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Was sollte bei einer Verlobung herauskommen, auf der Such den Tag und Auf und ab das Wort führten? Alle guten Wünsche, die man Emilie gesagt hatte, schienen verklungen zu sein in dem Streit, den Miele Wulk und Tonnis wegen der toten Lewe Haart hatten. Es war so, als hätte sich das trostlose Leben der drei über die Blumen gebreitet, die in den Fenstern standen, und auf die bunten Geschenke gelegt, die Emilie nun in der Truhe verwahrte.

Wenn sie an ihren Verlobungstag dachte, kam ihr immer wieder dieser mitternächtige Spuk in Gedanken, den die beiden Alten mit hereingebracht hatten. Gespenster waren es, aber Christian selbst hatte sie gerufen.

Emilie hatte manchen Vorwurf, daß er an jenem Abend auf den absonderlichen Einfall gekommen war. Sie verschwieg ihm auch ihre Vorwürfe nicht. Nun war es schon so, daß sie manchmal wegen Miele Wulk aneinander gerieten.

Das allein war es nicht. Christian quälte sich den ganzen Tag auf dem Ödland, grub Steine und versuchte, das Queckgras zu vertilgen. Wenn auch langsam, so schritt die Arbeit doch voran, und er glaubte, schon bald das Land pflügen zu können.

Es lag ihm daran, mit der Hochzeit nicht allzu lange zu warten. Emilie hatte ihm gesagt, daß sie etwas Geld in Aussicht hätte.

Wenn man sparsam damit umginge, könnte man sich ein Haus errichten. Es brauchte nicht groß zu sein, zwei Stuben, Küche und Vorratsraum würden zunächst genügen. So dachte es sich Christian.

Emilie dagegen hatte allerlei Einwände. Wie es sich für eine Braut gehörte, wollte sie mit voller Truhe in die Ehe kommen. Nun galt es, noch vieles zu nähen, zu sticken und mit Monogramm zu versehen.

Christian arbeitete schwer auf dem Unland. Das war ein hartes Stück. Um vorwärtszukommen, wollte er die Arbeit mittags nicht allzu lange unterbrechen, darum verabredete er mit Emilie, daß sie ihm das Essen brächte. Er zeigte ihr dann mit einigem Stolz, was er in den Stunden geschafft hatte. Das Land lag hinter dem See und ein dichter Schilfwald verdeckte die Sicht auf das Wasser. So weit man blickte, sah man gleichförmig ebenes Land, Wiesen und Ackerstreifen, auf denen man schon mit der Frühjahrsarbeit begann. Weit hinten, verborgen durch das dichte Baumgebüsch der feuchten Wiesen, lag Thorde. Abends konnte man von kleiner Anhöhe ans das Licht des Leuchtturms wahrnehmen.

Das Wetter war angenehm, es gab schon warme Stunden über Mittag. Emilie leistete Christian während der Mahlzeit Gesellschaft.

Wenn er sich ihr nähern wollte und mehr verlangte als eine Umarmung, sagte sie: »Ich bin Braut.« Was sie ihm früher willig zugestanden hätte, verschloß sie nun vor seinen begehrlichen Wünschen.

Christian fühlte, daß es ihr schwer fiel, aber sie bestand auf ihrer Weigerung, und sagte: »Ich bin Braut.« Sie glaubte wohl, den Mann fester an sich zu ketten, wenn sie sich ihm bis zur Hochzeit vorenthielte. Oftmals, wenn sie selber fürchtete, nicht stark bleiben zu können, vermied sie es, mit Christian allein zu sein. Schien es sich nicht umgehen zu lassen, dann verschwand sie mit einer Ausrede in ihr Zimmer. Sie gab vor, mit einer Arbeit beschäftigt zu sein, mit der sie Christan überraschen wollte. Tatsächlich hatte sie sich aus Thorde noch eine große Tischdecke schicken lassen, an der sie oft stundenlang stickte. Die andere Decke mit den gelben und roten Rosen lag bereits vollendet in der Truhe.

Christian zankte über diese Sinnlosigkeit. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn Emilie als natürlicher Mensch mit ihm gelebt, teilgenommen hätte an seiner Arbeit, und wenn sie gemeinsam sich das schwere Land erobert hätten. So jedoch war er das Ackerpferd, sie aber die Braut, die fadenscheinige Mädchenträume um ihren Brautstand winden wollte, wie sie es von ihren Freundinnen in der kleinen Stadt her wußte. Der Ring am Finger hatte sie verwandelt.

Christian hielt es für notwendig, ein ernsthaftes Wort mit ihr zu reden.

Jung war Emilie und sie war hübsch. Sie hatte eine angenehme Stimme. Der Mann, der sie heimführen wird, konnte schon glücklich sein.

Da saß sie nun neben Christian am Feldrand. Auf altem, warmen Mantel saßen sie. Hier und da hatten sich schon Gänseblümchen herausgewagt. Auch eine Kuhblume stand dort, und grünes Buschwerk, dessen sommerliche Pracht noch verschlossen in den Säften lag.

Sie saßen nebeneinander in freundlicher Sonne. Christian bekam es nicht fertig, Emilie Vorhaltungen zu machen. Er konnte den Blick nicht von ihr abkehren. Sie war eine liebreizende Braut.

Weit und leer sind die großen Felder. Mittag ist es, die Knechte sind heimgekehrt zu den Höfen. Sie werden nun in den Küchen sitzen und ihr Essen haben. Einsam sind die großen Felder. Es ist eine glückliche Einsamkeit, durchzirpt von einem frühen Lied. Nichts ist da als dieser kleine singende Vogel.

Weiterhin schreiten Krähen. Spähend gehen sie die Furchen ab. Zuweilen hüpfen sie umeinander, springen mit schwerfälligem Flügelschlag und schreiten weiter, den Schnabel zu schnellem Griff gesenkt. Weiter ist nichts da als die verschwiegenen Vögel. Nichts ist weiter auf den großen weiten Feldern.

Christian will Emilie an sich ziehen. Sie beugt sich zu ihm und küßt ihn. »Lieber«, sagt sie, denn sie liebt ihn, kein anderer Mann ist in ihren Gedanken. Ach, das sind viele Küsse, drollige und innige, verliebte und zärtliche. Welche sind voll Scherz und Neckerei, welche aber sind glühend und verzehrend, hinsinkende Küsse sind es, deren dunkle Glut alle Wege verwischt. Solche Küsse verketten für eine Seligkeit. Emilie zittert. Sie wehrt sich plötzlich. Leise, behutsam, entwindet sie sich Christians Armen. »Nein«, flüstert sie verstört. »Nein«, und läuft davon.

Am nächsten Mittag brachte Hanni, Frau Dahls Tochter, Christian das Essen. Er hatte sehnsüchtig auf Emilie gewartet, aber sie kam nicht. Sie fürchtete sich vor diesen verführenden Mittagsstunden, in denen schon der Frühling lebendig war.

Hanni brachte das Essen. Sie war zutraulich und hielt nicht gerne den Mund still. Von der Mutter verwöhnt, glaubte sie, daß alle Menschen sich an ihrer kleinen lieben Schwatzhaftigkeit freuen müßten.

»Ich komme morgen wieder«, sagte sie zu Christian. Emilie hatte sich also entschlossen, ihn nicht mehr auf dem Felde aufzusuchen. Es gab nun auch für sie wieder mehr auf dem Hof am See zu tun. Da Christian fast nur noch mit seinem Land beschäftigt war, hatte Iben Kars der Frau Drees einen alten Knecht zur Verfügung gestellt, der tüchtig Zugriff und manchmal noch Zeit fand, Christian zu helfen.

Frau Drees hatte das Anerbieten des alten Kars gern angenommen. Er tat so, als geschähe es seines Neffen wegen, doch fühlte sie heraus, daß auch ihr eigenes Wohl ihm am Herzen zu liegen schien.

An dem Nachmittage, als er das alles mit ihr besprach, ließ er sich noch einmal das Bild ihrer Mutter geben.

»Du hast mir doch mal ihr Bild gezeigt«, sagte er etwas stockend, »nachher fiel mir ein, daß sie mir wohl doch nicht ganz unbekannt wäre. Ich konnte mich nur im Augenblick nicht darauf besinnen.«

»Ulli hat sie geheißen«, sagte er, und betrachtete das Bild. »Ja, ich erkenne sie jetzt. Das ist nun aber schon viele Jahre her. Du hast nicht viel Ähnlichkeit mit ihr.«

»Nein«, sagte Frau Drees, »ich schlage wohl mehr nach meinem Vater.«

»Hast du ein Bild von ihm?« fragte Iben Kars.

»Nein«, antwortete Frau Drees. Sie wollte nicht gestehen, daß sie für ihren Vater nie viel übrig gehabt hatte. Er war ein schwächlicher Mensch gewesen, der sich von jedem Nachbarn beschwatzen ließ. Frau Drees würde es leid getan haben, wenn sie diesem Vater ähnlich gewesen wäre. Sie hatte es vor Iben Kars so hingesagt.

»Er war wohl ein stattlicher Mensch?« erkundigte sich Iben Kars.

»Meine Mutter war größer als er«, erwiderte Frau Drees.

Da lachte Iben Kars kurz auf und sagte: »Es ist gut.«

Von diesem Tage an besuchte er oft Frau Drees. Anfangs schützte er irgendeinen Vorwand vor, nach und nach aber war sein Kommen eine Selbstverständlichkeit. Er besprach auch manches mit Frau Drees.

Emilie kam also nicht mehr zu Christian aufs Feld. Statt ihrer kam Hanni. Sie kam pünktlich und voll Wichtigkeit. Einmal war sie von Emita, der Tänzerin, begleitet.

Da kam also Emita, die anmutig unförmige Tänzerin. Sie saßen in der Sonne und plauderten, während Christian aß.

Am jenseitigen Feld hatte Christian die Steine aufgeschichtet, die er mühsam ausgegraben hatte.

»Das ist eine schwere Arbeit gewesen«, sagte er.

»Nun, wenn man es gewohnt ist«, erwiderte Emita.

»Man muß«, sagte Christian ärgerlich.

Emita sah ihn an und fragte: »Ach, es ist gar nicht Ihr Beruf?«

»Er war doch Kapitän«, rief Hanni dazwischen.

Nun, Christian war kein Kapitän, aber da Hanni es gesagt hatte, wollte er es vor der Tänzerin nicht richtigstellen. Die Tänzerin hieß ja auch nicht Emita, sondern hatte einen gewöhnlichen Namen. Warum soll der Mensch sich klein machen, wenn es nicht notwendig ist.

»Kapitän?« fragte Emita erstaunt. Sie hatte auch einmal einen Kapitän kennengelernt, einen großen braungebrannten Mann, dem das Geld locker in der Tasche saß. Sie prüfte Christians Gesicht. Nun, es konnte schon sein, daß er Kapitän gewesen war. Sie sagte mitleidig:

»Warum sind Sie dann hier?«

Was sollte Christian nun darauf antworten. Wenn er es sich recht überlegte, wußte er selbst nicht, weshalb er in Sureiken war. Nun ja, er hatte das unstete Leben satt. Er wollte festen Boden unter die Füße kriegen. Nun war er ja auch beinahe so gut wie verheiratet. Verheiratet? Verlobt oder wie diese Lächerlichkeit hieß. Er stand gewissermaßen vor dem Hochzeitstor und wartete darauf, daß er eingelassen würde, wenn die Braut sagte: So, nun ist es so weit. Die Wäsche ist gezeichnet, die Truhe gefüllt.

Christian hatte Emita auf ihre Frage nicht geantwortet. »Warum sind Sie denn hier?«

Nein, er wußte wirklich nicht, was er darauf sagen sollte. Er hätte sagen können: Aus Trotz. Ich habe nämlich hier einen Oheim, den alten Iben Kars, einen stolzen eingebildeten Bauern, der den Mund voll nimmt, wenn er von seinem Besitz spricht, und was er alles zuwege gebracht hat. Diesem Alten ist es eingefallen, mir fünf Morgen Ödland zu schenken. Das zwingst du doch nicht, denkt der Alte, du kommst vom Meer, hast Flausen im Kopf und weißt im Grunde nichts Rechtes mit deinen Fäusten anzufangen. – Ich bin also hier, um dem Alten zu zeigen, daß ich vor seinem Unland nicht die Waffen strecke.

Das hätte Christian sagen können. Aber was würde Emita, die Tänzerin, darauf geantwortet haben? Gar nicht begriffen hätte sie es. Ein Kapitän, der aus Trotz Steine ausgräbt. Nein, Christian sah ein, daß sie einen solchen Vorwand nicht anerkennen würde. Außerdem, was ging es sie an, weshalb er in Sureiken war. Aus welchem Grunde sie hier war, wußte nun ja schon alle Welt. Sie sollte froh sein, daß man keine Frage an sie stellte. Christian ärgerte sich über Emita. Sie aber sah ihn mit ihren großen dunkeln Augen an und fragte neugierig:

»Da haben Sie wohl die ganze Welt bereist?«

Nun, so schlimm ist das nicht gewesen. Die halbe wohl, wenigstens gut ein Viertel. Aber weshalb soll er das zugeben? Wenn sie glaubt, daß er die ganze Welt bereist hat, wird er sie bei diesem Glauben lassen. Christian sagt also:

»Jawohl, die ganze Welt.«

Emita ist noch nie im Ausland gewesen, doch kennt sie alle großen Städte des Landes. Sie erzählt, wo sie überall getanzt hat. Sie nennt eine Reihe Städte bei Namen. Ob Christian die kennt? Nein, er kennt die Städte nicht. Aber die großen Hasenstädte kennt er. Von ihren Tanzstätten berichtet er. Emita sagt:

»Ich kann ein Engagement dahin bekommen. Ich werde im nächsten Winter dort tanzen.«

»Das ist wenigstens noch Leben«, sagt Christian. »Teufel auch, da geht's hoch her. Das letztemal haben wir Champagner getrunken. Die Mädchen haben uns auf dem Schoß gesessen.«

Christian nimmt keine Rücksicht darauf, daß Hanni dabei ist. Emita macht ihn mit einem Blick darauf aufmerksam. Er lacht und sagt:

»Nun, so gefährlich war's nicht.«

Emita erzählt noch, daß ihr Verlobter nach Rio unterwegs ist. Ob Christian wohl Rio kennt?

»Natürlich«, sagt Christian, »das wäre ein schlechter Kapitän, der nicht Rio kennt.«

»Ja, mein Bräutigam spielt nun mit seiner Kapelle in Rio«, sagt Emita.

Diese Weiber, sie haben nichts weiter im Kopf als den Ring. Auch Emita hat sich einen breiten Reif auf den Finger gesteckt.

Nun kommt die Tänzerin jeden Mittag mit Hanni. Es ist ein hübscher Spaziergang. O doch, Sureiken ist schön. Die Wiesen und der große See. Ja, und die Kirche mit dem spitzen Turm. Doch doch, Sureiken ist ganz hübsch. Auch die Menschen sind nett. Man kann sich nicht über sie beklagen, sagt Emita. Nun ja, sie haben ganz andere Interessen. Es sind gute Menschen, aber sie verstehen einen nicht. Frau Dahl täte schon gut, wenn sie Hanni rechtzeitig in die Stadt gäbe. Ihr Gesichtskreis würde sich weiten, sagt Emita.

»Eigentlich verstehe ich nicht, wie Sie es hier aushalten können, Herr Kapitän! Nun ja, Sie haben hier Ihre Braut. Sie sind doch wohl mit Fräulein Emilie verlobt. Man erfährt ja gleich alles in so einem Nest Und wenn Sie hier Ihren Acker haben und Begabung zum Landmann, warum nicht? Es kann ja nicht ein Mensch sein, wie der andere. Nicht wahr, das stimmt doch? Ich glaube, ich könnte es hier nicht aushalten.«

Jeden Mittag kommt nun Emita.

Emilie weiß es und sagt nichts dazu. Emita wird ihr in ihrem Zustande nicht gefährlich werden. Emilie wundert sich, daß die Tänzerin ihre Bürde so selbstverständlich zur Schan trägt. Sollte man's glauben, eine Tänzerin, die so wenig eitel ist? Nein, Emita ist nicht eitel. In diesen Wochen wenigstens nicht. Ihre Eltern sind kleine Leute gewesen. In den Häusern und Höfen, in denen Emita aufwuchs, sah sie frühzeitig schon ungestaltete Frauen, die ihren Zustand nicht verbargen. Auf den Treppen standen sie, keiften sich an und warfen sich sogar ihre Schwangerschaften vor. Nein, in diesen Wochen war Emita keine eitle Tänzerin. Das Unglück war geschehen, und sie ging ganz selbstverständlich ihren Weg. Sie ging ihn wie tausende ihrer Gleichgeborenen, die in Fabriken arbeiteten oder in engen Büros. Nur aus den zarten Bewegungen ihrer gepflegten Hände konnte man schließen, daß sie das Haus ihrer dunklen Kindheit verlassen hatte.

»Die Leute von Sureiken sind gut, aber sie verstehen einen nicht«, sagte Emita.

Sie rechnete Emilie dazu, über deren kühle Zurückhaltung sie verstimmt war. Als Frau Dahl einmal mit der Tänzerin auf den Hof am See gekommen war, hatte Emilie kaum ein Wort gesprochen. Fast schien es, als wäre sie in ihrem Magdtum über diesen Besuch beleidigt gewesen.

Ja, Emilie war die Braut, aber Emita hatte sich nur einen breiten Ring auf den Finger gesetzt.

Jeden Mittag kam nun die Tänzerin auf das Feld. Sie saßen zu dritt, Emita, Hanni und Christian. Ein schillernder Vogel sang von fernen Küsten. Über den Wiesen in flimmernder Luft erhob es sich wie die Umrisse ferner Städte. Alle Abenteuer des Meeres wurden lebendig. Zwischen den Büschen wippender Wiesen schienen die Masten hoher Schiffe aufzutauchen, im Schrei der Vögel waren die Rufe vieler Sprachen.

Hundert Fragen hatte Emita. Sie, der Sureiken ohne die Lust des Sommers zu eng wurde, begann in den Erzählungen des Mannes aufzuleben. Aus seinen Schilderungen baute sie sich das große Leben, das sie für die Zeit ihrer Mutterwerdung entbehren mußte. Hanni saß mit offenen Augen dabei. Diesem Kinde war es, als würde ein Märchenbuch vor ihm aufgeblättert. Ach, sie wollte in die große Stadt. Sie wollte ihre Mutter darum bitten.

Christian aber begann sich mehr und mehr von dem Boden zu lösen, auf dem er hatte bauen wollen.

Ja, Meerfahrt, herrliche Meerfahrt! Über die endlose Fläche ziehen die großen weißen Dampfer, kühne Segler uns die schweren schwarzen Schiffe der Arbeit.

Ewig ist der Gesang des Meeres. In seinem großen Atem wiegt sich das Herz. Ja, die Sprache des Meeres ist laut. Sie benimmt uns den Sinn, sie treibt uns fort, ewige Meerfahrt.

Leise, heimlich und kaum vernehmbar ist die Stimme des Landes. Nein, die Schollen haben kein Lied. Der Gesang der Wiesen ist ein geborgter. Sie mußten die Vögel darum bitten. Nein, die Wiesen haben keinen Tanz wie die Wellen. Von den Schmetterlingen mußten sie ihren Tanz entlehnen.

Was auch ist der Gesang der Ähren im Felde? Der Wind ist es, der Hauch der Luft, der sie anklingen läßt. Aber das Meer hat seine eigene Melodie. Das endlose Rollen der Steine im Grunde, das Schwingen der Wogen, dieses Schwingen aus sich selbst, diese ewige stete Bewegung.

Wie kann ein Herz, das gefüllt ist mit dem Lied des Meeres, glauben, daß es dieses Lied vergessen könnte. Wie kann es glauben, so feine Äderchen zu haben, um die Stimme des armen Bodens zu vernehmen, der im Herbst und im Frühjahr aufgerissen und gequält wird, der lautlos jeden Schmerz duldet, damit die Welt ihre Ernte hat und ihr Brot.

Wenn Christian den Pflug führte über das Unland, das sich nun zur Fruchtbarkeit wandeln sollte, hatte er wohl gehofft, dieses Bodens Herzschlag zu spüren. Oft hatte er den Männern zugesehen, wenn sie die Pflüge über das Land führten. Das war ein schöner heiliger Gang. Ja, sie müssen glücklich sein, diese Menschen, unter deren Händen die Erde blühen darf und Frucht tragen. Nun, wo Christian selbst den Pflug führte, war es nichts als ein harter Gang. Ein schwerer schmerzhafter Gang war es. Ja, die Erde ließ sich nicht ohne Mühe zwingen, nicht den Traum gab sie, sondern die schwere traumlose Müdigkeit. Wie ein Toter fiel man abends ins Bett.

Wenn Emita kam, sprachen sie vom Meer. Die Tänzerin erzählte von dem blanken Badeort, wo sie einmal gewesen war, von dem Pavillon aus breitem Steg, der abends wie eine leuchtende Glocke über dem Wasser thronte, von dem hellen Strand erzählte sie und von den jubelnden Instrumenten, deren Lieder sehnsüchtig versanken in dem weiten Liede des Meeres.

Christian erzählte von den großen Kranen, die spielend jede Last hoben. Abends waren im weichen Dunst die bunten Lichter des Hafens. Morgens aber zog das Schief stolz hinaus. Ja, am frühen Morgen ging der Dampfer aus Fahrt, begleitet von dem Geschrei zahlloser Möwen. Nicht einmal eine Möwe gab es in Sureiken. Nur die grauen Krähen stelzten über die Äcker und zum Sommer zogen die Gänse und Enten auf den See.

Nichts als die braunen Segel der kleinen Fischerboote erinnerte an das ewige Wasser.

Von diesen Gesprächen wußte Emilie nichts. Ach, wenn sie doch geahnt hätte, wie die beiden sich in eine ferne Welt verloren. Aber sie saß zu Hause, nähte und stickte und bemühte sich, mit Dingen fertig zu werden, die sie für notwendig hielt für ihr Leben. Allmählich aber fühlte sie doch die Unruhe des Mannes. Langsamer ging seine Arbeit. Der Pflug ruhte oft unter seiner Hand. Schwerer kamen die Gedanken mit jedem Tag. Christian begann, sich von Sureiken zu lösen.

Als Emilie das fühlte, versuchte sie, ihn wieder an sich zu ziehen, ihn zu halten und sich an seinem Herzen anzuklammern, aber dieses Herz war schon weggeweht wie ein Segel in glücklichem Wind.

An einem dieser Tage sprach Christian auch Lisa. Iben Kars hatte ihn zu sich gerufen, um mit ihm die Saat zu besprechen. Christian mußte warten und setzte sich zu Lisa. Seit langem hatten sie nicht miteinander gesprochen. Was sie auch heute redeten, war nicht viel. Unsichtbar zwischen ihnen stand der Wille des Iben Kars. Christian erzählte von seiner Arbeit. Das war etwas, das jede Verlegenheit ausschloß. Lisa fühlte heraus, daß er keine rechte Freude daran hatte. Sie sagte:

»Warum tust du es eigentlich?«

Das war nur eine kleine Frage, aber sie rollte wie ein Stein in den Bach, so daß man hinüberschreiten konnte. Auch Lisa wunderte sich, daß er in Sureiken blieb. Wie hätte sie sonst so fragen können?

Nun war Christian schon aus dem jenseitigen Ufer. In diesem Augenblicke war alles entschieden.

Er verriet sich nicht, er sagte nur: »Eigentlich hast du recht.«

Was sie dann noch sprachen, war Nebensächliches.

»Ich habe dein Tuch noch«, sagte Lisa.

Dann kam Iben Kars.

Beim Abschied hielt Christian Lisas Hand etwas länger. Er schien noch etwas sagen zu wollen. Lisa wartete darauf, daß er noch ein gutes Wort hätte. Sie standen in der Türe. Iben Kars war im Zimmer geblieben. So wenig machte es ihm jetzt aus, daß Lisa und Christian zusammenstanden im Dunkeln.

Lisa zog ihre Hand nicht zurück. Sie drückte sogar Christians Hand. Ja, sie war ihm noch immer herzlich gut, das konnte er wissen.

Christian näherte sich ihr. Sein Mund war dicht vor ihr. Aber er küßte sie nicht. Er sagte nur:

»Laß es dir gut gehn.«

Was ist das für ein Wort? denkt Lisa. Er tut, als stünde er vor einer Reise. Nichts Dümmeres konnte ihm einfallen als solch ein Wunsch. Lisa lachte über dieses Wort.

Am nächsten Tage fuhr Christian nach Thorde. Er schützte eine wichtige Besorgung vor.

Im Hafen lag der schwarze Seedampfer, der Ausländer, den Christian damals besichtigt hatte. Ein Matrose stieg die Treppe herab. Christian trat zu ihm. Sie rauchten zusammen Zigaretten. Sie standen lange und sprachen. Dann ging Christian mit an Bord.

Es war Abend geworden. Die großen Lampen des Leuchtturms wurden hell, und über Thorde und über dem Meer hinter Thorde war nun wieder für lange Stunden die starke Ruhe des unermüdlichen Lichtes.

*


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