Johann Gabriel Seidl
Die Schweden vor Olmütz
Johann Gabriel Seidl

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8.

Wie nun? – Was ist's? – hab' ich, hat sie die Schuld?
Shakespeare..

Die Gebirge, in welchen es noch vor kurzem wie ausgestorben war, ertönten wieder von bewegtem Leben und bildeten den Schauplatz einer Schicksalswendung, welche man vor wenigen Wochen nicht hätte ahnen können. Aber dies bewegte Leben war kein freudiges, harmloses, wie ehedem an Festtagen und ländlichen Lustbarkeiten, sondern eine wechselnde Reihe bejammernswerter Vorfälle und leidenschaftlicher Nachspiele eines traurigen Ereignisses. Rauhe Krieger spielten nämlich in den Wohnungen der Hirten die Herren und ließen sich abmerken, daß sie zur Züchtigung und Zurechtweisung der Abtrünnigen gesendet worden waren. Das Recht der Wiedervergeltung ward ohne Schonung ausgeübt.

Wiewohl der unbeugsame Graf von Rottal, welcher seinen Auftrag mit aller Strenge vollzog, dem alten Roman nichts anhaben konnte, ja ihm sogar den größten Teil des herrnlos gewordenen Eigentums zusprach, so war der alte Hirt doch tief gebeugt, als er das Schicksal seines Pflegesohnes Kovacz erfuhr. Eine Fürbitte für ihn zu wagen, wäre besonders im Augenblicke der ersten Aufregung ebenso verfänglich als erfolglos gewesen. Aber Nikas Jammer ging ihm zu nahe, als daß er nach Rottals Abzug nicht an Versuche gedacht hätte, wenn auch nicht ihn zu retten, doch wenigstens das Leben ihm zu erbitten. Was aber konnte er beginnen, was sich erdenken? – Die ruchlose Tat war zu bekannt, zu unwiderlegbar, als daß sie sich hätte entschuldigen oder beschönigen lassen.

»Der ist für uns verloren,« rief er mit Tränen aus, seine schluchzende Nika ans Herz pressend. – »Nicht einmal etwas für ihn wagen können wir! Er ist für dich gestorben, Tochter!«

»Mein Vater!« schrie Nika verzweifelt auf, »ohne allen Versuch, ihn zu retten, gebe ich ihn nicht verloren. Ich will etwas für ihn wagen, ich muß! Er war ja mein, er ist es noch, wiewohl er mich verlassen hat, um ferner Verblendung zu folgen!«

»Du, Mädchen?« sprach Roman mitleidig lächelnd, »was willst du, schwaches Kind?«

»Hinab will ich,« erwiderte Nika mit dem Ausdrucke des festen Entschlusses, »hinab ins Lager, wohin ich die edle Eleonora führte! Vielleicht ist sie noch dort, vielleicht der gute General, der uns so liebevoll aufnahm; vielleicht erfahr' ich etwas von dem gutmütigen Vogte, den wir beherbergten. Solange noch ein Funke Hoffnung glimmt, geb' ich ihn nicht auf, meinen teueren Kovacz! Ich will bitten, weinen, auf den Knien flehen. Vielleicht gibt Gott meiner Liebe Kraft und meinen Worten Gewicht!«

»Nun – so zieh in Gottes Namen! Zieh mit meinem Segen,« rief Roman, ihr die Hände aufs Haupt legend, »nur bedenke, daß du mein einziges Kleinod bist, daß alle meine Herden, all' meine Felder, all' meine Weiden und Sallaschen nichts sind gegen dich, nichts ohne dich; daß es mein Tod wäre, wenn dir etwas geschähe! Gib acht, daß du nicht, bemüht, den Pflegesohn zu retten, mir die leibliche Tochter nimmst!«

Sich gewaltsam losreißend vom Herzen des Vaters, eilte Nika ohne Säumen auf den wohlbekannten Seitenwegen, auf welchen sie ihre Freundin geleitet hatte, dem Hochwalderbezirke zu. Dort angekommen, erfuhr sie, daß Buchheim am Vortage selbst mit den Gefangenen nach Brünn abgezogen sei. Zugleich sagte man ihr aber auch, daß die Schweden Olmütz so gut als geräumt hätten, um ihre Schar vor Brünn zu versammeln, und daß der Schirmvogt wohlbehalten zu Olmütz im Minoritenkloster schalte und walte, wie vor der Belagerung.

Von neuer Hoffnung gestärkt, begab sie sich daher nach Olmütz, um Paulins Beistand anzuflehen. Der Wackere war nicht wenig erfreut, seine liebe Wirtin in seine Stube treten und sich in die Lage versetzt zu sehen, ihr einen Beweis seines unerlöschlichen Dankes geben zu können. Unverweilt ließ er ein Fuhrwerk bereiten, um Brünn auf jener Straße, die vom Feinde frei geblieben war, in kürzester Frist mit ihr zu erreichen.

Todesschweiß trat auf Nikas Stirne, als sie von weitem die Giebel der Stadt und die mächtige Bergfeste erblickte, in deren Mauern das Schicksal ihres Geliebten vielleicht jetzt schon entschieden war. Sie hatte recht geahnt. Schon von den ersten kaiserlichen Posten, auf die sie stießen, erfuhren sie, die drei Rädelsführer: Kovacz, Lasla und Tona seien bereits am Abende vorher, letztere mit dem Strange vom Leben zum Tode befördert, ersterer aus besonderer Gnade des Generals durch Pulver und Blei gerichtet worden. Ohnmächtig sank Nika zurück, und der Vogt glaubte in der Tat schon, dem unglücklichen Vater eine Leiche heimsenden zu müssen. Aber das Herz ist stärker als das Unglück, – und auch Nika kehrte wieder in ein Leben zurück, welches für sie, von diesem Augenblicke an, allen Wert und Reiz verloren zu haben schien. Mit der Ruhe der Trostlosigkeit dankte sie dem Klostervogte für seinen Freundschaftsdienst, und fuhr, von ihm begleitet, auf den kürzesten Wegen ihren heimischen Bergen zu, um dort ihre Liebe in stiller Abgeschiedenheit zu begraben. Am Fuße des Gebirges nahm Paulin von ihr Abschied, gab ihr seinen Segen, und drückte ihr zum letzten Male die Hand, mit den herzlichen Worten: »Zieh hin in Frieden, gutes Kind! Der Herr prüft nur die, die er liebt! Mit dir ist der Herr! Und der Geist des Herrn sagt mir, daß ich dich im Leben noch einmal wiedersehen werde!«

Fast unterliegend unter der Last ihres Schmerzes, langte Nika vor der Hütte ihres Vaters an, welcher in der Freude, sie wieder zu haben, fast die Kunde von dem traurigen Lose seines Pflegesohnes überhörte. Gemeinschaftliche Trauer, Tätigkeit und Gottesfurcht milderten langsam die Tränen, die sie dem armen Opfer der Leidenschaften nachweinten.

Doch nicht nur Nikas und Romans Augen zollten ihm Tränen; auch Eleonora konnte sie ihm nicht versagen; denn vor seiner Hinrichtung gab es in Brünn noch eine Szene, die ihr bis zu ihrem Lebensende unvergeßlich blieb.

Eleonora befand sich eben in Buchheims Gemache, welcher sie nach seinem Einmarsche in Brünn unter seine unmittelbare Obhut genommen hatte, als Kovacz zum letzten Verhöre vorgeführt wurde. Er hatte bisher nicht eine Spur von Reue gezeigt, und wiewohl aus seinem ganzen Wesen ein Geist und eine Bildung sich kund gab, welche man von einem einfachen Sohne der Bergwelt nicht erwarten konnte, so war doch sein Trotz ärger und empörender, als der aller seiner Teilnehmer. Buchheim hatte ihm die letzte Frist gegönnt, und sich vorgenommen, ihm seine Strafe, wenn er so hartnäckig verbliebe, zum abschreckenden Exempel, so viel es ginge, zu verschärfen.

Eleonora wendete sich gerade der Türe zu, um den General, mit welchem sie in angelegentlichem Gespräche ihres Gatten wegen begriffen war, zu verlassen, als Kovacz hereingeführt wurde. Unwillkürlich fuhr sie zurück, als sie seiner ansichtig wurde; eine glühende Röte übergoß ihr Antlitz, und mit Mühe sich aufrecht haltend, wankte sie, seinen Blick vermeidend, an ihm vorüber, während Kovacz, bis ins Innerste erschüttert, ihr lange nachblickte und auf Buchheims wiederholte Fragen, wie in sich selbst versunken, stumm blieb. Endlich ermannte sich der Tiefergriffene und sprach mit einer Sanftmut, die den General an ihm befremdete: »Erlaubt mir, eh' ich dem Tode zuwandere, eine Frage, General! – War das wirklich Eleonora, Miniatis Gattin?«

»Sie ist's,« antwortete Buchheim gelassen, des Gefangenen Seelenkampf bemerkend.

»Gebt mir einen Priester bei!« rief Kovacz mit hervorstürzenden Tränen, »meine Rechnung ist abgeschlossen! Ich bin Urheber des Unheils, das mich und meine Mitschuldigen traf. Schont meines Pflegevaters Roman, der mich und alle warnte! Tröstet Nika, meine Braut, den Engel der Gebirge! Und mich henkt! Mein Vater wird sich trösten!«

Die Kraft des jungen Verbrechers war gebrochen. Weich und fügsam stand nun der junge Starrkopf, welcher vor kurzem noch so hartnäckig sich gezeigt hatte. Es konnte dem Generale nicht entgehen, daß diese plötzliche Veränderung in dem Betragen des Inquisiten dem Erscheinen Eleonoras zuzuschreiben sei, und er begab sich deshalb zu ihr, um sich von den Gründen einer solchen unerklärbaren Einwirkung selbst zu unterrichten. Eleonora kam seiner Frage zuvor und erkundigte sich, mit sichtbarer Ergriffenheit, um das Schicksal des Gefangenen. Als sie vernahm, daß er rettungslos verloren sei, erblaßte sie und hielt sich nur mit Mühe aufrecht.

»Mein Gott, was ist Euch?« fragte sie Buchheim, verwundert über diese Teilnahme. »Ist Euch denn der junge Verbrecher bekannt? Auch ihn hat Eure Gegenwart so plötzlich umgewandelt, daß er, welcher früher durch seine freche Kaltblütigkeit nur meinen gerechten Unwillen erregte, nun beinahe mein Mitleid durch seine Reue in Anspruch nimmt.«

»Nun laßt das Mitleid walten,« sprach Eleonora sich erholend, »er ist vielleicht nicht so böse, als er scheint. Ich kenne ihn,« setzte sie mit Wärme hinzu, »er ist der Pflegesohn des Hirten, welcher mich auf meiner Flucht in das Gebirge aufnahm, er ist der Bräutigam des holden Mädchens, das mich mit eigener Aufopferung in Euer Lager geleitet hat. Ich bin dieser Edlen meine Fürbitte für ein geliebtes Glied ihres Hauses schuldig, und es würde mir süßen Trost gewähren, wenn mein Flehen imstande wäre, sein trauriges Los auch nur in etwas zu mildern!«

»In etwas,« erwiderte Buchheim, den schönen Zug der Dankbarkeit mit Rührung würdigend, »in etwas kann ich es vielleicht. Sein Los bleibt Tod; das fordert das Gesetz. Das einzige, was ich für ihn tun darf, ist dieses, daß ich die ausgesprochene Hinrichtung in eine minder entehrende verwandle!«

»Habt Dank auch für diese kleine Begünstigung, welche das eherne Gesetz Euch verstattet!« sprach Eleonora mit erzwungener Fassung.

»Vielleicht könnt Ihr, edle Frau,« fuhr Buchheim fort, »auch diese kleine Begünstigung noch versüßen, wenn Ihr ihm gestattet, daß er Euch dafür selbst seinen Dank darbringe, und sich aus Euren mitleidvollen Blicken Mut zum Sterben hole.«

»Das kann ich ihm nicht gestatten,« versetzte Eleonora, »es würde mich zu tief ergreifen. Eine düstere Ahnung, als ob es nicht das letztemal in meinem Leben wäre, daß mir ein Verurteilter Tränen erpreßt, würde mich, ihm gegenüber, um alle meine Fassung bringen. Er hat ohne Segen gelebt, er sterbe mit Segen. Seine Nika soll mir vielleicht einst noch teurer werden, als sie ihm es war,.«

Bnchheim ehrte Eleonoras erbauungsvolle Teilnahme und geleitete sie auf ihr Zimmer mit der Bitte, es nicht zu verlassen, bis er ihr die Vollstreckung des Todesurteils habe melden lassen, dessen Milderung er, die edle Fürbitterin namentlich bezeichnend, alsogleich dem ausgesetzten Verbrecher mitteilen ließ.

Kovacz schien tief gerührt und bat um Schreibgeräte. Unter häufigen Tränen schrieb er, welchem man diese Kunst als schlichten Hirten gar nicht zugetraut hätte. Wohl eine Stunde war er auf diese Weise beschäftigt, dann verbarg er den Brief, welchen er geschrieben, an seinem Herzen und verlangte nach dem Priester, mit welchem er sich bis gegen Abend eifrig besprach. Der fromme Mann staunte nicht wenig über die Bildung des armen Delinquenten, welcher mit jedem Worte sich höher über seine Geburt und seinen Stand zu erheben schien.

Endlich trat die Wache ein, um ihn zum Tode abzuholen. Gefaßt stand er auf, bat, sich auf die Knie niederlassend, den Pater um seinen Segen und sprach, ihm die Hand küssend, mit Nachdruck und Würde: »Amans, quid cupiat, scit, quid sapiat, non videt!«Der Liebende weiß zwar, was er wünscht, aber er übersieht, was er weiß. (Publilius Syrus, Sententiae. v. 15).

Höchlich befremdet starrte der Pater ihn an, seinen eigenen Ohren nicht trauend, und glaubte erst, als dieser ihn bat, den letzten Gang mit ihm zu tun, daß er noch den nämlichen vor sich habe.

Ehe sie gingen sprach er, indem er ihm den Brief übergab: »Ehrwürdiger Herr! Da es mir nicht gestattet wurde, der edlen Frau, die mir fürbat, mündlich zu danken, so tat ich es hier schriftlich. Gebt ihr den Brief, wenn ich gefallen bin – und betet für mich!«

Der Pater säumte nicht, den letzten Willen des rätselhaften Gerichteten ehrend, das Schreiben der edlen Fürbitterin einzuhändigen. Sie öffnete es zitternd. Ihre Ahnung hatte sie nicht getäuscht; der Inhalt des Briefes war folgender:

»Edle Frau!                    

Vor ungefähr drei Jahren kam ein wunderholdes Fräulein in Olmütz an, welches Wohlgefallen fand an dem Zitherspiele eines Studenten, und ihn zum Lehrer dung. Der Unglückliche verliebte sich in das Edelfräulein und legte ihre Herablassung, ihre Freundlichkeit, ihre Herzlichkeit falsch aus. Ein hoher Herr warb um das Fräulein. Der eitle Student wollte selbst der Braut nicht glauben, daß sie frei gewählt. Er wähnte sie unglücklich, weil er es war, und schwor ihrem Bräutigam Rache. Vorm Altare sollte ihn eine Kugel niederstrecken; der Frevel mißlang. Das Los des Studenten war geworfen. Als Verbrecher, geächtet von der Lieb' und vom Gesetze, floh er in der Tracht der Hirten ins Gebirge, und ward das, was man ihn scherzweise unter Brüdern oft gescholten. Er wollte rohe, wilde Herzen finden, um in Selbstverwilderung sein Leid zu vergessen, und fand gute, edle Herzen, fand einen Engel, Nika, in deren erster Liebe er seine zweite zur ersten machte. Nur manchmal zuckte der alte Rachegedanke wie Wetterleuchten über den Himmel seines neuen Glückes. Da kam der Krieg. Ein böser Geist flüsterte ihm vergeblich ins Ohr. Ein unheilvoller Augenblick änderte alles.

Die Frau, die er geliebt, die er noch stets unglücklich glaubte, erscheint vor seinen Augen im Momente der Entscheidung. Da erwacht seine Leidenschaft von neuem und wird zum Wahnsinne. Er hält es noch immer für möglich, sie zu erringen, und wäre es durch Mord, und wäre es durch ein gebrochenes Herz. Fort stürmt er, nichts hörend, nichts bedenkend. Ein gerechter Gott hinderte seinen zweiten Frevel. Er fällt als Opfer dem Gesetze anheim. Da bittet ihm die Edle, an der er sich so oft versündigt, voll Erbarmen für; – und er fällt, durchbohrt von der Kugel, endend seine Qual, beschließend sein verfehltes Leben. – Die Geschichte des Studenten ist zu Ende; er hieß Valentin Schmidt, slawisch Kovacz. Er hinterläßt einen Vater, der, wenn er seines Sohnes Ende hört, sagen wird: »Soll's haben! Hab' ihm immer gesagt: Bursche, du hast Kopf, wenn du ihn aber aufsetzest, so wirst du ihn verlieren! Jetzt hat er ihn verloren!« – Er hinterläßt ein gebrochenes Herz, das Herz der armen Nika, die er seiner edlen Fürbitterin anempfiehlt. Er nimmt mit sich in den Tod seine, in namenlosen heiligen Dank verwandelte Liebe zu Eleonora, die er bittet, daß sie für ihn beten möge, wie er noch sterbend für sie betet!«

Tieferschütternd war der Eindruck, den dieses Vermächtnis des Gerichteten auf Eleonoras gefühlvolles Herz machte. Sie konnte sich nicht verhehlen, daß es mehr als Mitleid sei, was sie empfand, – daß es Vorwurf, daß es Nachhall aus einer Zeit sei, wo sie mit ihrem Herzen vielleicht selbst nicht einig war. Die tiefste Trauer bemächtigte sich ihrer, und nur mit Mühe gewann sie es über sich, gegen Buchheim so viel von dem Inhalte des Briefes zu erwähnen, als hinreichte, um ihm ein Rätsel zu lösen, zu welchem er seit Tagen umsonst den Schlüssel gesucht hatte.


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