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VIII

Bichette fühlte, als sie erwachte, daß Fec vor dem Bett stand, und stellte sich schlafend, nachdem sie, vorsichtig blinzelnd, seiner Anwesenheit sich vergewissert hatte.

Fec, der es erriet, setzte sich langsam auf den Bettrand, streichelte sachte ihre Haare und lispelte, fast gegen seinen Willen: »Meine süße, süße Bichon ... Du festes schweres Tier ... Du dunkles dampfendes Weib ... Du bist die harte Kette, an der ich mich halte, um nicht hinabzustürzen, wohin hinabzustürzen ich beinahe schon ... Und ich weiß nicht einmal, woran diese Kette hängt ... Und wüßte ich es, ich würde ...« Da aber packte ihn eine boshafte Lust. » ... ich würde es dir sagen, obwohl ich weiß, daß du nicht schläfst und mich hörst.«

Bichette schnellte, das Gesicht verzerrt, empor. »Schnock!«

»Eh ben.«

»Fec, das war ... O ...«

Fec warf sich lachend über sie, preßte sie mit seinem ganzen Körpergewicht ins Bett zurück und flüsterte vor ihren wutnassen Augen: »Und du? Hast du dich nicht schlafend gestellt, um mir ... Hättest du nicht geschwiegen und ...«

»Und ...« keuchte Bichette.

» ... und es geglaubt?«

Bichette verharrte sekundenlang regungslos, die Augen fest geschlossen. Dann näßte sie die Lippen und atmete schwer und ruckweise.

Erst jetzt gab Fec sie frei. Dabei schnalzte er dreimal hell mit der Zunge.

*

Den ganzen Tag über wußten sie einander zu meiden.

Laugier wartete vergeblich zwei Stunden auf dem Quai.

Abends tanzte Bichette nicht ein einziges Mal mit Fec, welcher der roten Bia, ihr zu stürmisch akklamierten Duos Gelegenheit gebend, zu einem Separaterfolg verhalf, dessen Umfang daran zu ermessen war, daß sie gegenüber dem leitenden Direktor sichtlich sehr an Einfluß gewann.

Kurz nach Mitternacht ereignete sich ein auffälliger Zwischenfall. Während Bichette mit Watt-Wayler tanzte und Fec mit der roten Bia, traf der Fuß Bichettes den Knöchel der roten Bia derart schmerzhaft, daß sie aufschrie und umgesunken wäre, hätte nicht Fec sie fest in seinen Armen gehalten und auf einen Stuhl getragen. Der Fuß schwoll rasch an. Bichette hatte mehr erreicht, als sie beabsichtigt zu haben schien: die rote Bia war außer Gefecht gesetzt.

Fec kehrte ruhig an seinen Tisch zurück, begann aber beim Anblick Bichettes, die ihn höhnisch musterte, teils aus einem ihm bis dahin in diesem Maße unbekannten Gefühl des Hasses, teils aber auch zu seinem Vergnügen, sie zur Rede zu stellen, indem er ihr eine ans Unwahrscheinliche grenzende Ungeschicklichkeit vorwarf.

Bichette, unter dem Zwang ebenderselben Gefühle, antwortete mit einer Frechheit, die Fec zum ersten Mal in solcher Unverschämtheit an ihr wahrzunehmen glaubte, und fing, als er ihr in derselben Art antwortete, ganz unvermittelt an, Argot zu reden, wobei sie ihre sonst schon sehr gebändigte Stimme aus ihrer Drosselung freiließ und schneidend drauflosschimpfte.

Fec, der sofort einsah, daß irgendetwas nicht mehr Aufzuhaltendes losgebrochen war, ließ sich, von Bichettes Wildheit mit einem Mal entzückt, mit tiefem Genuß mitreißen. Er dachte an nichts, fühlte nur das, wozu es ihn zwingen würde, und stand da, den Kopf ein wenig eingezogen, die Fäuste geballt in den Hosentaschen.

Vor ihm Bichette, die Hände mit gespreizten Fingern auf den Hüften, die nackten Elbogen weit nach vorne gedreht, den Mund offen, auch wenn sie nicht schrie.

Im Nu hatte sich ein Zuschauerkreis um den Tisch gebildet, in dem Flinsparker, Laugier und Watt-Wayler wie Kampfrichter abseits standen.

Keinem der Zuschauer war es später möglich, zu sagen, wie es begonnen hatte. Plötzlich lagen Fec und Bichette einander in den Armen und rauften wie zwei Straßenkinder, mit derselben anziehenden Unbändigkeit und demselben sympathischen Haß in den blitzenden Augen.

Fec war gerade auf dem besten Wege, Bichette zu überwältigen, als Watt-Wayler, der zuerst von seiner Verblüffung sich erholt hatte, sich darauf besann, daß er ritterlich zu sein habe. Er packte Fec an den Schultern und versuchte mit aller Kraft, ihn hochzuziehen.

Fec, der, seit er Bichette berührt hatte, nichts mehr hörte und sah, geriet jetzt in Wut. Er ließ Bichette augenblicks frei und warf sich auf Watt-Wayler, den er, nachdem er ihm einen wuchtigen Faustschlag auf die Schläfe versetzt hatte, mit zwei schnellen Griffen, fast durch die Luft, auf den Tisch schleuderte, von dem Gläser, Flaschen und Teller zu Boden klirrten und zerbrachen.

Fecs Gesicht hatte einen dermaßen gefährlichen Ausdruck bekommen, daß niemand zu intervenieren wagte. Vor allem aber, weil man allgemein unter der Suggestion dieses aufregenden Kampfes stand und unbewußt darauf hielt, daß er weiterginge.

Watt-Wayler hatte sich schnell wieder aufgerafft und vor Fec in Boxerstellung hingepflanzt.

Mit erstaunlicher Geschicklichkeit warf Fec sich seitlich auf ihn, hart an einem Fausthieb vorbei, sprang ihn nieder und verprügelte ihn jämmerlich.

Da gelang es Watt-Wayler, den seine Niederlage vor den Augen Bichettes rasend machte, seinen Browning zu ziehen.

Jetzt wurde Flinsparker, Laugier und den Umstehenden erst klar, daß sie längst hätten eingreifen müssen.

In wenigen Sekunden war Watt-Wayler entwaffnet und Fec von ihm fortgerissen.

In dem allgemeinen Tumult, der nun folgte, gelang es Fec, der, plötzlich ohne Gegner, sich rasch ernüchtert hatte, mit Hilfe eines Kellners Bichette, die zitternd und keuchend auf dem Boden kauerte, ins Freie zu bringen. Dabei sah er zu seinem Erstaunen, daß sie in der herunterhängenden Rechten ihr Messer hielt.

Während der Kellner nach einem Taxi lief, nahm Fec Bichette das Messer aus der Hand, steckte es ein und trug sie auf den Armen im Laufschritt in das schräg gegenüber liegende Hotel Ruhl.

*

Bichette, kaum auf die Chaiselongue gelegt, rieb knirschend die Zähne auf einander, blitzte Fee wild an und drehte ausspeiend den Kopf der Wand zu.

Fec zerrte sich den Rock herunter, knüllte ihn zusammen, schleuderte ihn in eine Ecke und schrie: »Ah, heißt du das etwa – sich nichts vormachen? Heißt das etwa – sap bleiben? Haha ...«

Bichette setzte sich langsam auf. Sie blinzelte.

Fec zwang sich, seinen Hals mit beiden Händen zusammenpressend, zur Ruhe. »Bereits seit einiger Zeit habe ich bemerkt, daß du diese Narrheiten ausgespannter Sentimentalität zu schätzen beginnst. Dein gespielter Schlaf gehört zum Beispiel hierher.«

Bichette stand, sich herausfordernd windend, auf. »Und warum hast du eigentlich Watt-Wayler verhauen, hein?«

»Chut! Übrigens hast du angefangen.« Fec fühlte wohl, wie unangebracht und lächerlich seine Aufregung war, vermochte aber nicht, sich in seine Gewalt zu bekommen.

Bichette wandte ihm endlich voll das Gesicht zu, das einen verblüffenden Ausdruck frecher Kindlichkeit hatte. »Außerdem finde ich diese ergebnislosen feinen Schiebereien langweilig und blödsinnig. Basta.«

»Ergebnislos sind sie erst seit heute geworden. Und zwar durch dich. Durch dich allein.«

»Bah!« Bichette setzte sich wieder und ließ die Füße baumeln.

Fec, in plötzlich aufkochender sinnloser Wut, stieß einen Stuhl gegen sie, ohne sie jedoch zu treffen.

Bichette blieb sitzen, hörte aber auf, die Füße baumeln zu lassen. »Wenn das noch lang so weitergeht, werde ich verrückt.«

»Verrückt?« brüllte Fec. »Famos! Werde lieber vernünftig!«

Im anstoßenden Schlafzimmer fiel etwas mit einem kurzen silberhellen Klang um.

Fec errötete: er war erst jetzt sich gleichsam wieder zum Bewußtsein gekommen.

Bichette sah sein Erröten und reckte sich überlegen.

Beide schwiegen und setzten sich so, daß sie einander nicht sehen konnten.

Nach etwa einer Viertelstunde schlich Bichette sich an Fec heran, schob sich auf seine Knie, stieß sein Kinn mit dem Zeigefinger hoch und lachte laut und lange. »Fec, ich glaube – wir lieben uns vielleicht doch. Meinst du nicht auch, hein?«

»Idiotin.«

»Merci.«

*

Später im Bett sagte Fec: »Ich gäbe viel darum, zu wissen, was da eigentlich in uns gefahren war.«

»V'lan. Ich auch.« Bichette spitzte lächelnd die Lippen.

»Kannst du mir wirklich nicht sagen, weshalb du ihr diesen Fußtritt versetztest?«

Bichette nahm den Kopf in beide Hände und atmete gequält auf. »Weshalb? ... Sssss, ist das schlaß! ... Also anfangs ... anfangs dachte ich, es wäre Eifersucht, das heißt Eifersucht mit dem Verstand, das heißt also pure Eitelkeit, das Ganze also nur wegen des Publikums. Du weißt doch, wie das ist ... Nein, das war es nicht. Denn kurz bevor ich stieß, hatte ich durchaus nicht daran gedacht, zu stoßen. Das war genau so wie mit dem Jagdhund. Und nachher war ich selbst ganz baba, daß ich es getan hatte ... O, ich tat es vielleicht in dem Augenblick, als ich sah, wie dein Kopf beim Tanzen sich mir zuneigte. Ich glaube ... Ja, es ist mir fast, als hätte ich es vielleicht deswegen getan. Aber im Grunde weiß ich es eben doch nicht.«

Fec, sehr mit sich selbst beschäftigt, hatte ihr, was ihm sofort auffiel, als sie schwieg, gar nicht zugehört. Deshalb sagte er erregt: »Und mir ist es schlankweg rätselhaft, daß ich ... ich, ich, ich, der ich doch zuvor ganz genau alles ... unser Vorgehen, jedes psychologische Detail ...«

»Hein?«

» ... alles ganz genau mit dir besprochen hatte, anstatt deinen faux pas zu ignorieren, dich zur Rede stellte. Als ob ich nicht, haha ... als ob ich nicht im voraus hätte wissen müssen, wie das enden würde ... Der Rest ist ja schließlich klar.«

»Klar? Wieso.« Bichette zupfte ihn schmerzhaft am Ohr. »Hättest du nicht doch noch stoppen können?«

»Nein.« Fec setzte sich hastig auf. »Das hätte ich nicht. Der Rest war dann eben Nervensache. Vielleicht, wenn jemand, kurz bevor ich Watt-Wayler zu prügeln anfing, laut gelacht hätte, oder wenn einer ein Glas auf den Boden geworfen hätte, daß ich dann ... Aber ich glaube, auch dann wäre es nicht möglich gewesen. Gegen Nerven, die von sich selbst beherrscht sind, ist eben nicht aufzukommen. Aber das ist bereits ein Problem.«

Bichette wiegte, sonderbar lächelnd, den Kopf. »Was ist das, ein Problem?«

Fec ließ sich in die Kissen zurücksinken. »Ein Problem ist ein Unsinn.«

»Übrigens ist ja, als Watt-Wayler auf den Tisch flog, der ganze Plunder zu Boden gesaust. Warum hätte das gerade ein paar Sekunden früher sein müssen?« Bichette wartete, mit den Fingern spielend, auf eine Antwort. »Fec, hör! Ich glaube, es war genau so wie in Paris ... genau so wie mein Weinkrampf und deine gelbe Wollkappe ... V'lan.«

»Ja,« sagte Fec unerwartet rasch, da er fast dasselbe gedacht hatte. »Aber aus einem anderen Grund. Damals war es so, weil wir nicht mehr leer laufen konnten. Jetzt war es so, weil wir leer laufen. Eben doch leer laufen. Also – derselbe Grund.«

»Nein, Herr Baron.« Bichette schwankte, ob sie auch sagen solle, was sie dachte. Mit einem Ruck ihrer Schulter aber entschloß sie sich. »Diesmal war es so, weil wir nicht mehr leer laufen, uns aber dagegen sträuben. Weil aus unserer Abmachung etwas anderes geworden ist.«

»Etwas anderes? Was denn?« Fec fragte mit gespielter Teilnahmslosigkeit, die ihm jedoch nicht gelang, weil er schlecht lag.

»V'lan, eine Tatsache. Wir lieben uns. Das steht für mich fest. Wir wissen nur nicht – warum, und nicht – wie. Das steht gleichfalls fest.« Bichettes ganzer Körper triumphierte.

Fee wandte sich ab. Er lächelte. Aber er war zu müde, um zu antworten.


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