Willy Seidel
Die Himmel der Farbigen
Willy Seidel

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Der Januskopf

Wer kennt ihn nicht, den kleinen vagabundierenden Sergeantensohn Kimball O'Hara, oder »Kim«! – –

Ich habe ihn geliebt, ihn und seinen Bruder Mawgli; er hat meine Jugend begleitet. Dann aber kamen Inder in der Absicht, mir die »Augen zu öffnen«; – ein »billiger Journalisteninstinkt«, sagten sie, »brüste sich hier als Philanthropie. – Kim sei nichts weiter als geschickt kostümiertes Kinderspielzeug, womit John Bull seine Kadetten ködere. Das wahre Indien verhätschele ihn keineswegs; das täten nur die Inder des Buches. Er sei eine folgerichtig abschnurrende Zweckpuppe des Geheimdienstes, ein amüsanter Spion, ein Schein-Inder, eifrigst bemüht, der Autonomiebestrebung des Mutterlandes Fallen zu legen. Kein Wunder drum, wenn man dieses falsche Freundchen, dies Idol englischer Schülerherzen, als Verhöhnung empfinde. Aber Kipling werde von der Ehrung verwirrt, als Vollbrite honoris causa zu gelten . . .«

Diese Inder mögen zehnmal Recht haben. Sie springen unsanft um mit unserem Kim. Sie denken, es sei damit getan, ihm die politische Maske von seinem verschmitzten Gamingesicht zu reißen. Mit nichten: lebt doch, unter dem bunten Abenteuer, unter dieser grimmelshausenschen Geschehnisfülle, ein reiches und ewig uns selbst verwandtes Herz, das die Inder nie verstehen können . . . Wer ist Kipling jetzt? – Mitglied des Carlton- und Athenäumclubs, gefeierter Nobelpreisträger, Grundbesitzer in Südafrika . . . Wie stand es um seine tendenzlose Produktion, um sein reines Dichtertum? – Man besinne sich: wie sah der andere, der frühere Kipling aus? – Wie sah er wirklich aus, der hochverehrte Balladenheld unzähliger Knaben? – Der Beseeler von Maschinen und Tieren? – Das Väterchen des straffen Wolfskindes Mawgli, das uns vertraut ist wie Peer Gynt, wie Peter Pan? – Der Kipling, der unvergeßliche Träume formte, der mystische Verknüpfung schuf zwischen seinem »Brushwood Boy« und dessen weiblicher Erfüllung; – dessen Allgefühl kein stupider Imperialismus war, sondern auf dem »Pfade« erwuchs, dem weiten, einsamen, innerlichsten, der »immer neu« bleibt?

*

Es war in der Hotelhalle in Luxor, im März 1913.

Ahnungslos bezüglich all der tückischen nationalen Spannungen, – blind gegen die Verhetzung, die unter dünner Decke brodelte, von Weltverbrüderung narkotisiert, wollte ich die Gelegenheit nicht missen, mit dem tiefverehrten Dichter zusammenzutreffen. Er war auf der Durchreise; ich schickte meine Karte zu ihm.

Er trat vor die Glastür auf die Veranda: eine in Rohseide gekleidete, untersetzte, damals leicht rundliche Gestalt, mit gepflegter Glatze und grauem Haarkranz am Hinterkopf. Das Gesicht war olivbraun, von der helleren, matteren Tönung des Bengalen. Ob er lächelte, ließ weder der wuchernde Nietzsche-Bart, noch die goldgefaßte Brille deutlich erkennen. Er ging eilig auf mich zu, mit einer liebenswürdigen Direktheit, die fast erschreckte . . . Da er einen halben Kopf kleiner war als ich, so hatte ich Muße, mir seine Glatze zu betrachten, die rund und poliert war wie ein Straußenei. In dieser Schale, dachte ich dabei, ist Mawgli geboren.

Ich brachte eine stockende Rede ins Geleise: was es für mich bedeute, ihn persönlich zu sehen; welche seiner Bücher meine Jugend begleitet; wie beliebt und anerkannt er in Deutschland sei; was er von den Übertragungen halte; ob sie ihn zufriedenstellten . . . Er hielt während meiner Ansprache den Kopf etwas schief; sein Ausdruck war fast gütig; ich rührte ihn offenbar.

»Es schmeichelt mir zu hören –« sagte er mit der lispelnden Korrektheit des aufgestörten feinen Mannes – »daß man mich in Deutschland nicht nur kennt, sondern auch, wie Sie sagen, schätzt . . .«

»Aber, Herr . . . «, rief ich mit naiver Eindringlichkeit, »man verehrt Sie!«

Er blickte mich mit eisgrauen Augen an, durch die Brille hindurch. Es war ein schwerer Blick, wie schmelzendes Blei. – »Sie sind sehr freundlich«, sagte er. – »Ich bin ein ungebildeter Kerl; ich spreche nur Englisch und ein wenig Hindi . . . Die Gelegenheit, Deutsch zu lernen, habe ich leider verpaßt . . . Ich muß mich schämen; man ist so sprachenkundig in Deutschland . . .«

Etwas zu ölig klang das, etwas zu bereitwillig; – doch ich merkte es nicht. Ich war ehrlichstes Echo für seine Orakel und sagte beruhigend, da übertreibe er wohl ein wenig; haha!

Auch er pustete etwas durch die Nase, so daß der Nietzsche-Bart sich blähte wie ein kleines Topsegel. – Ich rührte ihn ganz bestimmt; ich möchte jetzt, nachträglich, darauf wetten.

»Wohin fahren Sie nun?« fragte er.

Es gehe weiter südlich, meinte ich; – vorläufig nach dem Sudan . . . Hier kam seine kleine, auf dem Rücken stark behaarte Hand aus der Hosentasche hervor. – »Dann müssen Sie –« Sprach er, »den Sonnenaufgang bei Abu-Simbel sehn!« Er faßte mich am Schlips und starrte mich an. Seine Pupillen waren ganz klein; er behielt den Mund offen, als habe Ungeheures ihn plötzlich überwältigt. – Dann löste er die Hand und wiederholte geheimnisvoll, leise und scharf flüsternd: »Das müssen Sie! Unbedingt!!«

*

Drei oder vier Tage später sah ich wirklich jenen Sonnenaufgang zu Abu-Simbel.

Die vier Kolosse vor dem Eingangstor starrten mit ihren zerklüfteten, von unvorstellbarem Glanz gleichsam erblindeten Häuptern in die Zeitlosigkeit der Lohe im Osten.

Jeden Morgen erhebt sich dieser Farbenchoral von Purpur und bleichem Türkis. Seine Rhythmen schwingen jenseits und über allem menschlichen Verstehen. Das Mächtigste ist dies, und das Abstrakteste zugleich. Nie hat ein Kult tiefer empfunden; nie einen gleichen schlicht pompösen Ausdruck erlangt . . . Es ist, als entzünde sich der Gedanke der Allgottheit am eigenen Feuer, um dort plastisch aufzuglühn.

*

»You must see it!« war Kiplings Wort. – Damals glaubte ich an ihn wie an andere Götzen; glaubte an Echtheit in seiner »völkerverschmelzenden« Intuition und an die Unantastbarkeit, durch Rassenverhetzung, jener ewigen »geistigen Provinz . . .«

Denn ich ahnte noch nichts von dem Marsprofil, von der Chauvinistenfratze an der Rückseite des Januskopfes, jenes Pax-Antlitzes, das so tief in den Osten getaucht erschien, bestrahlt und erschüttert vom Sonnenaufgang zu Abu-Simbel, der nicht seinesgleichen hat.


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