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Berengaria

Einleitung

Die Verlobten haben einem oder zweien Freunden nicht sehr gefallen wollen, weil, wie sie glaubten, diese Erzählung dem Haupttitel von den Kreuzfahrern nicht wohl entspräche. Sie behaupteten, daß ohne unmittelbare Anspielung auf morgenländische Sitten und Gebräuche und auf die romantischen Kämpfe des Zeitalters der Titel Erzählung von den Kreuzfahrern jenem Komödienzettel gleiche, der, wie man sagt, die Tragödie Hamlet ankündigte mit Auslassung der Rolle des Prinzen von Dänemark. Ich meinerseits fühlte die Schwierigkeit, einen Theil der Welt mit lebhaften Farben zu schildern, mit dem ich fast gänzlich unbekannt war, außer so weit mich tausend und eine Nacht früher damit befreundet hatten; und ich arbeitete nicht nur unter dem Unvermögen der Unwissenheit, in die, wenigstens was morgenländische Sitten und Gebräuche betrifft, ich so dicht eingehüllt war, wie ein Aegypter in seinen Nebel, sondern ein großer Theil meiner Zeitgenossen war auch in dieser Hinsicht so aufgeklärt, als wenn sie Einwohner des bevorzugten Landes Gosen gewesen wären. Die Lust zu reisen hat alle Stände ergriffen, und die Britten nach allen Theilen der Welt geführt. Griechenland, so anziehend durch die Ueberreste seiner Kunst, durch seinen Freiheitskampf gegen einen mahommedanischen Zwingherrn, durch seinen bloßen Namen, wo jede Quelle ihre klassische Sage hat, – Palästina, das durch noch heiligere Erinnerungen der Einbildungskraft theuer ist, sind jüngst von brittischen Beobachtern besucht, und von neuern Reisenden beschrieben worden. Hätte ich darum das schwierige Werk unternommen, erdichtete Sitten an die Stelle der im Morgenlande wirklich geltenden zu setzen; so hätte fast jeder Reisende, der über den vor Alters sogenannten großen Thurm hinaus gekommen wäre, durch eigene Besichtigung ein Recht gehabt, mich für meine Anmaßung zurechtzuweisen. Jedes Mitglied des Traveller-Clubs, dessen Sohlen die Erde von Edom berührt hätten, wäre durch diesen einzigen Umstand mein gesetzmäßiger Richter und Belehrer geworden. Auch das war zu erwägen, daß, wo der Verfasser von Anastasius und der von Hadschi Baba die Sitten und Laster der Morgenländer beschreiben, die Schilderung davon nicht nur mit Treue geschieht, sondern mit der Laune von le Sage und mit der geistreichen Schalkheit von Fielding, daß also ein dem Gegenstand gänzlich Fremder nothwendig einen ungünstigen Eindruck machen müsse. Auch der gekrönte Dichter hat in seiner reizenden Erzählung Thalaba gezeigt, wie weit die Untersuchungen eines Mannes von Fleiß und Talent führen können, durch bloße Beschäftigung mit der alten Lehre, Geschichte und Sitte des Morgenlandes, in dem wir wahrscheinlich die Wiege der Menschheit erblicken; Moor hat in Lalla Rookh mit Erfolg den nämlichen Pfad betreten; auch Byron, der eigene Besichtigung mit umfassender Belesenheit verband, hat auf diesem Felde einige seiner anziehendsten Dichtungen geschrieben. Kurz, morgenländische Gegenstände sind bereits mit so viel Erfolg von anerkannten Meistern behandelt worden, daß ich mich scheute, den nämlichen Versuch zu machen.

Das waren mächtige Einwürfe, die ungeschwächt blieben, als sie der Gegenstand ängstlicher Betrachtung wurden, obwohl sie am Ende nicht überwogen. Die Gegengründe auf der anderen Seite waren, daß, obwohl ich keine Hoffnung hatte, mich mit den erwähnten Zeitgenossen messen zu können, mir dennoch die Möglichkeit bliebe, mich meines Vorhabens zu entledigen, ohne mit jenen Meistern in einen Wettkampf zu treten.

Der den Kreuzzügen mehr angehörige Zeitraum, den ich mir endlich vorsetzte, war der, wo der kriegerische, wilde und edelmüthige Richard I., der als ein Spiegel des Ritterthums nicht nur die außerordentlichen Tugenden, sondern auch die abgeschmackten Verirrungen dieses Instituts zeigte, im Gegensatz zu Saladin erscheint und zwar also, daß der christliche Monarch von England alle Grausamkeit und Leidenschaftlichkeit eines morgenländischen Sultans verräth, und Saladin seinerseits die größte Staatskunde und Staatsklugheit eines europäischen Herrschers offenbart, während sie unter einander wetteiferten, wer den andern an ritterlicher Tapferkeit und an Großmuth übertreffe. Dieser sonderbare Gegensatz bot, wie der Verfasser dachte, Stoff für eine höchst anziehende Dichtung dar. Einer von den untergeordneten Charakteren ist eine erdichtete Verwandtin von Richard Löwenherz. Dieser Verstoß an der Wahrheit der Geschichte hat Mr. Wills, dem Verfasser der Geschichte des Ritterthums und der Kreuzzüge, Aergerniß gegeben, da derselbe, wie anzunehmen ist, nicht bedachte, daß die romantische Dichtung dergleichen Erfindungen als eine ihr zustehende Kunsterforderniß billigt.

Der Prinz David von Schottland, der wirklich in dem Heere und auf dem Rückwege der Held einiger ächt romantischen Abenteuer war, wurde auch zu meinem Dienste gezwungen, und ist eine dramatis persona.

Es ist wahr, ich habe Richard Löwenherz schon einmal vorgebracht; aber es war in einer anderen Eigenschaft, als es hier im Talisman geschieht: damals erschien er als verkleideter Ritter, jetzt tritt er offen als erobernder Monarch auf; so daß ich nicht zweifle, daß ein England so theurer Name, wie der von König Richard I., mehr als einmal zur Ergötzung dienen dürfe.

Ich hatte Zutritt zu allen Alterthümern – Geschichte oder Fabel – welche diesen großen Helden betreffen, der der Stolz von Europa und der Ritterschaft war, und mit dessen gefürchtetem Namen die Saracenen, wie einer ihrer Geschichtschreiber meldet, ihre scheu gewordenen Pferde bedrohten. »Glaubst du,« sprachen sie, »daß König Richard auf dem Weg ist, daß du so scheu davon abweichst?« – Das merkwürdigste Stück der Geschichte König Richards ist ein alter Roman, ursprünglich aus dem Normannischen übersetzt, der anfänglich den Schein einer ritterlichen Geschichte hat, aber am Ende mit den sonderbarsten und erstaunlichsten Fabeln angefüllt ist. Es gibt vielleicht keinen zweiten Roman in Reimen, wo merkwürdige und wahre Geschichte mit so viel geschmacklosen und ausschweifenden Auftritten vermischt ist. Wir führen in dem Anhang zu dieser Einleitung eine Stelle dieses Romans an, wo Richard als ein Oger oder Cannibal erscheint.

Ein hauptsächlicher Gegenstand unserer Erzählung ist der, welcher ihr den Titel gegeben hat. Von allen Völkern, die je gelebt haben, waren die Perser höchst merkwürdig wegen ihres unerschütterlichen Glaubens an Amulete und dergleichen Zaubermittel, die, wie man sagt, unter dem Einfluß gewisser Planeten bereitet, hohe Heilkräfte sowohl als andere glückbringende Eigenschaften in sich einschließen. Eine Geschichte dieser Art, die sich auf einen vornehmen Kreuzfahrer bezieht, wird oft im westlichen Schottland erzählt, und die Reliquie, von der sie handelt, ist noch jetzt vorhanden, und steht sogar im Ansehen.

Sir Simon Lockhart von Lee und Cartland war ein wichtiger Mann während der Regierung von Robert Bruce und dessen Sohne David. Er war einer der Führer jenes Haufens schottischer Ritter, die James, dem guten Lord Douglas, auf seinem Zuge nach dem heiligen Lande mit dem Herzen des Königs Robert Bruce begleiteten. Douglas, ungeduldig, mit den Saracenen anzubinden, bekriegte die, welche in Spanien waren, und ward daselbst getödtet. Lockhart zog nach dem heiligen Lande mit denjenigen schottischen Rittern, welche dem Schicksal ihres Anführers entgangen waren, und nahm eine Zeit lang an dem Krieg gegen die Saracenen Theil.

Die Ueberlieferung erzählt von ihm folgende Begebenheit:

Er machte in einer Schlacht einen Emir von großem Reichthum und Ansehen zum Gefangenen. Die alte Mutter des Gefangenen kam ins Christenlager, um ihren Sohn loszukaufen. Lockhart bestimmte das Lösegeld, und die Matrone zog einen großen, gestickten Beutel hervor, und schickte sich an, das Lösegeld darzuzählen wie eine Mutter, die kein Gold schonet, wenn es die Freiheit ihres Sohnes gilt. Bei diesem Geschäft fiel ein Kiesel, der in eine Münze (des griechischen Kaiserreichs, wie Einige sagen) gefaßt war, aus dem Beutel, und die Matrone griff mit solcher Hast darnach, um ihn wieder zu sich zu stecken, daß der Ritter eine hohe Vorstellung von seinem Werthe, in Vergleich zu Gold und Silber faßte. »Ich werde mich nicht verstehen,« sagte er, »deinem Sohne die Freiheit zu geben, wenn ich nicht dies Amulet zu dem Lösegeld erhalte.« Die Matrone ging dies nicht nur ein, sondern sie erklärte auch dem Sir Simon Lockhart, wie man sich dieses Talismans bediene, und wozu er angewandt werden könne. Das Wasser, in das man ihn getaucht hatte, wirkte als blutstillendes und fiebervertreibendes Mittel, und besaß verschiedene andere Eigenschaften eines heilkräftigen Talismans.

Sir Simon Lockhart brachte ihn nach vielen Proben seiner wunderbaren Wirkungskraft in sein eigenes Land, und ließ ihn seinen Erben, von denen er, wie von Clydesale im Allgemeinen, Lee-penny genannt wird, von dem Namen seiner ersten Residenz.

Der merkwürdigste Umstand in seiner Geschichte ist vielleicht der, daß er ausnahmsweise einer Verurtheilung entging, als die Kirche von Schottland andere Wunderheilungen als Zauberei bezeichnete und ihre Anwendung tadelte, »ausgenommen das Amulet, Lee-penny genannt, dem Gott gewisse Heilkräfte verliehen hat, welche die Kirche nicht zu verdammen wagt.« Er ist, wie gesagt, noch vorhanden, und zuweilen nimmt man seine Zuflucht zu ihm. In der letzten Zeit hat man ihn vorzüglich nur bei Personen angewandt, die von tollen Hunden gebissen waren; und da das Uebel in solchen Fällen häufig aus der Einbildung kommt, so ist kein Grund da zu zweifeln, daß das Wasser, welches über den Lee-penny geflossen, ein entsprechendes Heilmittel sei.

Dies ist die Ueberlieferung vom Talisman, welche der Verfasser zu seinen Zwecken mit Freiheit verändert hat.

Große Freiheiten hat man sich auch in Rücksicht der geschichtlichen Wahrheit herausgenommen, z. B. in Rücksicht auf Leben und Tod Conrads von Montserrat. Daß Conrad jedoch als Feind Richards betrachtet wurde, darüber sind Geschichte und Roman einig. Im Allgemeinen kann man das Verhältniß beider aus dem Vorschlag der Saracenen entnehmen, daß der Marquis von Montserrat mit gewissen Theilen von Syrien, die sie an Christen gaben, belohnt werden sollte. Richard, wie der Roman meldet, der seinen Namen führt, »konnte seine Wuth nicht länger verbeißen. Der Marquis, sagte er, sei ein Verräther, der den Rittern vom Spital 60,000 Pfund, ein Geschenk seines Vaters Heinrich, gestohlen habe; er sei ein Renegat, dessen Verrätherei den Verlust von Acre verursacht hätte; und er schloß mit einem feierlichen Schwur, daß er ihn von wilden Pferden wolle zerreißen lassen, wenn er je das Christenlager durch seine Gegenwart zu verunreinigen wage. Philipp wollte zu Gunsten des Marquis einschreiten, und bot seinen hingeworfenen Handschuh zum Pfande der Treue desselben an; aber sein Anerbieten wurde verworfen, und er mußte der Heftigkeit Richards den Lauf lassen!« – Geschichte des Ritterthums.

Conrad von Montserrat machte Aufsehen in diesen Kriegen, und wurde endlich von einem Nachfolger des Scheik oder Alten vom Berge getödtet; Richard blieb nicht frei von dem Verdacht, diesen Tod veranlaßt zu haben.

Im Allgemeinen sei gesagt, daß die meisten Vorkommenheiten in der nachstehenden Erzählung erdichtet sind, und daß Wahrheit, wo sie besteht, nur in den Charakteren der Dichtung gesucht werden muß.

1. Juli 1832.


Anhang zur Einleitung.

Richard wurde, während er im heiligen Lande Krieg führte, von einem Fieber befallen.

Die besten Aerzte des Lagers vermochten nicht, die Krankheit des Königs zu heilen; aber die Gebete des Heeres waren wirksamer. Richard genas, und das erste Zeichen seiner Genesung war ein heftiges Verlangen nach Schweinefleisch. Aber in einem Lande, dessen Einwohner das Fleisch verabscheuen, war dasselbe natürlich nicht leicht zu haben; und

Hätt' man seine Leut' gehängt;
Für keine Schätze der Welt,
Für Gold nicht, Silber und Geld,
War hier ein Schwein zu haben.
Den König zu erlaben.
Ein alter Ritter hört die Mähr,
Was des Königs Verlangen wär.
Und heimlich zu dem Koch er spricht,
Daß Andre es hörten nicht:
»Unser Herr König hat große Pein
Und dermalen Lust nach Schwein.
Doch ein Schwein ist hier
Ein seltenes Thier.
Wer aber dürft' es wagen.
Dem Könige dies zu sagen!
Es ging ihm an die Kehle.
Drum thu', wie ich dir befehle.
Nimm einen Mohren jung und dick
Und schlacht' in Eil den Galgenstrick –
Richt' ihn zu, wie man es soll –
Füll' ihn mit Gewürzen wohl,
Guten Saffran nicht zu vergessen.
Und wird der König das essen,
Und trinken eine Fleischbrüh' dazu,
Und warm sich legen dann zur Ruh;
So hoff' ich, mit Gottes Gnade
Und meinem guten Rathe
Soll aufstehn er gesund und frisch,
Und wohl sein wie im Wasser der Fisch.«
Gesagt, gethan – ohne Förmlichkeiten
Schlachtet und kocht man den fettsten Heiden;
Drauf gingen die Diener zum König hinein –
»Herr,« sprachen sie, »hier ist Schwein.
Die Fleischbrüh' mög' euch frommen,
Und die Mahlzeit wohl bekommen.«
Ein Ritter die Stücke schnitt auf dem Teller,
Was er konnt'; doch Richard aß noch schneller.
Er aß das Fleisch, er nagte die Bein'
Und trank dazu auf gutes Gedeih'n.
Als er nun satt war vom Schmaus,
Ging Jedermann fröhlich nach Haus.
Doch Richard legt sich hin zur Ruh;
Sein Kämmerer decket warm ihn zu.
So lag er und schlief eine gute Weil',
Und erwachte zu Wohl und Heil.
Er kleidet sich an, und guter Ding'
Er auf und ab im Gemache ging.

Ein Angriff der Saracenen wurde von Richard in Person zurückgedrängt. Folgende Verse melden, was hierauf folgte.

Als König Richard ein Weilchen verschnauft;
Nahm ihm ein Ritter die Rüstung ab,
Was ihm große Erleichterung gab.
Man bracht' ihm Muß von Wein.
»Den Kopf von selbem Schwein!
Davon ich aß!« zum Koch er sprach, –
»Denn ich bin matt und müd' und schwach.
Ich fürcht', mein Fieber kommt zurück,
Eß' ich nicht von dem Kopf ein Stück.«
Der Koch sprach: »Den Schweinskopf hab' ich nicht.«
»So wahr Gott lebt,« der König spricht –
»Du schaffst mir das Haupt von dem Schweine;
Wenn nicht – so fällt das deine.«
Der Koch sah, daß keine Ausflucht sei;
Schnell bracht er den Mohrenkopf herbei.
Er fiel auf die Knie, und heulend er bat:
»Schaut hier den Kopf! o Herr König, Gnad'!«

Der Koch hatte in der That einigen Grund, zu vermuthen, daß sein Herr mit Schaudern an das Mahl gedenken würde, dem er seine Genesung verdankte; aber diese Befürchtung wurde bald beseitigt.

Als er den Mohrenkopf thä't sehn,
Den schwarzen Bart, die weißen Zähn',
Die Lippen aufgerissen weit;
»Ist das der Teufel?« der König schreit.
Und lacht hellauf wie toll.
Schmeckt Saracenenfleisch so wohl?
Warum erfahr' ich das erst heut!
Bei Gott und Seligkeit,
Der Hunger soll uns nicht mehr plagen:
Die Saracenen, die wir erschlagen,
Bringen wir fein nach Haus
Und lassen sie uns zum Schmaus
Kochen oder braten nach Lust.
Hätt' ich das nur früher gewußt!
Denn Hunger that uns öfters plagen,
Doch jetzt können wir beißen und nagen.«

Die Belagerten erboten sich nun zur Uebergabe gegen Gewährleistung der Sicherheit der Einwohner; der öffentliche Schatz, die Kriegsmaschinen und Waffen, überdies ein Lösegeld von hunderttausend Byzantinern wurden dem Sieger überliefert. Unmittelbar nach dieser Capitulation hatte der nachfolgende Auftritt statt, den wir dem geistreichen und liebenswürdigen Georg Ellis nacherzählen, welcher diese Romanzen gesammelt und herausgegeben hat.

Obgleich die Besatzung alle Punkte der Capitulation getreulich erfüllte, so war sie doch nicht im Stande, das Kreuz, das sie nicht besaß, herauszugeben, und sie wurde darum von den Christen mit der größten Grausamkeit behandelt. Saladin erhielt täglich Berichte von den Leiden derselben, und da sehr vornehme Männer darunter waren, so schickte dieser Monarch auf die Bitten vieler Freunde derselben eine Gesandtschaft an König Richard ab, welche demselben glänzende Geschenke für die Loslassung der Gefangenen anbot. Die Gesandten waren Männer, die wegen ihres Alters, ihres Ranges und ihrer Beredsamkeit alle Achtung verdienten. Sie entledigten sich ihres Auftrags mit der größten Bescheidenheit, und ohne die Gerechtigkeit des Siegers wegen der strengen Behandlung ihrer Landsleute anzuklagen, flehten sie bloß darum, daß dieser Strenge ein Ende gemacht werde, und zu gleicher Zeit legten sie die mitgebrachten Schätze vor Richard nieder, indem sie sich und ihren Herren als Bürgen für jede weitere Summe anboten, die für die Freilassung der Gefangenen begehrt werden könnte.

König Richard sprach mit Worten hold:
Behüt mich Gott vor eurem Gold!
Theilt's unter euch, denn ich hab' mehr
Als euer Herr und drei wie er.
Doch eh' ihr von dannen reiset,
Will ich, daß ihr mit mir speiset.
Und nach der Mahlzeit
Sollt ihr haben Bescheid:
Ich theil' euch dann mit,
Was ich beschloß auf eure Bitt.«

Die Einladung wurde dankbar angenommen. Richard gab hierauf seinem Marschall heimlich Befehl, sich nach dem Gefängniß zu verfügen, eine bestimmte Anzahl der vornehmsten Gefangenen auszulesen, die Namen derselben sorgfältig auf eine Pergamentrolle zu schreiben, und ihnen ohne Verzug die Köpfe abhauen zu lassen; diese Köpfe sollten dem Koch überliefert werden mit der Weisung, dieselben von Haaren zu säubern, in einem Kessel zu kochen, und auf verschiedenen Schüsseln zuzurichten, so daß jeder Gast einen Kopf erhielte, der auf der Stirne ein Pergament trüge, worauf der Name und die Familie des Schlachtopfers angegeben sei. Richard verlangte, daß ihm selbst ein solcher Kopf vorgesetzt werde.

Dieser grausame Befehl wurde genau vollzogen. Zur Mittagszeit wurden die Gäste durch die Musik der Pfeifer aufgefordert, sich zu waschen. Der König, umgeben von seinen vornehmsten Hofleuten, setzte sich an der hohen Tafel, und die übrigen Gäste nahmen ihren Platz an einer langen Tafel, die niedriger war als jene. Auf dem Tischtuche bemerkte man gleichmäßig vertheilte Portionen Salz, aber weder Brod, noch Wein oder Wasser. Die Gesandten waren hierüber etwas befremdet, aber immer noch frei von Argwohn. Sie erwarteten stille, daß man das Mahl auftrüge, was beim Klang der Pfeifen, Trompeten und Tamburine geschah; und sie betrachteten mit Schrecken und Abscheu das unnatürliche Mahl, das der Küchenmeister und seine Diener auftrugen. Doch die Neugier überbot eine Zeit lang den Ekel und Abscheu, ja selbst die Furcht. Die Augen der Gesandten waren auf den König geheftet, der, ohne im Geringsten die Miene zu ändern, die Bissen so hastig verschlang, als sie ihm der Ritter, der ihm vorschnitt, darreichen konnte.

Und einer stieß den andern an,
Und sprach: »Das ist der Satan,
Der unsre Leute schlägt und frißt!«

Darauf wandte sich ihre Aufmerksamkeit unwillkürlich auf die dampfenden Köpfe vor ihnen; sie suchten in den geschwollenen und verzerrten Zügen einen Freund oder nahen Verwandten zu erkennen, und das unselige Pergament, das jede Schüssel begleitete, gab ihnen die traurige Versicherung, daß sie sich nicht getäuscht hätten. Sie saßen mit starrem Schweigen da, in dem Schicksal ihrer Landsleute ihr eigenes erblickend, während ihr grausamer Wirth mit Wuth im Blicke, aber mit Höflichkeit auf der Zunge ihrer spottete, indem er sie wiederholt einlud, lustig zu sein. Endlich wurde der erste Aufsatz abgetragen, und Wildpret, Kraniche und andere Leckerbissen nahmen in Begleitung der besten Weine seine Stelle ein. Der König entschuldigte sich nun bei den Gesandten wegen des ersten Aufsatzes, indem er erklärte, daß er ihren Geschmack nicht gekannt habe; zugleich gab er ihnen die Versicherung, daß er ihren gesandtschaftlichen Charakter ehre, und daß sie ein sicheres Geleit zur Rückreise erhalten könnten, sobald sie es von ihm begehrten. Das war Alles, was sie für den Augenblick wünschten; und

König Richard sprach zu 'nem alten Mann:
»Geht nun heim zu euerem Sultan,
Daß er nicht um euch trauern mag;
Und sagt ihm, daß um einen Tag
Zu spät ihr seid gekommen.
Zu meines Haushalts Frommen
Waren jene schon abgethan,
Eh' ihr kamt im Lager an.
Saget eurem Saladin,
Er soll sich fürder nicht bemühn,
Die Zufuhr uns abzuschneiden;
Wir werden nicht Hunger leiden.
Und fehlt auch Fisch, Fleisch, Wein und Brod,
Stirbt Niemand den Hungertod.
Bei jedem Sturm, in jeder Schlacht
Haben wir die fettste Jagd.
Und mit einem Saracen
Nähr' ich meiner Leute zehn.
König Richard bürgt dafür,
Es ist kein Fleisch so nahrhaft hier,
So fett und obendrein so zart
Als diese Saracenenart.
Drum sind wir außer Sorgen
Für heute und für morgen.
Und immer soll man 'nen Saracen
Auf unsrer Tafel sehn.
Ja eher wird nicht heimgereist,
Bis wir den letzten aufgespeist.

Der Leser fragt vielleicht, wie eine so seltsame Erfindung, die den König von England als Menschenfresser hinstellt, ihren Weg in die Geschichte gefunden habe. Mr. James, dem wir so manche Seltsamkeit verdanken, scheint den Ursprung dieses Gerüchts entdeckt zu haben.

Bei dem Kreuzheer, sagt der genannte Schriftsteller, waren viele Leute, die ein Gewerb daraus machten, kein Geld zu haben; sie gingen barfuß, unbewaffnet, und selbst den Lastthieren auf dem Marsch voraus. Wurzeln und Kräuter waren ihre Nahrung, und ihr Anblick erregte Ekel und Mitleiden.

Ein Normanne, der allen Berichten nach von edler Geburt war, und der nach dem Verlust seines Rosses dem Heere zu Fuß nachfolgte, faßte den seltsamen Entschluß, sich zum Haupt dieser Landstreicher zu machen, die ihn willig als König anerkannten. Unter den Saracenen waren diese Leute unter dem Namen Thafurs bekannt, und galten für Scheusale, da man allgemein glaubte, daß sie sich von den Leichnamen ihrer Feinde nährten. Dieser würdige Monarch pflegte oft seine Leute Mann für Mann in einem engen Hohlweg anzuhalten, und sorgfältig durchsuchen zu lassen, damit nicht der Besitz der geringsten Geldsumme sie unwürdig mache, seine Unterthanen zu heißen. Bei wem man nur zwei Soustücke fand, wurde alsbald aus der Gesellschaft verstoßen, und der König hieß ihn verächtlich, sich Waffen kaufen und fechten. – Dieser Haufen war dem Heere durchaus nicht lästig, sondern von großem Nutzen: sie trugen Lasten, brachten Vorräthe, Futter und Geld, verfertigten Belagerungsmaschinen, und vor allem verbreiteten Furcht unter den Türken, die weniger die Lanzen der Ritter fürchteten, als die Zähne der Thafurs.

Man begreift leicht, daß ein unwissender Minstrel, welcher von dem thierischen Geschmack der Thafurs in den Berichten vom heiligen Krieg gehört hatte, die Lüste und Neigungen derselben dem englischen Monarchen beigelegt hatte, dessen Wildheit man so gut wie seine Tapferkeit übertreiben zu müssen glaubte.


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