Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Irrtum über Irrtum.

Ein herrlicher Morgen! Die reichen Ufer von Point-Coupé Point-Coupé, eine der reichsten Ansiedelungen am westlichen Mississippi-Ufer, 40 Stunden von Neuorleans. schimmern uns entgegen, die von Baton-Rouge Baton-Rouge – Stadt am rechten Ufer; 45 Stunden von Neuorleans. schwinden rechts an uns vorüber, die Sonne steigt glühend rot hinter den bunt bemalten Häusern des Städtchens herauf, und in ihren Feuerstrahlen tauchen die wunderbaren Waldpartien dieser üppigen Stromregion, abwechselnd mit Pflanzungen, nacheinander auf, und gleiten an uns vorüber, so hell, so glänzend, so frisch! wie – wie – meine liebliche Luise. Wir fahren in die Stromkrümmung oberhalb Point-Coupé ein, und erblicken hier zuerst eine Partie der üppigen Natur in ihrer ganzen grandiosen Wildheit, ein Chaos von Platanen, Magnolien, Liquidambar-Zederbäumen, durch ungeheure Lianen in ein Ganzes verwoben. Die Stämme stehend, liegend, im Fallen begriffen, hie und da eine schwache Weide mit zerrissenen Ästen, ihre langen, hängenden Zweige in der Morgenluft wehend, wie die wildflatternden Haare eines zerzausten alten Weibes; nur der schwarze Bohnenbaum mit seinen tausend Dolchen und Dornen und die glorreiche Liveoak Liveoak: Immergrüne Eiche. mit ihren knotigen Armen stehen fest und kraftvoll da. Ein solcher Anblick erhebt, stärkt. Man fühlt sich kräftiger, stärker auf Gottes verjüngter Erde. »Siehst du, Luise, jenen Kranz herrlicher, immergrüner Eichen, der vorgebirgsartig in den Strom herausspringt? Unter ihm ist der Hafen, dem wir zusteuern.«

Meine Worte verhallten im Donner eines Geschützes, das soeben losgebrannt wurde; ein zweiter, ein dritter Schuß folgt; der Ploughboy rudert dem Ufer zu. Da ist sie, die freundliche Pflanzung, bescheiden wie das Pfarrhaus eines Landpredigers im alten Virginien, und ebenso wohnlich und bequem. Das Dach ist wie mit Zangen zwanzig Fuß herabgezogen über die Galerien, die längs dem Hause hinlaufen. Die Eckzimmer zu beiden Seiten sind wunderliebliche Verstecke, liebe Luise! – Recht passend ließ er eine der riesigen Liveoaks am linken Flügel stehen, und der rechte ist durch eine Gruppe von Tulpen-, Feigen- und Orangenbäumen vor den Strahlen der Sonne geschützt.

Das ist also Klara? Das ist sie?

Luise fixierte das Weibchen meines Freundes streng, examinatorisch durch ihr Augenglas, ließ dann das Lorgnon sinken und sah mich fragend an. Die Wahrheit zu gestehen, so schien mir die Mistreß gleichfalls ein wenig kalt, ja mehr als kalt, erfroren, wenn ich sie mit der reizenden Ungeduld verglich, die sie vor acht Wochen so unnachahmlich kleidete. Sie schreitet so stattlich am Arme Richards dem Landungsplatze zu, als ob wir mit einer Ladung Mehl oder Wolldecken kämen, behufs ihrer Neger. Sie hebt mit beinahe fast idiöser Grazie ihr Lorgnon und mustert uns. Luise sah mich wieder fragend an. Abermals donnern drei Schüsse, und Richard läßt ein Willkommen hören. Maam ist aber noch immer steif und kalt. Jetzt sind wir im Hafen; die Landungsbrücke fällt.

»Willkommen, liebe Freunde!«

»Willkommen, lieber Landstreicher!« lacht mir Klara zu, die sich kaum Mühe nimmt, unserer Suite einige, aber nicht sehr tiefe Knickse darzubringen und dann auf mich zutrat. Ich hatte kaum noch Zeit, von unserer Reisegesellschaft Abschied zu nehmen, und den Schiffsleuten ein kleines Andenken zu hinterlassen, als sie mich bereits mit tausend Fragen bestürmte.

»Aber sagen Sie mir, mein lieber Howard, was Richard vor hat. Da kommt er heute zwei Uhr morgens wie der Sturm angefahren, und alle Leute müssen sogleich auf, und Zimmer müssen gelüftet, Betten zurechtgerichtet, Geflügel und der Himmel weiß was abgeschlachtet werden, kurz, eine Konfusion wurde angerichtet, als ob der achte Jännerheld Achte Jännerheld: General Andrew Jackson; die Schlacht bei Neuorleans, in der die Engländer aufs Haupt geschlagen wurden, wird bekanntlich jährlich an diesem Tage gefeiert. bei uns einkehren sollte. – Wer sind denn Ihre Gesellschafter? – Sie kommen ja mit einer ordentlichen Suite.«

Mir schien es beinahe selbst so, und ich sah erst jetzt, daß wir wirklich mit einem Gefolge ankamen, das irgendeinen inkognito reisenden Prinzen mit Glanz in der Welt auftreten ließe. Richard hatte den Arm meiner Frau ergriffen, Julie war dem perlhuhnfarbigen Franzosen oder Kreolen, was er war, anheimgefallen, und die Tante Duras hatte sich einem allerliebst chaussierten und krawattierten Franzosen als Lotsen beigelegt. Ich hatte die kleine Schwätzerin, die mich nun am Arme rüttelte.

»Aber mein Gott! so reden Sie doch, Sie sind ja ein wahrer Stock. – Wer sind denn diese Damen? Die jüngere ist ein allerliebstes Figürchen.«

»So?« fragte ich trocken. – »Gefällt sie Ihnen? Kennen Sie sie denn nicht?«

»Wie werde ich auch?« –

»Die alte Dame ist die Madame Duras, die jüngere –«

Sie ließ mich nicht ausreden.

»Sehr bedeutende Kreolen-Familie. Aber was wollen die bei uns? Wußte nicht, daß Richard mit ihnen in besonderer Verbindung steht.«

Ich sah die gute Frau mit großen Augen an und konnte nicht klug aus ihren Reden werden. Sie war so kalt; beinahe verdrießlich empfing sie ihre Gäste, und mit einem wahrhaften Yankeegesicht, als ob sie die Butterschnitten berechnete und die Kaffeetassen, – denn unsere Kreolen lieben den Tee nicht, am wenigsten des Morgens – die ihr das Dejeuner kosten würde. – Kaum hatte sie ihnen Sitze angeboten, und ihren schwarzen Dienstbeflissenen einige Weisungen zukommen lassen, als sie auch wieder an mich herantrippelte.

»Liebe Mistreß Richard,« sprach ich etwas dringender, »werde Sie bitten –«

Sie aber ließ mich nicht ausreden, zog mich an der Hand, ohne sich eben sehr zu genieren, in das an den Salon anstoßende Nebengemach, wo sie begann:

»Aber, Sie ewiger Überall und Nirgends! Sagen Sie mir nur, ums Himmels willen, wo Sie gesteckt sind? Wir glaubten allen Ernstes, Sie haben sich an eine unserer Karawanen angeschlossen, die mit Maultieren hinüber nach Santa-Fé handeln. War ja kein Sterbenswörtchen von Ihnen zu hören oder zu sehen. Was haben Sie getrieben? Sie verdienen ja gar nicht, daß man Sie berücksichtige.«

»Das geht, das fließt, das ist eine Strömung!« Ich wußte nichts Besseres zu sagen.

Sie fuhr fort. »Ah! Sie verstummen; die Schuld, das böse Gewissen, die Scham, Ihre Freunde so vergessen zu haben. O ihr Männer! Nun seid ihr Feuer und Flammen und in einer Stunde wieder so naß wie grünes Holz.«

»Ein rechtes Hinterwäldler-Simile«, bemerkte ich lachend.

»Nun, weil Sie sich schuldbewußt finden, will ich Ihnen nur sagen, daß Ihre Strafe nicht sehr hart sein soll; daß Ihr Los hoffnungsvoller ist als Sie es verdienen; ja hoffnungsvoller – Sie sehen mich groß an, und staunen – hoffnungsvoller, sage ich, mehr als Sie es verdienen!«

»Aber, liebe Mistreß Richard, wissen Sie denn nicht –«

Ich konnte absolut nicht zu Worte kommen, so sehr ich mich bemühte, ihr Winke zu geben, die nötig schienen! Denn Luise war im nächsten Salon und konnte jedes Wort hören und jede Bewegung des agierenden Dämchens schauen.

»Ich bitte Sie!« brach sie wieder aus – »lassen Sie mich meine Strafpredigt vollenden, und Ihnen nur kurz den Trost geben, daß Ihr Stern heller zu leuchten beginnt.«

»Heller zu leuchten? – Stern?« fragte ich noch immer unwissend, denn welcher achtundzwanzigjährige Ehemann erinnert sich wohl der Liebesbagatellen der letzten zehn Jahre, am Tage nach der Hochzeit; oder hat mehr denn eine Idee im Gehirn?

»Und Ihr Herz sagt Ihnen nichts?« versetzte sie pikiert.

»Kein Sterbenswörtchen.«

»Kein Sterbenswörtchen?« rief sie erstaunt – »Howard, kein Sterbenswörtchen? Sagt Ihnen Ihr Herz wirklich nichts?«

Allein sie war so verblüfft, sah mich so unwillig, mit so großen Augen an, daß ich ordentlich in Verlegenheit geriet. Endlich kam Richard zu meiner Erlösung; aber als er ihre Hand ergriff, und sie der Türe zuführte, warf sie mir noch einen langen, unwilligen Blick zu.

Ich war kaum ihr nach in den Salon eingetreten, wo sie Richard ersuchte, ihren Gästen die Zimmer zur allenfalls nötigen Morgentoilette anzuweisen, als sie wieder auf mich zutrippelte und mir recht böse in das Ohr flüsterte:

»Und Ihr Herz sagt Ihnen nichts von Emilie Warren?«

»Kein Sterbenswörtchen«, war wieder meine Antwort.

Sie stand erstarrt – sprachlos, und kam erst zur Besinnung, als Richard sie beinahe ungeduldig mahnte, die Damen nicht länger warten zu lassen. Nun erst nahm sie die Tante und Julie bei der Hand und führte sie aus dem Salon, aber so bitterböse, daß beide sicherlich keine sehr hohe Idee von der Gentilität ihrer neuen Wirtin in dem Augenblick hatten.

»Aber Richard,« fragte ich, »was ist's doch mit deiner Frau? – Was gibt's? So sage doch!«

»Sogleich, lieber Howard; erlaube mir nur, zuerst euch in die Zimmer einzuführen.«

Und so sagend reichte er meiner Hälfte den Arm, und wir betraten die beiden Eckzimmer der Galerie, in die er nun Luise mit aller Galanterie eines echten Virginiers installierte, und sich dann entfernte.

»Recht niedlich, diese beiden Zimmerchen – nicht wahr, Luise? – Allerliebst, als wenn das Helldunkel mit den Lichtstreifen, die durch die Jalousien und erbsengrünen Vorhänge einfallen, für Leutchen wie unsereins berechnet wären. Eine schwellende Ottomane im zweiten Zimmer, mit zwei allerliebsten Bettstellen – nur sind sie auf zwei verschiedenen Seiten.«

»Wirklich allerliebst!« bemerkte Luise.

Meinen Arm um die Holde geschlungen, besahen wir uns flüchtig das Ensemble der Einrichtung, die, meinte Luise, in etwas durch das pompadourrote Sofa im ersten Zimmer gestört würde, und waren im Begriff, uns auf der Ottomane niederzulassen.

»Aber Richard!« ließ sich wieder die Stimme der Mistreß im Sopran hören, »das geht absolut nicht. Du weißt, diese Zimmer sind der Lieblingsaufenthalt der Tante Houston. Miß Menou wird die Güte haben –«

Und mit diesen Worten öffnete sie die Türe.

» Bless us! Bless us: Gott segne uns – sei bei uns!« rief sie, entsetzt auf ihren Ehemann zurückprallend.

» Bless us!« rief sie nochmals.

Ich stand mit Luise Arm in Arm und schaute sie verwundert an.

» Bless us!« rief sie das drittemal. »Was ist das?«

Ich lachte laut auf. – Nicht so Luise, die ihr Köpfchen an meiner Brust barg. Richard hatte seinem feinen Weibchen einen kleinen Streich gespielt und ihr auch kein Wörtchen von dem, was vorgefallen war, gesagt. – Sie hielt mich noch immer für den achtundzwanzigjährigen, auf der Mädchenschau umherziehenden Junggesellen.

»Maam!« sprach ich lachend – »alterieren Sie sich nicht – ich habe die Ehre, Ihnen Demoiselle Menou aufzuführen, wie sie sich gestern nannte; heute hat sie das unaussprechliche Glück, Mistreß Howard tituliert zu werden.«

» Bless us! Seine Frau!« rief sie abermals, den zweifelnd fragenden und ein wenig wütenden Blick auf den armen Ehemann richtend – das Wort blieb ihr noch halb im Munde stecken. Ich führte Luise einen Schritt näher der grollenden, aber lieblichen Freundin zu.

»Es wird nun wohl nicht anders sein«, schaltete Richard mit einem wahren Protokollgesichte ein.

»Und habe ich nicht gut gewählt, meine vortreffliche Dame?« fragte ich lachend, während mir Luise den Mund zuhielt.

»Also wirklich Mistreß Howard?« rief sie nochmals mit einem Blick auf den armen Richard, als wollte sie ihm sofort den Hals umdrehen.

»Es wird nun schon nicht anders sein«, wiederholte dieser mit demselben Faunsgesicht.

»Bösewicht!« schalt Klara.

»Sie sind es beide, teure Maam!« bekräftigte Luise mit einem seelenvollen Blicke, und ihre glockenhelle Silberstimme ließ ihr Englisch mit dem leichten französischen Anklange so wunderlieblich tönen, daß Klaras Augen hell aufleuchteten. Nun erst richteten sich ihre Blicke ausschließend auf sie, einen Augenblick forschend, spähend, scharfdurchdringend; aber wie der Sonnenstrahl die Nachtschatten zerstreut, so erglänzte auch das Gesicht des wirklich lieblichen Weibchens, und in auffallender Freude schloß sie die Braut in ihre Arme.

»Zur Strafe will ich sie Ihnen nun entführen und sie für mich behalten. Wahrlich, Sie sind ja den lieben Engel nicht wert.«

»Für welches Entführen sie Ihnen schwerlich Dank wissen wird«, versetzte ich, dem die Störung einigermaßen ungelegen kam. Doch die beiden waren bereits in der Türe verschwunden.

Der Scherz war recht artig durchgeführt und freute mich um so mehr, als darin eine leichte Strafe für Klara lag, die ihr gar nichts schaden konnte; denn auf alle Fälle hatte sie die kleine Verräterin gespielt.

»Doch wer kommt da? Wen haben wir hier? Bei Jove! Es ist Doughby, der in seinem Tandem Tandem: Wagen mit mindestens zwei hintereinander gespannten Pferden. angerollt kam, so ernst, so feierlich, so hausvatermäßig! Wie doch der liebe Ehestand die Menschen umwandelt! Dieser Doughby, erinnerst du dich, Richard? Er fuhr nie anders als im gestreckten Galopp mit einer Koppel halbtoller Bullenbeißer, die alle Katzen rebellisch machten. Nun sitzt er kleinlaut in seiner Gig, als ob der Scherif Scherif. Bekanntlich liegen diesem Oberbeamten die Vollziehungen gerichtlicher Urteile, sowie die Verkäufe von gerichtlich feilgebotenen Liegenschaften ob. seine Liegenschaft unter dem Hammer hätte. Ordentlich wehmütig sieht er darein.«

Wir waren dem armen Jungen auf die Piazza entgegengegangen.

Er sprang nicht wie sonst mit beiden Füßen aus der Curricle, sondern hob bedächtig das Spritzleder und warf halb mürrisch dem herbeieilenden Neger die Zügel seines Braunen zu.

»Ah, Mister Howard! Sie auch wieder einmal bei uns?«

Die Worte waren nicht im freundlichsten Tone gesprochen. Etwas wie tückischer Unmut lagerte auf dem Gesichte und spielte wie trotzend um seine Mundwinkel herum. Ich aber war in der besten Laune von der Welt.

»Doughby!« rief ich ihm zu, »Ihr seid ja so ernst wie ein Major, der sich zum Kriegsgericht niedersetzt. Wo fehlt es? Ach, der liebe Ehestand? Erlaubt mir, Euch meinen Glückwunsch darzubringen.«

Doughbys Brauen zogen sich zusammen, und die Stirne runzelte sich, und die Mundwinkel begannen noch trotziger herabzuhängen. Er glotzte mich mit seinen nichts weniger als lieblichen, halb irischen Augen an.

Ich fixierte ihn: – »Wahrlich seltsam! Der liebe Honigmond, scheint es, hat da nicht zweimal süß angeschlagen.« – Richard winkte mir, zupfte mich.

»Wenn Mister Howard mit seiner Anspielung auf mich zielt,« grollte Doughby, und seine Stimme glich nicht übel dem entfernten Rollen des unterirdischen Donners, »so muß ich mir eine solche Anspielung verbitten.«

»Auf Euch anspielen, Doughby? Ihr Euch eine Anspielung verbitten?« rief ich in demselben mutwilligen Tone. »Was meint Ihr wohl, mein guter Junge?«

Ich war, wie gesagt, in der herrlichsten Laune. Mistreß Richard trat soeben zwischen uns.

»Einen guten Morgen, Maam! – Aber sage nur,« knurrte er mir wieder seitwärts zu, »daß ich keine Anspielung leide, bei G–tt! Von wem und wer er immer sein möge.«

Die Geschichte wurde mir doch etwas zu bunt. Der Plebejer hat, scheint es, Lust, mir ein wenig auf den Puls zu fühlen. Nun, mit dem wollen wir auch noch fertig werden.

»Keine Anspielungen, lieber Doughby!« lachte ich in demselben mutwilligen Tone. »Was nennt Ihr denn eigentlich eine Anspielung? Gebt mir eine Erklärung, eine Räson, wie es Shakespeare hat. – Die Räson, guter Junge.«

»G–tt v–e Euern Shakespeare!« rief der unästhetische Doughby, der nun ernstlich wild zu werden Miene machte.

»Halt, Doughby!« rief Richard, indem er dem Tollen die Finger auf den Mund legte; »halt! Es gibt hier Mißverständnisse, die zu unangenehmen Erörterungen führen dürften.«

»Ich sage nur,« wiederkäute Doughby, »daß ich keine Anspielungen leide.«

»Mißverständnisse, die zu unangenehmen Erörterungen führen – keine Anspielungen leiden –« sprach ich etwas ernster. »So sage doch nur, Richard, was das ganze soll; du wirst mir doch nicht zumuten, daß –«

»Halt ein!« rief Richard nochmals, »was ich dir hinsichtlich Doughby schrieb, war bloßer Scherz.«

»Scherz«, schnaubte Doughby. – »Und wer erlaubt sich, Scherze über mich zu schreiben?«

»Ich, mein Allgewaltiger!« lachte Klara, die vor den Vierschrötigen hintrat und eine seiner Riesenfäuste ergriff, die er ihr aber wieder entzog. In dem Augenblick hätte er recht gut einen gereizten Büffelstier vorstellen können, der noch unschlüssig ist, an welchem seiner Gegner er zuerst seinen eisernen Schädel probieren soll. Klara nahm den Ungezogenen nochmals beim Arme, drehte ihn herum und hieß ihn sein angenehmstes Feiertagsgesicht antun und sofort Mister Howard seine besten Wünsche zur gestern vollzogenen Vermählung darbringen.

Der Mann warf zuerst den stieren Blick auf die holde Schwätzerin, der es vom Munde ging, als hätte sie ein Vierteldutzend Büchsen von der berühmten Palmyrasalbe verbraucht; dann maß er mich, sprach aber kein Wort.

Ich lachte.

»Du lieber Himmel!« rief sie, »haben Sie denn ganz und gar die Sprache verloren? Seien Sie doch nicht gar so sehr halb Pferd, halb Alligator! – Können Sie nicht artig sein? Sagen Sie mir nach – wertgeschätzter Mister Howard! – ich gratuliere von Herzen mit Schmerzen.«

»Und sollte es wirklich so sein?« fragte endlich Doughby. »Und Sie wären wirklich? –«

»Im Ehejoche, lieber Doughby, seit gestern, und zwar in einem so angenehmen Joche, als je ein zweibeiniges Lasttier getragen. Doch kommt mit in den Saal, wo ich Euch meiner Frau aufführen will.«

Und der Mann wurde auf einmal so freundlich, schüttelte mir die Hand so herzlich und brach in einen solchen Schwall von Glückwünschen aus, daß es kein Ende mehr zu nehmen schien.

»Doughby!« unterbrach ich ihn. »Wir bleiben heute, morgen und übermorgen hier und gehen Samstags früh auf meine Pflanzung ab, wohin Ihr mit geladen seid. Richard und seine Frau gehen gleichfalls.«

»Topp!« fiel Doughby ein. »Bin dabei – ist mir ohnehin so wunderlich; sag' Euch, ist aus mit mir, werde es nicht mehr lange treiben. Wohl; kann nicht schaden. Eure Redriver-Bottoms Redriver-Bottoms: Flußniederungen, angeschwemmtes, fettes Flußland, überhaupt jede fette Niederung. zu sehen – war es schon lange willens.«

»Ist aus mit ihm,« lachte Richard – »wird es nicht lange mehr treiben – will aber doch noch die Redriver-Bottoms sehen.«

»Und nun kommt mit uns, will Euch meiner Frau aufführen.«

Wir traten in den Saal, der aber leer war, die Damen waren auf ihren Zimmern, wahrscheinlich mit der Morgentoilette beschäftigt. Luise hatte sich gleichfalls zurückgezogen und zog mich natürlich wieder nach.

Wie ich in das helldunkle Kabinett eintrat, und ihr reizendes Bild in frischer Jugendfülle süßschmachtenden Verlangens mir entgegenlächelte; und sie vor mir stand:

There stood the maid
Silent and motionless,
With eyes on the ground,
Abashed by the reflection of herself.
The beggar of Bethnal Green, Lustspiel von J. S. Knowles.

Und wie ihr Schwanenhals sich zu mir herüberbog, und ihre lebenswarmen, schwellenden Arme sich an die meinigen legten – dankte ich dem lieben Himmel, daß ich, ungeachtet meiner vierundzwanzig Körbe, mit meinem Kapital strenge hausgehalten und mit Ehren dem reinen Wesen unter die Augen treten durfte, das sich mir so ganz mit Leib und Seele ergeben hatte. Ah, dies ist der eigentliche Punkt, der das Weib an den Mann knüpft, mit ehernen Banden, unverletzlichen Ketten, treu und für immer knüpft! Wenn sie ihn auf der wesentlichen Seite, auf der Seite, wo er als Mann stark sein sollte, verächtlich, schwach, sich in ihren süßesten Hoffnungen getäuscht findet – dann hilft kein Priestersegen.

Wir hatten Doughby, alles um uns her rein vergessen und saßen Arm in Arm, als sich abermals die Türe des ersten Zimmers auftat, und Damen auf das Kabinett, in dem wir saßen, zugingen. Ich sprang auf und öffnete die Türe. Es war Mistreß Houston und eine junge Dame, die den Schleier über das Gesicht fallen gelassen hatte. Die erstere warf einen flüchtigen und erstarrenden Blick auf mich, sowie sie Luisens etwas alterierte Gestalt erblickte; die andere zog sich rasch aus dem Kabinette in die Galerie zurück. Ich sah die Mistreß an, ein wenig betroffen und, die Wahrheit zu gestehen, auch unwillig über die sonderbare neue Fashion, Besuche in den Zimmern abzustatten.

» Bless us!« rief die Mistreß, indem sie sich kerzengerade vor mir aufrichtete – »wir sind unrecht. – Wo ist doch Mister Richard, wo die Mistreß?« Sie schien mich nicht, ich sie nicht zu kennen.

»Sie werden sie wahrscheinlich im Saale finden, Maam!« war meine trockene Antwort.

Die beiden, die unterdessen mit der Gesellschaft eine Morgenpromenade hinter der Pflanzung angetreten hatten, kamen nun herbeigerannt.

»Tante, liebe Tante!« begann Richard lachend. »Sie sehen ja darein, als ob Sie unsern lieben Howard nicht mehr kennten!«

» Bless us!« rief die gute Tante, mit einem Blicke in das zweite Zimmer.

»Ah, Mistreß Houston!« hob ich mit verbissenem Lachen an – »guten Morgen; es freut mich, Sie so wohl, so verjüngt, wiederzusehen.«

»Mister Howard –« sprach die Dame feierlich.

»Nimmt sich die Ehre, der achtungswerten Mistreß Houston sofort seine Frau seit gestern aufzuführen.«

Und so sagend trat ich zurück und führte Luise der alten Dame auf.

»Demoiselle de Menou gestern, heute Mistreß Howard«, fiel Richard ein.

»Luise de Menou, die, ich versichere Ihnen, Tantchen, ein küssenswertes, liebes Weibchen ist«, bekräftigte Klara, indem sie die neue Freundin herzlich umarmte.

Einen Augenblick kämpfte das Prinzip des Bösen sichtlich mit dem Guten in ihr. Man sah ihr an, daß es ihr leid tat, die herrliche Gelegenheit zu missen, uns in ihren Zirkeln zum Nachtische aufsetzen und kunstgemäß zerlegen zu können; aber das Prinzip des Guten trug nach einem kurzen Kampfe den Sieg davon.

»Also Ihre Frau?« erwiderte sie zweifelhaft, wechselweise Luise und wieder mich messend.

»Gratuliere von ganzem Herzen«, fuhr sie in verbindlicherem Tone fort, der sich allmählich zum achtungsvollen steigerte, als sie die Hand dieser ergriff.

»Eine sehr achtbare Familie, eine sehr gute Familie, die De Menous und die De Duras, habe die Ehre, Madame de Duras zu kennen – eine sehr bedeutende Familie, die Duras und die Menous – gratuliere, Mister Howard – eine sehr bedeutende Familie.«

Und die gute Dame war auf einmal ganz umgewandelt, so umgewandelt wie es eine alte Aristokratin nur immer sein kann, wenn die mit ihr in Berührung gebrachte vermeintliche Plebejerin sich noch etwas mehr als ebenbürtig erweiset; denn im Vorübergehen sei es bemerkt, Mistreß Houstons Vater war zwar Mitglied der Assembly in Anapolis Assembly von Anapolis. Repräsentantenkammer von Anapolis, wo die Regierung von Maryland ihren Sitz hat. Jeder Staat hat bekanntlich ein Haus der Repräsentanten, Assembly genannt – ein Senat, und als exekutive Behörde den Gouverneur., aber ihres Großvaters Stammbaum und Wanderungsbüchlein sollen nicht die allerreinsten gewesen sein. Wir halten, Gott sei Dank, bereits ziemlich genaue genealogische Tabellen.

»Doch, wo ist die andere Dame?« Sie hatte sich gewendet, als ich mit Luise vorgetreten, und wie absichtlich den Schleier fallen lassen.

»Wen meinst du?« fragte Richard. »Miß Warren?«

»Miß Warren? Ist sie denn nicht Mistreß Doughby? Doch wo ist Mister Doughby? Wo ist er?«

Ich sah mich nach ihm um; er war verschwunden.

»Den wirst du schwerlich finden. – Er hat Reißaus genommen, sowie er die Chaise der Tante und Emilie sah, die nicht Mistreß Doughby ist.«

»Nicht Mistreß Doughby? Aber du schriebst mir doch –«

»Ein Scherz, den ich auf Antrieb meiner Frau und der Tante mir erlaubte, und der auf eine Überraschung berechnet war. Die Sachen haben sich jedoch anders gestaltet, und ich hoffe zum allseitigen Besten. Aber was Miß Warren betrifft, so ist sie noch ledig, die Heirat hat sich zerschlagen.«

»Zerschlagen?« wiederholte ich sinnend – und mancherlei Gedanken traten mir vor die wirre Phantasie. – In demselben Augenblick kam auch die Miß Hand in Hand mit Klara in das Zimmer geschritten, wo Mistreß Houston und meine Frau saßen. Sie schien mir um zehn Jahre älter geworden zu sein, die lebensfrische Elastizität, die ihrem Auftritte etwas tanzend Schwebendes verliehen, hatte einem matronenartig steifen Wesen Platz gemacht; auf dem Milch- und Blutgesichte hatte sich etwas hingelagert, das wie Apathie aussah; die starre, intellektuelle Kälte der Nordländerinnen war vorherrschend. Ich begrüßte sie, und sie dankte mir so kalt, als wenn zwischen uns nie das mindeste vorgefallen wäre. Ein wahres Marmorgesicht.

Ich hatte eigene Gedanken, als mich Richard die Galerie hinabzog. Ich war acht Wochen nicht unter meinen Freunden gewesen, und während dieser kurzen Zeit hatte sich ein ganzes Nest von Mißverständnissen, Zerwürfnissen und wahrscheinlich neuen Fäden und Plänen geformt und zusammengesponnen, von denen ich nun einen kleinen Vorgeschmack erhalten sollte.

»Ich würde es recht gerne sehen,« hob Richard an, »wenn wir die Tante bewegen könnten, mit Emilie zu dir zu kommen.«

»Wie! Jetzt? Und Emilie mitnehmen?«

Der Vorschlag frappierte mich.

»Würde es nicht unzart erscheinen, lieber Richard, bei den Verhältnissen, in denen ich zu Emilie stand, und die, obwohl bloß momentan –«

»Verhältnisse, in denen du zu Miß Warren standest – Verhältnisse, Georg! Du meinst doch nicht die leichte Aufwallung, in die du bei deinem letzten Hiersein gerietest, und die einem achtzehnjährigen Brausekopfe zu verzeihen gewesen wäre, aber einem achtundzwanzigjährigen Manne nicht zweimal wohl stand? – Tröste dich, diese sentimentalen Blitzesfunken haben auf Emilie wahrlich nicht mehr Wirkung hervorgebracht, als sie verdienten. Nein, es sind andere Dinge, die ihr im Kopfe stecken, und ich wünschte, wir könnten dabei etwas tun.« –

»Aber wie? Was meinst du? Sprich! Ich weiß wahrhaft nicht, woran ich bin. – Lauter Geheimnisse, Zerwürfnisse.« –

»Ein andermal mehr davon; aber so wenig Doughby früher Emilie verdiente, so sehr wünschte ich nun, daß der Bruch ergänzt würde. Und ich glaube, es ist jetzt möglich, seit von dir aus für Emilie keine Hoffnung vorhanden ist.«

»Nun, ihr seid wunderbare Matter of fact-Leute Matter of fact people . Eine sehr häufig gebrauchte Redensart; soviel als tatsächliche, positive, rücksichtslose Leute.. Soeben sagst du mir, daß Emilie sich keinen Strohhalm um mich kümmert, und jetzt –«

»Sage ich dir, daß, wärest du frei, Doughby nimmermehr Hoffnung hätte. Emilie ist ein wackeres Mädchen, ein kluges Mädchen, das wie alle Mädchen, heiraten will – soll – muß, und die über sentimentale Narrheiten erhaben ist, weil sie nicht zum Ziele führen.«

»Es scheint, wie alle Nordländerinnen.«

»Und der wir jede Gelegenheit geben wollen, daß sich ihr Doughby mit guter Art nähern darf. Und da dies vorzüglich bei dir der Fall sein würde, so müssen wir sehen, Mistreß Houston zu bewegen, mit uns zu kommen; was auch in anderer Hinsicht vorteilhaft ist, denn es bietet die beste Gelegenheit dar, deine Frau auf einmal in unsere besten Zirkel und somit in die der Union einzuführen. Du weißt, Tante ist ein Leading Character Leading Character . Ton angebender Charakter. in Louisiana unter der höhern Pflanzenwelt sehr populär, das Orakel aller, und ihre Billigung verschafft dir auf einmal die des County – des Staates.«

»Die Billigung? Das ist sonderbar gesprochen, lieber Richard. Ich glaube doch bei meinen Schritten nicht erst die Billigung von Mistreß Houston oder des County abwarten zu müssen – um so weniger, als weder ich noch meine Frau in den Kongreß, nicht einmal in die Assembly wollen.«

»Aber doch in gute Gesellschaft.«

»Aus der ich, hoffe ich, doch nicht gestoßen worden bin.«

»Deine Frau ist jedoch noch nicht eingeführt und muß es erst werden; und du weißt, obwohl von sehr guter Familie –«

»Ist sie doch nur eine Französin, willst du sagen, Richard«, fiel ich ein. »Nun will ich dir meine Meinung nur kurz und unumwunden auseinandersetzen. Ich bin weit entfernt, dieses oder ein Vorurteil überhaupt, dem das souveräne Volk in seinem Gehirnkasten Aufnahme verstattet, zu bekämpfen, aber ebenso weit, mich vor demselben zu beugen, aus neunundneunzig Gründen, von denen der erste ist, daß ich den Volkssouverän nicht brauche, nicht brauchen werde, weil ich unabhängig bin und zu bleiben hoffe. Und wer mir seine Gesellschaft entzieht, dem entziehe ich meine.«

»Das ist recht schön, edel, stolz gesprochen, lieber Georg; aber, verzeihe mir, kindisch, einseitig. Willst du unter – und mit deinen Mitbürgern leben, dich nicht unter deine halbwilden, faden Kreolen zurückziehen, von denen nur wenige De Menous sind, so ist es an dir, den ersten Schritt zu tun. Diesen Beweis von Achtung fordert die bürgerliche Gesellschaft, und sie ist berechtigt, ihn zu fordern und wird dir entgegenkommen, sowie du ihn geleistet hast und dich deiner Wege gehen lassen, so du es nicht tust. Wer dabei mehr verliert, du als Individuum oder die Gesellschaft, kannst du dir um besten beantworten. Und warum willst du ihr diesen Beweis von Achtung nicht geben, wo du gerade jetzt eine so schöne Gelegenheit dazu hast?«

»Du hast recht«, war meine Antwort. »Tue was dir gut dünkt, und was zum Ziele führen kann; mich soll es freuen, Miß Warren in irgend etwas dienen zu können.«

»Das ist vernünftig gesprochen. – Jetzt muß ich nach meinen Leuten sehen.«

Ich mußte ihm recht geben, obwohl mich diese Formalitäten herzlich anekelten. Diese Einführungen, Aufführungen, dieses Etikettenwesen unter freien Bürgern, Nachbarn, die sich seit Jahren häufig von ihren Kindesbeinen her kennen, diese Kotterien sind mir unausstehlich. Ja, unser Gesellschaftsleben hat einen Haken, einen gewaltigen Haken; alles legt es darauf an, das Netz unserer Aristokratie über unser ganzes edles Land hinzuspannen. – Seid tagelang, wochenlang auf einem Dampfschiffe, in einem Gasthofe bei Tische, nebeneinander, und habt ihr nicht zufällig eine dritte Mittelperson, die sich herbeiläßt, euch mit euern Nachbarn bekannt zu machen, so geht ihr stumm aneinander vorbei, sitzt stumm nebeneinander, und nach vierzehn Tagen habt ihr nicht zwei Worte gesprochen. So ein steifes Wesen hat doch keine andere Nation als gerade die unsrige, und gerade unsere guten Familien; denn, Gott sei Dank! unsere Mittelklasse, die eigentliche Nation, kennt nichts davon; aber unsere Aristokratie – das ist, die es gerne sein wollte – wenn es auf die ankäme, mit unserer bürgerlichen Unabhängigkeit wäre es bald vorüber. Der T – l weiß, woher diese Klubs, Abteilungen und Unterabteilungen kommen, die von Maine herab bis an den Golf von Mexiko sich wie Spinnengewebe ansetzen. Wer hunderttausend Dollars besitzt, schaut den nicht an, der nur fünfzigtausend hat, und wer fünfzigtausend hat, glaubt arrogant sein zu dürfen gegen den, der nur zehn wert ist. – Ihr seid gerade respektabel, je nachdem ihr schwer seid. – Und im Norden, der Herr sei bei uns! Da ist's wahrhaft heillos. Ei, das ist auch eines von John Bulls saubern Vermächtnissen, nur auf etwas kleinstädtischem Fuße zugeschnitten. – Pah! Wollen sehen, was die Zeit bringt – müssen uns schon fügen. –

*

Und wohl war es getan, daß wir uns fügten. Ei, unsere lieben Mitbürger sind so schlimm nicht, und unsere lieben Mitbürgerinnen sind es noch weniger; und es ist erst bei Veranlassungen wie gegenwärtige, daß man fühlen lernt, was es ist, ein geachtetes Glied eines freien, sich selbst beherrschenden Volkes zu sein. So stark und so offen spricht sich doch die Achtung für Bürgerrechte nirgends aus als bei uns, so männlich-frei und so weiblich-zart bei keiner Nation. Es ist wahr, sie fordert Achtung, unsere bürgerliche Gesellschaft –, eine Achtung, die zuweilen in Zwang ausartet, sie erzwingt sich diese Achtung, wenn sie nicht geleistet wird, aber sie zollt sie auch in vollem Maße. Ich war überrascht. Luise, die sehr fein fühlt, war es noch weit mehr. Es war ein wahrer Kranz von Festen, die uns unsere Freunde gaben; was sage ich, Freunde, selbst diejenigen, mit denen ich in einer Art Opposition gelebt hatte, beeiferten sich, uns freudig entgegenzukommen. – Wir gingen aus einer Hand in die andere – von einer Fete zur andern, und ich war beinahe gerührt über das sichtliche Bestreben aller, uns recht sehr zu gefallen, anzusprechen. –

Besonders benahm sich Mistreß Houston mit einer Delikatesse, gab uns ihre Fete mit einem Aufwande, einem zärtlichen Wohlwollen, dessen ich diese Frau nimmermehr fähig gehalten hätte. Auch kein Zug von jenem Hohne, jenem alten Weiberwesen, das sie mir früher so unausstehlich gemacht hatte. Sie hatte etwas so Zutrauliches, machte die Wirtin auf eine so ungezwungene, freundliche Weise, zeigte sich so geehrt durch unsere Anwesenheit, als ob sie es darauf angelegt hätte, meinem lieben Weibchen die Achtbarkeit einer amerikanischen Gesellschaft recht anschaulich vor Augen zu bringen. Auch nahm sie unsere Einladung mit einem wirklich so liebreichen Entgegenkommen an, daß ich es mir kaum vergab, ihr früher so viele Hiebe versetzt zu haben. Ja, es ist eine Freude, Amerikaner zu sein, das Glied einer Kette, deren Ringe, im ganzen genommen, noch so wenig vom Roste der Selbstsucht angenagt sind, in denen trotz ihrer harten Schale ein so wackerer Kern sitzt. Freudiges Wohlwollen lacht uns aus allen Gesichtern an. Nein, Uncle Sam Uncle Sam. Onkel Samuel; das Sobriquet, in dem die Eigentümlichkeiten der amerikanischen Nation gewissermaßen bezeichnet liegen; der Ursprung desselben ist in den Anfangsbuchstaben von United States, U. S., zu suchen. ist nicht der mürrische alte Egoist, als den ihn die Welt gerne haben möchte, der freudenlose Geizhals, der immer und ewig die Stirne runzelt, brütend, wie er nur recht viele Dollars zusammenscharren möchte. Es tut mir ungemein wohl, Luise so schmeichelhafte Eindrücke von meinen Landsleuten geben zu können, und sie lächelt so seelenvergnügt über meine Lobpreisungen; früher drohte sie mir immer mit dem Finger und nannte mich den Hyperboliker.

Sie hatte sich kein so reizendes Bild von Uncle Sam entworfen, weil sie ihn nur oberflächlich kannte, und er sich überhaupt nicht leicht zu erkennen gibt, und sie gähnte zuweilen, wie es andere auch tun, wenn wir den Mund etwas voll nehmen; und das tun wir denn doch zuweilen – oder vielmehr recht oft, – lobpreisen unser Land, glorieren damit immer und ewig, bei Nacht und bei Tage, stehend und gehend, fahrend und reitend, nüchtern und betrunken. Es ist unsere Braut, mit der wir in Flitterwochen leben; ein scheeles Gesicht, das ihr ein dritter schneidet, ist imstande, unserm Phlegma auf einmal ein Ende zu machen. Der Nichtamerikaner kann dieses Verliebtsein, und es ist es wirklich, nicht begreifen. Er nennt es Affenliebe; er ärgert sich darüber, wenn wir unsere Braut andern vorziehen, – lacht und spottet, denn die Liebe zu dieser unserer Braut, unserm Lande, ist ganz verschieden von der Liebe, die er zu dem seinigen hat, das, wie er glaubt, doch ein ganz anderes Land ist. Das wollen wir ihm auch gerne zugeben, denn Uncle Sams Land ist noch eine neue Besitzung, hat nicht die betürmten und bezinnten Schlösser, die weiten Hallen, die wunderlieblichen Parks, Grotten, die gotischen Dome des alten Englands, es hat nicht die zweitausendjährigen efeubekleideten Säulentrümmer, Obeliske, Pantheons und Kulissen des alten Römerlandes, die köstlichen Rebengelände des schönen Frankreichs; es ist, wie gesagt, eine neue Besitzung, mit neuen Gebäuden, neuen Feldern, die vor noch nicht langer Zeit der Waldesnacht abgewonnen worden, wo der Hausherr noch nicht die Zeit gefunden, auf Hallen, Dome und Grotten zu denken, auch wenn er es gekonnt hätte. Aber es ist diese Besitzung schlicht und bauerngutartig, wie sie im Vergleiche mit älteren aussieht, eine gedeihliche Besitzung, weit gedeihlicher als die alten; – es ist noch mehr, es ist unsere eigene Besitzung, unsere eigene Pflanzung, auf die wir mit dem Stolze, mit der Vorliebe eines Hausvaters, der seinen Haushalt gedeihen sieht, der seine Bäume selbst gepflanzt, seine Saaten selbst ausgestreut – schauen; in der wir zu Hause sind, auf der keine Schulden, keine Abgaben, keine Fronen lasten; ein Freigut in jeder Hinsicht, das nicht großen Herren, Kaisern, Königen, Herzögen, Grafen oder wie sie immer heißen mögen, gehört; wo wir nicht bloße Taglöhner, Mietsleute sind, die im Dachstübchen oder im Bedientenzimmer wohnen, aus dem sie vielleicht die nächste Woche nach Botanybay oder in die Conciergerie wandern, falls es Ihnen gelüsten sollte, ein Kaninchen, das auf ihrem Wege sitzt, mit dem Stocke tot zu werfen oder Johnny Johnny. John Quincy Adams, damaliger Präsident der Vereinigten Staaten, Sohn des durch seine ultratorystischen Grundsätze in schlimmem Kredit stehenden Präsidenten John Adams. einen Gimpel zu taufen. Es ist unsere eigene Besitzung, und deshalb lieben wir sie gerade so eigentümlich wie ein wackerer Hausvater, der auf sein schlichtes Haus und Hof, die er selbst gebaut, stolzer ist als der reiche Nachbar auf seinen prächtigern Landsitz, in welchem er bloß zur Miete wohnt.

Vielleicht mehr über diesen Punkt, wenn wir einst ruhiger gestimmt sind.


 << zurück weiter >>