im Spiel habe, setzte ich so, daß ich nicht viel verlieren konnte. Während Flinsparker einmal mit Bekannten sprach, lief ich ins Hotel, sah die Kreidenummer und kam zu dir. Als er dann gegen drei Uhr morgens fünfzigtausend Francs verloren hatte, keinen Sou mehr in der Tasche und schwer besoffen war, hatte ich von meinen zwanzigtausend noch rund fünfzehntausend, mit denen ich ...« Sie biß, Fec beobachtend, an ihrer Unterlippe. » ... dir eine Freude machen wollte. Im Zimmer fiel er dann wie ein Sack ins Bett und ...«

Fec blieb stehen und starrte sie an.

Bichette schüttelte sich. »Aus dir werde ich nie klug.«

Fec faßte sich nur schwer. »Du hast also ... als du zum zweiten Mal gegen drei Uhr ... zu mir kamst ... Du hast also überhaupt nicht mit Flinsparker geschlafen?«

» Das ist es?« Bichette schaukelte sich, häßlich kichernd, in den Hüften. »Sssss, ist das schlaß! Gerät der Kerl aus dem Häuschen, weil es zufällig nicht ... O, ich verstehe. Du ärgerst dich blau, daß du dich so blödsinnig benahmst, obwohl doch gar nichts geschehen war, hein?«

»Hat er dich wenigstens geküßt?« Fecs Gesicht verzerrte sich vor Ungeduld.

»Warum interessiert dich denn das?«

Fec hieb sich die Faust in die Hand. » Hat er dich geküßt oder nicht.«

»Er hat mich nicht geküßt.« Bichette, die nicht wußte, wie sie Fec am meisten ärgern könnte, wußte deshalb auch nicht, wie sie am besten lügen würde. »Das heißt, er hat mich auf der Fahrt nach Monte im Wagen geküßt und dann auch noch im Hotel. So ein bißchen. Eben so wie ein Amerikaner. Aber später nicht mehr.«

»Hm. Ist das wahr?« Fecs Augen brannten.

Bichette, die nicht gelogen hatte, zuckte die Achseln und ging weiter.

Fec folgte ihr, wunderlich grinsend. »Als du nachts um drei Uhr zu mir ins Zimmer kamst, waren also bereits Stunden verstrichen seit dem letzten Kuß. Ja oder nein!«

Bichette wandte sich um und schrie: » Was hast du denn nur? Bist du denn absolut verguipst?« Sie spie ihm vor die Füße.

Fec trat neben sie und ergriff im Weitergehen ihren Arm. »Eh ben, es ist ja schon gut.«

Bichette entriß sich ihm. »Was willst du überhaupt noch von mir?« Sie versetzte ihm einen schmerzhaften Stoß in die Rippen. »Bist du immer noch nicht kuriert?«

»Die ganze Geschichte wird tatsächlich geheimnisvoll.« Fec band lächelnd sein Halstuch fester.

»Du glaubst mir also nicht.«

»Nein.«

»Auch nicht, daß ich dich nur in mich verliebt machen wollte.«

»Nein. Du kotzt keineswegs immer alles heraus.«

Bichette zog den Mund schief. »Hab ich es dir nicht absolut klar bewiesen?«

»Nein. Deine Beweise widersprechen einander zum Teil. Und zum Teil sind es Hinterher-Motivationen.«

»Hein?« Bichette war erbost darüber, daß sie dieses Wort nicht verstand. »Tocer Klugscheißer!«

»Du bist ingeniös.« Fecs Nase zuckte. »Aber ich bin sehr weit davon entfernt, es dir leicht zu machen, mich anzulügen. Deshalb verzichte ich darauf, dir die vielen kleinen Widersprüche vorzuhalten, sondern beschränke mich auf den größten ... Eh ben, wie kommt es, daß du mich für den einzigen Mann hieltest, der dazu fähig gewesen wäre, dir davonzulaufen, zu einer Zeit, da du bereits einen Mann hattest, dem du nachliefst? Vermutlich, weil er dir einmal davongelaufen ist?«

Bichette schlug sich mit den Fingern unters Kinn. »Pimpi.«

»Gewiß.«

»Der ist bloß mein Pudel.« Bichette bedauerte aber sofort, daß sie nicht gelogen hatte.

»Du bist naiv.«

»Wer weiß, ob nicht auch bei mir sämtliche Standpunkte verfehlt sind.«

Fec war es, als erinnere er sich an etwas. Es gelang ihm jedoch nicht, es zu fassen. Zudem war er zu sehr darauf aus, Bichettes Stolz zu beugen. »Wer hat dich also verprügelt?«

Bichette sah ihn verwundert an. »Wer mich ...? O, das war Loute.«

»Loute? Das bezweifle ich.«

Bichette geriet abermals in Wut. »Und wenn ich dir sage, daß sie mich, ganz ebenso wie du und ganz ebenso wie Ralix, seit Wochen suchte? Und daß sie mich vor zwei Tagen auf der Straße erwischte? Ich war leider zu gut angezogen. Die Jacke war zu eng. Und der Rock auch. Deshalb war sie im Vorteil. Sonst ... à la Saint Glinglin. Aber daß sie dich in die Liberty's Bar schleifte, war doch tüchtig von ihr. Nur – verkalkuliert.«

»Meiner Ansicht nach war das ein Zufall.«

»Wie sicher er ist!« Bichette maß ihn langsam. »Es war kein Zufall. Es war Absicht. Sie hatte mein Hotel herausbekommen, wie schon damals, und überwachte mich. Sie schleifte dich heran, weil sie hoffte, ich würde die angebotene Revanche in deiner Gegenwart unter allen Umständen annehmen. Sie wartete nur so darauf, daß ich ihr ein Zeichen geben würde. Wir wären dann auf die Straße hinaus, hätten uns eine menschenleere Seitengasse ausgesucht und hätten ... Bah! Wenn ich es getan hätte, hätte sie mich wahrscheinlich hinterrücks niedergestochen. Um ihren Ralix wiederzubekommen. Ihren Ralix! Riche, hein?«

Fec war, ohne besondere Veranlassung, von der Richtigkeit dieser Erklärung überzeugt; ebendeshalb aber machte es ihm Vergnügen, sie anzuzweifeln. »Sie hat es aber doch sogar vermieden, mit mir zu tanzen. Überhaupt sich sehr zurückhaltend benommen.«

Bichette blickte verächtlich zu Boden. »Um mir zu zeigen, wie sicher sie sich deiner fühlt.«

»Hm.« Fec schneuzte sich. »Hast du mir das auch erzählt, um mich in dich verliebt zu machen?«

»Kamel!« Bichette verzog den Mund in unbeschreiblicher Geringschätzung. Gleichzeitig erwiderte sie das geile Lächeln eines Passanten, der mit einem mitleidigen Blick auf ihren Begleiter quittierte.

Fec sah, wie sie diesen Blick begrinste, und schmunzelte. »Vielleicht bist du mir bloß davongelaufen, damit ich dir nachlaufe? Um mich dadurch in dich verliebt zu machen ... um Effekt zu machen?«

»Daß du schlau zu kombinieren verstehst, weiß ich.« Bichette leckte langsam ihre Oberlippe. »Aber du tätest vielleicht doch besser, mir noch einige Widersprüche nachzuweisen.«

»Gern.« Fec näherte sich ihr und ging dicht neben ihr einher. »Eh ben, wie kommt es, daß ich dir sehr gefiel, als ich besoffen war und diese großartige, diese reizende, diese köstliche Abmachung verzapfte, obwohl diese Abmachung dir durchaus nicht paßte? Und wie kommt es, daß du die holde Absicht hattest, mich in dich verliebt zu machen, um mich dann zu verlassen, obwohl du doch wolltest, daß ich dich verlasse, um dir zu beweisen, daß ich dich liebe?«

»Schlingue!« Bichette vertrat ihm, den Schirm vor sich in den Sand stemmend, den Weg. »Wenn du glaubst, daß ich ...«

»Ich bin noch nicht fertig. Und wie kommt es, daß du alles, was du machtest, um mich in dich verliebt zu machen, gemacht hast, obwohl die Absicht, mit der du es gemacht haben willst, so bedenklich schwankt?« Fec stellte ein Bein über und zündete sich eine Zigarette an.

Bichette senkte plötzlich die Augen. Sie war über und über rot geworden.

Fec, der sofort wußte, daß sie sich das nie verzeihen würde, beschloß, vielleicht sogar, um ihr den Rückzug zu ihm nicht gänzlich abzuschneiden, ihr zu Hilfe zu kommen. »Es handelt sich eben um etwas ganz anderes. Du bist grenzenlos stolz. Du wehrst dich gegen jeden Mann. Und ganz besonders wild gegen einen, von dem du fürchtest, er könnte dich eines Tages beherrschen. Du hast dich auch gegen mich gewehrt. Von allem Anfang an. Das fühlte ich bereits damals, als wir zum ersten Mal nachts von ›Léon‹ ins Aëro gingen. Damals sagtest du, daß jeder Mann dich langweile. Das sagtest du nur, weil ich zum ersten Mal etwas Feines gesagt hatte ... Ah, jetzt weiß ich, worauf du vorhin anspieltest ... Dagegen, gegen dieses Feine glaubtest du dich sofort zur Wehr setzen zu müssen, um mich nicht aufkommen zu lassen ... Und ich fühlte es bereits, als du die gelbe Wollkappe in der Rue Démours in einem Ladenspiegel betrachtetest und dann im Weitergehen mir zulächeltest. Es war mir damals unmöglich gewesen, zu entscheiden, wie. Heute weiß ich, daß es siegesgewiß war, dieses Lächeln ... Und ich fühlte es bereits, als du so wuchtig behauptetest, nicht mehr leer laufen zu können, und auf die Laterne stiertest. Dieses Stieren war schon gegen mich gerichtet und dein sonderbares Lächeln kurz nachher bestätigte es mir ... Und ich wußte es fast schon, als du, nach der Rauferei mit dem Japaner, im Hotel Puget nicht wiederholen wolltest, was du gesagt hattest. Heute weiß ich, was du damals gesagt hast. Nicht wörtlich, selbstverständlich. Aber den Inhalt. ›Warum stehst du denn noch da?‹ Ungefähr das war es.« Er zertrat mit einer kurzen Drehung des Fußes die Zigarette, die ihm aus dem Mund gefallen war.

Bichette hob jäh den Kopf.

Fec erkannte an dem verwilderten Ausdruck ihrer Augen, daß er sich nicht geirrt hatte. Er vergaß, was er noch eben gewollt hatte, und sprach, während er bisher oft gezögert hatte, nun mit voller Sicherheit. »Eh ben. Dieses ›Warum stehst du denn noch da?‹ war teils freilich die Wirkung deiner Ermüdung. In der Hauptsache aber doch nur die Wirkung meiner Triumphe von Gabys Eifersuchtsanfall an über das Ballot-As der Avenue des Ternes hinweg bis zur Umlegung des Japaners. Dieses Plus hieltest du nicht aus. Dagegen mußtest du dich wehren. Da du aber doch einsahst, wie unvorsichtig du dich benommen hattest, verzichtetest du auf eine Wiederholung. Zudem warst du sicherlich auch Pimpis wegen wütend auf mich. Du warst besorgt um ihn und schobst die Schuld an seinem Malheur auf mich. Deshalb hattest du dich auch vorher auf der Straße, auf dem Weg zum Aëro, von mir losgerissen. Und als du mich tagsdarauf auf den Stuhl stießest, warst du wütend, weil du fürchtetest, ich könnte bemerkt haben, wie du eigentlich zu Pimpi stündest. Ich hielt ihn damals allerdings bloß für einen Verströmten. Nur deshalb, um davon abzulenken, fingst du gleich hinterher von unserer Abmachung an zu reden. Selbstverständlich aber auch, weil sie dir überhaupt in den Kram paßte. Du wolltest mich mit ihr fangen. Unaufrichtig nannte ich dich damals, weil es dir mit dieser Abmachung gar nicht ernst war, was du ja bereits zugegeben hast. Aber erst seit heute sehe ich ganz klar. Die Szene mit dem Schmuck hast du gemacht, um ihn mir zu zeigen. Um mich mit ihm zu locken, festzuhalten und so leichter unterzukriegen. Und als wir dann rauften, hast du nur geschrien, weil du nahe daran warst, zu unterliegen. Du bist getaumelt, weil du einen Absatz verloren hattest. Ich sehe es noch, wie nachher deine Augen lauernd auf mich gerichtet waren, so lange, bis ich den Kofferschlüssel eingesteckt hatte. Nun glaubtest du, es erreicht zu haben. Und als du mich wegschicktest, um das Armband zu verkaufen, lächeltest du triumphierend. Zum Teil mit Recht. Denn ich glaubte damals, daß dein Létsch dir gehörte. Heute weiß ich, daß er dir nur teilweise oder überhaupt nicht gehören kann. Welche Frau, überdies deines Schlags, lebt wie du, wenn sie ein kleines Vermögen im Koffer hat? Gewiß, du bekamst auch Schmuck. Aber eine Frau wie du sammelt ihn nicht, sondern trägt ihn oder bringt ihn durch. Du trägst ihn aus Vorsicht nicht. In Nizza trugst du die Saphir-Agraffe so, daß man sie fast nicht sah. Und nur, weil es nicht anders ging. Ich war dir also gerade gut genug dazu, Pimpis Beute zu versilbern. Du triumphiertest aber auch, weil ich zur Abreise bereit war. Ich fuhr jedoch nur aus Besoffenheit, Gleichgültigkeit. Du glaubtest, deinem Sieg über mich nun ganz nahe zu sein. Deshalb deine so unvermittelte Begeisterung im Taxi, als wir in Paris zum Bahnhof fuhren. Sie war vielleicht sogar wirklich kein glattes Theater, sondern eine suggestive Stimmung wie die meine. Eine solche Stimmung war ja auch mein besoffener Speech bei ›Léon‹. Ich möchte wetten, daß du dir damals sagtest: ›Er spricht überhaupt noch von Liebe, will sie noch, will also noch einen letzten hirnrissigen Versuch machen, ist also ein Kamel.‹ Und ich wette, daß du an jenem Morgen bei ›Léon‹ mit Pimpi ein Rendez-vous hattest. Jedenfalls war er sicher, dich um diese Zeit dort zu treffen. Das, was er dir dann nachmittags im Hotel Puget sagte, wollte er dir schon am Morgen sagen ... Ah, jetzt erinnere ich mich an etwas! ›Wenn es keine blöden Leute gäbe, wäre es gar nicht so nett auf der Welt.‹ Das galt mir. Pimpi log ja damals. Er hatte deine Adresse nicht von Loute erfahren. Denn der Patron vom Aëro sagte ihm unsere neue Adresse ja nur, weil er ihn kannte. Übrigens sah ich damals deine Ledertasche mit dem Schmuck zum ersten Mal. Ça y est ...«

»Ta gueule!« Bichette, die bis dahin bewegungslos zugehört hatte, bog ihren Schirm zwischen den Händen, daß er knackte, und machte ein paar Schritte. »Hast ein gutes Gedächtnis.«

»Wenn ich dem deinen, das auch nicht schlecht ist, geholfen haben sollte, würde es mich freuen.« Fec preßte ihren Arm fest an sich und sagte, als sie ihn nicht zurückzog, weich: »Ich glaube, liebe Bichette, uns beiden ist überhaupt nicht mehr zu helfen.«

Bichette öffnete rund die Lippen, vag lächelnd. »Aber mein Létsch ist wirklich nicht geroupt. Da muß dich einer eingefettet haben.«

»Beim Anblick der beiden Koffer damals ... Du machtest ein zutote erschrockenes Gesicht, als wäre etwas Furchtbares passiert ... als wäre man euch auf der Spur ...«

Bichette unterbrach ihn ganz leise: »Pimpi wollte, daß ich mich aus dem Staube mache. Wegen Ralix. Deshalb brachte er mir den Létsch. So wie ich lebe, brauche ich doch jemanden, der ihn mir aufhebt. Und ohne Geld ... Nur deshalb schickte ich dich verkaufen.«

»Ralix war die Veranlassung. Der Grund aber war ich. Du kannst doch ohne Paris nicht leben. Du wolltest nur so lange wegbleiben, bis Pimpi die Sache mit Ralix arrangiert hätte. Vermutlich will er ihn noch jetzt – arrangieren. Und diese Wochen erzwungener Abwesenheit wolltest du ... Gelegenheit macht vieles ... wolltest du dazu benützen, mich zu machen.« Fec drückte seine Finger der Reihe nach in ihren Unterarm, um seinen Worten eine gewisse Harmlosigkeit zu geben.

»Nein, ohne Ralix wäre ich sicherlich nicht nach Nizza,« sagte Bichette sehr bestimmt.

»Und jetzt bist du hier, obwohl er schon seit drei Wochen draußen ist. Weswegen bist du dann also fort von Paris, wenn nicht meinetwegen?«

Bichette schwieg, die Schultern rollend.

Es erstaunte Fec, daß sie ihm ihren Arm ließ. Und es machte ihn irgendwie fröhlich. »Übrigens habe ich damals im Hotel Puget wohl bemerkt, wie du spöttisch den Mund verzogst, als ich vor Pimpis Ohren mit den Fingern schnalzte, während ich zum Fenster ging. Ich hatte es damals nur noch nicht gesehen und den ›Hering‹ noch nicht gehört ... und das Negerlachen haha ...«

Bichette summte.

»Hat dir wenigstens Pimpi den Raub wieder abgenommen, dieser schlaue Pudel? Als du hinter der Tür standest, muß es dir einigermaßen Vergnügen gemacht haben, zu sehen, wie ich ihm hundert Francs zuwarf. Oder hatte er sie vielleicht wirklich nötig? Dir wäre das zuzutrauen.«

»Merci.« Bichette summte immer noch. »Viel mehr Vergnügen hat es mir gemacht, daß du so aufgeregt warst. Jedenfalls nicht wegen Gaby, hein?«

»Nein, deinetwegen.« Fec preßte ihren Arm so fest an sich, daß sie fast aufschrie.

»Oder wegen ...« Bichettes Finger machten die Bewegung des Geldzählens.

Fec geriet jetzt geradezu in Laune. »Du hattest nicht mehr, als alle meine Weiber gehabt haben.«

»Guips ist das.«

»Damals, als du das Gegenteil behauptetest, wolltest du verbergen, daß du dich verraten hattest. Allerdings faßte ich es anders auf, denn sonst ... Warst du wirklich zwei Jahre in einem Pensionat?«

Bichette blies ihm lachend in die Augen. »Das hab ich doch auch nur gesagt, weil ich mich ... In dem kleinen Hotel in der Nähe des Bahnhofs in Nizza hast du mir, nachdem wir das erste Mal in der Jetée gewesen waren, allerlei erzählt ... deine vornehmen Weibergeschichten und Schandtaten von früher, die ich dir sogar noch vor den indirekten Bestätigungen dieses alten Patapouf geglaubt habe.«

»Du hast mir noch nicht gesagt, warum du behauptet hast, daß du zwei Jahre in einem Pensionat warst.« Fec fragte nochmals, obwohl er genau verstanden hatte, was sie ihm hatte zu verstehen geben wollen.

»Couçi couça, warum nicht.« Bichette wand sich aber doch noch ein wenig. »Ich hab es gesagt, weil ich mich ärgerte ... weil ich fürchtete, in diesem Punkt nicht konkurrenzfähig zu sein ... oder so. Ich – in einem Pensionat!« Es war im Ton dieser Ablehnung zu erkennen, daß sie ihre Offenheit bereute und sich bereits wieder zu ärgern begann. »Mein Vater war Fleischhauer, zuvor aber sieben Jahre auf den Bagnos. Und meine Mutter starb an einer Wurstvergiftung in St. Lazare. Ich glaube, sie war ...« Sie lachte plötzlich heiser auf. » ... eine Rombière.«

»Ich wußte gar nicht, daß du so – empfindlich bist.«

»Empfindlich? Ich möchte wissen, wer von uns beiden empfindlicher ist.« Bichette pfiff ein bißchen. »Ich bin nicht viel anders als du. Weißt du, was mich am allermeisten geärgert hat?«

Fec überlegte. Und da seine zahlreichen Rekapitulationen es ihm erleichterten, zu suchen, fand er schnell etwas. »Ah! Daß ich damals auf der Promenade in Nizza dir so trocken und sachlich den Fall Flinsparker vorschlug ... Wie du dir da die Brüste streicheltest ... Damals hast du dich am meisten geärgert, nicht wahr?«

»Auch damals. Aber am allermeisten ... Weißt du noch, wie du sagtest: ›Du warst diesem Bann komplett verfallen.‹? Das hat mich ganz entsetzlich geärgert. Du kannst dir das gar nicht vorstellen. Ich glaube, daß ich, wenn du das nicht gesagt hättest, daß ich dann ...«

»Dann hättest du vielleicht gar nicht hinterher motiviert und wärst auch nicht abgereist.«

»Was fällt dir ein! Das ist ja riche!« Bichette machte ihren Arm frei und ging rascher.

»Jetzt ist dir aber doch klar, was ich mit Hinterher-Motivationen meinte.«

»Bah!« Bichette wurde blaß, weil sie fühlte, daß sie es nicht mehr ertragen würde, weiter unrecht zu haben.

»Eh ben, dann werde ich es dir eben doch sagen müssen. Deine ganze Geheimnis-Entschleierung, dieses Märchen des Mich-in-dich-verliebt-Machens, war nichts weiter als eine sogar nicht ungeschickt zurechtgestutzte Erfindung deines Köpfchens, um mich mit ihr zu Boden zu schlagen. Um deinen grenzenlosen Stolz zu befriedigen. Und er brauchte diese Befriedigung, weil du tatsächlich eine Zeitlang in mich verliebt warst. Erinnere dich doch nur daran, wie du mich in dem kleinen Bouillon in der Rue Lepic plötzlich auf den Ärmel küßtest und wie du nachher in der Moulin de la Galette bei einem der letzten Tänze mit meinen Haaren spieltest ... wie du immer mit meiner Mütze spieltest ... in deinem Schoß.«

»Ta gueule!« Bichette wandte ihm blitzschnell ihr zitterndes Gesicht zu, das vor Haß glühte. » Wer hat dich um deinen Anteil betrogen? Wer hat dich bestohlen? Wer hat dich mit drei ... mit hundertfünfzig Francs und einer unbezahlten Hotelrechnung von mehr als sechshundert Francs aufsitzen lassen? Wer ...?«

»Du, du, du ... eh ben, du!« Fec grinste entzückt. »Und zwar aus einem sehr einleuchtenden Grund. Um dich nämlich, da deine Liebe unerwidert blieb, damit zu rächen, daß du wenigstens meine Wut auf dich zogst. Meine Wut über den schweren Geldverlust. Und nun deine doppelte Wut, da du erkennst, daß ich dich durchschaut habe und nicht nur nicht wütend darüber bin, von dir gerollt worden zu sein, sondern vielmehr im höchsten Grade ... sagen wir – ergötzt.«

Bichette sagte mit gänzlich veränderter Stimme: »Das glaubst du doch selber nicht, daß ich dich ... sagen wir – geliebt habe.«

Fec verblüffte diese hohle kleine Stimme so, daß er sich fast schämte. Schnell aber schnalzte er gleichgültig mit der Zunge. »Jedenfalls hast du, was das Geld betrifft, wie du jetzt wohl zugeben mußt, geirrt. Sehr geirrt. Freilich konntest du nicht wissen, wie belanglos dieser Gebrauchsgegenstand für mich geworden ist.«

» Das konnte ich allerdings nicht wissen.« Bichette lachte ekelhaft. »Wie viel willst du? Das ist doch der Zweck dieses ganzen Getrillers.«

» ... heißt man Abenteuer!« entfuhr es Fec.

»Hein? ... Abenteuer? ... Bist ja überhaupt maboul.«

Fec mußte niesen.

Bichette kicherte. »Er beniest es auch noch. Er beniest es.«

Fec fühlte sich miteins wie befreit, wie aus sich selbst herausgehoben, wie ganz fern von allem, um das zu quälen er aus tiefster Müdigkeit sich hatte treiben lassen. Er sang, hell und leicht: »J'ai une femme qui aime les animaux, ça c'est rigolo, ça c'est rigolo ...«

»Ça c'est rigolo ...« Bichette stieß mit dem Fuß nach ihm.

»Du liebst ja doch bloß die Tiere. Und mit Recht.«

»Schnock!«

»Und der Japaner? Und Pimpi? Und auch Ralix?«

»Pimpi? ... Nein.«

»Ein gelber Affe, ein Pudel und ein Zebra.«

»Witze!« Bichette schien mit sich zu kämpfen. Und plötzlich preßte sie schneidend hervor: »Pimpi ist mein Bruder.«

Es war Fec so unwichtig, ob er es glauben sollte oder nicht, daß er tat, als glaube er es. »Deshalb also durfte er dich so oft besuchen. Kurz vor unserer Abreise nach Nizza, als ich mit deinen Röcken und Schuhen ins Hotel zurückkam, war er übrigens noch einmal bei dir gewesen.«

»Bist du ihm begegnet?«

»Nein. Aber es roch nach ihm. Allerdings fast unmerklich. Deshalb glaubte ich, mich getäuscht zu haben. Auch, als wir noch im Aëro wohnten, muß er oft bei dir gewesen sein.«

»Ja. Hast du es gewußt?«

»Nein. Aber als du den Weinkrampf bekamst und aus dem Zimmer liefst, schoß es mir durch den Kopf: ›Den machte sie nur, um draußen jemanden zu treffen.‹ Es war jedoch nur ein Augenblick. Ich vergaß es sofort wieder. Jetzt freilich ...«

»Hör, Fec,« begann Bichette nach einer Weile gedehnt, »ich werde dir jetzt aufrichtig sagen, was es mit diesem Weinkrampf für eine Bewandtnis hatte ... Ja, ich habe ihn gemacht. Aus Zorn darüber, daß du mich nicht schön fandest.«

»Lassen wir das, Bichon.« Fec, der jetzt wirklich davon überzeugt war, ihr nichts glauben zu können, suchte nach einem für ihn vorteilhaften Abschluß des Gesprächs. Deshalb sah er nicht, daß Bichette erregt an ihrer Unterlippe biß.

»Hör, Fec, als wir das erste Mal im Aèro zusammen schliefen, fragte ich dich, ob ich schön sei. Du sagtest ganz trocken ja. Und im Hotel Puget, als ich dich zum zweiten Mal fragte, sagtest du es fast unwillig. Während der Fahrt in die Jetée aber sagtest du, ich sei wunderschön. Das sagtest du auch an dem Tag, an dem Flinsparker mich entführte. Beide Male hast du es bloß gesagt, um mich in Stimmung zu bringen. Zuvor gabst du es nicht zu. Entweder, um mich nicht üppig zu machen, oder vielleicht sogar, weil du mich tatsächlich nicht schön findest. Jedenfalls hast du mich damals damit gefügig gemacht. Ich zweifelte wirklich, ob du mich schön fändest, und war im Taxi deshalb so sehr geschmeichelt, daß ich gar nicht merkte, was für eine unglaubliche Beleidigung es war, mir nicht zu sagen, was du eigentlich vorhattest. Ich habe mich überhaupt fürchterlich geärgert, daß ich dir so ohne weiteres folgte. Du hast mich am ersten Abend in Nizza einfach übertölpelt. Du mußt dich damals job über mich lustig gemacht haben. Damals schon begann ich dich zu hassen. Und weißt du, wann es mir einfiel, daß du dich über mich mit all dem nur lustig gemacht hast? Als du mir nachts in dem kleinen Hotel beim Bahnhof deine Abenteuer erzähltest. Da merkte ich, wie man dich verwöhnt hatte, und fürchtete, nicht schön genug zu sein. Deshalb war ich am andern Tag auf dem Balkon im Hotel Ruhl so unausstehlich. V'lan, jetzt weißt du es.«

»Wenn es so gewesen sein soll,« meinte Fec nachlässig, »hättest du dich eigentlich darüber am allermeisten ärgern müssen. Nicht bloß über den kompletten Bann. Warum fällt dir das alles so spät ein? Du suchst eben nach Erklärungen. Das ist alles.«

Bichette wollte schon auffahren, bezwang sich jedoch noch rechtzeitig. »Man kann seinem Gedächtnis nicht kommandieren. Aber ich vermute, daß es trotzdem nicht weniger verständlich ist. Ich wollte die Größe meiner Macht feststellen ... denn eine Frau hat doch keine andere im Grunde ... und war wütend, daß du nur gerade ein Ja hinsagtest.«

Fec fühlte zwar seltsamer Weise nicht, wie tief Bichette sich gedemütigt hatte, aber er hatte immerhin so viel erkannt, um zu wissen, daß der Augenblick gekommen war, den Rückzug zu ihm, den sie antrat, zu bewerkstelligen. Dennoch hielt ihn ein spitzes feinstes Mißtrauen, das er sich nicht zu erklären vermocht hätte, davon ab. »Lassen wir das.«

»Ja, lassen wir das,« wiederholte Bichette mit nicht ganz sicherem Übermut. »Lassen wir das ...« Nach geraumer Zeit öffnete sie ihr Handtäschchen und wühlte in den Büchsen, Stiften und Schächtelchen.

Fec, der zufällig hinsah, erblicke ihr Messer. »Ah! ... Wo hast du ... Wie hast du ...« Sein Mißtrauen erklärte sich ihm mit einem Schlag.

»Hein?« Bichette puderte sich flüchtig.

»Dein Messer. Als ich dich aus der Jetée ins Hotel trug, hattest du es in der Hand. Das heißt, ich nahm es dir schon zuvor. Wann hast du es mir weggenommen? Du hast es mir zweimal weggenommen.« Fec wunderte sich, daß er so völlig darauf hatte vergessen können. Das Letzte ordnete sich in ihm.

»Lassen wir das.« Bichette schloß energisch das Handtäschchen.

»Auch den – Kofferschlüssel.«

»Wie duftig er das sagt!«

»Das Ende ist immer eine Art von Duft, meine verehrte Meisterin.«

»Er zitiert mich auch noch.«

»Eigentlich zitiere ich mich – durch dich.«

»Dichtest schon wieder, du Kamel?«

»Idiotin!«

»Merci.«

Sie lachten beide. Es klang, ohne es zu sein, herzlich. Dann faßten sie einander an den Händen. Keiner von beiden wußte jedoch, wer die Hand des andern ergriffen hatte.

»Eh ben, du bist also jetzt entschlossen, gewissermaßen die große Demimondaine zu spielen.«

»Bin ich ... gewissermaßen.«

»Nun, da du doch fast noch eleganter bist als in Nizza, so ...«

»Guips. Das tat ich nur, um dich zu ärgern.«

»Kann sein. Ist aber nicht sehr wahrscheinlich. Du hast eben, wie alle anderen auch, am ... sagen wir – großen Leben Gefallen gefunden. Sogar ebenso gründlich wie schnell.«

»Ist doch Jus, das alles.«

»Guips, Jus ...« Fecs Gesicht verlängerte sich nach oben hin. Scheinbar ohne es zu bemerken, ließ er Bichettes Hand los. »Es ist doch auffällig ... Jetzt, ganz plötzlich, erinnerst du mich an eine Frau, mit der ich monatelang in Rom zusammenlebte. Vor vielen Jahren. Das hat damals sehr ungewöhnlich geendet. Tagelang lag sie auf dem Teppich, rauchte, aß oder schlief, ohne sich auszukleiden. Und wenn ich nachts heimkam, war ich oft nicht einmal zu einem Gespräch fähig. Gerade diese Gespräche aber waren es, die sie in den letzten Wochen noch mehr gereizt hatten als die Art des Lebens, zu dem sie durch mich gekommen war. Es war ihr mehr und mehr, als führten wir dieses Leben eigentlich nur dieser süß-verrückten Gespräche wegen, wie sie sie nannte. Sie war so in einen Zustand geraten, in dem sie schließlich alles, sei es nun ein wildes Leben oder wilde Reden, als Narkotikum empfand, und verlangte nach immer stärkeren. Da das Abenteuerleben für sie kein Narkotikum mehr war, auch nicht die tollsten Liebesexzesse mehr, aber auch letzthin die süß-verrückten Gespräche nicht mehr, die oft bereits Wiederholungen wurden, fühlte sie immer deutlicher, daß alles seinem Ende zuging. Alles schien gelebt, abgenützt und beendet zu sein. Und in diesem Zustand der dumpfen Erwartung einer neuen Steigerung fiel diese Verurteilung zum Nichtstun, zum Stubenhocken. Sie sah nichts vor sich als einen fast sicheren großen Erfolg, sehr viel Geld, vielleicht Millionen, mit denen sie im Grunde nichts anzufangen wußte. Und sie fühlte ganz klar, daß auch ich mit diesem Reichtum würde nichts anzufangen wissen, daß diese ganze tobende Tätigkeit, die mich seit Wochen ausfüllte, mich zutiefst langweilte, nur von etwas wegtreiben sollte. Vielleicht von jenem Zustand, in dem sie, die dem allen abseits und untätig zusehen mußte, sich selbst befand. Und gewisse Gespräche fielen ihr immer wieder ein, die mit einem halb verschleierten Blick ins Graue, Leere, Fern-Drohende geendet hatten. Wo sie wie auch ich gleichsam vor uns selber zurückgewichen waren, um nicht vor einander zurückweichen zu müssen und vielleicht nicht vor – allem. Vor allem. Es gab Minuten, in denen ihr das Unmögliche, Schneidende, Brennende, Unerträgliche ihrer eigenen Person, der meinen, unseres Beisammenseins, des Ganzen derart scharf und tief ins Bewußtsein drang, daß sie schlaff und bleich sich vom Teppich aufrichtete und glücklich gewesen wäre, wenn irgend etwas ganz Dummes, ganz Verrücktes sich ereignet hätte. Sie erhoffte, erflehte, erbettelte sich von einem krausen X, einem besoffenen Geschick etwas Saublödes. Etwas Verrück-Saublödes. Es wäre ihr die Erlösung gewesen.« Über Fecs Gesicht, der leidenschaftlich wie noch nie gesprochen hatte, huschte kurz die ungeduldige Erwartung der Wirkung dieser Erzählung.

Aber schon fragte Bichette wie außer Atem: »Und wie ging es zu Ende? Wie war es dann?«

»Ich war von Tag zu Tag schweigsamer und verbissener geworden. Weil ich die innere Katastrophe Marcelles eben sehr deutlich erkannte. Ich wäre ...«

»Marcelle ...« flüsterte Bichette.

Fec schien nichts zu hören und zu sehen. »Eh ben, ich wäre imstande gewesen, diese Stimmung scharf auszusprechen und damit wieder eine neue Stufe, eine neue Hinausspannung zu schaffen. Aber es war mir der phantastisch wollüstige Gedanke gekommen, es diesmal nicht zu tun, sondern das Ganze auf die Spitze zu treiben, das letzte Gespräch mit der tollen Höhe meines Coups, der den großen Erfolg, die Millionen bringen sollte, zusammenfallen zu lassen und so ihr und mir ein unerhörtes Erlebnis zu verschaffen, die knirschende Feinheit solch eines Genüssen, einer Ratlosigkeit, eines Glücks ... ungekannt ... verwirrend ... das uns für immer zu einem unnennbaren, vielleicht unübergipfelbaren Eins zusammenschweißen sollte ... Es gab Augenblicke, nachts, wo ich glaubte, vor Erwartung, Spannung, ja vor Schmerz ohnmächtig zu werden. Ich hielt es fast nicht mehr aus. Ich ... Chut, ich rede ja irr. Ich bin ja ...«

»O, du bist süß, du bist schön ...« Bichette krallte ihre Finger in Fecs Schulter. Ihre Augen zerflossen. »Henri, du bist ...«

»Henri ... sagst du?« Fec beutelte sich ihre Hand herunter. Es war, als wüßte er nicht, was er tat. »So wie in der Moulin de la Galette ...«

»O, du hast recht ... du hast recht ...« Bichette würgte die Tränen hinunter. »Aber so sag mir doch schon, wie es wurde, wie es war, wie es ... mit Marcelle ...«

»Du kennst ihren Namen?«

»Du hast ihn mir doch selbst gesagt ... So sprich doch schon!«

Fec lächelte mitleidig. »Eh ben. Wie das eben so geht. Es endete sehr ungewöhnlich. Das heißt ...« Er lachte roh. » ... sehr gewöhnlich. Der Voup ratierte. Ganz zufällig. Infolge einer – Tortensendung, die ich irrtümlicherweise übernahm. Einer von jenen Irrtümern, die man besser ein Schurkenstück der Vorsehung heißen müßte. Damit aber fiel auch das andere in sich zusammen. Die ganze innere Spannung, die ich aufgebaut hatte, verflatterte in wenigen Minuten. Es endete wie immer. Ungewöhnlich gewöhnlich. Als kein Geld mehr da war und keines in Aussicht, ging sie mir mit einem Rennstallbesitzer durch. Ça y est.«

Bichette schwieg lange. Ihre Arme zitterten. Ihre Füße schwankten. Endlich fragte sie neugierig zaghaft: »Ich weiß nicht ... Warum erinnerte ich dich denn an jene Frau?«

Fec tat, als wäre er verlegen. »Warum? Weil es mit uns beiden wohl ähnlich war ... Ja, sie sagte oft – ›Cognak‹, so wie du etwa – ›Guips‹ ... Ah, ich weiß es nicht ...«

Bichettes ganzer Körper begann zu wanken. »Fec ... Fec ...« Fec blickte ihr fest in die Augen und sagte kalt: »Hast du immer noch nicht genug? Ich glaube, es wäre jetzt endlich an der Zeit, vernünftig zu werden. Sich nichts mehr vorzumachen. Sich nicht mehr von Stimmungen und Exzessen suggestiv hineinlegen zu lassen. Um dann hinterher, wenn man sich bei hellem Kopf ihrer schämt, sich einzureden, man habe sie gemacht

»Nein. Wirklich nicht.« Bichette protestierte, aber noch sehr tonlos, und ärgerte sich sofort so darüber, daß sie errötete.

Fec schmunzelte wehmütig. »Man kann sich eben tatsächlich alles einreden.«

»Hast du dir nicht vielleicht auch eingeredet ...« Bichette straffte sich mühselig, » ... daß diese Stimmungen und Exzesse, wie du sagst – hineinlegen? Warum legen sie hinein? Sie sind eben da. Sie kommen eben unvermutet. Und deshalb kommt es nur auf sie an. Auf sie allein. Auf nichts weiter.« Da Fec schwieg, fügte sie leise hinzu: »Und darauf, daß man seinen Stolz aufgiebt und sich immer an sie erinnert ...« Und da Fec noch immer schwieg, zischte sie: »Vielleicht aber ...«

»Ah! Man braucht deinen Stolz nur durch ein kurzes Schweigen zu reizen und schon machst du dich an dem, was du soeben sagtest, selbst zur Zweiflerin. Genügt dir das nicht endlich?«

Bichette stöhnte: »O, du bist gräßlich! ... Gräßlich bist du!«

»Vielleicht,« höhnte Fec. »Deshalb will ich dir noch sagen, warum ich dich so eindringlich nach dem fragte, was zwischen dir und Flinsparker im Hotel in Monte vorgefallen wäre. Ich war nämlich, weiß der Teufel warum, fest davon überzeugt, daß du mit Flinsparker geschlafen hättest, und entzückt davon, weil dieses Bewußtsein mich in eine ganz absonderliche Erregung stürzte ... Ah, das war ... Als du damals nachts zum zweiten Mal in mein Zimmer kamst, glaubtest du, ich zögerte, dich zu nehmen, weil du bereits mit Flinsparker ... Im Gegenteil, ich zögerte, weil ich deshalb so erregt war ... so sehr, daß ich dich biß ... Nun, ich will es dich jetzt wissen lassen, warum ich dich damals biß ... Das heißt, ich habe damals nicht gewußt, warum ich gebissen habe ... Und eigentlich weiß ich es auch jetzt nicht ...« Seine Augen wurden plötzlich ganz klein.

»Was für lange Wimpern du hast.« Bichette sprach wie im Schlaf. »Das sehe ich zum ersten Mal.«

»Ah, jetzt weiß ich es doch ... Ich weiß es, ich weiß es ...« rief Fec heiser. »Es war – Wut. Wut darüber, daß ich keine empfand. Es ist vielleicht die äußerste Lust ... Aber das ist ja so überflüssig ... Unsinn, Bichette, ich dichte, ich dichte ...« Er rückte energisch an seiner Mütze. »Eh ben. Und nun mußte ich erfahren (und ich weiß, daß du nicht gelogen hast), daß nichts vorgefallen war. Daß also der uneingestandene Wunsch genügte, um mich in jenen Exzeß hineingeraten zu lassen. Ich habe ihn mir selber eingeredet. Es besteht eben ursprünglich kein Unterschied: ob man von einer Stimmung, einem Exzeß suggestiv überfallen wird, oder ob man sie sich selbst einredet. Denn man dürfte, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen einer Stimmung, eines Exzesses fehlen, keinesfalls in sie hineingeraten können. Man fällt also auf jeden Fall hinein ... Und nun will ich dir auch sagen, daß das, was ich dir vorhin erzählte, jenes Erlebnis mit Marcelle, von mir im Augenblick, allerdings nicht gänzlich, erfunden wurde. Zum Teil, um dir indirekt noch den Rest der Wahrheit über unsere Beziehungen zu einander zu sagen. Zum Teil, um zu sehen, wie es auf dich wirken würde. Eh ben, es hat ganz prächtig gewirkt. Es hat dich suggestiv hineingelegt. Denn meine Entrücktheit, meine süßen schönen Worte waren gespielt. So daß ich mit den überaus vergnüglichen Schluß gestatten darf, du bist in deinen jüngsten Liebesexzeß hineingeraten, weil ich die Stimmung dazu machte. Machte. Wenn aber die Voraussetzungen gemacht sind, ist auch der Exzeß gemacht. Wir haben einander wirklich alles gemacht. Einer die Stimmungen und Exzesse des andern. Wir haben uns gemacht

»Das lügst du! Schlingue!« Bichette spuckte ihm mitten ins Gesicht. »Jetzt motivierst du hinterher!«

»Famos!« Fec wischte sich langsam den Speichel vom Gesicht. »Aber du irrst.«

» Du irrst! Als du mich, nachdem ich das erste Mal nachts in Monte bei dir gewesen war ... also du mich da so schnell fortschicktest, ohne mich zurückzuhalten, ohne mich verhindern zu wollen, mit Flinsparker zu schlafen ... da war ich so wütend über dich, daß ich mich, natürlich auch um diesen Bailot von einem Amerikaner einzufetten, von ... von dem Zimmerkellner in seiner Kammer am Ende der Korridors ... Ja, das habe ich! Du hast dich also doch geirrt ...«

»Jetzt motivierst du hinterher.«

Bichette fletschte die Zähne und schüttelte beide Fäuste unterm Kinn. Sie kreischte: »O, du, du ...«

Fec, der ihren Schirm aufgehoben hatte, machte mit ihm eine schnelle Bewegung. »Nun aber Schluß! Endgültig! Überdies ist jetzt alles so ausgezeichnet verwirrt, daß es ganz unmöglich wäre, es jemals mit Erfolg zu entwirren und auf ein sauberes Nichts zu bringen.«

»Schmutziges Nichts!« Bichette umkrallte seinen Arm.

»Famos! Schmutziges Nichts!«

»Halts aus!« ächzte Bichette, die Nägel immer tiefer in seinen Arm grabend. »Halts aus!«

Fec zerrte, weniger des heftigen Schmerzes als seiner überlegenen Haltung wegen, Bichettes Hände fort. »Und letzthin hast du ja wahrhaftig gemacht, was nur möglich war, um etwas Neues zu erleben. ›Was macht man da nicht alles? Man macht alles.‹ Das sagtest du ganz zu Anfang dieser erquicklichen Unterredung. Du scheinst vergessen zu haben, daß du früher noch meiner Meinung warst, als ich sie aussprach und begründete haha ... ›Aber das ist ja schließlich auch nichts. Wie alles.‹ Und das sagtest du noch früher. Schon damals, als du auf die Laterne stiertest ... Ah, der liebe Zeitvertreib! Er ist immer die letzte Ursache von allem. Aber geholfen hat es mir nicht. Mir ist überhaupt nicht mehr zu helfen. Und dir wohl auch nicht. Und damit ...«

»Basta!« Bichette schob sich, die Brauen wie totmüde bewegend, das Fichu zurecht.

»Basta!« Fec reichte ihr die Hand, die sie nicht ergriff, und flüsterte deshalb, aber auch weil es seinem weiter arbeitenden Gehirn gerade noch einfiel: »Übrigens begreife ich immer noch nicht, daß mir so viele Dinge entgehen konnten. Zum Beispiel, wie du im Hotel Ruhl gegen Morgen, während du uriniertest, plötzlich ›Schlingue!‹ vor dich hinsagtest. Und das war nach jener Raserei! Und wie du, als wir die Aussprache hinter Cannes hatten und ich deine Formulierung korrigierte, antwortetest: ›Das war allerdings ein Fehler!‹ Und wie du, am Schluß jenes Gesprächs, als du mir sagtest: ›Du brauchst diese geholten Sachen zu deinem Wohlbefinden,‹ erschreckt innehieltest. Erschreckt darüber, daß dir nach dieser Einigung das entschlüpft war. Du hast eben schon damals auf den Verzicht verzichtet. War das Vergnügen wirklich so groß?«

»Es ging ... wie alles.«

»Die Tigerin.«

»Vielleicht bin ich überhaupt nur aus Vorsicht abgereist. Um von dir nicht düpiert zu werden. Ich wußte doch, daß du die Leute zuerst scharf machst, sie verblöden hierauf und vollgefressen erwischt man sie, worauf man sie hat, denn es steckt nichts dahinter ... So wars ungefähr, das Rezept.«

»Ah!«

Bichette entriß ihm ihren Schirm und ergriff das Geländer der Métro-Haltestelle Anvers. »V'lan. Von hier aus fahre ich.« Sie kehrte Fec den Rücken.

»Bichette!«

Sie war bereits einige Stufen hinabgestiegen. Dennoch blieb sie sofort stehen und drehte sich rasch um. »Was willst du noch?«

»Nichts.«

Bichette ging weiter.

»Nichts!« rief Fee ihr nach.

Bichette blieb abermals stehen. Ihr Mund klaffte schief auf, bevor sie lachte: »Oder willst du ...« Ihre Finger machten die Bewegung des Geldzählens. »So sag doch schon, wie viel du willst! ... Louche ist das! ... Komm her!« Sie öffnete das Handtäschchen. »So komm doch schon her!«

Fec, der sich nun doch ärgerte, daß sie es erraten hatte, näherte sich widerwillig.

»Wie viel willst du?«

»Gib mir fünftausend. Crotte, man muß leben.«

»Nicht mehr?«

»Die fünfzehntausend gehören dir rechtmäßig. Daß du sie für gestohlen ausgabst ... Du wolltest den Verdacht vermeiden, als hättest du es nicht gewagt, zu stehlen. Und wolltest mich blamieren ... Ich habe also eigentlich nur die Hälfte des Schecks ...«

»Schnock!«

»Eh ben ...«

Bichette lachte niederträchtig. »Der feinste Genuß ist der Verzicht, hein?«

»Chut, gib schon her!«

In diesem Augenblick krachte ein Schuß.


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