Willy Seidel
Die Himmel der Farbigen
Willy Seidel

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Der Spion des Fürsten

Es ist im Januar 1926 in Solo, der Hauptstadt des Fürstentums Soerakarta auf Java, an jenem Knotenpunkt der Residentielaan, wo die pittoreske Brücke einen Ausblick gestattet den schlammgrünen Fluß hinunter auf zusammengekittete Chinesenhäuschen, die mit flachen Wellblechdächern und Veranden das rechte Flußufer säumen. Am linken ziehen sich tiefrote Gladiolenrabatten hin unterhalb des pompösen Kinogebäudes.

In dieser Gegend stehen einige holländische Hotels. Im »Juliana« wohnen wir. Mit jener Nervosität, wie sie die allgemeine Klebrigkeit der Dinge und Begriffe mit sich bringt, warte ich auf Beantwortung eines Briefes, den ein gewisser, zwischen Pallisaden gußeiserner Konvention verrammelter Fürst vor einer Woche von mir erhalten hat. Dieser Brief soll der Ariadnefaden werden, an dem ich mich, ein neuer Perseus, zum leidlich gebändigten Minotaurus hineinzutasten gedenke. Aus irgendeiner Kanzlei, aus einem Regierungsbureau oder dem labyrinthisch ummauerten Palastviertel muß die Antwort hervorflattern. Erwartungsvoll sitze ich vor meinem Hotelzimmer, des Momentes gewärtig, wo sie mir in den Schoß fällt. Ich blinzle träumerisch ins flammende Blau: aus einem Durianbaum, denke ich mir, könnte sie herabsegeln, diese Antwort; von einer Palme oder einer Mauer, wenn ich die ausgetretenen, ziegelroten Pfade wandele . . . Ein ganz unwahrscheinlicher Vogel könnte sie im Schnabel halten und sie mir leise gackernd in mein geliebtes Deutsch übertragen.

Nichts dergleichen ist bisher passiert, und mittlerweile bleibt mir nichts übrig als in meinem wackligen Hartholzliegestuhl auf dem Posten zu sitzen. Die Nachmittagssonne sticht. Heute hat es zur Abwechslung von elf bis eins geregnet; einige weichzerplatzende Donner, die übliche lehmbraune Überschwemmung. Ich habe das Vorgefühl, daß etwas Bestimmtes die Einförmigkeit der letzten Tage unterbrechen und daß dies Etwas mich gewappnet finden müsse.

Ich habe das Hotel heute noch nicht verlassen. Wie es außerhalb aussieht, weiß ich zur Genüge. Ich kenne jenseits der Brücke die sternförmig sich verzweigenden Straßen mit ihren unzähligen malaiischen und chinesischen Tokos, und diesseits die endlose Alleen- und Gartenstadt mit dem hitzeschwangeren Aloen-Aloen zwischen würfelförmig geschnittenen Waringinbäumen.

Einstweilen aber noch ist greller Nachmittag, und ich beschließe soeben einen ältlichen Polen, der sich krächzend neben mir räuspert, in ein Schwätzchen zu verwickeln. Der Krieg hat ihn einige Monate lang mit Dauthendey zusammengeworfen –: ». . . Es war ein in sich zerrissener Mensch, der was schwer aus sich herauskam, und was ich Ihnen sage, ein Sinnierer und Spekulierer . . .;« aber Herrn Tula bleibt die Unterhaltung mit mir erspart. Das Schicksal hat ihm eine viel apartere Überraschung zugedacht. Seine Menschenkenntnis, Gott schütze, versagt, bis ich ihm später die ganze Konfusion erkläre. (Doch auch dann noch bleibt er skeptisch und fährt fort, seine Besucher über einen Kamm zu scheren, solange sie braun sind. Zeigen sie Bildung und sich Herrn Tula gewachsen, sind sie ihm doppelt verdächtig. Man schleppt nicht umsonst ein Saffiantäschchen voll assortierter Diamanten und Sternsaphire im Werte von hunderttausend Gulden mit sich herum, ohne dauernde Versuchung, anderen Gedanken unterzuschieben, die man selber hegen würde, böten die braunen Herrschaften ihrerseits ein Offertenmäppchen an, und wäre man selber feilschender Kunde.)

Bevor ich ihn anrede, gehe ich noch einmal nach der Straßenveranda des Hotels, um mir Zigaretten zu holen. Da fährt eine geschlossene Kutsche vor. Ein Eingeborener schlüpft heraus, in einen noch feuchten Regenmantel gewickelt, den er an der Brust zusammenhält; er geht geneigten Kopfes und eilig durchs Hotel und verschwindet hinten in der von mir bewohnten Gegend. Als ich zurückkomme, sehe ich ihn (diesen Eindruck habe ich wenigstens) in angeregtem Geplauder bei Herrn Tula hocken. Hinter der Holzwand wieder in meinem Stuhl gebettet, wird mir klar, daß der Besucher die Kosten der Unterhaltung bestreitet, denn von Herrn Tula hört man lediglich drohendes Räuspern. Blitzstrahlgleich kommt mir die Erleuchtung, der Eingeborene müsse das Vöglein mit dem Brief im Schnabel sein: der Abgesandte, der Kanzleidiplomat mit der Botschaft des Fürsten, mit dem erhofften Billet-doux . . . »Ach«, sage ich mir, »nun sitzt er da mit seinem Auftrag. Am falschen Fleck sitzt er da, oh so diskret, voll kleiner unerlöster Höflichkeiten und umsonst präparierter Wendungen, auf mich gemünzt! Doch Herrn Tulas blanke Augen belauern ihn ruhelos. So gefriert ihm das Wort auf der Zunge. Er bekommt keine Luft mehr. Bald wird er gehen; in seine Kalesche zurückhuschen, mir auf ewig verloren sein.«

*

Ich höre da drüben noch einige malaiisch geäußerte Fragen und unmutiges Grunzen Herrn Tulas, bis man sich endlich unter resigniertem Seufzer zum Gehen rüstet. Hier heißt es einschreiten, und ich rufe hinüber: »Herr Tula . . . vielleicht will der Herr zu mir?«

Hastiges malaiisches Hin und Her, wobei zum erstenmal mein Name fällt; dann kommt der Herr um die Holzwand herum. Ich rekapituliere angstvoll meine dreihundert Wörter, aber es ist nicht nötig. Denn folgendes Erstaunliche geschieht: Der Eingeborene (in Kopftuch, Jacke, Sarong und Sandalen) verbeugt sich leicht, reicht uns eine weltmännische Hand und äußerst lächelnd in leichtem Wiener Akzent: »Drolliges Mißverständnis, wie? Da hab' ich die ganze Zeit diesen Herrn für Sie gehalten . . . Dummheit, was?«

Es gibt wenig Ausdrücke, um der bodenlosen Verblüffung gerecht zu werden, von der wir noch Minuten lang gelähmt waren. Der Eingeborene fährt in seinem munteren österreichisch-javanischen Treiben fort. Er nimmt im Korbstuhl Platz; er legt sich sein Spazierstöckchen quer aufs übergeschlagene Knie; er wippt mit dem Fuße, an dem die lockere Sandale baumelt; er wirft uns aus schönen dunklen Augen beflissen erwartungsvolle Blicke zu.

»Man hat mir gesagt, Herr Seidel, Sie seien hier in Solo . . .« (Das Wörtchen »man« klingt vertrackt und mysteriös. Wer, zum Teufel, ist: »man«?) »Da wollt' ich mir doch das Vergnügen nicht nehmen lassen, Sie aufzusuchen, was denn? – und ein wenig zu plaudern.«

»Ja. Ganz richtig. Selbstverständlich. Liegt sehr nahe«, murmele ich, noch halb gelähmt; einen ähnlichen Blödsinn muß ich gestammelt haben. Dann aber raffe ich mich auf und bitte ihn, sich näher zu definieren. – Er heiße Raden M. A. Sosro Kartono, bemerkt er leise, gleichsam unter der Hand. Er sei in literarischen Dingen bewandert; und meine weltbekannte malaiische Grammatik . . .

Kennt man die Röte, die unwiderstehlich ins Gesicht steigt? – den verzweifelten inneren Kampf, der einsetzt, wenn man seine ganze Beherrschung zu Hilfe rufen muß, um nicht unzart herauszuprusten? »Herr Kartono«, spreche ich, mit vibrierender Stimme, »auch hier irren Sie. Vielleicht gibt es einen Namensvetter von mir, der einmal eine malaiische Grammatik geschrieben hat.«

»So? Nicht Sie?« Er zieht die Stirnhaut kraus, ganz sanfte Höflichkeit. Er lächelt ununterbrochen. »Nun, das macht nichts; Sie sind jedenfalls literarisch interessiert . . . Es ist mir ein großer Genuß, wieder einmal mit einem gebildeten Deutschen zusammenzutreffen.«

Ist das erhört! Ich bitte! Man lausche: hier in Mitteljava besucht mich ein Javane im Sarong, auf den ersten Blick überhaupt nicht von den wimmelnden Seinesgleichen zu unterscheiden, und lispelt Wien! Bietet Zigaretten an! Schmunzelt und benimmt sich wie auf dem »Ring«! Sagt: »Tja . . .« und: »Eigenartig . . .« – Wippt mit dem Fuß . . . Und da stehen Palmen, meine Herrschaften; da ist tiefstes, weltverlorenes indisches Mittelalter . . . – Ich muß der Sache endlich auf den Grund kommen.

Er hat eine zu aparte Art, mich auszuholen. Ein solches Raffinement hätte ich jenem Fürsten denn doch nicht zugetraut. Fürsten erhalten hier Sendschreiben und lassen Petenten durch Spione aushorchen, die sich mit heimatlichem Wort und Gruß, bevor man's merkt, in des Briefschreibers Schwächen hineinschmeicheln; diesen an Stellen packen, die sotanen indischen Fürsten schlechterdings nebelhaft unbekannt sein müßten. Dies geht zu weit.

»Nun, Herr Kartono«, sage ich darum endlich, »ich denke, wir kommen jetzt zur Sache. Sie sind natürlich vom Residentenhaus geschickt, wie? Und auf Veranlassung des Sekretärs? Wie hat denn Mangkoenegoro meinen Brief aufgenommen? Genehmigt Seine Hoheit den kleinen Besuch?«

Er mustert mich, immer noch lächelnd; irgendwie gedankenvoll. Er hat einen schönen Kopf. Adlernase, hübschen Mund, kräftig gerundetes Kinn, prächtig ausdrucksvolle Augen, hohe runde Fältchenstirn. Faszinierende Augen. Er dreht die Zigarette zwischen langen, feinen Fingern, an denen ein Ring sitzt mit großem Mondstein in altertümlicher Silberfassung. Er schweigt. Man merkt, er denkt, er kombiniert. »Pardon?« sagt er endlich, wie aus leichtem Schlummer fahrend.

Ich wiederhole meine Frage. Er hat seine Fassung wiedergefunden.

»Ich fürchte«, sagt er endlich, »Herr Seidel, davon weiß ich nichts. Erwarten Sie . . .?«

Nun ist die Reihe an mir, erstaunt zu sein und »Pardon« zu sagen. Ich stottere; ich erkläre . . .

Er lauscht gespannt, sehr interessiert.

»Also darum«, meint er schließlich, »nannte man mir Ihren Namen. Der Translateur hielt mich auf der Straße an, aus seinem Sado (zweirädriger Droschke) heraus und sagte: »à propos, wenn Sie eine Bekanntschaft machen wollen, Raden Mas, so gehen Sie da und da hin . . . Ins »Juliana« . . . da sitzt nämlich ein Herr, der kann besser Englisch als wir.«

Guter Kartono! Er ist also auch nur benutzt worden. Welch typisch-bureaukratische Umgarnung! Ganz allmählich, vollkommen zwanglos will man sich auf diese Weise Informationen über mich beschaffen . . .

Ich kann wohl sagen, daß das große Gelächter, das wir zusammen darüber hatten, das gemeinschaftliche Amüsement über diese Komödie der Irrungen, der eigentliche Anfang unserer später so herzlichen Freundschaft gewesen ist.


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