Johann Gabriel Seidl
Die Schweden vor Olmütz
Johann Gabriel Seidl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Weg mit den zitternden
Alles verbitternden
Zweifeln von hier.
Goethe.

Wild loderte das Kriegsfeuer schon durch Jahrzehnte in Deutschland. Bange Furcht erschütterte die Gemüter, und der finstere Aberglaube, dessen Vorspiegelungen sich das Herz in der Not so gerne hingibt, fing an, sich selbst der aufgeklärteren Köpfe zu bemächtigen. So hatte ein gewisser Johann Werner von Beckendorf aus Meißen eine Prophezeiung drucken lassen, welche von Hand zu Hand ging, und das tägliche Gespräch der kannegießernden Menge bildete, deren Besorgnis aufs höchste stieg. In der Tat waren die Aussichten für die Katholiken immer trüber geworden. Von Provinz zu Provinz verbreitete sich der Geist der Mutlosigkeit, die Schweden drangen unter ihrem heldenmütigen und schlauen Torstensohn immer weiter vor, und oft erschienen seine Vorposten dort, wo man ihn noch weit entfernt wähnte. Der kaiserliche Feldherr Franz Albrecht, Herzog von Sachsen-Lauenburg, fiel bei Schweidnitz in die Hände der Schweden, nachdem er zwei Pistolenschüsse empfangen hatte, die seinem Leben am 10. Juni 1642 ein Ende machten. Die Feinde rekognoszierten bis Königgrätz und Glatz, nahmen Stanislau, Öls und Bernstadt ein und breiteten sich immer weiter nach allen Richtungen aus, ohne daß man ihrem Vordringen ernstliche Hindernisse entgegensetzen konnte.

Mit jedem Tage wuchs die Gefahr für Mähren. In Olmütz, der Hauptstadt selbst, sprach man zwar viel von mannhafter Verteidigung, falls es not täte, niemand aber glaubte, daß es not tun dürfte, indem man vom Kriegsschauplatze nur seltene und unzusammenhängende Nachrichten empfing, welche den überlegenen Feind lange nicht so nahe gerückt schilderten.

So bänglich übrigens die Stimmung im allgemeinen war, so fehlte es doch nicht an einzelnen Festen und Lustbarkeiten, durch welche man vielleicht mitunter nur die eigene Mutlosigkeit beschwatzen oder sie vor andern bemänteln wollte. Nur selten gelang es, den Ton ungetrübter Heiterkeit anzuschlagen und zu erhalten.

Zu den Festen, wo dies am wahrsten und besten vonstatten ging, gehörte ohne Zweifel die prachtvolle Tafel, durch welche Eleonora, die liebenswürdige Gattin des kaiserlichen Obersten und Kommandanten von Olmütz, Antonio Miniati, Freiherrn von Kampoli, das sechzigste Geburtsfest ihres allgemein geachteten Eheherrn feierte. Was Olmütz an vornehmen und ehrenwerten Männern zählte, war geladen; von schimmernden Kronleuchtern strahlte der Saal; heitere Musikchöre tönten von dem blumenverzierten Orchester; die Tafel bog sich unter der Last der köstlichen Gerichte und der flimmernden Silbergedecke, und abwechselndes Gespräch belebte die Gesellschaft ohne Unterbrechung. Der umsichtige, vielerfahrne Bürgermeister, die wackeren Ratsherren Schwonauer und Kaufmann unterhielten den Hausherrn mit Vorfällen aus der Stadt und schonender Erörterung bürgerlicher Verhältnisse. Die hochgebildete Hausfrau wendete sich mit holder Anmut und natürlicher Freundlichkeit zu den versammelten Frauen ohne Unterschied des Ranges und Standes. Der lebensfrohe sechzigjährige Schirmvogt des Minoritenklosters Paulin Zaczowicz aber hatte wieder seinen alten Antagonisten, den Administrator Stredele, aufs Korn genommen und trieb ihn durch manche Fangfrage gar erbaulich in die Enge.

Jetzt erhob sich Eleonora von ihrem Stuhle, füllte den silbernen Pokal mit würzigem Österreicher, und brachte ihrem Eheherrn ein lautes Lebehoch aus. Trompeten und Paukenwirbel fielen in den herzlichen Jubel ein, mit welchem die ganze Gesellschaft den Ruf der Hausfrau erwiderte. Gerührt dankte Miniati mit gewählten Worten, welche dem guten Paulin so ans Herz drangen, daß er nochmals seinen Pokal ergriff und aufstehend improvisierte:

»Deus nostri Miniati
Laetae faveat aetati
;
Unser Gut und Blut für ihn,
Dixi Zaczowicz Paulin!«

Kaum hatte man sich gesetzt, als ein Diener des Obersten eintrat und ihm meldete, daß der Bürger Valentin Schmidt, soeben von einer Geschäftsreise an die Grenze zurückgekehrt, ihm etwas mitzuteilen wünsche, was keinen Aufschub leide.

Der Oberst ließ ihn hereinbieten und meldete seinen Gästen, wer ihm angemeldet wurde.

»Was mag wohl dem Phlegmatikus so sehr am Herzen liegen,« bemerkte der Klostervogt Paulin, »daß er über seine Nachricht gar keine Sonne will aufgehen lassen? Hat ihm etwa der vorgestrige Wolkenbruch eine Lieferung verschwemmt? Sonst wüßte ich nicht, was ihn so spät noch auf die Beine bringen könnte!«

Schmidt war indes eingetreten und sah so ungewöhnlich verstört drein, daß dem Vogte fast unwillkürlich gegen seinen Nebenmann die Bemerkung entschlüpfte: »Heut' sieht er zum ersten Male gescheit aus!«

Bald aber teilte sich Schmidts langes Gesicht auch manchem anderen aus der Gesellschaft mit; denn sein Bericht, welchen er dem Obersten mit ungewöhnlicher Hast erstattete, war nichts Geringeres als die Meldung, daß die Schweden Schlesien bereits verlassen haben, und in kürzester Frist auf mährischem Boden stehen dürften. Er selbst habe über Hals und Kopf geeilt, um in Olmütz noch vor den Schweden anzukommen.

Alle sahen einander betroffen an; die Wahrscheinlichkeit solch einer überraschenden Wendung war nicht zu bezweifeln, und Schmidts kalte Ruhe und Gleichgültigkeit gegen alles, was nicht in seine Rechnungsbücher einschlug, kannte man zu wohl, als daß man seine Nachricht für übereilt hätte halten sollen. Die laute Freude war auf einmal in stummes Nachsinnen übergegangen.

»Meister Schmidt,« begann, die allgemeine Pause unterbrechend, der Vogt Paulin, »Ihr seid mir der Wahre! Konntet Ihr Eure Hiobspost nicht auf morgen versparen? Wer soll jetzt noch essen und trinken können?« und mit diesen Worten leerte er seinen Becher so gemütlich und köderte mit der schweren Silbergabel ein Stück des würzigen Bratens so zuversichtlich, daß sich die Besorgtesten eines herzlichen Lächelns über seinen wohlberechneten Schalksernst nicht erwehren konnten.

»Weiß der Himmel,« fuhr er fort, »ich bin im Glauben meiner Väter fünfzig Jahre alt, und ebensoviel Zoll im Durchmesser dick geworden, aber in so fröhlicher Gesellschaft bin ich für Grillen und Mücken immer der Ungläubigste. Morgen früh will ich alles glauben, und für das, was ich glaube, mich selbst samt Haut und Bauch zum Opfer bringen; aber heut' dächt' ich, lassen wir die Schweden noch Schweden sein.«

Der Oberst wußte Zaczowiczs Bemühen zu würdigen, und sah trotz seiner eigenen, schweren Besorgnis gern, daß unter die Mehrzahl der Gäste wieder Mut und Heiterkeit zurückkehrte. Er selbst trat wohl einige Male mit seinen Adjutanten und Feldhauptleuten in diese und jene Fensternische, auch der Bürgermeister und seine Räte steckten die Köpfe gar bedenklich zusammen; aber die gesprächige Hausfrau wußte den Frauen, und der lustige Paulin den Herren so gut beizukommen, daß man solche verdächtige Zwischenspiele gar nicht bemerkte und sich bald wieder der ungezwungenen Fröhlichkeit überließ. Bis Mitternacht dauerte Tanz, Musik und Kurzweil, und alles ging so ruhig und wohlgemut nach Hause, als ob Schmidt keine Kriegsbotschaft, sondern die Nachricht mitgebracht hätte, daß soeben ein hundertjähriger Friede mit den Schweden unterzeichnet worden sei.


 << zurück weiter >>