Johann Gabriel Seidl
Die Schweden vor Olmütz
Johann Gabriel Seidl

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7.

Es ist mir so, als müßt' ich steigen
Hinunter in mein stilles Grab.
Uhland.

Im Gebirge war es still und öde geworden. Roman war fast verlassen von allen seinen Nachbarn; einige ältere ausgenommen, waren alle, vom Schwindelgeist ergriffen, dem Schwarme nachgestürmt. Dem redlichen alten Hirten gereichte es zum nicht geringen Troste, daß nicht auch Nika sich hinreißen ließ, um ihrem geliebten Kovacz zu folgen, welchem sie mit so inniger Zärtlichkeit seit seinem ersten Erscheinen in den Gebirgen zugetan war. Nur ihr kindliches Gemüt hielt sie davon zurück. Aber die Ruhe ihres Herzens war verschwunden. Tränen füllten ihre schönen Augen, und wehmutsvoll hinüberstarrend nach Westen, saß sie vor der Sallasche auf der Berghöhe und sang manches wehmütige Lied, das Kovacz sie, nach der Melodie ihrer heimatlichen Gesänge, in deutscher Sprache singen gelehrt hatte.

Eleonora fand für ihren Schmerz in dem Schmerze ihrer Hauswirte ein tröstendes Echo. Sie hatte sich ihnen ohne Rückhalt entdeckt, und herzliches Mitleid lohnte sie für ihre Offenheit. Dagegen forschte sie nicht ohne besondere Teilnahme nach dem Schicksale des jungen Kovacz, dessen Erscheinung einen so gewaltigen Eindruck auf sie gemacht hatte. Die guten Leute wußten ihr aber selbst nicht viel mehr zu sagen, als daß er etwa vor zwei Jahren in der Tracht der Berghirten, wiewohl Spuren fremder Abkunft verratend, zu ihnen gekommen sei und Dienste verlangt habe. Sein einnehmendes Betragen, seine seltene Findigkeit, sein Mut und seine Klugheit haben ihn bald zum Lieblinge der Gemeinde gemacht und den alten Roman bewogen, ihn als Sohn zu halten und ihm, wenn es sich so geben sollte, einst seine teuere Nika ans Herz zu legen. Das habe sich denn wohl gegeben, und die jungen Leute seien wie Bruder und Schwester aneinander gehangen. Die letzte Szene aber habe alles umgeändert und den leidenschaftlichen Kovacz seiner Liebe und seiner Umgebung entfremdet. Möge der Himmel nicht rächen, was er in unerklärbarer Unbesonnenheit gesündigt.

Wenig befriedigt durch diese Auskunft, die Eleonoras Ahnung nicht beschwichtigen konnte, ließ es sich die herzensgute Frau nun um so mehr angelegen sein, die liebe Nika zu trösten und ihr die rührendsten Beweise warmen Dankes und freundschaftlicher Anhänglichkeit zu geben. Nichts verschwistert schneller als das Unglück; auch Eleonora und Nika standen sich nach wenigen Tagen als Freundinnen gegenüber.

Eines Morgens saß Nika vor ihrer Hülle und sang zur Zither mit wehmütiger Stimme ihr Lieblingslied:

Der Vogel im Busche,
Wie singt er so froh:
Bin leicht wie der Vogel,
Und singe nicht so!

Wie dreht sich im Bächlein
Der schimmernde Fisch:
War einst wie das Fischlein,
Bin nimmer so frisch!

Das macht wohl die Liebe,
Das macht wohl der Schmerz,
Der lähmt mir die Zunge,
Der lähmt mir das Herz!

Und lähmt er mir alles,
Ich will ihn nicht fern:
Die Liebe – mein Himmel,
Die Hoffnung – mein Stern!

Eleonora hatte die Singende belauscht. Wunderbare Erinnerungen zogen mit den Klängen des Liedes durch ihre Seele.

»Wer hat dich dies Lied gelehrt?« fragte sie tief ergriffen das Mädchen, das, mit Tränen in den Augen, die Zither sinken ließ.

»Wer sonst, als Kovacz?« erwiderte Nika tiefseufzend.

»Sonderbar!« sprach Eleonora in schmerzlicher Aufregung, und war eben im Begriffe, ihrer Freundin ein aufrichtiges Geständnis zu tun, als der alte Roman, der tags vorher ins Tal hinabgestiegen war, um Erkundigungen über seine Landsleute einzuziehen, mit traurigem Antlitze den Hügel heraufstieg.

»Du bringst nichts Gutes, Vater!« sagte Nika, ihm entgegeneilend, »ich lese es in deinen Runzeln.«

»Nein, wahrhaftig nicht!« erwiderte Roman niedergeschlagen und ernst; »der Satan ist los. Auch im Tale sind sie ausgezogen, der Schwede hat den Unsrigen ein Schloß zu stürmen angewiesen, und alles träumt schon vom Siege. Wenn's geschieht, dann geht erst der Tanz an. Ja, edle Frau, es tut mir leid, Euch es sagen zu müssen, aber ich fürchte, Ihr seid hier nicht lange mehr sicher. Der Wallache ist ein guter Mensch; aber in der Leidenschaft gleicht er dem wilden Pferd auf unseren Bergwiesen. Ward doch selbst ich mit scheelen Blicken und beißenden Reden von manchem Landsmanne empfangen, der sonst auf mein Wort etwas hielt. Wenn sie, von eitlem Ruhme berauscht, zurückstürmen und Euch entdecken, so dürfte mein Haus Euch wenig Schutz mehr bieten. Darum, dächte ich, wäre jetzt die beste Gelegenheit, Euch in Sicherheit zu bringen. Meine Nika führt Euch auf Seitenwegen ins Lager der Kaiserlichen. Ich täte es selbst, aber ich kann im Augenblicke der Gefahr meine Wirtschaft nicht verlassen. Nehmt mir's nicht übel, edle Frau! Ich tue es, weil ich meine Wallachen und ihre Fehler kenne!«

Mit schwerem Herzen gab Eleonora den Bitten ihres edlen Wirtes endlich nach, und Nika, so leid es ihr auch tat, ihre kaum geworbene Freundin und Trösterin verlieren zu müssen, erbot sich ohne Zagen zu ihrer Rettung.

Schon am nächsten Morgen wurde, nach herzlichem und schmerzlichem Abschiede, die Wanderung angetreten. Nika fühlte sich ermutigt durch den Gedanken, einer Unglücklichen zu dienen. Eleonora belebte ihren Mut durch die ferne Hoffnung, im kaiserlichen Lager vielleicht etwas von ihrem Geliebten zu erfahren. Rüstig schritten sie vorwärts, niemand hielt sie an, denn Nika hatte aus Vorsicht auch Eleonoras schlanke Gestalt in die Tracht der Bergbewohnerinnen gehüllt; Wege und Stege kannte das Mädchen genau, und schon in der Abenddämmerung hatten sie die kaiserlichen Vorposten, welche bis an die äußersten Grenzsteine des Hochwalder-Bezirkes hinausgeschoben waren, glücklich erreicht. Die Wachsamkeit der Soldaten kam ihrer Frage zuvor; man führte sie ohne Zögern in das Quartier des wackeren Generals Buchheim, unter dessen Kommando das Lager stand. Der tapfere Heerführer staunte nicht wenig, als Eleonora ihm ihre Verkleidung entdeckte und sich als Miniatis Gemahlin zu erkennen gab. Mit besorgter Teilnahme ließ er ihr das schönste Gemach in dem kleinen Gehöfte anweisen, welches er und sein Stab bewohnten, und gab ihr auf ausdrückliches Begehren die treue Nika zur Zimmergenossin, für deren ungefährdete Heimkunft er sein Ehrenwort als Pfand einsetzte.

Eleonoras erste Frage war, ob der General nichts von ihrem Gemahle wisse. Mit innigem Bedauern eröffnete ihr Buchheim, daß es ihm leid tue, ihr zum Empfange nichts Tröstliches hierüber sagen zu können. Miniati war bereits nach Wien abberufen worden, um sich wegen der Übergabe von Olmütz zu rechtfertigen, und man befürchtete um so mehr eine traurige Wendung, als andere Personen, welche während des letzten Ereignisses die zweideutigsten Rollen gespielt hatten, namentlich der Administrator Stredele, der nach seiner Auswechslung aus der schwedischen Gefangenschaft ebenfalls der Residenz zueilte, ihre eigene Sache durch Miniatis Verdunkelung zu heben suchten. Eleonora vernahm diese Botschaft mit heldenmütiger Fassung. Ihr Unglück hatte sie gegen das Traurigste gestählt und gerüstet. Ernst und schweigend ging sie, von Nika begleitet, in ihr Gemach, gab dieser mehr durch Blicke, Tränen und Küsse, als durch Worte ihren Dank und ihre Stimmung zu erkennen und erwartete lange umsonst den Schlaf, der ihr jedesmal nur schmerzliche Szenen vor das Auge der Seele führen konnte. Bei Nika tat die Jugend das ihrige; vor Müdigkeit schlummerte sie sanft ein, und das Bild des jungen Hirten schien sie im Traume zu umgaukeln, denn die lang wache Eleonora sah beim Scheine der Ampel ein harmloses Lächeln um ihre Lippen spielen.

Am andern Morgen galt es den Abschied von Nika, der holden Freundin, der engelgleichen Retterin: er war kurz, aber innig, ergreifend, herzzerreißend. Unter Schluchzen, das liebe weinende Kind mit Küssen bedeckend, schlang sich Eleonora ein diamantenes Kreuzlein, ein Brautgeschenk ihres Gatten, das sie versteckt auf dem Busen trug, vom Nacken und gab es ihrer jungen Schützerin zum Andenken, mit der Bitte, wenn sie je der einsamen Berge überdrüssig würde, zu ihr zu kommen und an ihrer Seite die Früchte des Dankes einzuernten, für welche ihr das Unglück jetzt nur Tränen gelassen habe. Der Worte nicht mächtig, riß sich Nika von ihr los und stieg, von zwei Offizieren des Generals begleitet, in Buchheims eigenen Wagen, welcher sie im Fluge den heimischen Bergen zutrug.

In der Zwischenzeit hatte die Affäre stattgefunden, in welcher Nikas Landleute unter Anführung ihres geliebten Kovacz sich Torstensohns Zutrauen erringen sollten. Es hatte das befestigte Dorf Hombach und das anstoßende, fast unüberwindliche Schloß Hluboky gegolten, in welchem viele Schätze als in sicherem Gewahrsam aufgehäuft lagen. Mit seltener Ausdauer und unerwarteter Unerschrockenheit kämpften die Wallachen und ließen den schwedischen Musketieren in nichts den Vorrang. Das Dorf war genommen, das Schloß erstürmt und geplündert. Berauscht vom Siegesjubel, belastet mit der unermeßlichen Beute, wollten die kühn gewordenen Sieger, ohne zu rasten, umkehren, um dem schwedischen Feldherrn sobald als möglich die Beweise ihrer Kampffähigkeit zu Füßen zu legen. Der schwedische Offizier, der das Detachement befehligte, widerriet es ihnen, indem sie auf dem Rückwege durch einen Hohlweg ziehen mußten, wohin sie kaum vor Anbruch der Nacht gelangen und leicht in einen Hinterhalt geraten könnten. Aber ihre Verwegenheit achtete auf keine Warnung, und singend, als ob sie von einer Hochzeit kämen, zogen sie des Weges einher. Der Offizier aber hatte recht gewarnt. Kaum waren sie nämlich zur bezeichneten Stelle gekommen, als ein von Buchheim im Eilmarsch abgesendetes Fähnlein wohlerfahrener und des Weges kundiger Soldaten sie überfiel, ihnen die schwere Beute abnahm und sie in solche Unordnung brachte, daß sie teils niedergestoßen, teils gefangen wurden und kaum mehr als dreißig nach Olmütz sich durchschlugen. Unter den Gefangenen befand sich auch Kovacz.

In Buchheims Lager hatte diese Nachricht allgemein Jubel verbreitet. Eine große Hoffnung der Schweden war durch diesen kühnen Handstreich zu nichts geworden; von Aufwiegelung der Gebirgsbewohner konnte nun weiter keine Rede mehr sein. Die Verirrten wurden gebunden, von einer starken Eskorte kaiserlicher Kerntruppen bewacht, ins Gebirge zurückgetrieben, um dort unter dem Vorsitze des Grafen von Rottal vor einem Kriegsgerichte; im Angesichte ihrer Nachbarn und Landsleute, für ihren Abfall gebührend zu büßen. Nur Kovacz, Lasla und Tona, als die Rädelsführer, aus deren genauerer Inquirierung man wichtige Winke über eine mögliche weitere Verzweigung zu erhalten hoffte, hielt man zurück, um sie, nach gesäuberter Straße, nach Brünn abzuführen, wohin Buchheim, höheren Befehlen zufolge, seine Fähnlein ehestens zu konzentrieren beabsichtigte.

Der Anfang dazu wurde in wenigen Tagen gemacht. Die Hälfte der Besatzung des Lagers marschierte ab, um die Garnison von Brünn zu verstärken, welcher Stadt die Schweden mit ihrer Hauptmacht zuzogen, nachdem sie in Olmütz nur wenige Truppen zurückgelassen. Auch Eleonora wurde unter sicherer Bedeckung einstweilen dahin gebracht und der Obhut des dortigen Bürgermeisters anempfohlen, bis Buchheim selbst nachkäme, der die wallachischen Rädelsführer unter seiner eigenen Aufsicht, mit dem Reste der Lagertruppen in kürzester Frist hinzuführen, für ratsam erachtete.


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