Johann Gabriel Seidl
Die Schweden vor Olmütz
Johann Gabriel Seidl

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9.

– – – Ich wünschte
Dir etwas sein zu können, wenig nur,
Doch etwas, nicht in Worten, in der Tat
Wünscht' ich's zu sein.
Goethe.

Gegen Ende des Jahres 1642 nahmen die Angelegenheiten in Mähren eine andere Wendung. Dem schlauen, kriegserfahrenen Torstensohn schien es um Olmütz nur deshalb zu tun gewesen zu sein, um keine Festung von Wichtigkeit im Rücken zu haben, wenn er Front gegen Süden machen wollte. Nachdem er es daher ausgesogen und wie sich die Chronik ausdrückt, viel Kraut und Lot darin genommen hatte, begnügte er sich, die Hand darauf zu halten und richtete sein Augenmerk zunächst auf Brünn, wohin alles, was vor der Zeit noch entkommen konnte, zusammengeströmt, und der Reichtum von Olmütz sowohl, als den übrigen unbeschützten Teilen des Landes abgegangen war.

Aber die Kaiserlichen konnten es nicht länger ruhig ansehen, daß der Schwede sich im Herzen einer der gewerblichsten Provinzen des Landes breit mache, und schritten daher zur ernstlichen Abhilfe. Ehe die Feinde noch Brünn nachdrücklicher berennen konnten, rückte die kaiserliche Armee unter dem Erzherzoge Leopold Wilhelm und dem Generale Piccolomini mit solcher Sturmeseile vor, daß Torstensohn sich genötigt sah, seine Fähnlein zu sammeln, Brünn und Olmütz aufzugeben um die Grenze von Schlesien zu gewinnen. Nachdem er daselbst Groß-Glogau entsetzt hatte, marschierte er gegen Meißen an, den Plan zur Schlacht bei Leipzig entwerfend, welche am 2. November dieses Jahres wirklich geliefert wurde.

So war es in Mähren wieder ruhig geworden. Mut, Lebenslust und Gewerbtätigkeit kehrte unter die Einwohner zurück, und manche Wunde war eher vernarbt, als man es zu hoffen gewagt hätte.

Auch in den Gebirgen der Wallachen fing man an, die Nachwehen des bejammernswerten Zwischenspieles, welches diese Höhen aus ihrem ländlichen Frieden aufgeschreckt hatte, in tröstlicher Hoffnung auf eine bessere Zukunft geduldiger zu ertragen.

Die Geschichte von Kovacz, seiner Geburt, seiner Tat und seinem Ende war allgemein bekannt geworden, und sein Name ging von Mund zu Mund.

Nur Nika fand noch immer keine Ruhe. So oft sie den Namen Kovacz hörte, ging es ihr wie ein Dolchstich durchs Herz, und als die Blätter fielen, als der erste Schnee die Kuppen der Berge bedeckte und die Natur ihren Witwenschleier umwarf, da ward es ihr ganz unerträglich in der einsamen, öden Gebirgswelt. Eine unbezwingbare Sehnsucht trieb sie hinab zu ihrer edlen Freundin Eleonora, von deren fortwährendem Aufenthalt in Brünn sie durch Hirten, die ihren Käs' hin zu Kaufe führten, Kunde erhalten hatte. Sie wollte sie nur sehen, nur ihre Hand küssen, nur Trost sich holen aus ihren holden Augen, nur aus ihrem Munde etwas von den letzten Stunden ihres unvergeßlichen Kovacz hören.

Roman liebte seine arme Nika zu sehr, als daß er ihr diese Bitte verweigert hätte. So schwer es ihm auch fiel, sie selbst auf kurze Zeit nur zu entbehren, so sorgsam bereitete er alles vor, um ihre Reise diesmal gemächlicher einzurichten, als es in den Zeiten des Krieges geschehen konnte. Bis zum Fuße des Gebirges begleitete er sie selbst, dann übergab er sie der Obhut eines vertrauten Hirten, welcher sie auf seinem Fuhrwerke an das Ziel ihrer Sehnsucht bringen sollte.

Rührend war die Szene des Wiedersehens. Tränen der innigsten Freundschaft flossen, und herzliche Umarmungen wechselten mit zärtlichen Küssen. Erst als das Herz sich satt erquickt hatte, fand das Auge Zeit, den geliebten Gegenstand zu betrachten. Aber wie verändert fand Nika ihre teuere Freundin!

Die schöne, lebenskräftige Frau, deren Reize Gefangenschaft, Entbehrung, Flucht und Todesgefahr nicht zu entstellen vermochten, stand jetzt in Trauerkleidern vor ihr, blaß, abgehärmt, ein Bild des tiefsten Schmerzes. An ihrem Antlitze konnte man es abmerken, daß sie Witwe war.

Lange hielt die gebeugte Frau die arme Nika umschlungen, endlich fand sie Worte und klagte ihr das traurige Schicksal, durch welches sie Witwe geworden. – Gegenseitige Äußerungen des heftigsten Herzleides verschwisterten die beiden Gemüter noch inniger, und Eleonora versicherte das trostlose Hirtenmädchen ihrer unveränderlichen Freundschaft und ihres ewigen Schutzes.

Einige Tage lang ließ sie die Gute nicht von sich und versprach ihr endlich, als das Mädchen, seines Vaters eingedenk, sich zur Rückkehr ins Gebirge anschickte, im nächsten Frühjahre in Romans Hause für länger einzusprechen. Die Heimfahrt sollte über Olmütz stattfinden, bis wohin Eleonora mitzufahren gesonnen war, um in Nikas Gesellschaft den mutvollen, getreuen Freund Paulin aufzusuchen, und ihm für seine edle Aufopferung in den Tagen der Gefahr mit gerührtem Herzen zu danken.

Der wackere Vogt war innigst ergriffen, als er die beiden Reisenden eintreten sah, und schenkte ihrem gerechten Schmerze die wärmste Teilnahme. Sein herzlicher Trost blieb auch nicht ohne Wirkung, und mit erleichterter Brust verließen sie, von ihm begleitet, eine Stadt, an welche sich für alle so vielfache Erinnerungen knüpften. Zu spät erfuhren die Studenten, wer in ihrer Nähe gewesen; denn hätten sie erfahren, daß Miniatis Gemahlin, und ihres vielgeliebten Schmidt Braut in Olmütz sei, sie würden es sich nicht haben nehmen lassen, das hartgeprüfte Paar mit allen Mitteln, die ihnen zu Gebote standen, auszuzeichnen und ihm ihre Anhänglichkeit und Achtung auf eine begeisterte Weise zu bezeigen.

Daß es ihnen mit solchen Beweisen der Ergebung Ernst gewesen wäre, dafür bürgte die hohe Verehrung, mit welcher sie dem würdigen Schirmvogte allerorten begegneten.

Langsam schlich für Nika die traurige Winterszeit dahin; sie glaubte kaum, sie überdauern zu können.

Roman war höchst besorgt für das Leben seiner armen Tochter, deren Kräfte erst jetzt die Nachwehen des Sturmes empfanden, welchen sie, solang' er auf sie einbrach, mit heldenmütiger Standhaftigkeit ertragen hatte.

Aber die ersten Tage des Frühlings waren auch die ersten ihrer Genesung von einem langwierigen Krankenlager. Eine unerwartete Freude gab ihr die vorige Blüte wieder; es war Eleonoras Erscheinen. Ihrem Versprechen getreu, kam die besorgte Freundin an einem heiteren Maitage, von dem Vogte Paulin begleitet, in Romans Hause an und erklärte den überraschten Bewohnern, daß sie sich ganz vom Stadtleben losgesagt und fest beschlossen habe, den Rest ihrer Tage in Nikas Gesellschaft, umgeben von den Hirten der Bergwelt, zuzubringen. Roman stellte ihr, seine innige Herzenslust verleugnend, vor, wie schwer einer Dame, welche an die große Welt gewöhnt ist, die einförmige Zurückgezogenheit auf diesen abgeschiedenen Höhen fallen würde; aber Eleonoras Entschluß blieb fest, und die innigstgeliebte Nika in ihre Arme schließend, erklärte sie, daß nichts imstande wäre, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Mit dankbarer Rührung wurde sie in das Haus dieser guten Menschen aufgenommen und lebte ruhig, nach und nach ihre eigene Heiterkeit wiedergewinnend und sie auf Nikas empfängliche Seele überströmend, der Freundschaft, der Natur und der wehmütigen Erinnerung an überstandene Prüfungen. Alle Hirten gewannen sie lieb, und unablässig suchte sie durch ihr Vermögen und ihre Überredungsgabe, unterstützt von Paulin, der bis an sein Lebensende ihr Freund und Ratgeber blieb, den Wohlstand der Gebirgssöhne zu befördern, jeden Nachhall der stattgehabten Verirrungen zu tilgen, und die Herzen ihrer Umgebung durch freundliche Hinweisung auf ihr wahres Lebensziel zu beglücken.

Noch jetzt kennt man im mährischen Hochlande ein Volkslied folgenden Inhaltes:

        Von ihrer Ziegenweide
Von ihres Glückes Rain,
Da zogen die Wallachen
Auf Holomauce hinein.

Der Kovacz, der war ihr Führer,
Der führt sie den Schweden zu;
Ach! wärt ihr daheim geblieben,
Daheim auf den Bergen ist Ruh'!

Der Kovacz, der war ihr Führer,
Der Buchheim, der führte sie an; –
Ein Hohlweg war die Falle,
Da war's um sie getan.

Das Schwert des Richters war schneidig,
Das Feuer des Richters war heiß:
Ein Grab und zwei Galgen standen
Zu Brno im weiten Kreis.

Der Kovacz rief einmal: »Lore!«
Da schlugen die Schützen an;
Der Kovacz rief einmal: »Nika!«
Da war's um ihn getan.

Die Schweden, die zogen von hinnen,
Die Lore kam auf die Höhn,
Da freuten sich die Sallaschen,
Da blühten die Wiesen schön.

Die Lore, die war so freundlich,
So reich an Herz und Glut;
Sie gab den Hungernden Speise,
Sie gab den Weinenden Mut.

So baut man sich Stufen zum Himmel!
Der Kluge löscht, wo es brennt,
Darum bleibt gut, Wallachen,
Und denkt an Kovacz und sein End'!


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