Heinrich Seidel
Kinkerlitzchen
Heinrich Seidel

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Im Jahre 1984.

Der Hauptkummer des Herrn Göttlich Nothnagel war, dass er zu früh auf die Welt gekommen sei. Wir stehen, sagte er sich, erst am Anfange der grossen technischen Vervollkommnungen, die Luftschifffahrt liegt noch in den Windeln, und keine Ahnung haben wir, welche Schätze uns noch eine geniale Anwendung der Elektricität in den Schooss werfen wird, keine Vorstellung, welche Wunder der Fortschritt unserer chemischen Kenntnisse noch einmal zu Alltäglichkeiten macht. Wir ahnen zwar, dass es nur einen Urstoff gibt, dessen verschiedene Zustände wir Elemente benennen, aber noch Niemand ist es gelungen, diesen Urstoff aufzufinden und aus ihm Gold, Eisen, Brom, Kalium, Schwefel, Sauerstoff oder sonst ein beliebiges Element herzustellen. O, wie viel weiter werden wir in hundert Jahren sein; wer das Alles doch mit erleben könnte.

Als Herr Gottlieb Nothnagel eines Abends im Lehnstuhl sass, seine Pfeile rauchte und solchen Gedanken nachhing, klopfte es plötzlich leise an seine Thür, und als er öffnete stand ein junges, zierliches Mädchen mit einem leuchtenden Antlitz draussen und reichte ihm etwas in Papier Gewickeltes hin: »Ich bringe die Galoschen!« sagte sie.

»Welche Galoschen?« fragte Nothnagel verwundert, »ich habe keine bestellt.«

»Sind Sie Herr Gottlieb Nothnagel?« fragte sie.

»Jawohl,« war die Antwort.

»Nun, dann sind auch die Galoschen für Sie!« rief sie aus, drehte sich auf dem Absatz um und lief mit einem silbernen Gelächter die Treppe hinab.

»Verrückte Geschichte!« dachte Nothnagel, »und wie wunderliche Augentäuschungen es giebt; war mir doch gerade, als wenn das Frauenzimmer unten über den Flur auf einer Glaskugel zum Hause hinaus schwebte, wie man die Fortuna auf Bildern abmalt.« Er ahnte aber nicht, dass er ganz recht gesehen hatte, und dass er die Galoschen des Glücks in den Händen hielt, von denen uns Andersen erzählt, jene zauberkräftigen Ueberschuhe, die dem, der sie an den Füssen trägt, jeden Wunsch erfüllen und ihn augenblicklich dorthin versetzen, wo er zu sein wünscht. Er wickelte die Galoschen aus und betrachtete sie, konnte aber nichts Besonderes an ihnen bemerken. Dann zog er sie an; sie passten wie angegossen. Er ging einige Male im Zimmer auf und ab und dachte: »Ja, in hundert Jahren wird man so schwerfällige Dinger auch nicht mehr kennen, da wird das Schuhzeug von einer Vollendung sein, dass man dergleichen Nothbehelfe entbehren kann. Wer das doch noch erlebte! Ich wünsche mir nur einmal in dem Berlin von 1984 einige Stunden umherzuwandern.«

*           *
*

Ja, was war das? Er befand sich plötzlich in einer unendlich langen, mit Glas gedeckten Halle, und ein sonderbares Schnurren und Rollen war um ihn herum, beinahe wie in einem starkbesuchten Skating-Rink, nur viel lauter. Als sich Nothnagel aus der Verwirrung und Betäubung dieser plötzlichen Verwandlung einigermassen erholt hatte, vermochte er genauer zu erkennen, was ihn umgab. Auf dem glatten Pflaster dieser Halle schnurrten eine Menge niedriger kleiner Wagen mit drei Rädern einher, die meisten nur mit einer, manche jedoch auch mit zwei Personen besetzt, ohne dass man erkennen konnte, wie diese Gefährte in Bewegung gesetzt wurden. Man bemerkte nur unter dem Sitze einen Blechkasten der gleichzeitig die Achse der beiden Haupträder umschloss. Fussgänger sah er gar nicht, sondern Alles fuhr und zwar mit einer wunderbaren Schnelligkeit und Geschicklichkeit im Ausweichen. Dabei wollte es ihn fast sonderbar bedünken, dass bei diesen fahrenden Leuten die Trachten aller Jahrhunderte und aller Völker vertreten waren; in allen Kostümen seit Anbeginn der Welt, mit einziger Ausnahme des adamitischen, sauste und schnurrte es an ihm vorüber. Als er nun so stand und ziemlich verblüfft diese wunderlichen Thatsachen anstarrte, hielt plötzlich neben ihm eines der zweisitzigen Geführte und ein Mann, an dessen Mütze in Goldschrift stand: »Concess. Fremdenführer«, bot ihm seine Dienste an. Nothnagel stieg zu diesem Manne in den Wagen, und fort ging es. Zuweilen ward die lange Halle, in der sie fuhren, von anderen Querhallen gekreuzt und unser Reisender merkte bald, dass er sich in einem grossen System von glasgedeckten Strassen befand, denn die Wände dieser Hallen waren aus lauter Häusern in den buntesten und verschiedensten Stilarten gebildet.

»Um Gottes Willen«, rief er endlich, »sagen Sie mir doch, mein Herr, wo befinde ich mich?«

»In der Friedrichstrasse, auf dem Wege nach den Linden,« sagte der Mann. Unterdess bogen sie auch schon um die Ecke und befanden sich in der zuletzt genannten Strasse, einer ungeheuren glasgedeckten Halle, deren Wände durch schimmernde Paläste gebildet wurden. Dort, wo sonst verkümmerte Lindenbäume mit dem Staube kämpfend langsam dahinsiechten, war ein prächtiger Wintergarten, wo über breitblättrige Bananen und andere tropische Pflanzen mächtige Palmen ihre Wipfel erhoben. Der Fremdenführer hielt jetzt seinen Wagen an vor einem palastartigen Gebäude mit der Inschrift: Internationale elektrische Gesellschaft, vormals Siemens und Halske. Depot Nr. 175. Er nahm aus dem Kasten seines Wagens einen viereckigen Gegenstand, eilte damit in das Haus und kam gleich darauf mit einem ganz gleichen Körper zurück, den er in den Wagenkasten einschloss. »So, nun läuft die Karre wieder auf vierundzwanzig Stunden,« sagte er befriedigt.

Nothnagel hatte sich unterdess umgeschaut und sich über diese glasbedeckten Strassen allerlei Gedanken gemacht. »Sagen Sie mal«, sprach er, »als sie nun langsam weiter fuhren, »was wird aus diesen Glasdächern, wenn ein starkes Hagelschauer eintritt?«

»Das thut ihnen garnichts,« sagte der Mann, »sie sind aus hämmerbarem Glas hergestellt, Deutsches Reichspatent Nr. 76334591. – Dieses Glas lässt sich biegen, rollen und in jede Form hämmern. Sie wissen doch, dass sämmtliche elektrischen Schiffe, die den Verkehr mit unseren afrikanischen Colonien vermitteln, aus Glas hergestellt werden.«

»Ich weiss nur, dass mir der Kopf brummt,« sagte Nothnagel. »Aber,« fuhr er fort, »was bedeuten nur die Leute, die uns so häufig begegnen und wie lackirte Schornsteinfeger aussehen?«

Der Fremdenführer unterdrückte ein verächtliches Lächeln über die bodenlose Unwissenheit seines Clienten, und antwortete: »Haben Sie nicht von dem Leder-Regime des Professors Förster in Cannstadt gehört? Seine Anhänger kleiden sich einzig von Kopf bis zu Fuss in gewichstes Leder. Sehen Sie, wir fahren gerade an der Hauptniederlage vorbei.« Damit zeigte er auf ein Haus, an dem zu lesen stand: »Bazar Augsburg, Hauptniederlage der Professor Förster'schen Lederwaaren«, und darunter:

»Löbliche Leute lieben Leder!«

Man sah auch an der nächsten Strassenecke eine Wichsmaschine aufgestellt, in die die Bedürftigen hineinspazierten, um an der anderen Seite nach einer halben Minute glänzend blank gewichst wieder zum Vorschein zu kommen. Nothnagel erfuhr auch, dass die ächten Försterianer nur mit ledernen Löffeln essen und ausschliesslich auf Pergament schreiben, die allerächtesten sich sogar einer ledernen Gesinnung befleissigen.

»Was sagen denn die Anhänger des Professors Jäger dazu?« fragte Nothnagel.

»Wer ist Jäger?« fragte der Fremdenführer. Nothnagel zog es vor zu schweigen. Dann erfuhr er auf seine weiteren Fragen, dass es eine Mode und einen allgemeinen Baustil nicht mehr gab. Ein Jeglicher kleidete sich in die Tracht irgend eines Jahrhunderts oder Volksstammes, die ihm am besten gefiel, und baute sein Haus nach gleichen Prinzipien. Da kam es denn vor, dass ein japanisch gekleideter Mann mit einer Frau aus dem Rokkoko-Zeitalter in einem griechischen Tempel wohnte und ihnen von Dienstboten in der Tracht der alten Aegypter aufgewartet wurde, während der älteste Sohn in Pluderhosen aus der Landsknechtszeit auf die Universität fuhr und das Töchterlein als junge Römerin das Conservatorium besuchte.

Endlich meldete sich der Hunger und Nothnagel fuhr mit seinem Begleiter in eine Restauration. Diese bot einen merkwürdigen Anblick dar, denn es befanden sich einzig darin lauter runde Tische zu vier Personen. Die Platte eines solchen Tisches ruhte auf einer starken runden Säule, die aus dem Fussboden hervorkam, und Stühle waren nicht vorhanden, da jeder auf seinem kleinen Wagen sitzen blieb. Auch Bedienung gab es nicht in diesem Raume, dafür war bei jedem Platz ein Ess-Knopf und ein Trink-Knopf vorhanden , durch die man in die unteren Räume telegraphirte. Bei jedem Gerichte auf der Speisekarte stand ein Zeichen, ähnlich wie sie bei dem Morse'schen Telegraphen angewendet werden, z. B.:

Antilopenrücken  – .
Krokodill in Sauer  – . –
Gebackene Heuschrecken  . .
Palmkohl  – – .
etc. etc.

Es muss dazu bemerkt werden, dass durch die ausserordentlich schnellen Verkehrsgelegenheiten dergleichen exotische Nahrungsmittel täglich frisch in Berlin zu haben waren. Daraus erklärte sich auch der grosse Anschlag an der Wand: »Heut Ausschank von Exportbier aus der Kaiserlich Chinesischen Staatsbrauerei in Tonkin.« Dieses Bier ward stilgemäss aus grossen Porzellantassen getrunken.

Hatte man nun sein Bier und seine Nahrungsmittel durch angemessenes Drücken auf die Knöpfe bestellt, so erschienen Speisen und Getränke mitten auf dem Tisch durch einen Aufzug in der hohlen Tragesäule. Ebenso empfing man die Rechnung, die am Ausgang an der Kasse bezahlt werden musste.

Es sassen zwei Herren an demselben Tische, die folgendes Gespräch mit einander führten:

A. »Haben uns lange nicht gesehen.«

B. »Reiste die letzten drei Wochen fortwährend für's Geschäft. War in Amerika fünf Tage, drei in Australien und sieben in Asien. Fuhr gestern von Archangel ab und will morgen früh in Dublin sein; brauche erst um Mitternacht zu fahren, weil ich über den Kanal die Bombenpost benutze; man spart dadurch zehn Minuten an der Tour.«

»Was ist die Bombenpost?« fragte Nothnagel seinen Begleiter.

»Sie wissen ja,« sagte dieser, »dass die Luftschifffahrt noch immer nicht erfunden ist, aber die Bombenpost ist eine Art Surrogat dafür, auf kurzen Strecken, wie z. B. zwischen Dover und Calais. Der Passagier legt sich in eine Art grosser ausgepolsterter Granate und wird dann aus einem ungeheuren langen Kanonenrohr vermittelst einer langsam wirkenden Sorte von Pulver – damit zu Anfang kein Stoss eintritt und die nöthige Geschwindigkeit erst allmählich erreicht wird – über den Kanal geschossen und auf der anderen Seite durch einen höchst sinnreichen Mechanismus sehr sanft aufgefangen. Auf grössere Strecken bewährt die Sache sich nicht, weil wegen der geringen Rasanz der Flugbahn das Geschoss auf der Mitte des Weges in eine zu grosse Höhe gelangen würde, woselbst wegen der starken Kälte und der Dünnigkeit der Luft die Passagiere zu Grunde gehen.«

Am Abend fuhr Nothnagel mit seinem Begleiter in's Theater, allein das Stück, das sehr bejauchzt wurde, gefiel ihm nicht, weil er gar nichts davon verstand, besonders dann nicht, wenn am brüllendsten gelacht wurde. Die Einrichtung der Bühne war ihm neu, denn diese stand auf einer ungeheuren Drehscheibe, auf der vier verschiedene Bühnenräume vorhanden waren. Sollte eine Verwandlung geschehen, so war die neue Dekoration bereits auf dem nebenliegenden Raume fertiggestellt und wurde durch eine viertel Drehung der Scheibe ohne grossen Zeitverlust vorgeschoben. Nothnagel ging bald fort und besuchte ein anderes Theater, das ohngefähr den heutigen Reichshallen entsprechen würde. Dort sah er zum Tanzen abgerichtete Nilpferde und ein Kameel, das durch Reifen sprang, eine Pfeife rauchte und nach der Scheibe schoss. Die Hauptanziehung des Abends war jedoch ein zum Klavierspiel abgerichteter Chimpanse, der vierhändige Sachen von Liszt auswendig spielte. Er erfuhr, dass durch die Entdeckung der Befähigung anthropomorpher Affen für das Klavierspiel alle menschlichen Virtuosen für dieses Instrument brodlos geworden waren, indem selbstverständlich vier Hände doch mehr leisten können, als zwei. Der grösste Künstler dieser Art war augenblicklich ein Gorilla, der zur Zeit in Amerika gastirte und 5000 Doll. für den Abend erhielt.

Nach dem Theater brachte ihn der Fremdenführer nach dem naheliegenden Pustbahnhof, von wo aus er in ein sehr gutes Hotel der Vorstadt Potsdam befördert werden sollte. Denn so weit hatte Berlin sich ausgedehnt; die Havel floss jetzt mitten durch die Stadt, und der Grunewald war längst an die Stelle des Thiergartens getreten, während dieser Monumentenhain hiess, weil dort die Bildsäulen aller berühmten Berliner aufgestellt waren, von dem ausgezeichneten Volksdichter Queva bis auf die neueste Zeit. Das System der pneumatischen Beförderung, das man früher nur für Briefschaften kannte, war sehr ausgebildet worden und ganz Berlin war von einem engmaschigen Netz von meterweiten Röhren zur Personenbeförderung durchsponnen. Nothnagel nahm liegend in einem inwendig gepolsterten und elektrisch erleuchteten Wagen Platz, dieser rollte in das Rohr hinein und nach einer schnellen und geräuschlosen Fahrt stieg er seinem Hotel gegenüber in Potsdam aus. Sofort hydraulisch in sein Zimmer befördert, empfand er das Bedürfniss eines Bades und suchte nach der Glocke für den Kellner. Allein er fand an der Hauptwand in einer Reihe eine Unzahl von Knöpfen und eine Menge von Hähnen, deren Bezeichnung mit Buchstuben ihm nicht augenblicklich klar ward. Zur Probe drückte er einen mit B. W. bezeichneten Knopf und sofort öffnete sich die Wand und eine Badewanne schob sich geräuschlos in's Zimmer. Froh, dass er es gleich so richtig getroffen hatte, untersuchte er eine Reihe von Hähnen, die jetzt gerade über der Badewanne lagen, und fand zwei, die mit W. W. und mit K. W. bezeichnet waren. Haha: »Warmes Wasser« und »Kaltes Wasser,« sagte er sich, das ist einfach. Kaum aber hatte er beide Hähne geöffnet, als draussen eine laute Musik losging und zugleich ein heller Schein in's Zimmer fiel. Neugierig lief er hin, öffnete das Fenster und sah nun, dass draussen eine grosse Prozession, wahrscheinlich ein elektrischer Fackelzug, vorüber zog. Voran auf einem Wagen, jedenfalls auch elektrisch betrieben, denn Pferde waren nicht davorgespannt, fuhr ein grosses Orchestrion, das eine Musik vollführte, gegen die die schlimmsten Stellen aus Wagner'schen Opern wie sanftes Gesäusel erschienen, so wenig hat dieser grosse Mann noch von wirklicher Zukunftsmusik geahnt. Hinterher fuhren auf den bekannten kleinen Wägelchen einige Hundert Leute mit elektrischen Lichtern. Dieses nie gesehene Schauspiel zog Nothnagel so an, dass er ganz seine Badewanne vergass, und als er zu ihr zurückkehrte, war sie bereits bis zum Rande gefüllt. Er stellte die Hähne ab, prüfte mit der Hand das Wasser und fand es recht kalt. Zugleich aber bemerkte er auch, dass das ganze Zimmer mit einem starken Weindunst erfüllt war. Er leckte prüfend seine Finger ab und siehe, es war lauter Wein in der Wanne, denn die Buchstaben der Hähne bedeuteten Weiss-Wein und Kap-Wein. Er hätte entweder W. B. oder K. B. öffnen müssen, »Warmes Bad« oder »Kaltes Bad«. Was sollte er nun mit dieser ungeheuren Bowle anfangen ? Er probirte die Mischung und fand sie nicht übel. Bezahlen musste er diesen unendlichen Wein nun doch auf jeden Fall, denn er bemerkte, dass hinter jedem Hahne in der Wand ein mit starker Glasplatte bedecktes Messinstrument angebracht war. Der Zeiger dieses zeigte für Weisswein 648 Liter und für Kapwein 493 Liter. Rechnet man das Liter auch nur zu zwei Mark, so ergab dies 648 + 493 × 2 = 2282 Mark – ihn schauderte. Er holte schnell ein Literglas herbei, das er auf dem Tische fand, denn er wollte wenigstens etwas von dieser Sache haben. Aber schon bei dem dritten Liter fand er, dass er es mit einem kräftigen Gegner zu thun hatte. Er fühlte das Feuer des Südens und die Kraft des Nordens in seinen Adern und aus Beidem erwuchs der Drang zu ungewöhnlichen Thaten. Um diesen zunächst in etwas zu befriedigen, drückte er an alle Knöpfe, die so reichlich in dem Zimmer vorhanden waren. Dieses hatte aber ungeahnte Folgen, denn die Hotels des Jahres 1984 waren so eingerichtet, dass man von jedem Zimmer aus die Feuerwehr, die Polizei, den Arzt, den Barbier und wer weiss was sonst noch durch einen einfachen Fingerdruck herbeizurufen vermochte. So geschah es denn, dass in kurzer Zeit ein furchtbarer Aufruhr in und vor dem Hotel entstand, denn er hatte, ohne es zu wissen, der Feuerwehr das Signal »Gross Feuer«, der Polizei die Nachricht »Ueberfall durch Räuber«, dem Arzte »Acute Vergiftung«, der Hebamme »Zwillinge in Sicht« und dergleichen mehr gegeben, so dass in kurzer Zeit sein Zimmer von Leuten wimmelte, die weiter nichts fanden, als einen betrunkenen Herrn mit einem Literglas in der Hand, der sie aufforderte, mit ihm eine Badewanne voll Bowle auf das Wohl des 20. Jahrhunderts zu leeren. Da der Arzt in diesem Benehmen die Kennzeichen geistiger Störung fand, so suchte man sich seiner zu versichern und ihn zu ergreifen. Dies wollte aber Nothnagel durchaus nicht haben, sondern wehrte sich so energisch, dass ihm in der Hitze des Gefechtes die Galoschen von den Füssen gestreift wurden.

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Herr Gottlieb Nothnagel sass plötzlich wieder in seinem Zimmer, Potsdamer Strasse 61 a, auf dem Lehnstuhl und rieb sich die Augen, denn ihm war ganz schwindlich zu Muthe. Als er den Blick erhob, war ihm gerade so, als schlüpfe Jemand aus seiner Zimmerthür. Schnell eilte er hin und schaute hinaus, sah aber nur noch eine leichte weibliche Gestalt, die ein in Papier gewickeltes Packet unter dem Arme trug, eilfertig die Treppe hinabeilen.


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