Charles Sealsfield
Nathan der Squatter
Charles Sealsfield

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6.

Sollte etwas imstande gewesen sein, uns den Squattern in gutem Humor zu produzieren, so war es unser Kostüm. – Lassalle steckte in einem Hemd, mit einem Kragen, der wohl einen halben Schuh über die Ohren hinaufstand und aus Fäden gewoben war, nicht ganz so dick wie einjährige Weidenruten; war ferner eingehülset in die ledernen Konvenienzen James', wie Nathan so passend diese Beinkleider bezeichnet – an den Knien mit Riemen zusammengebunden, eine solche Weste, und ein Kaliko-Jagdhemd, den Blusen unserer Fuhr- und Landsleute ähnlich, nur reichlicher mit Fransen und Bändern verziert. Meine Uniform war eine treue Kopie. Wir glichen auf ein Haar dem Bartolo im »Barbier von Sevilla«, bis auf die liebenswürdige Laune des quecksilbrigen Bartscherers, die – wir nicht hatten. – Wir waren in der Tat bitterböse. Unsere Eigenliebe fühlte sich so empört über die Rolle, die uns der alte Squatterdespot abspielen machte – die wilde Treibjagd wollte uns so wenig aus dem Kopf; wir würden den trockenen verschmitzten Tyrannen auf eine ganz andere Weise abgefertigt haben, wenn uns nicht bei alledem ein gewisser Respekt, eine heilsame Scheu zurückgehalten hätte. – Aber die Wahrheit zu gestehen, so imponierte uns das starre, verschlossene Lederwams; der Freche, der sich in unserem Lande einen solchen Spektakel erlauben konnte – er konnte sich auch mit zwei zerlumpten Franzosen, wie er uns in seiner naiven Grobheit taufte, einen derlei wilden Spaß gelüsten lassen! Es war nicht zu spaßen, wenigstens nicht, bis wir eine gute Anzahl Meilen zwischen ihm und uns wußten, dann ließe sich schon kräftiger auftreten. Und auftreten wollten wir, und das vor ganz Louisiana. Neben einer solchen Nachbarschaft konnte der gute Ruf unseres Louisianas, die Ehre des Landes als einer zivilisierten Provinz – die Ehre unsrer Regierung – selbst unsere eigene, nun und nimmermehr bestehen. Es dünkte uns hohe Zeit, diesem Squatterunfug Schranken zu setzen.

Mistreß Strong und ihre Töchter waren mit dem Auftragen der Speisen beschäftigt; eine Unzahl kleiner Schüsselchen, mit Konfitüren von in Zucker eingemachten Trauben, Pflaumen, Kirschen, Parsimons, wie sie die Wälder im Ueberfluß geben und die Squatters in der höchsten Vollkommenheit einzulegen verstehen. Mehrere junge und ältliche Männer standen um einen Tisch, aus rohen Mahagonibrettern gezimmert, den Gläsern mit Magentrost gefüllt, zusprechend. Vornehm leicht durch die Squatters und Squatterinnen hinstreichend, eilten wir zum Fenster, unsere üble Laune durch die Aussicht auf die entzückenden Fluren der Naturwiesen niederzuhalten.

Die alte Squatterin hatte uns im Vorbeigehen behaglich gemustert, uns eine Weile nachgesehen, und schier verwundert ließ sie sich gegen Nathan also vernehmen: » My! Nathan! Sind das sie – die oben in den Pettikoats?«

»Kalkuliere, sie sind es«, versetzte Nathan lakonisch.

» My!« ließ sich die Dame eines weiteren hören. » My! Wie doch die Kleider Leute machen! Wohl nun! Kalkuliere nichtsdestoweniger, mögen bei alledem ganz elegant – ja, geradezu kapitale Mannsbursche sein. Wie!«

»Pshaw!«, versetzte Nathan mit wahrer Squatter-Nonchalance. »Pshaw, altes Weib! Pfeifst du jetzt aus einem anderen Ton! – Hat sie das Fieber noch? Der alte Nathan kennt seine Leute. Sage dir, obwohl nur Franzosen, sind sie, kalkuliere ich, doch so kapitale Burschen, als irgendein dezenter Squatter, der je im Busch sich niederließ. Ist ein Fakt, altes Weib.«

»Fremdlinge!«, wandte er sich an uns. »Wollt Ihr Euch an uns anschließen? Seht Nachbarn und Mister Gale von Tennessee. Kommt, einen Morgentrunk zu nehmen, bis das Weibsvolk aufgetragen hat.«

»Danken Euch«, versetzten wir kurz.

»Wohl, wohl! Ist kapitaler Monongehala nichtsdestoweniger, geradezu kapital eleganter. Ein Glas Monongehala des Morgens, zwei Madeira des Abends oder Nachmittags, sage Euch, nichts Besseres, das Fieber niederzuhalten.«

Er hatte uns unter diesen Worten bei den Armen erfaßt.

»Mister Nathan!«, bedeuteten wir ihm, uns vergeblich abmühend, dem Griff seiner Eisenhände zu entgleiten. »Ihr könnt uns in der Tat keinen größeren Gefallen tun, als wenn Ihr uns so bald wie möglich einen Wegweiser zum Hause des nächsten Akadiers verschafft.«

»Wird nicht vonnöten sein«, versetzte er, uns fahren lassend, »wird nicht vonnöten sein, werdet bald in der Gesellschaft Eurer Akadier sein.«

Der Alte schaute uns einen nach dem andern an und wandte sich dann zu seinen Nachbarn, die ruhig über dem Magentrost ihre Angelegenheiten besprachen. – Wir schwiegen betroffen. – Unsere Mißstimmung hatte uns zu einer Unartigkeit verleitet, die Blöße, die wir gegeben, ärgerte mich. Meine Aufmerksamkeit wurde jedoch bald durch die Konversation der Männer angezogen, deren stolze, unabhängige Haltung mich nicht wenig frappierte. – Sie hatten uns kaum bei unserem Eintritt beachtet und auch jetzt nur zuweilen einen Blick auf uns geworfen; kein Muskel verzog sich in diesen apathischen Gesichtern, bloß um die Augenwinkel ließ sich ein leichtes Zucken bemerken. – Ein ältlicher Mann sprach über die kommerziellen Verhältnisse des Westens – von den an den Mississippi grenzenden Staaten mit vieler Einsicht, und die Bemerkungen Nathans und seiner Lederwämser verrieten genaue Bekanntschaft des Gegenstandes. Der wilden Forlic wurde auch nicht mit einer Silbe Erwähnung getan. –

» Morbleu! Was ist das?«, raunte mir Lassalle zu, der unterdessen durch das Fenster hinausgeschaut hatte.

Aus einer der nächsten, gegen den Abhang zu stehenden Baumgruppen, die auf der kammartig von Osten gegen Westen schwellenden Anhöhe so wunderlieblich hingezaubert standen, kam eine seltsame Kavalkade hervorgetrabt. – Sie schaukelte im kurzen Trab heran und sah sonderbar aus. Vorn ein Reiter mit dreieckigem Hut, mit einem Federbusch, und in der Uniform eines unserer französischen Musketier-Regimenter aus den früheren Regierungsjahren Louis XV., eine wahre Riesengestalt – zu seiner Seite eine Figur.

» Parole d'honneur! Das ist eine Regimentstrommel. – Ma foi! Eine Regimentstrommel zu Pferde!«, meinte Lassalle.

»Eine Regimentstrommel!«, erwiderte ich unwillkürlich lachend. »Nein, das nicht, aber eine Frau im Reifrock zu Pferde.«

Und es war so.

Lassalle hatte den großgeblümten Reifrock, wie wir deren von Anno 1789 zu Hunderten durch unsere Pariser Kirchtüren drehen gesehen, für eine Regimentstrommel genommen, aber der Irrtum war verzeihlich. – Es war die drolligste Figur, die sich sehen ließ. – Wem würde es auch außerhalb diesem barocken Lande eingefallen sein, im Reifrock zu Pferde zu steigen.

Die Figur kam wie ein Schoner im Wellentroge hin und her rollend heran. Wir unterschieden allmählich den Kapuchon, der das Haupt – die Pantoffel mit hohen Absätzen, die die Füße zierten.

Hinter dem seltsamen Paar kam ein Zug von etwa zehn Männern in blauen Röcken, der gewöhnlichen Kleidung der Akadier.

Gern hätten wir Nathan über die seltsame Kavalkade befragt, allein unser Stolz verbot es, und der Alte schien jetzt seine ganz hinterwäldlerische Starrheit angelegt zu haben. – Einen und den andern Blick warf er durch das Fenster, ohne daß jedoch ein Muskel in seinem Ledergesicht sich verzogen hätte.

Die Kavalkade war vor dem Hause angekommen. Der uniformierte Riese, in dem wir ohne viele Mühe einen Veteranen der in den fünfziger Kriegsjahren nach Kanada und Louisiana gesandten Truppen erkannten, stieg vom Pferd und hob mit militärischer Galanterie die Dame von dem ihrigen.

Er war eine wahre Don-Quichotte-Figur, die, um mich eines Hinterwäldler-Ausdrucks zu bedienen, wohl ihre sechs Fuß und ebenso viele Zoll in den Schuhen stand; seine Dulzinea wieder ein so drollig winziges gespreiztes Dämchen – gegenüber dem langen, hageren Knochenmann sah sie aus wie ein sich blähender Truthahn.

Sie reichte ihm ungemein pretentiös die Hand, die er zärtlich mit den Fingerspitzen ergriff, und sie der offenen Stubentür zu galantierte. -

Ihre Begleiter waren gleichfalls abgestiegen, blieben aber draußen.

Wir waren nicht wenig gespannt auf das zärtliche Pärchen.

Im Menuetpas und der zierlichsten Tänzerhaltung schwebte sie, im Grenadierschritt marschierte er durch die offene Stubentür, jedoch nicht eher, als nach dreimaligem Anklopfen; dann vortretend berührte er militärisch seinen Dreizack und begrüßte Nathan und Kompanie ganz in der steif zierlichen Manier unserer Büttel, wenn sie samt Ehegesponsen ihre submissen Gratulationen Seiner Gestrengen, dem Gerichtsherrn, darbringen. –

Uns hatten derlei Spießbürgereien zu Hause oft amüsiert, aber hier ärgerten wir uns, wir fühlten, ordentlich beschämt über den alten Narren, der, gegenüber den stolzen Republikanern, seine altmodischen Kratzfüße noch nicht verlernt hatte; – sie erschienen uns wie eine Parodie auf unser Land und unsere Manieren.

Nathan seinerseits empfing die Huldigungen ganz mit den Airs eines Mannes, der sich seiner Autorität bewußt ist – eine Weile besah er die beiden mit einem kalt lächelnden Blick, dann wandte er sich mit den Worten: »Mounshur Lecain, setzt Euch mit Eurem alten Weibe nieder«, dem debattierenden Mister Gale aus Tennessee zu.

Monsieur Lecain und Madame dankten mit Verbeugung und Knicks und – blieben stehen. Die Gesichter der letzteren hatten sich bei dem ›alten Weib‹ einigermaßen verzogen, aber sogleich wieder aufgehellt. Sie war ein ungemein bewegliches altes Weibchen, und hatte, trotz Runzeln, etwas so Kokettierendes, daß wir sie ohne weiteres für eine Pariserin niedersetzten. Nacheinander fielen ihre Blicke auf die Squatters, die aufgetragenen Schüsseln, die ab- und zugehende Wirtin, ihre Tochter, wieder – auf uns; – an uns blieben sie haften. Unser Squatterkostüm derangierte sie offenbar, man sah ihr die Begierde an, etwas mehr von uns zu wissen. Sie wisperte, stieß ihren Alten, der wieder unverwandten Blickes an dem Mister Regwillähtair, wie er Nathan stilisierte, hing; so groß schien aber ihre Scheu vor dem gewaltigen Squatterpotentaten zu sein, daß sie trotz Beweglichkeit und Neugierde es nicht wagte, den gewaltigen Buschpotentaten zu unterbrechen. Die Gewalt, die er über seine französischen Nachbarn erlangt, mußte in der Tat außerordentlich sein.

Ich war im Begriff, unsere unruhige Landsmännin aus ihrer qualvollen Ungewißheit zu erlösen, als Mistreß Strong, die am unteren Ende der Tafel Platz genommen, den Ruf erschallen ließ: »Männer, wollt Ihr Euch nicht setzen?«

Die Männer nickten und blieben, der Debatte Mister Gales horchend. Der Tennesseer hatte zuvor noch das halbe Budget des neuen Staates zu beleuchten – dann erst traten alle gravitätisch zum Tisch.

Nathan wies uns unsere Plätze neben Mister Gale an und wandte sich dann zu Monsieur und Madame Lecain:

»Mounshur Lecain, habt Ihr gefrühstückt?«

» Mille pardons!«, hauchte Monsieur Lecain, sich erhebend und verneigend.

»Kalkuliere, laßt besser Eure Komplimente«, versetzte Nathan trocken, »setzt Euch mit Eurem alten Weibe, und helft Euch zu, was Eurem alten Magen gut tut. Ihr habt einen langen Ritt getan, und sind Eure mürben Knochen nicht daran gewöhnt. Habe Euch nicht so bald erwartet. – Setzt Euch, seid willkommen.«

Lecain und Konsortin zögerten noch immer, sich verneigend und knicksend.

»Was in T...ls Namen gickt und gackt Ihr da wie ein Paar Truthühner im Märzmonat?«, fuhr Nathan ungeduldig heraus. »Vermute, Ihr hört, und habt Eure Ohren offen, setzt Euch. – Doch halt, kalkuliere, dürfte Euch schwer werden, in Eurem Takelwerk Anker zu werfen – mit all dem Kram. Wißt, geht kein Schiff vor Anker mit Royal- und Mainseil und Topseil und all seinen Segeln. Helft ihr aus dem Segeltuch«, bedeutete er Elisabeth und Mary, die bereits an der Dame beschäftigt waren, sie aus einem Teil ihres Krams, wie Nathan ihre Toilette nicht unpassend bezeichnete, auszuhülsen.

Das Frühstück bestand aus Schweinsfüßen in Pfeffer und Essig eingelegt, Welschkornkuchen in Molasses getränkt – Outards, einem gebratenen Welschhahn, Hirschziemer, Schinken, Eiern, nebst einer Unzahl in Zucker oder Essig eingemachter Früchte, Parsimons, den delikaten Louisianakirschen, Pflaumen, wilden Weintrauben, die, wie man weiß, die Hinterwäldler unvergleichlich einzumachen verstehen. – So verschiedenartig jedoch die Bestandteile, alle mußten sie ein in die Alligatorsmagen der Squatters. Wir sahen sie in Pfeffer und Essig eingelegte Schweinsfüße zu Welschkornkuchen, von Molasses triefend, verschlingen – türkischen Pfefferkapseln, in Essig eingelegt, zu Schinken; zuweilen fuhr einer der Squatters mit seinem Messer in das Parsimons- oder Pflaumenkompott, schob die Ladung in den Mund, und stieß uns dann den Dessertteller hin, ein gleiches zu tun. Die Gabel mußte ihnen ein ganz überflüssiges Werkzeug dünken. – Von diesen Unsitten abgesehen, herrschte wieder viel Anstand und jene Ruhe, die dem durch nichts aus der Fassung zu bringenden Hinterwäldler gewissermaßen angeboren ist. – Insbesondere benahm sich das weibliche Geschlecht mit einer natürlichen Grazie, die ich nimmermehr erwartet hätte und die uns wieder von dem haushälterischen Regime Nathans einen sehr vorteilhaften Begriff gab. –

Bei jeder Schale, die uns die anziehende Elisabeth reichte, schwand unser Widerwille mehr und mehr. – Wir waren eben in der vollen Prüfung eines Schnittes von dem vortrefflichen Hirschziemer begriffen, als ein plötzlicher Lärm vor dem Hause uns innehalten machte.

Es waren laute Stimmen, die sich hören ließen – Stimmen, die uns bekannt an die Ohren schlugen. Wir horchten, bald blieb uns kein Zweifel übrig. Es war die hellkreischende Stimme Amadees, mit den rauhen Kehlentönen Martins, die sich vor dem Eingang hören ließen. – Wir hörten unsere Namen rufen.

Die Tischgesellschaft stutzte einen Augenblick. Wir sprangen auf und eilten zum Fenster. Und wen sahen unsere Augen? Wen anders als unsere Freunde Lacalle und Hauterouge, die, umgeben von Amadee, Jean und Martin, auf ihren Pferden hielten. Ein Ausruf der höchsten Ueberraschung entfuhr uns. – Lacalle mich zu erschauen und mit dem lauten Ruf: » Vive le Roi! le Roi ne meurt pas!«, vom Pferde auf das Haus zuspringen, mit einem zweiten Satz durch das Fenster in die Stube – an mir, der ich zurückgesprungen war, vorbei – der gerade aufschnellenden Elisabeth in die Arme, einen Kuß auf die schwellenden Kirschlippen der lieblichen Squatterin zu drücken – sie fahren zu lassen, mir jubelnd an den Hals zu fliegen: Oberst, alle Teufel, wo stecken Sie? – Worin stecken Sie? – zurückzuprallen – wieder vorzuspringen – mich im Kreise zu drehen, mit einem lauten Vive la France, l'amour et la patrie! einen Pas de deux zu hüpfen – das alles war schneller getan als gesagt.

In demselben Augenblick kommt Hauterouge in gleich unzeremoniöser Manier durch das Fenster hereingesprungen.

» Morbleu Colonel! Lassalle! Wo steckst du? Wie siehst du aus! – Alle T....l Was treibt Ihr?«

Und Hauterouge und Lacalle fliegen uns abermals in froher Ueberraschung mit all dem stürmischen Jubel wiedergefundener Kriegskameraden an den Hals, umarmen uns, wenden uns drehen uns brechen in lautes Gelächter aus, hüpfen wie närrisch in der Stube herum, tanzen pas de deux, enfilieren, L'amour et la patrie singend, ein Menuett. –

Währenddem kam der alte Knabe Amadee, aber durch die Tür, ihm nach unser Jean und der alte Martin.

»Herr Graf, Herr Oberst, ums Himmels willen, sind Sie es? St. Denis und alle Heiligen seien gelobt! Sind Sie es wirklich, Herr Graf? Oh, Herr Graf! Oh, mein geliebter Oberst!«

Und mit Tränen in den Augen küßt mir der gute Alte die Hand, und das Beispiel Hauterouges und Lacalles vor Augen, springt auch er, und tanzt und jubelt vor Freude:

»Suchen Sie seit zwei Tagen, Herr Graf, überall, bei Martin, den Akadiern, auf der brennenden Prärie. – Oh, Herr Graf! Unsere Angst, unser Jammer! – Ueberall haben wir Sie gesucht.«

Der plötzlichen Rührung folgte wieder ein lautes, schallendes Gelächter.

»Weißt du aber, Oberst, daß die Allains wirklich ganz divine Kreaturen sind?«

»Ihr wart also bei Allains?«

»So waren wir, glaubten, Euch da aufzustöbern, als Ihr nach zwei Tagen noch immer nicht kamt. Sahen die deliziösen Mädchen. Parole d'honneur! Sind allein die Reise nach Louisiana wert.«

»Und was sagt mein sittenrichterlicher Lacalle?« fragte ich lachend.

Lacalle war rot geworden und schwieg. – Mir fiel dies damals unter den Rundsprüngen weniger auf – aber doch fiel es mir auf – obwohl Amadees Frohlocken mich bald wieder auf andere Gedanken lenkte. – Es waren Briefe von Hause von New Orleans, vom Gouverneur, vom Leutnant-Gouverneur, allen Notabilitäten der Provinz eingelaufen. Amadees Freude, uns wiederzufinden, wollte kein Ende nehmen. Hätte er uns auf dem Schlachtfelde unter einem Haufen Toter hervorgezogen oder aus dem Rachen eines Alligators, sein Frohlocken hätte nicht ungestümer sein können, waren wir doch nicht, seine einzige Angst und Sorge, in den Sirenennetzen des horriblen Allains verstrickt. – Er sprang, tanzte um uns herum, schrie uns abwechselnd die Neuigkeiten in die Ohren, Hauterouge und Lacalle hüpften pas de deux, lachten zur Abwechslung über unsere Kostüme; – es war ein Spektakel, wie wohl selten nur in einer Squatterstube je getrieben wurde; für sie waren die Squatters wie gar nicht vorhanden – und auch wir hatten ganz unsere Wirte vergessen. –

Wir schauten uns um, und ...

Ah, diese Squatters und ihre Gesichter! Sie lassen sich unmöglich beschreiben. Wäre aber der Himmel geborsten oder die sieben Meilen lange Seeschlange der Yankees statt Lacalle und Hauterouge zum Fenster hereingesprungen, ihr Starren hätte nicht größer sein können – was sage ich, Starren – es war wahrer Schrecken. Angst in den Gesichtern der Weiber und Töchter, eine Angst, die uns anfangs komisch vorkam, uns aber bald ernsthaft genug erschien, als wir auf Nathan blickten.

Er saß, die beiden Hände auf den Tisch festgedrückt, wie einer, der sich zurückhalten will, aber seine erzenen Gesichtszüge schwollen, seine Augen stierten und starrten – seine ganze Physiognomie nahm einen unbeschreiblich unheilschwangeren Ausdruck an. Lacalle hatte kaum einen Blick auf ihn geworfen, als er, an mich zurückprallend, mir zuflüsterte: Ums Himmels willen! Wer ist der Mann? Welch eine furchtbare Physiognomie!

Lacalle hatte nicht allein unheilschwangere Symptome aus des Mannes Gesicht gelesen – Hauterouge, Amadee, der alte Lecain, seine Ehehälfte gruppierten sich um uns, Mistreß Strong und ihre Tochter hatten sich mit gerungenen Händen an die Seite des Mannes gezogen, ihn von uns abzuhalten.

»Mann, um Gottes willen, Mann, bedenke!«, rief Mistreß Strong; »Vater, um Gottes willen, Vater!«, die Töchter.

Wir waren nun allen Ernstes erschrocken, denn wir sahen, daß die Freiheit, die sich unsere beiden Freunde in ihrem Ueberschwang genommen, den Stolz des starren republikanischen Buschmannes am empfindlichsten Fleck getroffen. – Sie konnte uns teuer zu stehen kommen. – Die Gäste saßen schweigend, mit zurückstoßender Miene und Gebärde.

»Mister Nathan!« rief ich, auf ihn zugehend, »Mister Strong! – Vergebt die Freiheit, die sich unsere Freunde genommen – in ihrer Ueberraschung, uns so plötzlich wiederzufinden dachten sie nicht daran Euch zu beleidigen: .. Major Baron Hauterouge, Kapitän Ducalle, De la Calle.« –

Nathan saß mit zusammengepreßten Lippen ohne ein Wort zu erwidern, einen Augenblick fixierte er seine Nachbarn, dann warf er einen durchdringenden Blick auf uns – auf einmal Weib und Tochter abschüttelnd erhob er sich.

»Stille, altes Weib! Friede deiner Zunge! – Waffenstillstand! Hörst du? Ich bin Herr in meinem Hause, und habe nicht umsonst geschafft und geblutet, kalkuliere, will es bleiben, und dir zeigen, was ich will.«

Und so sagend, trat er an Lacalle heran, und seine gewichtige Hand auf des Freundes Schulter legend, sprach er mit starker Stimme:

»Seid willkommen, Fremdling! Willkommen!, sage ich. – Stille, altes Weib! Friede mit deiner Zunge! – Hört, was ich sage. – Kalkuliere, ist jetzt die Zeit an mir, zu reden – habe Euch gehört und gesehen, sollt mich hören!«

Er pausierte. –

»Ist bei Euch etwa der Gebrauch, Eure Besuche den Leuten durch das Fenster zu machen? Mag sein, es ist so – habe nichts dagegen – seid bekannt als leichtfüßig. – Seid Ihr nicht?«

Abermals eine Pause. – Lacalle sah den Mann an, aber sowohl er als wir konnten vor Erwartung kein Wort hervorbringen, in seinen Zügen war eine so grimmige Entschlossenheit.

»Bin aber der Meinung«, fuhr er mit stärkerer Stimme fort, »ist bei uns nicht die Sitte, den Leuten durch das Fenster hereinzuhopsen; ist ein Fakt, Mann – ist nicht Sitte bei uns, kalkuliere ich, so vermute ich denn, werdet ein guter Junge sein und unsere Sitten respektieren und Euern Weg zurücknehmen und ihn da nehmen, wo ihn andere Leute vor Euch genommen haben – zur Tür herein.«

Die Worte würden einem Stocktauben verständlich geworden sein, denn sie waren mit einem Ruck begleitet, der Lacalle, stark wie er war, zum Fenster brachte, durch das er, wie, wußte er gewiß selber nicht, mit einem Satz retirierte.

»So, mein guter Junge! – Gleich drüben ist die Tür und der Eingang.«

»Und Ihr?«, wandte er sich an Hautrouge.

Hauterouge hatte geschaut, gestarrt: – bei all dem furchtbaren Ernst, der in des Mannes abstoßendem Gesicht lag – lauerte wieder ein Zug guten Humors hervor: – gute Miene zum bösen Spiel machend, sprang er mit einem Satz dem Freund nach.

»Jetzt erlaubt aber auch uns zu folgen«, sprachen Lassalle und ich.

»Mitnichten«, versetzte Nathan. – »Seid durch die Tür auf rechtem Wege gekommen – seid meine Gastfreunde, bleibt hier.«

»Und Ihr, Mounshurs?!«, wandte er sich zu den draußen stehenden zweien, »Ihr seid willkommen, aber zur Tür herein.«

» Eh bien«, riefen Lacalle und Hauterouge, in die Laune des bizarren Alten eingehend, – » Eh bien – da sind wir!«

Und beide waren lachend wieder in der Stube, im Gesicht einige Verlegenheit, die aber Nathan wenig kümmerte.

»Sehe, läßt sich etwas aus Euch machen«, sprach er trocken, ein kaum merkbarer ironischer Zug um die Augenwinkel spielend. – »Sehe, sehe – sehen, wen wir vor uns haben, leichtes französisches Blut, das sich keinen Fiedelbogen darum kümmert – wie andere den beliebigen Spaß aufnehmen. – Will Euch aber sagen, ei, so will ich: – Laßt fürs Künftige derlei luftspringerische, spaßhafte Mißgriffe, wenn Ihr wieder in eines Bürgers Wohnung eintretet. Mögen in Eurem Lande tun solche luftspringerische, spaßhafte Mißgriffe, das Fenster für die Tür anzusehen, tun aber nicht bei uns, könnte einem von uns leicht auch ein Mißgriff begegnen, Euch, statt tanzenden Franzosen für Tanzbären oder springende Panther zu nehmen, und Euch etwa drei Viertel Unzen Blei in den Leib zu jagen, oder ein sechs Zoll kalten Eisens. Und könnte einem für solchen Mißgriff das Gesetz nicht einmal etwas anhaben. Mögen bei Euch tun, derlei Familiaritäten, aber bei uns sind sie gefährlich, kalkuliere ich, und laßt sie besser weg. Pshaw! Hab' mitunter das Gefühl, werdet Appetit haben nach eurer Tanzerei – habt Ihr nicht? Altes Weib, frische Gedecke!«

Das starre, mit einem leicht ironischen Lächeln überflogene Gesicht Nathans wurde nun etwas freundlicher, und der Kopfruck, der Mistreß Strong zugeworfen, setzte Mutter und Tochter in Bewegung, der Friede mit dem Buschpotentaten war abgeschlossen. –

Die Gesichter unserer beiden Freunde hatten sich erst während des gegebenen guten Rats verlängert, jetzt erst schienen sie etwas von Nathans Charakter zu kapieren; Hauterouge sah darein, als ob er, an der Spitze seiner Eskadron einzuhauen im Begriff stände, seine Schnurrbartenden aufkräuselnd, schoß er abwechselnd grimmige Blicke auf Nathan und wieder auf uns; der leichtblütigere Lacalle schien noch unschlüssig, ob er lachen oder sich ärgern sollte. Glücklicherweise hatte die lieblich gerundete Miß Elisabeth ein frisches Gedeck für ihn zurechtgelegt, und sanft errötend darauf gedeutet. Einer solchen Einladung ließ sich wohl nicht widerstehen.

Er setzte sich. – Hauterouge zauderte noch.

» Parbleu! In welche Gesellschaft sind wir geraten, Vignerolles?«, brummte er mir in die Ohren. »Bären das – habe große Lust.«

»Tue das ja nicht«, versetzte ich, »du kämst zu kurz – das ist ein Original – alle sind es. Du siehst, man war daran, dich selbst für einen Bären zu halten. – Besser, du setzest dich.«

Hauterouge sah mich erstaunt an, schnitt eine Grimasse, setzte sich aber.

Unser guter Hauterouge war den Morgen bereits zwanzig Meilen geritten, und hatte also einen Appetit, so scharf, wie ihn ein Eskadronchef eines Dragonerregiments nur haben konnte; auch Lacalle ließ der Kochkunst der Mistreß Strong alle Gerechtigkeit widerfahren.

Doch, um wieder zum alten Nathan zurückzukommen, so schien er an Lacalle Wohlgefallen zu finden. – Man konnte ihm aber auch nicht gram sein. Seine ausgezeichnete männliche Schönheit, verbunden mit einem leichten, gefällig sorglosen Wesen, gewann ihm im ersten Augenblick aller Herzen. Die Blicke der Squatterinnen hingen ordentlich an ihm. Mistreß Strong hatte sich zu ihm gesetzt, und, ihn vertraulich anschauend, entspann sich folgendes Zwiegespräch:

»Seid also, vermute ich, aus Eurem alten Land herübergekommen.«

Lacalle nickte.

»Habe die Notion, wird Euch wunderbar vorkommen bei uns. – » My!, sagen die Leute, daß drüben jung und alt in Holzschuhen einhergehen, nichts als Frösche und Suppe essen.«

Lacalle nickte abermals.

»Eßt Euch nur immer voll, lieber Junge«, redete Mistreß Strong zu – »haben die Fülle davon.«

Hier sahen Lacalle und Hauterouge hoch auf. – Wir hatten Mühe, das Lachen zu verbeißen. – Sie fuhr fort:

» My! Kalkuliere, Ihr seid nicht verheiratet?«

Lacalle sah wieder auf und nickte. –

»Bitte um Vergebung, Mistreß Strong«, versetzte ich, »Monsieur Lacalle ist verheiratet, und zwar an die Tochter des Herrn von Morbihan.«

Die Lippen, die ganzen Kinnladen der Mistreß Strong und ihrer Töchter fielen, ihre Gesichter verlängerten sich, die Miß Elisabeth zog sich drei Schritte zurück. – Wir konnten es kaum mehr aushalten; zum Glück kam der alte Nathan, der, ohne eine Miene zu verziehen über seinem Schinken gesessen, uns zu Hilfe.

»Und seid also zusammen herübergekommen«, hob er nun an.

»Mit dem Obersten«, versetzte Lacalle, auf mich deutend, und wieder im Mastumsgeschäft fortfahrend.

»Mit dem Obersten«, setzte er mit weniger vollen Backen hinzu, »und dem Major Lassalle, und Hauterouge.«

»Und seid durch das Plaquemine-Fließ gekommen?«, fuhr Nathan nach einer Weile in seiner Examination fort.

»Wie wißt Ihr das?«, entgegneten wir verwundert.

»Ei, wie wissen wir das! – Wissen mehr, als Ihr glaubt, sollt mehr hören vom alten Nathan.«

»James!«, wandte er sich an eines der jungen Lederwämser: »ist Zeit, du stoßest in das Horn zur Gemeindeversammlung!«

James ging hinaus und blies in eine Seemuschel; der Ton, den diese von sich gab, glich ganz den Tönen der Schweizer Alpenhörner.

Während der langen Pause, die eintrat, hatten unsere beiden Freunde ihr Frühstück vollendet.

Nathan stand auf, und mit gewichtiger Miene sich zu uns wendend, hob er an:

»Ist an der Zeit, das Geschäft abzutun, und wollen hinüber ins Gemeindehaus.«

»Bin der Ansicht, guter Mister Strong«, versetzte ich, in seinen Ton einfallend, »wollen uns aus Eurem Geschirr heraus, und in das unsrige, das Amadee in seiner Vorsicht mitzubringen bedacht gewesen, eintun. – Kalkuliere, wollen Euch hierauf für Eure Gastfreundschaft danken, und uns mit unseren Freunden und dem alten Martin auf den Heimweg machen.«

»Ist doch erstaunlich« fiel Nathan ein, »erstaunlich, was für kurzsichtige Leute Gott der Allmächtige in Euch Franzosen geschaffen hat. Will einen Quid Kautabak gegen ein ganzes Faß wetten, daß Ihr rein vergessen habt, was ich Euch von wegen des Gemeindehauses und der Akadier gesagt.«

Lacalle und Hauterouge lachten laut auf.

»Nicht vergessen, lieber Nathan. – Aber was sollen wir in Eurem Gemeindehause?«

»Werdet sehen, hören, und macht mich nicht giftig mit Euern ewigen Fragen.«

Hauterouge sah mich an. Alle T....l, was hast du mit dem alten Grobian? – Das ist das seltsamste Tier, das mir je in meinem Leben aufgestoßen.

» Bon Dieu!« wisperte mir Lecain zu. »Oh, Himmel!«, bat Madame. »Gehen Sie, gehen Sie. Herr Graf, Herr Baron!«

Wir standen noch unentschlossen.

Ihren Worten mehr Nachdruck zu geben, häkelte Madame ihren Arm in den meinigen, Lecain schob Hauterouge zur Tür hinaus, Mistreß Strong, Lassalle und Lacalle, und so zogen wir denn dem alten Nathan nach. –

»Sind doch verdammt quer, diese Franzosen«, brummte uns die Mistreß Strong nach, »küssen ledige Mädchen und haben Weiber.«

»Lacalle, du könntest hier dein Glück machen«, lachte Hauterouge.

»Habe das Gefühl, Sie könnten«, versetzte Lassalle.

Laut lachend zogen wir dem Gemeindehause zu.


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