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Neuntes Kapitel.

 

Der Teufelshohn, der ihm im Blicke ruht,
Erweckt nur Zittern oder Rachegluth.
Wohin sein Blick voll Wuth getroffen,
Da flieht das Mitleid, wie das Hoffen.

Corsar.

 

Die Leng- oder Weiß-Fischerei ist die Hauptbeschäftigung der Eingeborenen von Shetland, und war die, aus der früher die Vornehmeren ihre ganzen Einkünfte zogen und durch welche die Geringeren ihren Unterhalt gewannen. Die Zeit des Fischfanges ist mithin, wie die Ernte in einem Lande, in welchem Ackerbau getrieben wird, die geschäftigste und wichtigste, wie auch die lebhafteste im ganzen Jahre.

Die Fischer eines jeden Bezirks versammeln sich an besonderen Orten mit Booten und Mannschaft, und errichten am Ufer kleine aus Schindeln erbaute und mit Rasen gedeckte Hütten, welche zu ihrer einstweiligen Wohnung bestimmt sind, so wie Skios oder Trockenhäuser für die Fische, so daß die einsame Küste auf einmal das Ansehen einer indianischen Stadt gewinnt. Die Bänke, wohin sich die Einwohner auf die Haaf-Fischerei begeben, sind oft mehrere Meilen von den Plätzen entfernt, wo die Fische getrocknet werden, so daß die Fischer immer zwanzig oder dreißig Stunden, oft auch noch länger von ihrer Heimath entfernt sind; und bei ungünstigem Wind und Wetter bleiben sie mit einem geringen Vorrathe von Lebensmitteln, und in einem Boote, dessen Bauart ungemein gebrechlich scheint, zwei bis drei Tage auf der See; oft hört man sogar nie wieder etwas von ihnen. Der Auszug der Fischer auf diesen Fang trägt daher einen Charakter der Gefahr und Entbehrung, der ihm eine gewisse Bedeutsamkeit gibt, und die Besorgniß der Frauen, welche an dem Ufer zurückbleiben und dem immer kleiner werdenden Boote nach- oder seiner Rückkehr entgegensehen, hat etwas ungemein Rührendes.

Alles war daher Leben und Bewegung, als der Udallar und seine Freunde sich dem Ufer näherten. Die Mannschaften von ungefähr dreißig Booten, jede aus drei bis sechs Leuten bestehend, nahmen von ihren Weibern und weiblichen Verwandten Abschied und sprangen in ihre langen norwegischen Boote, in denen die Angelschnüre und ihr übriges Fischergeräth schon eingeschichtet lagen. Magnus gab dabei keinen müssigen Zuschauer ab; er ging von einem Orte zum andern, fragte, wie es um einen Vorrath an Lebensmitteln für die Fahrt und ihre Zurichtungen zum Fischfange stände – schalt wohl zuweilen mit einem derben dänischen oder norwegischen Fluche darüber, daß sie solche Dummköpfe wären, mit so mangelhaft ausgerüsteten Booten in See gehen zu wollen, schloß aber immer damit, daß er aus seinem eigenen Vorrathe einen Gallon Wachholderbranntwein, ein Lißpfund Mehl, oder sonst einen Zuschuß zu ihren Reisebedürfnissen zu überbringen befahl. Die handfesten Seeleute bezeigten über eine solche Gunst ihren Dank auf die kurze, derbe Weise, die ihrem Herrn die liebste war; desto geräuschvoller war aber der der Frauen, welche Magnus oft durch eine Verwünschung aller Weiberzungen, von Eva's an, zum Schweigen bringen mußte.

Endlich war Alles am Bord und fertig: die Segel wurden gehißt, das Zeichen zur Abfahrt gegeben, die Ruder zogen an, und Alle stießen von der Küste ab, wetteifernd, wer der Erste sein würde, der den Ort des Fischfanges erreichte, ein Umstand, auf welchen von der Mannschaft des Bootes, dem es gelang, kein geringes Gewicht gelegt wurde.

So lange man sie von der Küste aus noch hören konnte, sangen sie ein altes norwegisches Lied, das auf die Gelegenheit paßte, und von dem Claudius Halcro die folgende wörtliche Uebersetzung gemacht hatte:

Lebt wohl, ihr Mädchen, Sang und Reigen ruht!
Den wackern Schiffer treibt es auf die Fluth,
Wo Arbeit, Hunger, manche Qual sich beut,
Eh' er sich mit euch Holden wieder freut!

Im Boot ist uns nun anderes Spiel verlieh'n,
Norwegens Strand ist es, wohin wir zieh'n.
Delphin und Seehund folgen uns da nach,
Es weht der Wind, weht er nur fein gemach.

Mein Vogel, sing' auch, sing' und führ' uns an
Durch Klippen, Bänke, Flugsand auf der Bahn;
Und haben wir recht guten Fang gethan,
Dann sing' erst recht, den Lohn wirst du empfah'n.

Wir singen auf der Fahrt und bei dem Fang,
Denn munter geht das Werk bei heiter'm Sang.
Der Fische gibt's genug zu Aller Heil,
Und unser'm Magnus wird das beste Theil.

Drum auf, Gefährten, auf, in's Meer hinaus,
Je eher dort, je eher dann zu Haus.
Die Lamp' ohn' Oel, ist Leben ohne Lust –
Herr Troil war deß von jeher sich bewußt!

Die rohen einfachen Worte des Gesanges erstarben bald in dem Rauschen der Wellen, aber die Melodie tönte noch lange durch Wind und Meer, während die Boote wie schwarze Flecken auf der Oberfläche des Oceans erschienen, nach und nach kleiner wurden, je weiter sie in die hohe See kamen, und das Ohr noch immer einzelne Klänge der menschlichen Stimmen vernehmen konnte, welche in der der Elemente beinahe erstarben.

Die Weiber der Fischer blickten noch einmal den scheidenden Segeln nach, und kehrten dann langsam, mit gesenktem und bekümmertem Blicke zu den Hütten zurück, in welchen sie Anstalten zum Zubereiten und Trocknen der Fische trafen, mit denen sie ihre Männer reichlich beladen zurückkehren zu sehen hofften. Hier und da legte eine alte Sybille ihre größere Erfahrung an den Tag, indem sie nach dem Aussehen des Himmels voraussagte, ob der Wind günstig oder ungünstig sein würde, während Andere der Kirche des heiligen Ninian für die sichere Heimkehr der Leute und der Boote ein Gelübde thaten (ein alter katholischer Gebrauch, der noch nicht ganz verschwunden war), und wieder Andere, Jeder mit leisem und furchtsamem Tone, ihr Bedauern gegen ihre Gefährtinnen zu erkennen gaben, daß man Norna von Fitful-Head diesen Morgen so in Unfrieden von Burgh-Westra hatte weggehen lassen, und daß man sie gerade am ersten Tage des Weißfischfanges erzürnt hätte.

Nachdem die Vornehmen, Gäste Magnus Troils, so viel Zeit, als man erübrigen konnte, damit verbracht hatten, das kleine Geschwader in See gehen zu sehen, und mit den armen Frauen zu sprechen, welche ihre Freunde sich hatten einschiffen sehen, begannen sie, sich in einzelne Gruppen und Haufen zu vertheilen, welche nach verschiedenen Richtungen umher schlenderten, wie die Laune es ihnen eingab, um das Halbdunkel eines shetländischen Sommertages zu genießen, der, wenn ihm auch jeder helle Sonnenschein mangelt, andere Länder während der schönen Jahreszeit belebt, doch etwas eigenthümlich Mildes und Angenehmes hat, was einer Landschaft, die in ihrer eigenen, einsamen, kahlen Einförmigkeit etwas Unfreundliches und Todtes an sich trägt, neben dem düstern, auch zugleich einen sanften Ton gibt.

An einer der einsamsten Stellen der Küste, wo ein tiefer Einschnitt in den Felsen der Fluth Eingang in die Höhle, oder den sogenannten Helier von Swartaster, gestattet, ging Minna Troil mit Capitain Cleveland. Sie hatten wahrscheinlich diesen Weg gewählt, um nicht von Andern unterbrochen zu werden, denn da die Gewalt der Fluth diesen Ort zum Fischen und zum Segeln untauglich machte, war er nicht die gewöhnliche Zufluchtsstätte der Spaziergänger, weil der Sage nach hier eine Meerjungfrau wohnte, ein Geschlecht, dem der alte norwegische Aberglaube sowohl übernatürliche Eigenschaften, als die Sucht zu schaden, beilegte. Hier wandelte Minna deßhalb mit ihrem Geliebten.

Ein kleiner Fleck milchweißen Sandes, der sich unter einem der Abhänge hinzog, welche die Bucht zu beiden Seiten eingeschlossen, gewährte ihnen Raum zu einem trockenen, festen und angenehmen Spaziergange, von ungefähr 400 Yards Länge, welcher an einem Ende von einem dunkeln Wasserstreifen begränzt wurde, der, kaum vom Winde berührt, spiegelglatt war, und den man zwischen den beiden hohen Felsen, den Armen der Bucht oder des Einschnittes, erblickte, welche sich oben einander näherten, als ob sie sich über dem dunkeln Gewässer, das sie trennte, schließen wollten. Das andere Ende des Spazierganges bildete ein hoher und beinahe unersteiglicher Abhang, der Aufenthaltsort von hundert Seevögeln, verschiedener Art, an dessen Fuße der gewaltige Helyer oder die Meereshöhle selbst sich öffnete, als ob er die gegen ihn sich heranwälzende Fluth, die er in einen Abgrund von unermeßlicher Tiefe und Breite aufnahm, verschlingen wollte. Den Eingang zu dieser furchtbaren Höhle bildete nicht ein einzelner großer Bogen, wie gewöhnlich, sondern dieser war in der Mitte durch einen gewaltigen Pfeiler von natürlichem Fels getheilt, der bis zu der Decke der Höhle hinauf reichte, diese zu tragen schien, und so ein doppeltes Portal für den Helyer bildete, welchem die Fischer und Bauern den derben Namen, die Nasenlöcher des Teufels gegeben hatten. An diesem wilden Orte der Einsamkeit, die nur durch das Geschrei der Seevögel unterbrochen wurde, hatten sich Cleveland und Minna Troil schon mehr als einmal gefunden, denn es war Minna's Lieblingsspaziergang, indem die Gegenstände, die sie hier vor Augen hatte, mit ihrer Vorliebe für das Wilde, das Schwermüthige und Wundervolle ganz besonders übereinstimmten. Aber die Unterhaltung, in welcher sie jetzt sehr ernstlich begriffen war, zog sowohl ihre eigene Aufmerksamkeit, als die ihres Begleiters, ganz von der Umgebung ab.

»Ihr könnt es nicht läugnen,« sagte sie, »Ihr habt gegen den jungen Mann Gefühlen Raum gegeben, welche sowohl von Vorurtheil als von Heftigkeit zeugen; das Vorurtheil ist ungerecht, wenigstens insoweit es Euch betrifft, und die Heftigkeit ist eben so unbesonnen, als nicht zu rechtfertigen.«

»Ich hätte gedacht,« antwortete Cleveland, »daß der Dienst, den ich ihm gestern leistete, mich von einem solchen Vorwurfe freisprechen müßte. Ich rede hier nicht von dem, was ich selbst gewagt habe, denn ich habe beständig in Gefahren gelebt und liebe sie; aber nicht Jeder würde sich so nahe an das wüthende Thier herangewagt haben, um einen Menschen zu retten, der ihn durchaus nichts anging.«

»Allerdings,« antwortete Minna sehr ernst, »würde das nicht Jeder gethan haben, aber gewiß Jeder, der Muth und ein edles Herz hat. Der tollköpfige Claudius Halcro würde eben das gethan haben, wäre seine Stärke seinem Muthe gleich gewesen – mein Vater würde ebenfalls nicht zurückgeblieben sein, ungeachtet er gegen den jungen Mann, wegen seines eiteln und prahlerischen Mißbrauches unserer Gastfreundschaft so gerechte Ursache zum Unwillen hatte. Brüstet Euch also mit Eurer That nicht zu sehr, mein guter Freund, damit ich nicht glauben muß, daß sie Euch zu große Ueberwindung gekostet habe. Ich weiß, das Ihr Mordaunt Mertoun nicht liebt, obgleich Ihr Euer Leben gewagt habt, das seine zu retten.«

»So wollt Ihr mir denn gar keine Entschädigung für die lange Pein gewähren, die das allgemeine und bestimmte Gerücht mir verursacht hat, daß dieser unbärtige Vogeljäger zwischen mir und dem stehe, was mir auf Erden das höchste Gut ist – die Zuneigung Minna Troils?«

Er sprach diese Worte mit einem leidenschaftlichen und zugleich einschmeichelnden Tone, und seine ganze Sprache und Weise schienen eine Anmuth und Zierlichkeit zu verrathen, welche den auffallendsten Gegensatz zu der Rede und den Geberden des rohen Seemannes bildeten, die er gewöhnlich annahm oder zeigte. Allein seine Entschuldigung genügte Minna nicht.

»Ihr wußtet,« sagte sie, »und vielleicht nur zu bald und zu wohl, wie wenig Ihr zu fürchten hattet, wenn Ihr überhaupt je es fürchtetet, daß Mertoun oder irgend Jemand anderes, Minna Troil etwas gälte. – Nein, keinen Dank, keine Betheuerungen; ich würde es als den größten Beweis Eurer Dankbarkeit ansehen, wenn Ihr Euch mit diesem Jünglinge versöhnen, oder doch wenigstens alle Veranlassung zum Zwiste mit ihm vermeiden wolltet.«

»Daß wir je Freunde werden sollten, Minna, ist unmöglich,« erwiderte Cleveland; »selbst die Liebe, die ich zu Euch hege, die mächtigste Regung, die mein Herz je kannte, würde dieses Wunder niemals bewirken können.«

»Und warum nicht?« sagte Minna. »Ihr habt einander nicht beleidigt, sondern euch vielmehr gegenseitig die größten Dienste erwiesen; warum solltet ihr also nicht Freunde werden können? – Ich habe mehr als einen Grund, dieß zu wünschen.«

»Und könnt Ihr vergessen, wie er Brenda, wie er Euch selbst, wie er Euer ganzes Haus behandelt hat?«

»Alles das vergebe ich ihm,« sagte Minna, »und Ihr solltet das nicht ebenfalls thun können, da er Euch doch in der That nichts Böses zugefügt hat?«

Cleveland sah zur Erde und hielt einen Augenblick inne, dann hob er sein Haupt empor und entgegnete: »Ich könnte Euch leichter hintergehen, Minna, und Euch versprechen, was eine Unmöglichkeit ist, wie meine Seele sagt: allein ich muß mich so oft gegen Andere verstellen, daß ich gegen Euch ganz aufrichtig sein will. Ich kann dieses jungen Mannes Freund nicht sein; – es ist eine natürliche Abneigung, ein instinktartiger Widerwille, ein gewisses Etwas, das in unsern beiden Gemüthern liegt, und uns, Einen den Andern, zuwider macht. Fragt ihn selbst, und er wird Euch sagen, daß er dieselbe Abneigung gegen mich hegt. Die Verpflichtung, die er mir auferlegte, war ein natürlicher Zwang für meinen Groll: aber dieser Zwang erbitterte mich so, daß ich in die Kette gebissen haben könnte, bis meine Lippen blutig gewesen wären.«

»Ihr habt Eure eiserne Maske, wie Ihr sie nennt, so lange getragen,« antwortete Minna, »daß Eure Züge, selbst wenn Ihr sie abnehmt, noch das Starre derselben behalten.«

»Ihr thut mir unrecht, Minna, und Ihr seid böse auf mich, weil ich offen und gerade gegen Euch bin. Offen und gerade heraus will ich aber auch sagen, daß ich nicht Mertouns Freund sein kann, daß es aber auch seine, und nicht meine Schuld ist, wenn ich je sein Feind werde. Ich will ihm nicht zu nahe treten, allein fordert nicht von mir, daß ich ihn lieben soll. Seid aber auch überzeugt, daß es vergeblich sein würde, wenn ich mich bemühte, dieß zu thun, denn sobald ich Schritte thäte, mir sein Vertrauen zu erwerben, würde ich eben dadurch seinen Widerwillen und seinen Verdacht erwecken. Ueberlaßt uns den Eingebungen unserer natürlichen Gefühle, die uns wahrscheinlich so weit als möglich von einander entfernt halten, und so auch unser mögliches Zusammentreffen verhindern werden. Genügt Euch dieß?«

»Es muß wohl,« sagte Minna, »da Ihr mir versichert, es gebe kein anderes Mittel. Sagt mir jetzt aber, warum Ihr so ernsthaft wurdet, als Ihr von der Ankunft Eures zweiten Schiffes hörtet, denn das ist es doch wohl, welches im Hafen von Kirkwall liegt?«

»Ich fürchte,« erwiderte Cleveland, »daß die Ankunft dieses Schiffes mit seiner Mannschaft, meine schönsten Hoffnungen zertrümmert. Ich war schon auf dem besten Wege mir Eures Vaters Gunst zu erwerben, und würde darin vielleicht mit der Zeit noch größere Fortschritte gemacht haben, wäre nicht Hawkins hieher gekommen, um alle meine Absichten auf immer zu zerstören. Ich habe Euch erzählt, wie die Sachen standen, als wir uns trennten. Ich führte das bessere und vollständiger ausgerüstete Schiff, mit einer Mannschaft, die sich auf meinen leisesten Wink dem Teufel entgegen geworfen haben würde, der mit seinem eigenen feurigen Element bewaffnet gewesen wäre; jetzt aber stehe ich allein da, ein einzelner Mann, aller Mittel entblößt, sie im Zaum zu halten, und sie werden bald den unbezähmbaren Uebermuth in ihren Sitten und Gewohnheiten so deutlich an den Tag legen, daß wahrscheinlich ihr und mein Untergang die Folge davon sein muß.«

»Fürchtet nichts,« sagte Minna; »mein Vater wird nie so ungerecht sein, Euch die Vergehungen Anderer zur Last zu legen.«

»Aber was wird Magnus Troil zu den meinigen sagen, schöne Minna?« sagte Cleveland lächelnd.

»Mein Vater ist ein Shetlander oder vielmehr eigentlich ein Norweger,« sagte Minna; »von einem unterdrückten Geschlecht, und wird sich nicht darum kümmern, ob Ihr gegen die Spanier fochtet, die Tyrannen der neuen Welt, oder gegen die Holländer und Engländer, welche deren angemaßte Besitzungen an sich gerissen haben. Seine eigenen Vorfahren vertheidigten und benutzten die Freiheit der Meere auf jenen tapfern Schiffen, deren Wimpel der Schrecken von ganz Europa war.«

»Ich fürchte indeß,« sagte Cleveland lächelnd, »daß der Abkömmling eines alten Seekönigs einen neueren Seeräuber für keine passende Bekanntschaft halten wird. Ich habe Euch kein Geheimniß daraus gemacht, daß ich Ursache habe, die Strenge der englischen Gesetze zu fürchten: Magnus hat, wenn er gleich ein Feind aller Topen, Auflagen, Scatt, Wattle, und so weiter ist, doch bei Punkten von allgemeinerer Bedeutung keine freisinnigen Ansichten, und würde ohne Bedenken zum Besten eines unglücklichen Buccaniers ein Tau um die Nacke einer Raa schlingen.«

»Glaubt das nicht,« sagte Minna; »er selbst leidet zu viel unter den tyrannischen Gesetzen unserer stolzen schottischen Nachbarn. Ich hoffe, er wird bald kräftig gegen sie aufstehen können. – Die Feinde – denn so muß ich sie nennen – sind jetzt uneins unter einander, und jedes Schiff, das von ihrer Küste kömmt, bringt Nachricht von neuen Zwistigkeiten der Hochlande gegen das Niederland – der Wilhelmiten gegen die Jacobiten – der Whigs gegen die Tories, und, um es mit einem Worte zu sagen, des Königreichs England gegen das Königreich Schottland. Was hindert uns also, wie Claudius Halcro sehr gut andeutete, die Zwietracht dieser Räuber zu benutzen, um die Unabhängigkeit zu erlangen, deren wir jetzt entbehren?«

»Die schwarze Fahne auf dem Castell von Scallovay aufzupflanzen,« sagte Cleveland, ihren Ton und Ausdruck nachahmend, »und Euren Vater als Graf Magnus den Ersten auszurufen!«

»Graf Magnus den Siebenten, wenn es Euch beliebt,« erwiderte Minna, »denn sechs seiner Vorfahren haben schon vor ihm die Grafenkrone getragen – Ihr lacht über meine Bewegung, aber wo ist irgend etwas, was das Alles verhindern könnte?«

»Nichts wird es verhindern, weil es nie unternommen werden wird; aber jedes Ding, das dem Langboote eines englischen Kriegsschiffes ähnlich ist, könnte es verhindern.«

»Ihr spottet unserer,« erwiderte Minna, »allein Ihr selbst werdet am besten wissen, was einige wenige entschlossene Leute ausrichten können.«

»Ja, Minna, aber sie müssen bewaffnet sein, und entschlossen ihr Leben an jedes Wagestück sehen. Macht Euch nicht solche Traumbilder. Dänemark ist zu einem Königreiche zweiter Größe herabgesunken, das gegen England keine einzige volle Lage wagen kann, und auf diesen Inseln ist die Liebe zur Unabhängigkeit durch lange Unterdrückung entweder schon ganz erloschen, oder sie zeigt sich nur in einigen Klagen bei der Bowle oder der Flasche, zwischen den Zähnen gebrummt. Und wenn auch Eure Leute so tapfere Krieger wären, als ihre Vorfahren, was könnte die unbewaffnete Mannschaft einiger weniger Fischerboote gegen die brittische Seemacht ausrichten? Denke nicht mehr daran, süße Minna, es ist ein Traum, und ich muß ihn so nennen, so sehr deine Augen dabei blitzen, so stolz auch dein Schritt dabei werden mag.«

»Ja es ist ein Traum!« sagte Minna, indem sie zur Erde niedersah, »und es ziemt sich nicht für eine Tochter des Hialtlandes, wie ein freies Weib auszusehen, oder sich zu bewegen; – unser Auge sollte zu Boden geschlagen – unser Schritt langsam und zögernd sein, wie der eines jeden Menschen, der einem Aufseher gehorcht.«

»Es gibt Länder,« sagte Cleveland, »wo das Auge hell auf Palmen und Kokoswälder blickt, und der Fuß wie eine Galeere unter Segel, über Felder, die mit Blumen besäet sind, leicht dahin schweben kann, und über Savannahs, die von süßduftenden Gebüschen umgeben sind, wo Niemand dem Andern unterthan ist, wo der Brave dem Bravsten, und wo Alle der Schönsten gehorchen.«

Minna zögerte einen Augenblick, ehe sie antwortete, und sagte dann: »Nein, Cleveland, mein eigenes rohes Vaterland, für so öde Ihr es auch halten mögt, und so unterdrückt es wirklich ist, hat Reize für mich, die kein anderes Land auf der Erde mir ersetzen kann. Vergebens suche ich mir diese Gebilde von Bäumen und von Wäldern vorzuzaubern, die mein Auge nie sah; meine Einbildungskraft kann kein großartigeres Schauspiel erdenken, als diese Wellen, wenn der Sturm sie bewegt, kein schöneres, als wenn sie, wie jetzt, in erhabener Ruhe sich gegen das Ufer wälzen. Nicht die üppigste Gegend in einem fremden Lande, nicht der helleste Sonnenstrahl, der je die reichste Landschaft beschien, würde meine Gedanken nur einen Augenblick von jenen hohen Felsen, jenem nebelbedeckten Hügel, jenem wogenden Meere abziehen können. Hialtland ist das Vaterland meiner dahingeschiedenen Vorfahren und meines noch lebenden Vaters, und auf Hialtland will ich leben und sterben.«

»So will ich auch,« antwortete Cleveland, »auf Hialtland leben und sterben. Ich will nicht nach Kirkwall gehen – ich will meine Kameraden nicht wissen lassen, daß ich lebe, da ich mich sonst schwerlich von ihnen würde losmachen können. Dein Vater liebt mich, Minna; wer weiß, ob nicht lang fortgesetzte Aufmerksamkeit, beflissene Sorge von meiner Seite, ihn endlich dahinbringen, mich in seine Familie aufzunehmen? Wer wird sich um die Länge einer Seereise kümmern, wenn man sicher ist, daß sie sich mit Glück endet?«

»Träumt nicht von einem solchen Ausgange,« sagte Minna, »es ist unmöglich. So lange Ihr in meines Vaters Hause wohnt, seines Beistandes genießt, an seinem Tische sitzt, werdet Ihr einen edelmüthigen Freund, einen aufrichtigen Wirth an ihm haben; rührt ihn aber da an, wo sein Name und seine Familie mit in's Spiel kommen, und der offene, unbefangene Udallar wird als der hochfahrende, stolze Nachkomme eines norwegischen Jarls vor Euch stehen. Seht, nur der Verdacht eines Augenblicks ist auf Mordaunt Mertoun gefallen, und er hat aus seinem Herzen den Jüngling verbannt, den er einst wie einen Sohn liebte. Mit seinem Hause kann sich Niemand verbinden, der nicht von unbefleckter nordischer Abkunft ist.«

»Und das bin ich vielleicht, so viel mir wenigstens darüber bekannt ist,« sagte Cleveland.

»Wie?« sagte Minna, »habt Ihr irgend einen Grund, zu glauben, daß Ihr norwegischer Abkunft seid?«

»Ich habe Euch schon früher gesagt,« erwiderte Cleveland, »daß mir meine Familie gänzlich unbekannt ist. Ich verlebte meine frühesten Tage auf einer einsamen Pflanzung, auf der kleinen Insel Tortuga, unter der Aufsicht meines Vaters, welcher damals ein ganz anderer Mann war, als er später wurde. Wir wurden von den Spaniern ausgeplündert und dadurch so arm, daß mein Vater, aus Verzweiflung und aus Durst nach Rache, zu den Waffen griff, und nachdem er sich an die Spitze eines kleinen Haufens von Leuten gestellt hatte, die sich in den nämlichen Umständen befanden, ein sogenannter Buccanier wurde und gegen die Spanier kreuzte, und nach manchem Wechsel von Glück und Unglück, als er einst einer Gewaltthätigkeit seiner Gefährten Einhalt thun wollte, von ihren Händen fiel – kein ungewöhnliches Schicksal bei den Capitains dieser Räuber. Woher aber mein Vater gekommen, oder welches sein Geburtsort war, weiß ich nicht, schöne Minna, und habe mich auch nie sonderlich darum bekümmert.«

»Er war aber doch ein Engländer, Euer unglücklicher Vater?« sagte Minna.

»Ich zweifle nicht daran,« erwiderte Cleveland; »sein Name, den ich so furchtbar gemacht habe, daß ich ihn nicht nennen darf, ist englisch, und seine Bekanntschaft mit der englischen Sprache und selbst mit der englischen Literatur, so wie die Mühe, die er sich in besseren Tagen gab, mich mit beiden bekannt zu machen, waren ein deutlicher Beweis, daß er ein Engländer sei. Wenn das rohe Wesen, das ich gegen Andere annehme, nicht der wahre Charakter meines Gemüthes und meiner Sitten ist, Minna, so danke ich meinem Vater jene besseren Ansichten und Grundsätze, welche mich vielleicht Eurer Aufmerksamkeit und Eures Wohlwollens würdig gemacht haben. Und doch kömmt es mir zuweilen selbst vor, als ob ich zwei verschiedene Wesen in mir vereinigte; denn ich kann es beinahe nicht als möglich denken, daß der, welcher jetzt an diesem einsamen Ufer mit der lieblichen Minna Troil wandelt, je der unternehmende Anführer der tollkühnen Bande gewesen sei, deren Namen so schrecklich als ein Wirbelwind war.«

»Ihr hättet Euch diese kühne Sprache gegen die Tochter Magnus Troils nie erlauben dürfen,« sagte Minna, »wäret Ihr nicht der tapfere und unerschrockene Anführer gewesen, der mit so geringen Mitteln seinen Namen so furchtbar zu machen gewußt hat. Mein Herz ist wie das einer Jungfrau aus alter Zeit, das man nicht durch glatte Worte, sondern nur durch tapfere Thaten gewinnen kann.«

»Ach! dieß Herz,« sagte Cleveland – »und was soll ich – was kann ein Mann thun, um es sich so geneigt zu machen, als mein sehnlicher Wunsch ist?«

»Geht zu Euren Freunden – verfolgt Euer Glück, und überlaßt das Uebrige dem Schicksale,« sagte Minna. »Und wenn Ihr, als der Anführer einer tapfern Flotte zurückkehrt, wer weiß, was dann geschieht?«

»Und wer bürgt mir dafür, daß ich, wenn ich zurückkehre – wenn dieß je geschieht – Minna Troil nicht als Braut oder Gattin finde? Nein Minna, ich will dem Schicksale nicht den einzigen des Erreichens würdigen Gegenstand anvertrauen, den ich auf meiner stürmischen Lebensreise gefunden habe.«

»Hört mich an,« sagte Minna. »Ich will mich, wenn Ihr ein solches Verlöbniß annehmen zu dürfen glaubt, durch Odins Eid verpflichten, die heiligste unserer nordischen Feierlichkeiten, die noch bei uns im Gebrauche ist, daß ich nie eines Andern Bewerbung Gehör geben will, bis Ihr den Ansprüchen, die ich Euch eingeräumt habe, selbst entsagt. Genügt Euch das? – Mehr kann, mehr will ich nicht zugestehen.«

»So muß ich mich denn wohl damit begnügen,« sagte Cleveland nach einer augenblicklichen Pause, »bedenkt aber wohl, daß Ihr es selbst seid, die mich zu einer Lebensart zurücksendet, welche die englischen Gesetze als verbrecherisch betrachten, und welche die heißen Leidenschaften der kühnen Abenteurer, die sie ergriffen, zur Schande machen.«

»Ich bin über diese Vorurtheile erhaben,« sagte Minna. »Im Kriege mit England begriffen, sehe ich seine Gesetze nicht anders an, als ob Ihr mit einem Feinde zu thun hättet, der in der Fülle seiner Macht und seines Stolzes erklärt hat, er werde seinem Gegner keinen Pardon geben. Ein braver Mann wird sich deßwegen nicht weniger tapfer schlagen, und was die Sitten Eurer Kameraden betrifft, wie könnte Euch ihr übler Ruf schaden, wenn Ihr sie Euch nur nicht aneignet?«

Cleveland blickte sie, während sie sprach, mit einer Art von staunender Bewunderung an, hinter der indeß zugleich ein Lächeln über ihre Einfalt lauerte.

»Ich hätte nimmermehr geglaubt,« sagte er, »daß ein so hoher Muth Hand in Hand mit einer so großen Unbekanntschaft der Welt, wie sie jetzt ist, gehen könnte. Was meine Sitten betrifft, so werden die, welche mich am besten kennen, zugeben müssen, daß ich alles Mögliche gethan habe, auf Kosten meiner Beliebtheit, ja, mit Gefahr meines Lebens selbst, die Wildheit meiner Schiffsgefährten zu zähmen; wie könnt Ihr aber verlangen, daß Leute, die von Rachsucht gegen die Welt erfüllt sind, welche sie ausgestoßen hat, menschliche Gesinnungen annehmen sollen, oder daß sie lernen sollen, die Vergnügungen, welche ihnen der Zufall entgegenführt, um in ein Leben, das sonst nur eine unterbrochene Reihe von Gefahren und Mühseligkeiten wäre, Abwechselung zu bringen, mit Mäßigung und Besonnenheit zu genießen? – Aber dieß Versprechen, Minna, welches Alles ist, was ich als Belohnung für meine treue Anhänglichkeit zu erwarten habe – läßt mich wenigstens keine Zeit verlieren, es für mich in Anspruch zu nehmen.«

»Es darf hier nicht gethan werden, sondern in Kirkwall. – Wir müssen zum Zeugen des Verlöbnisses den Geist anrufen, welcher den alten Greis von Stennis bewacht. Vielleicht aber fürchtet Ihr Euch, den alten Vater der Erschlagenen zu nennen, den Furchtbaren?«

Cleveland lächelte. »Erweiset mir die Gerechtigkeit, liebliche Minna, zu glauben, daß ich vor nahen Schrecken selten zittere, und für die, welche nur Gebilde der Einbildungskraft sind, gar keine Sympathie hege.«

»Ihr glaubt also nicht daran,« sagte Minna, »und würdet in dieser Beziehung besser zu Brenda's Geliebten, als zu dem meinigen passen.«

»Gut,« sagte Cleveland, »so glaube ich an Alles, woran Ihr glaubt. Die sämmtlichen Bewohner Walhalla's, worüber Ihr so viel mit dem geigenden, reimenden Narren, Claudius Halcro, spracht – alle diese will ich, gläubig, als wirklich lebende und vorhandene Wesen annehmen. Aber, Minna, verlangt nicht, daß ich Einen von ihnen fürchten soll.«

»Fürchten! nein – fürchten sollt Ihr sie nicht,« antwortete das Mädchen; »denn selbst vor Thor und Odin, wenn sie in der ganzen Größe ihrer Schrecknisse nah'ten, wichen die Helden meines unverzagten Stammes nie auch nur einen Schritt breit zurück. Wenn Ihr Euch aber so brüstet, so solltet Ihr bedenken, daß Ihr einen Feind einer Art herausfordert, wie sie Euch noch nicht gegenüber gestanden haben.«

»Wenigstens nicht unter diesen nördlichen Breiten,« sagte der Geliebte lächelnd, »wo ich bis jetzt nur Engel gesehen habe; aber ich habe zu meiner Zeit die Dämonen des Wendekreises mir gegenüber gehabt, welche wir Seeräuber für eben so mächtig und so boshaft halten, als die des Nordens.«

»So habt Ihr also auch die Wunder gesehen, welche außerhalb der sichtbaren Welt liegen?« fragte Minna mit einer Art Beklemmung.

Cleveland nahm die Miene des Ernstes an, und erwiderte: »Kurz vor meines Vaters Tode erhielt ich, obgleich ich noch sehr jung war, den Befehl über eine Schaluppe, welche mit dreißig so verwegenen Kerlen besetzt war, als wohl je eine Muskete handhabten. Wir kreuzten lange mit schlechtem Erfolge, und bekamen nichts, als elende, kleine Schiffe, welche entweder auf den Schildkrötenfang ausgingen, oder sonst mit schlechtem, werthlosem Zeuge befrachtet waren. Es kostete mir viele Mühe, meine Kameraden abzuhalten, an der Mannschaft dieser lumpigen kleinen Fahrzeuge für die getäuschte Erwartung Rache zu nehmen. Endlich verloren wir aber die Geduld, und landeten in der Gegend eines Dorfes, wo wir, wie man uns gesagt hatte, die mit Schätzen beladenen Maulesel eines spanischen Gouverneurs auffangen konnten. Wir nahmen den Ort ein, während ich aber die Einwohner gegen die Wuth meiner Begleiter zu schützen suchte, entwischten die Mauleseltreiber mit ihrer kostbaren Ladung in das nächste Holz. Dieß füllte das Maaß meiner Unbeliebtheit. Meine Leute, die schon lange unzufrieden gewesen waren, lehnten sich jetzt förmlich gegen mich auf: ich wurde in einem von ihnen gehaltenen Rathe meines Oberbefehls entsetzt, und verurtheilt, da ich für mein Handwerk zu wenig Glück und zu viel Menschlichkeit hätte, maronirt zu werden Einen Seemann maroniren, heißt, ihn auf einer einfachen Küste oder Eiland aussetzen, eine Grausamkeit, die von Seeräubern und Piraten oft begangen wurde., wie es heißt, und zwar auf einer der kleinen sandigen, bewachsenen Inseln, welche man in Westindien Keys nennt, und welche nur den Schildkröten und Seevögeln zum Aufenthalte dienen. Viele dieser Inseln sollen von Geistern heimgesucht werden – einige von den Dämonen, welche die alten Einwohner verehrten – andere von Caziken und andern Indianern, die von den Spaniern zu Tode gefoltert wurden, um ihnen das Geständniß abzupressen, wo sie ihre Schätze verbargen; noch andere von den verschiedenen Gespenstern, an welche Seeleute aller Völker unbedingt glauben. Mein Verbannungsort, Coffin-Key genannt, der ungefähr dritthalb Seemeilen südöstlich von den Bermudas lag, war als der Aufenthaltsort dieser übernatürlichen Bewohner so sehr berüchtigt, daß ich glaube, der Reichthum von Mexico würde den bravsten von den Schurken, die mich dort aussetzten, nicht haben bewegen können, selbst bei hellem Tage nur eine Stunde allein auf der Insel zu bleiben; und als sie vom Lande abstießen, ruderten sie mit einer solchen Anstrengung, daß sie es nicht einmal wagten, zu dem Eilande zurückzublicken. Hier ließen sie mich also zurück, und ich mußte nun sehen, wie ich mich auf einem unfruchtbaren Sandflecke, von dem unermeßlichen Weltmeere umgeben, und wie Jene glaubten, von bösen Geistern bewohnt, zu ernähren vermöchte.«

»Und was geschah?« fragte Minna begierig.

»Ich fristete mein Leben,« antwortete der Abenteurer, »auf Kosten der Vögel, die mit Recht Seevögel genannt werden, da sie einfältig genug waren, mir so nahe zu kommen, daß ich sie mit einem Stocke todtschlagen konnte, und mit Schildkröteneiern, als jene gutmüthigen Vögel die Hinterlist des Menschengeschlechtes kennen lernten, und mich daher nicht mehr so nahe kommen ließen.«

»Und die Dämonen, von denen Ihr sprachet?« fuhr Minna fort.

»Ich hatte ihretwegen meine geheimen Besorgnisse,« sagte Cleveland; »sowohl bei hellem Tage, als wenn es ganz finster war, fürchtete ich mich eben nicht sehr vor ihnen; allein in der nebelichten Morgendämmerung, oder wenn der Abend hereinbrach, sah ich, in der ersten Woche meines Aufenthaltes auf dem Key, manches bleiche vorübergleitende Gespenst. Bald glich es einem Spanier in einem rund um ihn geschlagenen Mantel, und mit gewaltigem Hute, so groß wie ein Sonnenschirm, auf dem Kopfe – bald einem holländischen Matrosen mit seiner rauhen Mütze und seinen Pluderhosen – bald einem indianischen Caziken, mit seinem Hauptschmucke von Federn, und seinem Speer von Rohr.«

»Und nähertet Ihr Euch nie, sie anzureden?« fragte Minna.

»Ich näherte mich ihnen jedesmal,« erwiderte der Seemann, »allein – es thut mir leid, meine schöne Freundin, daß ich Eure Erwartungen nicht befriedigen kann – sobald ich näher kam, verwandelte sich die Erscheinung in einen Busch, ein Stück Treibholz, einen Nebelstreifen oder sonst etwas, bis ich mich endlich durch die Erfahrung von der Thorheit überzeugte, mich länger von solchen Gebilden täuschen zu lassen, und nur der einsame Bewohner von Coffin-Key blieb, der so wenig von Schrecken der Einbildungskraft beunruhigt wurde, als ob er in der großen Kajüte eines tüchtigen Schiffs von einem Dutzend Gefährten umgeben gewesen wäre.«

»Ihr spanntet meine Aufmerksamkeit, um mir nachher etwas ganz Gewöhnliches zu erzählen,« sagte Minna; »aber wie lange bliebt Ihr auf der Insel?«

»Vier Wochen einer elenden Existenz,« sagte Cleveland, »bis mich die Mannschaft eines Schiffes erlöste, das auf den Schildkrötenfang dahin kam. Meine traurige Abgeschiedenheit blieb indeß nicht ohne Nutzen für mich; denn auf diesem dürren Sandflecke fand ich die eiserne Larve, welche mich seitdem mit Erfolg gegen Verrath oder Meuterei meiner Gefährten geschützt hat. Hier war es, wo ich den Entschluß faßte, nicht weichherziger, nicht besser unterrichtet, nicht menschlicher, nicht gewissenhafter zu erscheinen, als die, mit denen mich das Schicksal zusammengeführt hatte. Ich dachte über mein früheres Leben nach, und fand, daß es mir Gewalt und Ehrerbietung erworben hatte, so lange ich kühner, gewandter und unternehmender, als Andere, erschienen war, daß es mir aber, sobald man bemerkte, daß ich milder und gebildeter wie sie war, als einem Wesen anderer Gattung nur Neid und Haß zuzog. Ich sah daher ein, da ich die Ueberlegenheit, welche Geist und Erziehung mir verliehen, nicht entäußern könnte, würde es besser sein, mich zu verstellen, und unter der Hülle des rohen Seemannes allen Schein feinerer Gefühle und größerer Bildung zu verbergen. Ich sah voraus, was auch nachher eingetroffen ist, daß ich unter dem Anschein einer rücksichtslosen Härte eine solche Gewalt über meine Gefährten erringen würde, daß ich mich derselben zur Aufrechthaltung der Mannszucht und zur Erleichterung des Schicksals der Unglücklichen, die in unsere Hände fielen, bedienen könnte. Kurz, ich begriff, daß ich mich, um Ansehen zu erhalten, wenigstens dem Aeußeren nach, denen ähnlich zu machen suchen müßte, über welche ich es ausüben wollte. Die Nachricht von dem Schicksale meines Vaters bestärkte mich in diesem Entschlusse, während sie mich zugleich zur Wuth und zur Rache anspornte. Auch er war das Opfer seiner Ueberlegenheit an Geist, an Sitte, an äußerem Betragen über die, welche er anführte, geworden. Sie pflegten ihn den Gentleman zu nennen, glaubten ohne Zweifel, daß er nur eine günstige Gelegenheit erwarte, sich vielleicht auf ihre Kosten mit den bestehenden Formen der Gesellschaft zu versöhnen, zu denen seine Handlungsweise am besten zu passen schien, und ermordeten ihn deßwegen. Natur und Gerechtigkeit forderten mich gleich dringend zur Rache auf. Bald stand ich an der Spitze eines neuen Haufens der Abenteurer, deren es auf jenen Inseln eine so große Anzahl gibt. Ich suchte die nicht auf, die mich selbst maronirt hatten, sondern die Elenden, die meinen Vater ermordeten, und an diesen übte ich eine so furchtbare Rache, daß dieß Beispiel allein hinreichte, mich in den Ruf der unerbittlichsten Grausamkeit zu bringen, den ich zu erlangen wünschte, und durch den sich vielleicht jener Zug meinem Charakter allmählig wirklich beimischte. Meine Sitten, meine Sprache, mein Benehmen schienen so ganz verändert, daß die, welche mich früher gekannt hatten, diese Umwandlung meinem Verkehr mit den Dämonen zuschreiben zu müssen glaubten, welche auf der Sandwüste von Coffin-Key hauseten, ja, Einige waren abergläubisch genug, zu behaupten, daß ich wirklich einen Bund mit ihnen geschlossen.«

»Ich zittere, das Uebrige zu hören,« sagte Minna; »wurdet Ihr nicht wirklich zu dem Ungeheuer von Kühnheit und Grausamkeit, dessen Charakter Ihr zum Schein annahmt?«

»Wenn ich es nicht geworden bin, so muß dieß Wunder Eurem Einflusse beigemessen werden, Minna. Wahr ist es, daß ich mich jederzeit mehr durch Handlungen der verwegensten Tapferkeit, als durch Pläne zur Rache und zur Plünderung ausgezeichnet habe, und daß ich manches Leben durch einen rohen Scherz zu retten suchte, zuweilen auch durch die unerhörte Härte der Maßregeln, die ich selbst vorschlug; daß ich meine Untergebenen dahin zu bringen wußte, bei mir Fürbitten zu Gunsten der Gefangenen einzulegen, so daß die scheinbare Strenge meines Charakters der Sache der Menschheit weit wesentlichere Dienste geleistet hat, als wenn ich selbst dem Scheine nach für sie eingenommen gewesen wäre.«

Hier hielt er inne, und Beide schwiegen einige Zeit lang, da Minna nicht ein Wort erwiderte. Endlich nahm Cleveland das Gespräch wieder auf.

»Ihr schweigt,« sagte er, »Miß Troil, und ich habe mir selbst in Eurer Meinung durch die Offenheit geschadet, mit welcher ich meinen Charakter vor Euch entfaltete. Ich kann wahrlich sagen, daß meine natürliche Gemüthsart durch die ungünstige Lage, in der ich mich befand, wohl eine andere Richtung erhalten hat, daß sie aber nicht ganz umgewandelt werden konnte.«

»Ich weiß nicht,« sagte Minna, nach einem augenblicklichen Bedenken, »ob Ihr so aufrichtig gewesen sein würdet, hättet Ihr nicht gewußt, daß ich Eure Kameraden bald sehen, und aus ihrer Unterhaltung und ihren Sitten bald selbst gefolgert haben würde, was Ihr mir sonst wohl gern verschwiegen hättet.«

»Ihr thut mir Unrecht, Minna, schreiendes Unrecht. Was durftet Ihr, von dem Augenblicke an, wo Ihr wußtet, daß ich ein Glücksritter, ein Abenteurer, ein Buccanier, oder wenn Ihr es bei dem rechten Namen nennen wollt, ein Pirat war, Geringeres erwarten, als was ich Euch erzählt habe?«

»Ihr habt nur zu Recht,« sagte Minna; »Alles das hätte ich voraussehen können, und ich weiß nicht, was ich Anderes erwartet haben sollte. Allein es schien mir, als ob ein Krieg gegen die grausamen und abergläubischen Spanier etwas Edles, Großes hätte – Etwas, das das schreckliche Gewerbe, dem Ihr so eben seinen wahren und furchtbaren Namen gabt, auf eine höhere Stufe stellte. Ich glaubte, daß die unabhängigen Krieger des westlichen Oceans, welche gleichsam aufgestanden sind, um die Unbilden so mancher gemordeten und geplünderten Stämme zu rächen, etwas von einer höheren Erhebung an sich tragen müßten, wie jene Söhne des Nordens, deren lange Galeeren an so manchen Küsten die Bedrückungen des entarteten Roms rächten ... das dachte, das träumte ich, – ich bin erwacht und enttäuscht. Euch messe ich jedoch die Verirrungen meiner eigenen Einbildungskraft nicht bei. Lebt wohl, wir müssen uns jetzt trennen.«

»So sagt mir wenigstens,« entgegnete Cleveland, »daß Ihr mich nicht haßt, weil ich Euch die Wahrheit gesagt habe.«

»Ich muß Zeit zur Ueberlegung haben,« erwiderte Minna, »Zeit, um zu erwägen, was Ihr mir gesagt habt, ehe meine Gefühle mir selbst klar werden. So viel kann ich aber schon jetzt sagen, daß der, welcher durch Blut und Grausamkeiten nur auf die Erreichung des schändlichen Zweckes, des Raubes, ausgeht, und der das, was in seiner Seele noch von Gewissen zurückgeblieben ist, unter dem äußern Scheine größerer Schlechtheit verbergen muß, der Geliebte nicht ist, und nicht sein kann, den Minna Troil in Cleveland zu finden erwartete, und wenn sie ihn noch liebt – so muß sie ihn als einen Büßenden lieben, nicht als einen Helden.«

Mit diesen Worten machte sie sich von ihm los (er hatte sie zurückzuhalten versucht), und machte ihm ein gebietendes Zeichen, ihr nicht zu folgen. »Sie ist fort,« sagte Cleveland, indem er ihr nachsah; »so wild und phantastisch sie auch ist, hatte ich dieß nicht erwartet – Sie schrak nicht zurück, als ich mein wildes, gefährliches Leben bei seinem wahren Namen nannte, und schien doch ganz unvorbereitet auf das Böse, welches nothwendigerweise damit verknüpft ist – und so ist denn alles Verdienst, – das ich mir durch meine Aehnlichkeit mit einem nordischen Kämpen, oder einem Seekönige erworben hatte, auf einmal dahin, – weil eine Bande Piraten kein Chor von Heiligen ist. Ich wollte, Rackam, Hawkins und alle Uebrigen wären in der Tiefe von Portland Race! Ich wollte, die Pentland-Frith hätte sie lieber in die Hölle, als nach Orkney getrieben! Indessen will ich doch diesen Engel nicht um alle diese Teufel aufgeben. Ich will – ich muß nach Orkney, ehe der Udallar hingeht – unser Zusammentreffen möchte selbst seinem schlichten Verstande verdächtig vorkommen, wenn gleich, Gott sei Dank, in diesem wilden Lande die Leute unser Gewerbe nur vom Hörensagen kennen, und zwar durch unsere guten Freunde, die Holländer, die von denen, durch die sie Geld verdienen, nie schlecht sprechen. – Nun, wenn Fortuna mich nur bei dieser schönen Schwärmerin begünstigt, so will ich ihrem Rade auch nicht weiter auf dem Meere nachgehen, sondern mich hier zwischen den Felsen niederlassen, so glücklich, als ob es Wälder von Pomanen und Zwergpalmen wären.«

Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die er halb in seinem Busen verbarg, halb durch unverständliche Ausrufungen und Gemurmel andeutete, kehrte der Pirat Cleveland nach dem Herrenhause von Burgh-Westra zurück.


 


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