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Nun war es wieder Winter geworden, und die Zinsen waren fällig gewesen. Frau Drees wußte nicht, wo sie das Geld herbekommen sollte. Mit banger Angst glaubte sie, die Stunde nicht abwenden zu können, die sie von ihrem Besitztum vertreiben würde. Sie hatte sich an einen Makler in Thorde gewendet. Darauf war ein ziemlich wucherisches Angebot gekommen, das überlegt sein mußte. Da Emilie ihr für derlei Überlegungen zu unerfahren schien, wandte sie sich eines Abends an Christian.

Es war kurz nach jenem unglückseligen Sonnabend. In Sureiken, das ihm eine Heimat zu werden begonnen hatte, war plötzlich Feindseliges gegen ihn aufgestanden.

Darum empfand er es als Trost, daß nun ein anderer Mensch mit seinen Sorgen zu ihm kam. Weil er überdies wußte, welche dunklen Reden man dem Hof am See anhängte, fühlte er sich aus Abwehr gegen die Schwatzhaften doppelt hingezogen. Ein erlösender Gedanke schien ihm gekommen zu sein, über den er glücklich war. Er bot Frau Drees seine Ersparnisse an, mit der Bedingung, auf dem Hofe leben zu können. Ohne das Wort auszusprechen, schwebte ihm wohl eine Art Schicksalsgemeinschaft vor.

Christian sagte: »Mit dem Handel ist es sowieso nichts. Solche Geschäfte liegen mir nicht. Ich dachte daher, zum Frühjahr Land zu kaufen. Aber wenn ich mein Geld mit in den Hof hier stecke, werde ich wohl auch nicht schlechter ankommen.«

Frau Drees glaubte, es ihm noch einmal zur Überlegung anheimstellen zu müssen, doch Christian widersprach:

»Ich könnte auch fortgehen, aber den Gefallen will ich ihnen vorläufig nicht tun. Auch soll Iben Kars nicht denken, daß ein Mensch, der von der See kommt, mit dem Lande nicht fertig wird. Also schlagen Sie ein, Frau Drees.«

Nun war sie über den Gang der Dinge erfreut. »Damals hab ich schon gesagt, in so eine Hand gehört der Spaten.«

Zu Emilie sagte Frau Drees lachend:

»Nun haben wir einen Mann auf dem Hof, aber er muß von der Pike auf lernen. Zuerst muß man ihm das Melken beibringen.«

Sie war verwundert, daß Emilie Christians Entscheidung nicht so herzlich aufnahm, wie es eigentlich zu vermuten war. Nun mußte sie oft das Mädchen zur Rede stellen:

»Du wirst es noch so weit treiben, daß er seiner Wege geht«, klagte sie verärgert.

Eines Sonntags war dann Emiliens Geburtstag. Bolk der Schmied war gekommen mit Frau Seba. Man saß um den Tisch und erzählte. Frau Seba deutete auf Christian und sagte:

»Ich wußte gar nicht, daß er so guten Geschmack hat. Das ist eine hübsche Handtasche, ich hätte wohl auch gern so eine.«

Sie fuhr Emilie zärtlich über das Haar. »Nein, welch hübscher Geschmack!«

Sie hatte gemerkt, daß etwas zwischen Emilie und Christian nicht stimmen mußte, und so wollte sie wohl ein wenig zur Versöhnung beitragen.

Frau Drees hatte eine silberne Nadel angesteckt, die eine Perle hielt. Es war nichts Besonderes, aber es sah doch gut aus. Frau Seba kannte den Schmuck noch nicht und bewunderte ihn. Sie erschrak, als sie hörte, daß Christian ihn aus Thorde der Frau Drees mitgebracht hätte.

»Milda?« sagte sie mit vorwurfsvoller Frage. Dabei streifte ihr Blick Emilie. Nun glaubte Frau Seba wohl, daß es Eifersucht wäre.

»Wie kann er so etwas auch tun?« klagte sie am Abend vor ihrem Mann. »Er muß doch wissen, wie empfindlich junge Mädchen sind, besonders, wenn sie sich verliebt haben.«

Sie wunderte sich, daß Bolk nicht darauf einging. Sie war überhaupt erstaunt, wie wortkarg er nach der kleinen Geburtstagsfeier war.

Worüber wollte er sich beklagen? Man hatte in aller Freundschaft Kaffee getrunken und Kuchen gegessen, und am Abend hatte Frau Seba zu den beiden Männern gesagt:

»Nun geht schon und trinkt euren Schoppen.«

»Nach all dem Süßen will ein Mannsmagen was Herbes«, erklärte Frau Seba der Frau Drees. Sie war ärgerlich, daß Frau Drees nicht selbst daran gedacht und eine Kanne Bier besorgt hatte, aber vielleicht war sie zu knapp mit dem Geld gewesen.

Frau Seba hatte auch bemerkt, daß die beiden Männer nicht viel miteinander sprachen. Bolk war nur mißmutig zu der Feier gegangen, wie er überhaupt vermied, mit Christian zusammenzukommen.

›Was sind das alles für Dummheiten?‹ dachte Frau Seba, ›was haben die Leute im Dorf zu schwatzen. Jeder soll vor seiner eigenen Türe kehren. Es ist auch nur, weil er neu hier angekommen ist. Sie denken, es könnte ihnen was von ihren Pfennigen abgehen. Sie wollen ihn gern wieder weg haben. Darum bringen sie ihn in solch schiefes Licht. Als wenn das Brot knapp würde, wenn noch einer mit äße. Natürlich, so ist es‹, hatte Frau Seba gedacht, und sie hielt auch vor ihrem Manne nicht damit zurück. »Wer hat denn nun dir in die Asche geblasen?« sagte sie ärgerlich.

So war er schließlich doch mitgekommen, aber sie sah, daß er kaum zwei Worte mit Christian wechselte.

»Trinkt euren Schoppen«, sagte Frau Seba, und wünschte, daß die Männer sich unter vier Augen einmal aussprächen. Warum sollte ein krummer Draht nicht wieder zurechtkommen?

Nun, die beiden Männer gingen zum Schoppen. Sie gingen zu Dan Lebbers. Wohin sollten sie sonst gehen? In Sureiken konnte man sein Bier nur bei dem Kaufmann Dan Lebbers trinken.

Die beiden hatten auf dem Wege nicht viel miteinander gesprochen. Sie sprachen auch kaum, als sie vor dem Ladentisch saßen. Das alles besorgte setzt Dan Lebbers. Er schlug sich schallend aufs Bein. »Der verlorene Sohn!« schrie er.

Am Sonntagabend sucht man gern eine Unterhaltung. Ein Gespräch wenigstens muß sein. Man will die Woche ein wenig beschwatzen. So sind Lüßmann da und Patzke. Auch Laabs, der Schuster, sitzt in der Ecke und neben ihm Tonnis, der Nachtwächter. Es stehen auch noch ein paar andere Männer aus Sureiken vor dem blanken Schenktisch. Später sogar kommt noch Jakob Kloth, der Fischer, bei dem viele Kinder in einer Mütz leben, wie Pastor Lorentz immer sagt.

»Du großes heiliges Vergnügen!« ruft der Schuster Laabs aus seiner Ecke. Man hat nicht viel zu erzählen gewußt, er war sogar schon etwas über dem Bier eingedruselt. Nun kam da Christian Kars, von dem man sich so viel ins Ohr tuschelte. Da wurde Laabs wach und rief: »Du großes heiliges Vergnügen!«

Zuerst sah es gar nicht so aus, als wäre da etwas Besonderes gekommen. Die beiden Männer setzten sich vor den Ladentisch und tranken ihr Bier.

Nach einem Weilchen stand Lüßmann auf und wollte gehen.

Laabs hielt ihn zurück. Er lachte: »Warum so eilig, meine Herrschaften, fragte der Deibel.«

»Hast recht«, antwortete Lüßmann und setzte sich wieder.

Christian beachtete ihn nicht. Nein, es sah nicht aus, als würde sich Besonderes ereignen. Nur Laabs, der Schuster, bekam's mit dem Trinken. Er bestellte ein Glas nach dem anderen.

»Himmel Kreuz Anis!« schrie er, und beruhigend setzte er hinzu: »Fluchen ist kein Versprechen.«

»Donner Stern Raketenloch!« bekräftigte er es noch einmal.

Die Leute wollten wissen, daß er sich neue Worte ausdachte, wenn er seinen Pechdraht zog. Er probierte sie aus, wenn er das Leder weich klopfte. Sagte seine Frau: »Pfui, Laabs!« dann war er zufrieden. Bei jedem Holznagel, den er in die Sohle einschlug, wiederholte er: »Pfui, Laabs.« Man konnte ihn für einen gefährlichen Menschen halten, aber er hatte geweint, als er einmal sah, wie eine Katze einen Vogel davontrug.

Nun saß er da, trank ein Glas Bier nach dem andern und wartete auf seine Zerstreuung.

Tonnis, der Nachtwächter, dem er ein Glas spendiert hatte, wollte sich erkenntlich zeigen. Er begann eine Erzählung. Das war noch umständlicher, als wenn er sich die Pfeife stopfte. Das ist auch selbstverständlich. Den Tabak nimmt man einfach aus dem Paket. Man weiß genau, woher man den Tabak nimmt. Aber woher holt ein Mensch die Worte? Das ist eine große Langwierigkeit. Man weiß nicht einmal, wie sie überhaupt zustande kommen. Natürlich ist es einfach. Der Mensch spricht. Das ist die einfachste Geschichte von der Welt. Das schon. Jedoch wie kommt er zu seiner Rede? Da wäre wohl noch manches zu bedenken, wenn man begönne, darüber nachzugrübeln. Manchmal macht Tonnis sich seine Gedanken.

Heute ist er in Erinnerungen hinabgestiegen. Er ist alt, und vieles ist schon von dieser Welt abgeschieden, was mit ihm jung war. Nun ist auch Sparre begraben, Sparre, der Kuhhirt, und Lewe Haart ist begraben. Von seinem Jahrgang lebt bloß noch Miele Wulk. Ein rotes und ein graues Auge hat sie, und das eine Bein ist gut eine Handbreit kürzer als das andere. Früher war sie noch eitel und trug einen hohen Absatz, aber nun hat sie schon längst diese Eitelkeit aufgegeben und geht, so wie es ihr Gott bestimmt hat. Auf und ab, so ist ihr Gang, auf und ab.

Tonnis ist öfter bei ihr. Er geht nun auch schon lange krumm.

Den Hals vorgeneigt und den Blick zur Erde, so geht er. »Such den Tag«, fingen die Kinder.

Oft muß man lachen, wenn Tonnis und Miele Wulk einen kleinen Spazierweg haben. Auf, ab, und Such den Tag, so gehen die beiden Alten. Dazu klappern sie mit den Stöcken und immer haben sie etwas zu kichern. Über den Kirchhof gehen sie – Auf, ab, und Such den Tag –, stehen hier am Grab und da am Grab, sagen »ja ja« und lachen. Komische Geschichten fallen ihnen ein, von denen, die da unten liegen. Kleine Bosheiten und große Dummheiten, alles, was die Menschen so anstellen in einem Leben.

Tonnis sitzt auch öfter bei Miele Wulk in der Küche. Bevor er eintritt, überzeugt er sich jedesmal vorsichtig, ob die Ziege nicht wieder in der Diele steht. Manchmal nämlich, wenn Miele Wulk sich zu einsam fühlt, holt sie die Ziege herein. Einmal ist Tonnis umgestoßen worden.

»Was ist dir in den Kopf gekommen, Miele Wulk«, hatte er gesagt, dann erst merkte er, daß es die Ziege gewesen war. Er war ärgerlich davongehumpelt und hatte überall erzählt: »Bei Miele Wulk sitzt die Ziege am Herd!«

Die Leute wurden nicht schlau aus seinem Bericht, aber sie glaubten, daß es bei Miele Wulk nicht mehr stimmte, und so schickten sie ihr den Doktor ins Haus, und als der bei ihr nichts fand, den Pastor.

Miele Wulk hatte den alten Pastor Lorentz kühl aufgenommen. Sie bot ihm nicht einmal einen Stuhl an.

»Du hast ein verstocktes Herz«, hatte Pastor Lorentz gesagt. Und zu dem alten Fräulein Hoffenthal hatte er zu Hause geäußert: »Die geht keiner schiefen Katze aus dem Weg, die Miele Wulk.«

Miele Wulk war lange zornig gewesen auf Tonnis, weil er das von der Ziege erzählt hatte. Aber schließlich war sie wieder zugänglich geworden, denn kurz vor dem Grabe soll man sich nicht mit dem erzürnen, der auch schon dahin auf dem Wege ist.

Nun saß Tonnis mit Laabs, dem Schuster, zusammen am Tisch bei Dan Lebbers. Er sagte:

»Wenn sie's nicht mit dem Fuß gehabt hätte, wär sie in der Jugend nicht so uneben gewesen. Neulich hatte sie einen Kuchen gebacken. Ich sollte mithalten, sagte sie, aber was soll ich Kuchen essen, wenn ich den Sod kriege.«

»Das schwatzt und schwatzt«, rief Laabs. »Laß mich in Ruh damit. Sie hat ein rotes und ein graues Auge. Ich will nichts von ihr wissen.«

Tonnis schüttelte den Kopf. »Sie hängt keinem Menschen was an«, sagte er.

Nun fuhr Lüßmann herum und starrte den Nachtwächter an.

»Auf wen soll das gehen?« schmunzelte Laabs.

Nun war es also so weit. Jetzt mußte man nur sehen, daß der Funken nicht ausginge. Die anderen schwiegen aber noch.

»Wer kriegt hier was angehängt?« stichelte Laabs.

Christian trank langsam das Glas aus. Er drängte zum Aufbruch. Nur widerwillig war er geblieben, als er Lüßmann gesehen hatte. Warum aber sollte er ihm das Feld räumen? Er wußte, daß alles Gerede von Lüßmann stammte, ob zu Recht oder zu Unrecht. Wenn er gleich die Türe wieder hinter sich zugemacht hätte, würde man es ihm zum schlechten Gewissen angerechnet haben. Darum war er geblieben. Es war jedoch eine Spannung da, die sich auslösen wollte. Das merkte er deutlich, und darum wünschte er nun zu gehen.

Jetzt war Patzke aus seiner Ecke hervorgekommen und stand neben dem Schuster. »Ich bin die Sanftmut selbst«, behauptete Patzke von sich, wenn er ein paar Glas Bier getrunken hatte. Er wußte, worauf der Schuster hinauswollte.

»Jeder muß wissen, was er sagt, und damit gut!« sagte er.

Mit diesem Satz wollte er wohl das Gespräch abtun, und um das noch deutlicher zu machen, hob er sein Glas, schwenkte es in die Runde und rief:

»Aufs Wohl allseits!«

Da hoben auch die anderen ihre Gläser, auch Bolk, der Schmied. Nur Christian ließ sein Glas stehen.

Es war leer und er hätte es nun wohl füllen lassen müssen, um nachträglich dem anderen Bescheid zu geben. Doch schob er das leere Glas beiseite, stand auf, und zog die Weste zurecht. Auch ein sanftmütiger Mensch ärgert sich, wenn er nicht beachtet wird. Wie sollte es Patzke nicht kränken, der von Christian sich übersehen sah. Er stellte sein Glas hin und sagte zu Dan Lebbers:

»Du hast einen stolzen Gast.«

Laabs lachte: »Er will deinen Wunsch nicht annehmen, Patzke!« Das reizte den Gärtner noch mehr. Er wandte sich zu dem Schuster und sagte:

»Nun ja, wenn einer drauf und dran ist, Hofbauer zu werden.«

Er hatte es bloß halblaut gesagt. Das Wort war nur für Laabs bestimmt, doch Christian hatte es gehört. Er hatte die Hände in die Taschen gesteckt und mit einiger Verächtlichkeit sagte er:

»Ihr seid einer wie der andere!«

Die Männer im Laden fuhren hoch. Sie waren beleidigt und drohten. Dan Lebbers sah, daß es böse ausgehen könnte, und um den Sturm abzulenken, trat er vor den Ladentisch und fragte Christian:

»Geht das auch auf mich?«

»Auch auf dich«, antwortete Christian ruhig.

Er sah dem Kaufmann glatt in das Gesicht.

Nun war Dan Lebbers der Beleidigte. Die anderen konnten sich zufrieden geben. Dan Lebbers war ein starker Mann, der es nicht auf sich sitzen lassen würde. Nun konnten sie alle ihr Bier nehmen und beiseite treten. Sie gaben Raum für die beiden, die sich da gegenüberstanden.

Bolk, der Schmied, erhob sich, nahm Christians Arm und sagte:

»Komm.«

Man sah allen an, daß sie falsch darüber waren. Es war wohl auch nicht richtig von dem Schmied, daß er Christian einer Auseinandersetzung entziehen wollte.

Die Männer machten Miene, Christian nicht wegzulassen. Sie hätten das, wenn es darauf angekommen wäre, mit Gewalt getan.

Dan Lebbers winkte ab. »Ich bin allein Manns genug!«

Er wollte auf alle Fälle einen Tumult verhüten, auch wenn er sich mit Christian einlassen mußte.

Er schob Bolk beiseite und sagte zu Christian:

»Du hast mich beschimpft.«

»Ich habe nicht mehr gesagt, als ihr wert seid«, erwiderte Christian.

Er hatte die Hände aus den Taschen genommen und hielt sie in Bereitschaft.

»So käme es darauf an«, sagte Dan Lebbers.

Er zog die Jacke aus und legte sie auf den Tisch. Das alles geschah mit einiger Umständlichkeit.

Nun werden sie miteinander ringen. Das Spiel der Muskeln soll nicht durch die Jacke behindert sein. Sie legen sie ab. Auch nicht durch das Hemd. Sie krempeln die Ärmel bis zu den Achseln auf. Sie stehen sich gegenüber und spähen einer des anderen Schwäche aus. Es ist gar kein Haß in ihren Mienen, nicht einmal Ärger. Alle Sehnen sind angespannt, jeder Muskel will sich erproben. Es ist eine Lust, einmal am anderen seine Kräfte zu messen.

Als Seemann hat Christian das oft getan. Auf Deck im Spiel, in dunklen Gassen im Ernst. Er hat manchen Schlag davongetragen, doch auch nicht mehr als sein Gegner. Bis zur Erschöpfung hat er oft gerungen. Das war ein wundervoller Schlaf danach.

Nun steht er wieder jemandem gegenüber. Das ist ein breiter, stämmiger Mensch, man sieht ihm an, daß er Kisten schleppt und schwere Säcke in seine Niederlagen trägt. Nein, Dan Lebbers ist kein Mensch, der vor einem anderen in das Mauseloch kriecht.

Sie haben die Ärmel hochgestreift und mustern sich. Dan Lebbers schnalzt mit der Zunge. Sie werfen sich aufeinander.

Gegeneinander stemmen sie sich, drängen sich ineinander, stehen starr wie Mauern im Griff, schieben sich schwer vor und zurück, beugen sich seitwärts und rückwärts, hochheben wollen sie sich und einander auf die Schultern zwingen. Sie reißen aneinander, um den festen Stand zu erschüttern. Doch stehen sie breitbeinig da wie Stiere. Es ist schon eine große Kraft in ihnen. Das muß man sagen.

Doch dann kommen sie in Bewegung. Nun drängen sie ihre Körper durch den schmalen Raum. Sie haben nicht viel Platz. Der Laden ist nicht allzu groß, und die anderen, die zuschauen, müssen sich hinter den Ladentisch zusammenzwängen. Laabs will noch die Gläser, die vor dem Tisch stehen, in Sicherheit bringen. Aber schon ist es zu spät. Die Ringenden sind zu Fall gekommen und wälzen sich am Boden.

Ein Stuhl ist umgefallen, ein Tisch. Es sind Gläser in Scherben gegangen, und die Ringenden bluten ans kleinen Schnittwunden.

Sie rollen ineinandergeballt über den Boden. Nun bleibt kein Stück mehr an seinem Fleck.

Auch die anderen Stühle sind umgestürzt. Das Regal, darin vielerlei Waren verstaut sind, schwankt. Es schwankt hin und her unter der Wucht des Anpralls.

Wenn es umstürzt, wird nichts als eine große Verwüstung sein. Die Ringenden achten es nicht. Sie haben sich ineinander verbissen mit Händen und Füßen. Sie keuchen, und der Schweiß steht blank in ihren Gesichtern.

Wenn das hohe Regal zusammenbricht, wird vieles zu Schaden kommen.

Bolk, der Schmied, drängt sich aus den anderen heraus. Bolk hat große breite Hände. Es ist ein Wunder, daß er so zart die Geige zu spielen versteht. Schmiedefäuste hat er. Eisen kann er damit biegen. Das wissen die Leute. Selbst in Thorde wissen sie es. Eine Kette kann er zerreißen, wenn's darauf ankommt.

Er tritt zu den Ringenden, er bückt sich und packt sie an den Schultern. Christian packt er und Dan Lebbers, den Kaufmann. Seine Hände sind so groß, daß ihre Schulterknochen darin verschwinden. Hart packt der Schmied zu. Fest und hart. Er reißt die Ringenden auseinander wie die Glieder einer Kette.

So stark ist Bolk, der Schmied. Und als wäre er auf dem Tanzboden, ruft er:

»Der Tanz ist aus!«

Er steht zwischen den beiden Gegnern und läßt nicht zu, daß sie noch einmal aufeinander losstürzen.

Allmählich beruhigen sie sich auch. Zwar geht ihr Atem noch lange heftig und ihre Hände zucken noch viel, aber man merkt doch, wie sie langsam zur Ruhe kommen.

Auch sagt Laabs, der Schuster, mehrmals besänftigend: »Hand vom Pech. Donner auch. Hand vom Pech.«

Inzwischen ist auch Tonnis vorgetreten und stellt die Stühle wieder auf. Die Glasscherben schurrt er mit dem Fuß an die Wand.

Sie haben die Jacken wieder angezogen und stehen etwas unschlüssig da. Sie wissen nicht recht, war dieser Kampf zum Guten oder zum Bösen. Es war mehr als ein Spiel und doch wohl weniger als eine Feindschaft.

Nun ist eine Verlegenheit zwischen ihnen. Auch die anderen bleiben schweigsam, als fürchteten sie, daß irgend etwas wieder aufflackern könnte.

Jakob Kloth hat das alles mit angesehen, ohne Erregung hatte er den Kampf betrachtet. Nun ist er der erste, der geht. Er geht ohne Gruß, so wie es seine Gewohnheit ist.

Es war Mond, und der Schatten der Kreuze lag auf der weißen Wand seines kleinen Hauses.

Hinter diesen Schatten schliefen in wenigen Betten die vielen Kinder. Bunte Träume hatten sie, mit Fischen darin und komischen Kuhgestalten. Auch die Fische waren seltsamer als die in Vaters Netz. Der Traum gab allem eine fremde Gestalt, aber man brauchte sich nicht zu fürchten.

*

Christian fährt manchmal nach Thorde. Von Thorde aus sieht man das Meer. Ein schmaler Streifen, aber es ist das Meer. Man sieht auch den Leuchtturm, tagsüber entfernt wie eine graue Säule gegen den Himmel, abends jedoch nahe gerückt und nachbarlich durch den gutherzigen Schein. Oft blickt Christian hinüber.

Er ist froh, wenn er nicht in Sureiken ist.

Der Spektakel mit Dan Lebbers war kein Geheimnis geblieben. Emilie hatte schon am nächsten Tage davon gehört. Also deshalb hatte sie ihm einen Leinenlappen um die Hand binden müssen.

»Ich hab mich ein bißchen geritzt. Nicht der Rede wert.« Er lachte, als sie ihm die Wunde verbinden wollte, aber ihr sanftes Zugreifen tat ihm wohl, und so hatte er es geschehen lassen.

»Gerade zu meinem Geburtstag muß dir das passieren. Wie hast du das bloß angestellt?« jammerte Emilie.

Am nächsten Morgen schon bekam alles ein anderes Gesicht. ›Er hat sich geschlagen, ausgerechnet an meinem Geburtstag. Es wird wieder eine böse Geschichte sein. Wer weiß, was noch alles geschieht.‹

Sie saß in der Ecke und weinte. Den ganzen Tag weinte sie, solange sie alleine war. Kam jemand herein, trocknete sie schnell die Tränen und versuchte zu lächeln.

Frau Drees war unfreundlich zu ihr. Man sollte froh sein, daß ein Mann im Hause war, dessen Kräfte man im Frühjahr in der Wirtschaft gut gebrauchen konnte. Wer kann überhaupt wissen, wie lange er noch aushält, wenn er so maulige Tränen zu sehen bekommt.

Frau Drees wollte das gutmachen und hatte für Christian freundliche Worte. Er blieb einsilbig. »Ich fahre nach Thorde«, sagte er und setzte sich auf das Rad.

Es schneit. Dicke Flocken sind es, die durch die Luft wirbeln. Wann fährt jetzt ein Mensch ohne dringendes Geschäft nach Thorde? Es ist kein Vergnügen, den Schnee in das Gesicht zu bekommen. Man ist kaum aus Sureiken heraus, und schon ist man weiß wie ein Mehlsack. Kein vernünftiger Mensch ist auf der Landstraße. Doch Christian fährt nach Thorde.

Er weiß nicht, was er dort soll. Thorde ist nicht viel größer als Sureiken. Kaum um die Hälfte größer ist es. Aber hinter Thorde geht der Fluß in das Meer.

Hinter Thorde ist auch der Leuchtturm, ein roter Turm, düster am Tage, doch am Abend, wenn die große Lampe brennt, ein freundlicher Stern. Am Abend steht man auch nicht die graue Mauer darum und nicht das häßliche Haus, darin der Wärter wohnt. Am Tage ist es wie eine kleine erschreckende Fabrik, herzlos und ohne jeden guten Zuruf. Der Abend wischt das alles fort. Am Abend ist nur das große Licht, ein langes Licht, daß man dabei bis sieben zählen kann, und zwei kurze Lichtscheine, die nur bis drei ausreichen. Sieben und drei und drei, so ist das Lied, das der Leuchtturm hinaussendet. Im Winter ist dieses Licht schon frühzeitig wach. Jedenfalls leuchtet es schon, wenn Christian am Fluß entlang um den Hafen schlendert. Oft steht er lange und blickt nach dem Leuchtturm hin. Sieben zählt er und atmet tief. Er zählt drei und drei und schüttelt den Kopf. Man könnte denken, daß er Zwiesprache hielte mit dem Turm.

Vielleicht sagt er dem Turm: ›Ich bin einer von denen, die deinem Meere untreu geworden sind. Nun weiß ich nichts Rechtes anzufangen. Es kann sein, daß ich zu dir zurückkehre, das könnte sein. Vielleicht aber geht es doch noch gut auf dem Land. Man kann das nicht wissen. Ja, vielleicht komme ich wieder.‹

Im Hafen hinter Thorde liegen nur wenige Schiffe. Es ist zwar eine große Mole gebaut worden, die ihr rotes Licht hat und ihr grünes Licht. Doch hat die Mole keine Stimme, und die Schiffe weit draußen auf See fahren vorüber. Ein paar Schiffe jedoch liegen immer bei Thorde. Es kommt auch vor, daß sie fremde Flaggen führen. Ja, manchmal geht ein ausländisches Schiff in Thorde vor Anker.

Solch ein Schiff ist wieder angekommen. Christian kann sich nicht von diesem Schiff trennen. Ein kleiner Dampfer ist es nur, kaum der Rede wert. Man wundert sich, daß so ein Ding über die See kommt. Auf ganz anderen Schiffen ist Christian gewesen. Nun kann er sich von dieser Nußschale nicht losreißen. Er steht davor und starrt auf das schmutzige Schwarz der Bordwand. Einige schmierige Kerle laufen über Deck. Einer von ihnen kommt die Treppe heruntergeklettert. Neben Christian will er sich eine Zigarette anzünden. Es fehlt ihm aber das Streichholz und Christian bietet ihm Feuer an. Nun kommen sie in ein Gespräch. Der Mann spricht eine andere Sprache und es ist eine Art Kauderwelsch, was für die Unterhaltung herhalten muß.

Christian geht mit an Bord. Er kriecht durch alle Ecken des kleinen wackligen Seedampfers. Er prüft die Taue und faßt über die Ankerkette. Er nickt mit dem Kopf.

Alles ist gut. Ich hab manche Seefahrt gemacht. Es ist bloß ein kleiner Kasten, aber er hält durch. Schön, sagt Christian, und geht. Er klettert die Treppe herab, er steht noch ein Weilchen am Hafendamm. Da ist das schmierige Schwarz der Bordwand, eine flackernde Ölfunzel darüber.

Das ist alles. Aber es war ein Schiff, das nach Meerfahrt roch.

Christian fährt wieder nach Haus. Das also ist Sureiken, ein schmales, langes Dorf in der Dunkelheit. Allmählich werden kleine helle Augen im Dunkeln wach. Licht ist hinter den Fenstern. Nun ist schon freundlicher Abend.

»Wie war es in Thorde?« fragt Frau Drees.

»Was soll sein?« antwortet Christian, setzt sich und ißt. Frau Drees hat Eier gebacken. Sie hat auch Tee gekocht.

»Das tut gut«, sagt sie.

Dann ist Nacht über Sureiken und langer Schlaf. Auch über Thorde ist Nacht und Schlaf, und nur das Licht des Leuchtturms kreist über die See, drei, drei und sieben.

*


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