Heinrich Seidel
Kinkerlitzchen
Heinrich Seidel

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Sonderbares Erbtheil.

Am. 23. August des Jahres 1875 verstarb im städtischen Lazareth zu Danzig ein Mann unter Umständen und Krankheitserscheinungen, die den Aerzten räthselhaft waren. Zwar hatte der Patient am delirium tremens gelitten, allein dies war nicht die Ursache des Todes gewesen, vielmehr schien dieser durch ein seltsames und in seinen Symptomen unbekanntes Magenleiden herbeigeführt zu sein. Der Mann hatte sich früher einer robusten Gesundheit und eines nicht unbedeutenden Vermögens erfreut und besonders dem ersteren Umstande war es wohl zuzuschreiben, dass es ihm gelungen war sein ganzes Geld bis auf einen geringfügigen Rest zu vertrinken, und zwar in einer Flüssigkeit, die den Ruhm seiner Vaterstadt bis in die fernsten Welttheile getragen hat, in dem vortrefflichen Danziger Goldwasser. Tag und Nacht hatte er auf diese Weise indirekt an der Hebung der vaterländischen Industrie gearbeitet und den kunstreichen Inhaber des »Lachses«, der dies herrliche Getränk zu brauen versteht, nicht unbedeutend bereichert. Millionen seliger Augenblicke der Vorfreude, wenn er das gefüllte Glas gegen das Licht hielt und die flimmernden Goldblättchen betrachtet, die wie glänzende Mücken darin spielten, waren Millionen freudiger Momente des Genusses gefolgt, bis er endlich fast nichts weiter mehr besass als eine blaue Nase und einen auf's Aeusserste geschwächten Magen und schliesslich im Krankenhause den spärlichen Rest seines Geistes aufgeben musste. Die dürftige Kammer, die er zuletzt bewohnt hatte, war in einem alten Hause der »Pfefferstadt« gelegen. Man fand dort weiter nichts als einen baufälligen Stuhl, einen Tisch mit verloren gegangener Schieblade, der mit unzähligen schmutzigen Ringen, den Spuren feuchter Schnapsgläser, bedeckt war, einen alten Strohsack mit zerlumpter Wollendecke und 4537 leere Goldwasser-Flaschen, von denen sechs zerbrochen waren. Sehr enttäuscht durch diesen Thatbestand war der einzige Verwandte des Verstorbenen, sein Neffe, ein junger Kaufmann, der immer gehofft hatte, der Alte würde ihm noch soviel hinterlassen, dass damit ein kleines bescheidenes Geschäft begründet werden könne. Um so grösser war seine Verwunderung und Freude, als er nach einigen Tagen durch einen jungen Arzt des Krankenhauses folgende Thatsachen erfuhr. Man hatte den Verstorbenen sezirt und gefunden, dass sein ganzer Magen inwendig dick vergoldet war. Ausserdem hatten sich darin eine feste Kugel von Goldblättchen im Umfange einer Billardkugel und im Blinddarm eine Ansammlung von ähnlicher Grosse vorgefunden – Alles zusammen wohl im Werthe von etwa 1600 Mark. Eiligst machte der Neffe seine Erbansprüche geltend und hatte die Freude, dass ihm nach Abzug aller Kosten fast 1500 Mark übrig blieben, eine Summe, die im Verein mit seinen Ersparnissen für die beabsichtigte Gründung eines kleinen Geschäftes vollständig hinreichte. O wie segnete er den Erfinder des Danziger Goldwassers, jenes gehaltreichen Getränkes, das ihm doch einen kleinen Theil seines Erbes gerettet hatte, indem es das Eingeweide seines Onkels in eine unfreiwillige Sparbüchse umschuf. Man sagt, dass seitdem in Danzig in mannigfachen Fällen, insofern der Erblasser dem Genusse des Goldwassers ergeben war, von den Erben seine Sektion dringend gefordert wurde. Ueber die erlangten Resultate ist jedoch niemals etwas in die Öffentlichkeit gedrungen.


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