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Zehntes Kapitel.

Und nun eröffn' ich ein geheimes Buch,
Und les', zu eurer scharfverständ'gen Scheu,
Euch Dinge voller Tiefe und Gefahr.

Heinrich IV. Theil I.

Der Marquis von Montserrat und der Großmeister der Tempelritter stunden neben einander vor dem königlichen Gezelt, worin der letzte seltsame Auftritt stattgefunden hatte, und betrachteten eine starke Wache mit Hellebarden und Bogen, welche einen Kreis rund um das Zelt geschlossen, um Alles, was den schlafenden Monarchen stören könnte, in der gehörigen Entfernung zu halten. Der Ausdruck der Krieger war niedergeschlagen, stille und düster wie bei einem Leichenzug: sie traten mit einer solchen Behutsamkeit auf, daß man weder ein Schild klappern, noch ein Schwert klirren hörte, obschon eine Menge Bewaffneter um das Zelt sich bewegten. Sie neigten ihre Waffen in tiefer Ehrfurcht, als die beiden Würdeträger durch ihre Reihen schritten, aber mit dem nämlichen tiefen Schweigen.

»Der Saus und Braus dieser Inseldoggen hat einen Wechsel erlitten,« sagte der Großmeister zu Conrad, als sie an der Wache Richards vorbei waren. »Welch' fürchterliches Getümmel und Lärmen war sonst vor diesem Zelt! nichts als Stangengeschwirr, Wirbeln des Balls, Balgerei, Liedergebrüll, Tönen der Weinkrüge und Flaschengegurgel hörte man bei diesen aufgeschwemmten Trabanten, gleich als begingen sie ein Kirchweihfest und als wäre das königliche Banner in ihrer Mitte ein Maibaum.«

»Englische Doggen sind treue Thiere,« sagte Conrad, »und der König, ihr Herr, hat ihre Liebe dadurch gewonnen, daß er mehr als einer von ihnen balgt, schreit und lärmt, wenn die Laune ihm dazu kommt.«

»Er ist aus lauter Launen zusammengesetzt,« sagte der Großmeister. »Habt Ihr den Trinkspruch behalten, den er uns statt eines Gebetes gab, als er seinen Gratiasbecher trank?«

»Wohl würde er ihn als Gratiasbecher und das als einen wohlgewürzten gespürt haben,« sagte der Marquis, »wäre Saladin den anderen Türken ähnlich, so viel ihrer den Turban tragen, und auf den Ruf der Muezzin das Gesicht gegen Mecca wenden. Aber er strebt nach Treu und Glauben, nach Ehre und Edelmuth, als wenn es einem ungetauften Hunde zukäme, die Tugenden eines christlichen Ritters auszuüben! Man sagt, er habe sich bei Richard beworben, um in die Ritterschaft aufgenommen zu werden.«

»Bei St. Bernhard!« rief der Großmeister aus, »dann ist es Zeit, Herr Conrad, daß wir Gürtel und Sporn wegwerfen, unsre Wappenbilder auslöschen, und dem Helm entsagen, wenn die höchste Würde der Christenheit einem unchristlichen, zehn Pfennige werthen Türken verliehen wird.«

»Ihr schätzet den Sultan wohlfeil,« versetzte der Marquis, »doch mag er auch ein stattlicher Mann sein, ich habe gesehen, daß ein noch besserer Heide für vierzig Pfennige auf dem Sclavenmarkt verkauft worden ist.«

Sie waren nun in die Nähe ihrer Rosse gekommen, die in einiger Entfernung vom königlichen Zelt hielten, und stolzirten unter dem glänzenden Gefolge von Knappen und Pagen, die auf sie gewartet hatten, als Conrad nach einer kleinen Pause den Vorschlag that, der eingetretenen Abendkühle zu genießen, Rosse und Gefolge zu entlassen, und durch die langen Zeltgassen des Christenlagers zu Fuß heimzukehren. Der Großmeister stimmte bei, und sie setzten also ihren Spaziergang fort, indem sie, als wären sie darüber übereingekommen gewesen, die bevölkerten Theile der Leinwandstadt vermieden, und ihren Weg über die breite Esplanade zwischen den Zelten und Festungswerken nahmen, wo sie sich im Geheimen unterhalten mochten, ohne von Jemand anders als den Schildwachen, an denen sie vorbei gingen, bemerkt zu werden.

Sie sprachen eine Zeit lang von militärischen Gegenständen und von Vertheidigungsanstalten; aber das Gespräch, an dem sich keiner von beiden sehr zu ergötzen schien, erschöpfte sich endlich, und es folgte ein langes Schweigen, das der Marquis von Montserrat unterbrach, indem er gleich einem Mann, der einen plötzlichen Entschluß gefaßt hat, auf einmal stehen blieb, und, nachdem er das finstere, unbewegliche Gesicht des Großmeisters einige Augenblicke betrachtet, endlich mit diesen Worten ihn anredete: »Wenn's mit Eurer Würde und Heiligkeit bestehen mag, ehrwürdiger Herr Giles Amaury, so möchte ich Euch bitten, das düstere Visir, das Ihr traget, für diesmal abzulegen, und offenen Gesichtes mit einem Freund zu sprechen.«

Der Templer lächelte.

»Es gibt lichtfarbige Masken,« sagte er, »so gut wie düstere Visire, und die einen verbergen das wahre Gesicht so vollständig wie die anderen.«

»Mag es sein,« sagte der Marquis, indem er die Hand an's Kinn brachte, und eine Bewegung machte, als nähme er eine Maske ab; »da liegt die Verstellung. Und nun, was hoffet Ihr von diesem Kreuzzug zum Vortheil Eures eigenen Ordens?«

»Das heißt eher den Schleier von meinen Gedanken ziehen, als mir die Eurigen enthüllen,« sagte der Großmeister, »doch ich will Euch mit einer Parabel antworten, die mir ein Derwisch der Wüste erzählt hat. – Ein gewisser Bauer bat den Himmel um Regen, und murrte, wenn er nicht fiel zu seinem Bedarf. Seine Ungeduld zu bestrafen, erzählte der Derwisch, sandte Allah den Euphrat über das Gut des Bauers und er ging zu Grunde mit Allem, was er hatte, grade durch die Erfüllung seiner eigenen Wünsche.«

»Sehr wahr gesprochen,« sagte der Marquis Conrad; »ich wollte, das Meer hätte neunzehn Zwanzigstel der Rüstungen dieser weltlichen Fürsten verschlungen; der Rest würde den Absichten der christlichen Edlen in Palästina, den schwachen Ueberbleibseln des lateinischen Königreichs Jerusalem behülflicher gewesen sein. Uns selbst überlassen, hätten wir uns vor dem Sturme geschmiegt, oder mäßig mit Geld und Mannschaft unterstützt, hätten wir Saladin gezwungen, unsere Macht anzuerkennen, und uns Frieden und Schutz unter billigen Bedingungen zu gewähren. Aber nun, da dieser furchtbare Kreuzzug den Sultan mit der äußersten Gefahr bedroht, können wir nicht annehmen, daß, wenn die Gefahr vorüber, der Saracen irgend einen von uns in seinen syrischen Besitzungen und Fürstenthümern lassen, noch weniger das Bestehen christlicher Ritterorden dulden werde, durch welche er so manchen Schaden erlitten hat.«

»Freilich,« sagte der Templer, »aber diese fremden Kreuzfahrer können siegen, und das Kreuz von Neuem auf die Wälle von Zion pflanzen.«

»Und was für einen Vortheil hätte der Templerorden oder Conrad von Montserrat davon?« sagte der Marquis.

»Ihr könnt einen Vortheil davon haben,« versetzte der Großmeister. »Conrad von Montserrat kann Conrad, König von Jerusalem werden.«

»Das klingt, als wär's was,« sagte der Marquis, »und doch ist's nur ein leerer Schall. – Gottfried von Bouillon mochte mit Recht die Dornenkrone für sein Würdezeichen wählen. Großmeister, ich gestehe es Euch, ich habe einige Neigung zur morgenländischen Regierungsform gefaßt: eine reine und einfache Monarchie sollte nur aus König und Unterthanen bestehen. Das ist die natürliche und ursprüngliche Ordnung – ein Hirt und eine Heerde. All diese Mittelglieder des Feudalstaates sind künstlich und erzwungen, und ich ziehe es vor, den Stab meines armen Marquisats mit fester Hand zu halten und nach Lust zu schwingen als einen Königsscepter, der sich einzieht und beugt nach dem Willen eines jeden stolzen Feudalbarons, der unter den Assisen von Jerusalem seine Ländereien besitzt Die Assisen von Jerusalem waren die Feudalverfassung des lateinischen Königreichs von Palästina, von Gottfried von Bouillon verfaßt, nachdem das Land den Saracenen entrissen worden war. »Sie wurde mit Genehmigung des Patriarchen, der Barone, der Geistlichen und Weltlichen verfaßt,« sagt Gibbon, »und sie ist ein kostbares Denkmal des Feudalrechts, auf die Grundsätze von Freiheit gegründet, die jenem Systeme eigen waren.«. Ein König muß frei auftreten können, Großmeister, und darf nicht beschränkt werden hier von einem Graben, dort von einem Zaun – hier von einem Lehensprivilegium und dort von einem geharnischten Baron, der dasselbe mit seinem Schwerte vertheidigt. Mit einem Wort, ich weiß, daß der Anspruch, den Guy von Lusignan an den Thron macht, dem meinigen vorgezogen würde, wenn Richard geneset und etwas bei der Wahl zu sagen hat.«

»Genug,« sagte der Großmeister; »du hast mich von deiner Offenheit gänzlich überzeugt. Andere können die nämliche Meinung haben, aber wenige wagen es wie Conrad von Montserrat, frei zu bekennen, daß sie die Wiederherstellung des Königreichs Jerusalem nicht wünschen, sondern es vorziehen, einen Theil davon als Meister zu besitzen, gleich jenen barbarischen Insulanern, die ein Frachtschiff im Sturme nicht zu retten versuchen, sondern auf die Bereicherung rechnen, die ihnen der Schiffbruch gewährt.«

»Willst du meine Ansicht verrathen?« sagte Conrad, ihn scharf und argwöhnisch anschauend. »Sei versichert, daß meine Zunge meinen Kopf in keine Gefahr bringt, und daß meine Hand nicht zögert, diesen und jene zu vertheidigen. Klage mich an, wenn du willst – ich bin bereit, mich in den Schranken gegen den besten Templer zu vertheidigen, der je die Lanze einlegte.«

»Du scheust ein wenig schnell für ein so edles Roß,« sagte der Großmeister. »Jedoch ich schwöre dir bei dem heiligen Tempel, zu dessen Vertheidigung unser Orden beeidigt ist, daß ich mich als ein treuer Freund mit dir berathen will.«

»Bei welchem Tempel?« sagte der Marquis von Montserrat, dessen Spottsucht oft Höflichkeit und Zartgefühl vergaß; »schwörest du bei dem auf dem Berg Zion, der von Salamo erbaut wurde, oder bei jenem bildlichen, von dem, wie es heißt, in den Versammlungshallen eurer Ritterhöfe die Rede ist, als wenn er das Gedeihen deines tapferen und ehrwürdigen Ordens bewirke?«

Der Templer warf auf ihn einen toddrohenden Blick, und versetzte gelassen: »Bei welchem Tempel ich schwören mag, sei versichert, Herr Marquis, mein Schwur wird mir heilig sein. Ich wollte, ich wüßte, wie ich dich zu gleicher Obliegenheit verbinden könnte.«

»Ich will dir Treue schwören,« sagte der Marquis lachend, »bei dieser Grafenkrone, die ich vor Ende dieses Krieges in etwas Besseres zu verwandeln hoffe. Dies leichte Ding sitzt mir kühl auf der Stirne; ein herzoglicher Hut würde mich besser gegen den Nachtwind, wie er in diesem Augenblicke bläst, beschützen, und eine Königskrone noch viel besser, da sie mit Hermelin und Sammet gefüttert ist. Mit einem Wort, unser Vortheil verbindet uns: denn wähne nicht, Herr Großmeister, daß, wenn diese verbündeten Fürsten Jerusalem einnehmen, und einen König ihrer Wahl daselbst einsetzen, euer Orden und mein elendes Marquisat die Unabhängigkeit behalten werden, die wir nun haben. Nein, bei unserer lieben Frau! Kommt es dahin, dann müssen die stolzen Johanniterritter wieder Pflaster auflegen und Pestbeulen behandeln in den Spitälern, und ihr großmächtige und ehrwürdige Tempelritter müßt zu eurem Kriegshandwerk zurückkehren, selb drei auf einer Pritsche schlafen, und selb zwei auf einem Pferde reiten, wie euer dermaliges Siegel zeiget, daß es einst bei euch so der Brauch gewesen.«

»Der Rang, die Freiheiten und der Reichthum unseres Ordens wird denselben vor so großer Herabwürdigung, wie Ihr ihm drohet, bewahren,« sagte der Templer stolz.

»Grade das ist euer Verderben,« sagte Conrad von Montserrat, »und Ihr so gut als ich, verehrter Großmeister, wir wissen, daß, wenn die verbündeten Fürsten in Palästina siegreich wären, es ihr erster Staatsstreich sein würde, die Unabhängigkeit eures Ordens zu vernichten, was ihr ohne den Schutz des heiligen Vaters, des Papstes und ohne die Nothwendigkeit eurer Beihülfe zur Eroberung von Palästina längst würdet erfahren haben. Gib ihnen vollständigen Sieg, und ihr werdet bei Seite geworfen werden, grade wie man die Splitter einer zerbrochenen Lanze auf der Stechbahn wegschleudert.«

»In Euren Worten mag einige Wahrheit liegen,« sagte der Templer, finster lächelnd; »aber was wäre unsere Hoffnung, wenn die Verbündeten ihre Macht aus Palästina zurückzögen, und das Land in den Klauen Saladins ließen?«

»Eine große und gewisse,« versetzte Conrad; »der Sultan würde ansehnliche Provinzen geben, um eine Schaar wohlgespitzter fränkischer Lanzen zu seinem Befehl zu haben. In Aegypten, in Persien würde ihm ein Hundert solcher Bundesgenossen im Verein mit seiner eigenen leichten Reiterei gegen die furchtbarste Uebermacht den Sieg verschaffen. Diese Abhängigkeit würde nur einige Zeit dauern, vielleicht so lange dieser unternehmende Sultan lebt; aber im Morgenlande entstehen Reiche, wie Pilze. Nimm an, er sei todt, und wir zögen fortwährend aus Europa die Verstärkung feuerköpfiger Abenteurer, was können wir nicht auszuführen hoffen, wenn uns diese Monarchen nicht mehr hinderlich sind, deren Ansehen uns jetzt in den Schatten stellt, und die, wenn sie hier blieben und in ihrem Unternehmen glücklich wären, uns gern für immer zur Abhängigkeit herabwürdigen würden?«

»Ihr habt Recht, Herr Marquis,« sagte der Großmeister; »und Eure Worte finden ein Echo in meiner Brust. Jedoch wir müssen behutsam sein; Philipp von Frankreich ist eben so klug als tapfer.«

»Wahr; aber eben darum wird er desto leichter von einem Unternehmen abwendig gemacht werden können, wozu er sich in einem Augenblick von Schwärmerei oder von seinen Edlen genöthigt, voreilig verband. Er ist eifersüchtig auf König Richard, seinen natürlichen Feind, und er sehnt sich nach der Rückkehr, um Eroberungspläne zu verfolgen in größerer Nähe von Paris als von Palästina. Irgend ein guter Vorwand wird ihm behülflich sein, sich von einem Schauplatz zurückzuziehen, wo er, wie er merken muß, nur die Kräfte seines Königreichs vergeudet.«

»Und der Herzog von Oestreich?« sagte der Templer.

»O! was den Herzog betrifft,« versetzte Conrad, »sein Eigendünkel und seine Thorheit machen die nämlichen Schlüsse wie Philipps Staatskunst und Weisheit. Er glaubt, Gott erhalte ihn bei seinem Glauben, daß man ihm mit Undank begegne, weil der Mund der Leute, selbst der seiner eigenen Minnesänger voll ist vom Lobe König Richards, den er fürchtet und hasset, und an dessen Unglück er sich erfreuen würde, jenen schlechten und feigen Hunden gleich, die, wenn der Leiter der Koppel unter dem Angriff des Wolfs erliegt, geneigter ist, den Bedrängten von hinten anzufallen, als ihm zu Hülfe zu eilen. – Doch warum rede ich dir von diesen Dingen, wenn es nicht darum ist, daß ich dir meinen aufrichtigen Wunsch, diesen Bund aufgelöst und dies Land von den Heeren dieser großen Monarchen befreit zu sehen, dadurch zu erkennen gebe? und du selbst weißt es und hast es selbst gesehen, wie alle die Fürsten von Macht und Einfluß, einen Einzigen ausgenommen, begierig sind, mit dem Sultan zu unterhandeln.«

»Ich gebe es zu,« sagte der Templer; »das müßte ein Blinder sein, der dies nicht in ihren letzten Berathungen gesehen hätte. Aber lüpfe die Maske noch um einen Zoll weiter, und sage mir deinen wahren Grund, warum du dem Rathe jenen Nordengländer oder Schotten, oder was für ein Landsmann er sein mag – den Ritter vom Leoparden aufgedrungen hast, die Vertragsvorschläge zu überbringen?«

»Es war ein politischer Grund,« versetzte der Italiäner; »seine Eigenschaft als geborner Britte war hinreichend, Saladin zu befriedigen, der ihn als einen dem Heere Richards zugehörigen kannte, während seine Eigenschaft als Schotte und anderer persönlicher Groll, um den ich wußte, es sehr unwahrscheinlich machte, daß unser Gesandte bei der Rückkunft irgend eine Verbindung mit dem Krankenbette Richards haben würde, dem seine Gegenwart immer zuwider war.«

»O, zu fein gesponnene Politik!« sagte der Großmeister. »Glaube mir, daß italienische Spinnenfäden nie diesen ungeschornen Simson von der Insel binden werden – ja wenn es neue Stricke wären und zwar von den stärksten. Seht ihr nicht, daß der Gesandte, den ihr so bedächtig gewählt habt, uns in diesem Arzt den Helfer gebracht, der den löwenherzigen, halsstarrigen Engländer aufrichten wird zur Fortsetzung des Kreuzzugs? und stürmt er nur erst wieder voran, wer von den Fürsten wagt dann hinten zu bleiben? – Sie müssen ihm Ehren halber folgen, auch wenn sie eben so gerne unter des Teufels Banner zögen.«

»Sei ruhig,« sagte Conrad von Montserrat; »ehe dieser Arzt, wenn er anders nicht durch Wunder wirkt, die Heilung Richards vollenden kann, wird es möglich sein, einen offenen Bruch herbeizuführen zwischen dem Franzosen, wenigstens dem Oestreicher und ihren englischen Bundesgenossen, so daß der Zwiespalt unversöhnlich sein soll; und Richard mag dann vom Lager aufstehen, vielleicht um seine eigenen Truppen anzuführen, aber um nimmer wieder durch seine einzige Thatkraft die Gesammtmacht des Kreuzzugs zu bewegen.«

»Du bist ein williger Schütze,« sagte der Templer; »aber, Conrad von Montserrat, dein Bogen ist zu schlaff, um einen Pfeil zum Ziel zu bringen.«

Er hielt plötzlich inne, blickte argwöhnisch umher, zu sehen, ob Niemand lausche, und, nachdem er Conrads Hand erfaßt, und dieselbe heftig gedrückt, sagte er langsam, während er dem Italiener in's Gesicht schaute: »Richard von seinem Lager aufstehen, sagst du? – Conrad, er darf nimmer auferstehen!«

Der Marquis von Montserrat erschrack. »Was! – sprichst du von Richard von England – von Löwenherz, von dem Ritter der Christenheit?«

Seine Wangen wurden bleich, und seine Kniee zitterten, während er sprach. Der Templer sah ihn an mit seinen eisernen Zügen, die sich zu einem verächtlichen Lächeln verzogen.

»Weißt du, wem du in diesem Augenblicke gleichest, Herr Conrad? – nicht dem staatsklugen und tapferen Marquis von Montserrat, der den Rath der Fürsten lenken und das Schicksal der Reiche bestimmen möchte, sondern dem Schüler, der, nachdem er in seines Meisters Zauberbuch eine Formel aufgestöbert, den Teufel heraufbeschworen hat, als er am wenigsten daran dachte, und nun vor der dämonischen Erscheinung zitternd und bebend dasteht.«

»Ich gebe es Euch zu,« sagte Conrad, sich fassend, »daß im Fall nicht ein anderer, sicherer Weg gefunden werden kann, ihr den bezeichnet habt, der am kürzesten zum Ziele führt. Aber, gebenedeite Maria! wir werden der Fluch von Europa werden, verflucht und verwünscht von Jedermann, von dem Papst auf seinem Throne bis zum Bettler an der Kirchthüre, der von Aussatz und Lumpen bedeckt, auf der tiefsten Stufe menschlichen Elends, sich glücklich preisen wird, daß er weder Giles Amaury, noch Conrad von Montserrat ist.«

»Wenn du es so nimmst,« sagte der Großmeister mit der nämlichen Kaltblütigkeit, die er während dieses ganzen merkwürdigen Gespräches gezeigt; »laß uns dann annehmen, als wäre hier nichts zwischen uns vorgefallen, als hätten wir im Traume gesprochen, wären erwacht, und die Erscheinung wäre verschwunden.«

»Sie wird nimmer verschwinden,« antwortete Conrad.

»In Wahrheit, Träume von Herzogshüten und Königskronen haften ein wenig fest in der Einbildung,« versetzte der Großmeister.

»Wohl,« antwortete Conrad, »laß mich nur zuerst den Versuch machen, den Frieden zwischen Oestreich und England zu stören.«

Sie trennten sich. – Conrad blieb auf dem Fleck stehen, und heftete den Blick auf das weiße, fliegende Gewand des Templers, der langsam davon schritt, und nach und nach in dem dichten Dunkel der morgenländischen Nacht verschwand. Stolz, ehrgeizig, gewissenlos und verschlagen war der Marquis von Montserrat, doch nicht grausam von Natur. Er war ein Lüstling und Epikuräer, und gleich Vielen von dieser Gemüthsart war er abgeneigt, selbst zu selbstsüchtigen Zwecken, Anderen ein Leid zuzufügen oder Grausamkeiten zu begehen; und eben so bewahrte er jene Scheu für den eigenen Ruf, die zuweilen die Abwesenheit besserer Eigenschaften, wodurch der gute Ruf erhalten wird, ersetzt.

»Ich habe,« sagte er, als er fortfuhr, seine Augen auf den Punkt zu heften, wo er das letzte, kaum sichtbare Wallen von des Templers Mantel bemerkt hatte, »ich habe in Wirklichkeit den Teufel heraufbeschworen! Wer hätte geglaubt, daß dieser streng-tugendhafte Großmeister, dessen Glück und Unglück mit dem seines Ordens verwachsen ist, mehr zur Vergrößerung dieses Ordens zu thun bereit sei, als ich zu meinem eigenen Vortheil thun möchte? Diesen tollen Kreuzzug zu hemmen, war in der That meine Absicht; aber ich wage nicht, an jenes Hülfsmittel zu denken, das dieser entschlossene Pfaffe mir angegeben hat, obgleich es das sicherste, vielleicht das ungefährlichste ist.«

Diese Betrachtung stellte der Marquis an, als sein halblautes Selbstgespräch durch eine Stimme aus der Nähe unterbrochen wurde, die im feierlichen Heroldstone rief: »Gedenkt des heiligen Grabes!«

Diese Ermahnung hallte von Posten zu Posten: denn es war die Schuldigkeit der Schildwachen, dies Geschrei von Zeit zu Zeit regelmäßig zu erheben, auf daß das Heer der Kreuzfahrer immer den Zweck des Krieges im Gedächtniß behielte. Aber obschon Conrad mit diesem Gebrauch vertraut war, und die warnende Stimme bei allen früheren Gelegenheiten als etwas Gewohntes angehört hatte; sie ergriff ihn doch in dem jetzigen Augenblick durch die Beziehung, die sie auf seine Gedanken hatte, so gewaltig, daß sie ihm vorkam wie eine himmlische Stimme, die ihn vor dem bösen Trachten seines Herzens warne. Er blickte ängstlich umher, als wenn er, gleich dem alten Patriarchen, obwohl in einer anderen Lage als dieser, irgend einen Widder erspähen wolle, der sich im Dickicht verfangen – irgend ein Opfer, welches das von seinem Gefährten vorgeschlagene ersetzen, und nicht dem höchsten Wesen, sondern dem Moloch ihres Ehrgeizes geschlachtet werden könne. Während er so spähete, fiel ihm die große Fahne des englischen Banners, die sich schwer vor dem matten Abendwind entfaltete, in's Auge. Sie wehte fast in der Mitte des Lagers über einem künstlichen Erdhügel, den vielleicht ein hebräischer Häuptling oder Krieger zu seinem Grabmal ausersehen hatte. Indeß der alte Name war nun vergessen, und die Kreuzfahrer nannten den Hügel bei dem christlichen Namen des Ritters St. Georg, weil auf dieser das Lager beherrschenden Höhe das englische Banner, als wäre es ein Zeichen der Oberherrschaft, über die verschiedenen adligen, ja königlichen Banner hinauswehte, die auf geringerer Höhe flatterten.

Ein schneller Verstand, wie der Conrads, erfaßt Ideen im Nu. Ein einziger Blick auf die Standarte schien die Ungewißheit, die ihn beunruhigte, zu zerstreuen. Er ging seinem Zelte zu mit dem schnellen und gemessenen Schritt eines Mannes, der einen Plan gefaßt hat, den er ausführen will; er entließ das fast fürstliche Gefolge, welches ihn zu bedienen wartete, und als er sich auf sein Lager streckte, murmelte er seinen verbesserten Entschluß, daß gelinde Mittel angewandt werden sollten, ehe zu verzweifelten geschritten würde.

»Morgen,« sagte er, »sitze ich an der Tafel des Erzherzogs von Oestreich – wir wollen sehen, was zur Förderung unseres Vorhabens gethan werden kann, ehe wir die schwarzen Eingebungen dieses Templers befolgen.«


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