Willy Seidel
Die Himmel der Farbigen
Willy Seidel

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Altägyptisches Alltagsmosaik

I.
Erwachen

Nirgendwo wird man so seltsam süß geweckt wie hier . . .

Ich liege vor dem offenen Balkonfenster unter dem Mückennetz aus einem jener pompösen Messingbetten, die in keiner »Pension« Kairos fehlen, und fühle, daß ich erwache. Ein Lüftchen spielt von draußen herein und bauscht das Netz bis vor meine Nase, so daß ich, als erste Morgenaussicht, die daran baumelnden Leichen dreier Moskitos genieße. Noch vor einigen Stunden, in der Schwärze, hatten gestaltlose Dämonen aus schrillen Tuben trompetet; hatte ein tobender Kampf gegen Ungeheuer gewütet –: wie sieht nun dies Schlachtfeld aus nach all den Opfern an Schweiß und dunklen Finten? – Drei verschmierte Klümpchen . . .

Ich hebe das Netz empor und spähe über das Balkongeländer. Auf den Mokattam-Hügeln liegt ein Band aus Türkis, durchblinzelt noch von zwei Sternen. Das flache Dächermeer ruht farblos darunter im fahlen Halblicht. – Ich höre ein Summen wie von vielen Bienen; von allen Seiten zugleich.

Das ist der vereinigte Morgenanruf Allahs, der von allen Türmen schwimmt.

Im Faust verkündet ungeheures Getöse den Aufgang der Sonne. – Hier wird die Sonne mit Gesang hervorgelockt. Er schwillt auf und ab; höhere Lagen überschneiden sich mit tieferen. Ein ganzes Netz von ekstatischem Gesumm spinnt sich über die große Stadt. – Allmählich erbleicht das Türkisband im Osten; die schwarze Wölbung wird aufgehellt; inniges Kristallblau entfaltet sich wie ein Fächer, und die zündende Lohe rückt über die Hügel . . . Die Minarette verstummen, eines nach dem andern. Die kleinen schwarzen Silhouetten der Muezzin verschwinden. Einzelne können sich nicht genugtun, und so bleibt hie und da noch ein hohes Tremolo zurück, das in dem Gepfeif und Getriller der grauen Bussarde untergeht.


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