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Sechstes Kapitel.

 

Von Land' zu Lande zieh' ich, wie die Nacht!
      Mir wurde zu sprechen die Macht!
Und wenn ich in Jemandes Antlitz schau', –
      Ob er mir entgehet, ob nicht: genau
Weiß dieß ich beim ersten Blick!

Colerdige.

 

Die Töchter Magnus Troils theilten mit einander ein Bett in der Stube, welche ihre Eltern vor dem Tode der Mutter bewohnt hatten. Magnus, welcher diese Schickung tief empfand, hegte einen Widerwillen gegen dieß Zimmer. Das ehemalige Brautgemach wurde den Pfändern seiner verwaiseten Neigung überlassen, von denen das älteste damals nur etwa vier Jahre alt war; und was ihre Kinderstube gewesen war, blieb auch jetzt, obgleich nach der neuesten Mode der Insel und nach dem Geschmacke der lieblichen Schwestern ausgeputzt und ausgeschmückt, ihr Schlafzimmer, oder, nach der alten norwegischen Art zu reden, ihre Laube.

Dieß Zimmer war Jahre lang der Schauplatz ihrer vertraulichsten Mittheilungen gewesen, wenn man das so nennen konnte, wo man sich nichts anzuvertrauen, keine Schwester ein Geheimniß hatte, und wo jeder Gedanke, der in der Brust der Einen entstand, ohne Zögern und Mißtrauen der Andern so unwillkürlich mitgetheilt wurde, als er emporgestiegen war. Seitdem indeß Cleveland in Burgh-Westra wohnte, hatte jede der lieblichen Schwestern ihre eigenen Gedanken gehegt, die man nicht so leicht anvertraut, wenn nicht die, welche ihnen Gehör gegeben, sich vorher überzeugt hat, daß ihre Mittheilung eine freundliche Aufnahme finden wird. Minna hatte bemerkt, was andern, weniger theilnehmenden Beobachtern entgangen war, daß Cleveland namentlich in Brenda's Augen weit weniger gelte, als in den ihrigen, und Brenda ihrerseits glaubte wieder, daß Minna sehr voreilig und ungerechterweise sich den Vorurtheilen hingegeben hätte, welche bei ihrem Vater gegen Mordaunt Mertoun entstanden waren. Jede von ihnen fühlte, daß sie in den Augen ihrer Schwester nicht mehr das sei, was sie sonst gewesen, und diese Ueberzeugung vermehrte auf unangenehme Weise das Peinliche der übrigen Besorgnisse, mit denen sie zu kämpfen hatten, wie sie glaubten. Ihr Betragen gegen einander war, dem Scheine nach, und nach all' den kleinen Aufmerksamkeiten, worin sich die Liebe ausspricht, noch unermüdeter liebevoll, als vorher. Beide überzeugt, daß ihre innerliche Zurückhaltung ein Bruch der schwesterlichen Einigkeit sei, schienen dieß durch verdoppelte Aufmerksamkeit in Beweisen äußerlicher Zuneigung wieder gut machen zu wollen, welche in früherer Zeit, wo sie nichts zu verbergen hatten, hätten unterbleiben können, ohne daß daraus irgend eine Folgerung zu ziehen gewesen wäre.

Ganz vorzüglich fühlbar wurde den Schwestern die Abnahme ihres gegenseitigen Vertrauens an dem Abende, von welchem oben die Rede war. Die bevorstehende Reise nach Kirkwall, und zwar zur Zeit des Marktes, wohin Leute aus allen Ständen von den Inseln, entweder in Geschäften, oder zum Vergnügen kommen, mußte eine bedeutungsvolle Begebenheit in ihrem gewöhnlich so einfachen und einförmigen Leben werden, und noch vor wenigen Monaten würden Minna und Brenda die halbe Nacht kein Auge geschlossen, sondern mit einander von dem geplaudert haben, was sich bei einem so wichtigen Anlasse alles ereignen könne. Jetzt aber wurde die Sache nur so obenhin erwähnt und gleich wieder übergangen, als ob sie leicht Zwiespalt zwischen ihnen hervorbringen, oder eine freiere Eröffnung ihrer verschiedenen Ansichten zur Folge haben könnte, als Jede von ihnen der Andern zu machen Willens war.

Indeß war doch ihre natürliche Offenheit und Gutmüthigkeit so groß, daß jede Schwester sich selbst die Schuld der Entfremdung beimaß, die unter ihnen stattzufinden schien; und als sie nach Verrichtung ihrer Andacht ihr gemeinschaftliches Lager eingenommen hatten, einander in die Arme schlossen, und sich mit einem schwesterlichen Kusse gute Nacht wünschten, schien Jede die Andere um Verzeihung zu bitten und ihr Verzeihung zu gewähren, obgleich Keine der Andern irgend ein beleidigendes Wort gesagt hatte; und Beide sanken bald in den leichten und doch tiefen Schlummer, welcher nur auf die Augen der Jugend und der Unschuld herabsinkt.

In der Nacht, deren die Erzählung erwähnt, hatten beide Schwestern Träume, welche zwar durch die Denkweise und Gewohnheiten der Schläferinnen eine verschiedene Färbung erhielten, aber gleichwohl eine sonderbare Aehnlichkeit mit einander hatten.

Minna träumte, daß sie sich an einer der einsamsten Gegenden der Bucht befände, Swartaster genannt, wo das unaufhörliche Anschlagen der Wogen, welche einen Kalkfelsen aushöhlten, einen tiefen Halier gebildet hatten, das heißt, nach der Landessprache, eine unterirdische Höhle, in welche die Wogen ebben und fluthen. Viele von diesen Höhlen gehen bis zu einer ungewöhnlichen und unerreichbaren Tiefe in den Felsen hinein, und sind der sichere Zufluchtsort der Kormorans und Seekälber, welche weder leicht, noch sicher bis in ihre äußersten Schlupfwinkel verfolgt werden können. Unter diesen Höhlen hielt man den Halier von Swartaster für besonders unzugänglich, und er wurde sowohl von Jägern, als von Seeleuten geflissentlich gemieden, theils wegen der scharfen Winkel und Windungen in der Höhle selbst, theils wegen der versunkenen Felsen, welche es für Nachen und Boote sehr gefährlich machten, weit darin vorzudringen, besonders zur Zeit einer gewöhnlichen Insel-Fluth. Aus der dunklen Mündung dieser Höhle glaubte Minna, im Traume, eine Meerjungfrau hervorkommen zu sehen, und zwar nicht in dem classischen Anzuge einer Nereide, wie bei Claudius Halcro's Maskerade am vergangenen Abende, sondern mit Kamm und Spiegel in der Hand, und die Wellen mit dem langen Schuppenschwanze peitschend, welcher, nach der Landessage, einen so furchtbaren Gegensatz gegen ihr schönes Gesicht, die langen Haare und den Busen einer menschlichen und irdischen reizenden Weibergestalt bildet. Sie schien Minna zu winken, während ihr wilder Gesang traurig in ihr Ohr tönte, und in prophetischen Tönen Unglück und Weh ankündete.

Brenda's Traum war von anderer Art, aber nicht weniger trübe. Sie saß, wie ihr dünkte, in ihrer Lieblingslaube, mit ihrem Vater und einer Gesellschaft seiner liebsten Freunde, unter denen Mordaunt Mertoun nicht fehlte. Sie wurde aufgefordert, zu singen, und wollte ein munteres Lied anstimmen, das sie vorzüglich gut sang, und welches sie mit so einfacher und doch so natürlicher Laune vortrug, daß die Zuhörer gewöhnlich in lautes Gelächter und Beifallsbezeigungen ausbrachen, und Alle, sie mochten singen können oder nicht, sich unwillkürlich angetrieben fühlten, ihre Stimmen mit in den Chor zu mischen. Bei dieser Gelegenheit schien es indeß, als ob ihre Stimme ihr den Dienst versage; während es ihr so unmöglich wurde, die Worte des wohlbekannten Liedes hervorzubringen, war es ihr, als ob dasselbe, wider ihren Willen, in die tiefen Töne und die wilde, traurige Weise Norna's von Fitful-Head überginge, und zu einem der wilden runischen Gesänge würde, welche denen gleichen, die von den alten heidnischen Priestern gesungen wurden, wenn das Opfer (nur zu oft ein menschliches) an den furchtbaren Altar Odins gebunden wurde.

Endlich fuhren die beiden Schwestern aus dem Schlafe empor, stießen einen lauten Schrei aus, umschlangen sich gegenseitig. Ihre Einbildungskraft hatte sie nicht ganz betrogen: die Töne, welche ihnen im Traume vorgeschwebt hatten, erklangen wirklich, und zwar in ihrem Gemache selbst. Sie erkannten die Stimme sogleich, aber wenn sie auch wußten, von wem sie kam, so war ihr Erstaunen und ihre Furcht doch nicht geringer, als sie die wohlbekannte Norna von Fitful-Head bei dem Kamine sitzen sahen, in welchem, während des Sommers, eine wohlgeputzte eiserne Lampe stand, und im Winter ein Holz- oder Torffeuer brannte.

Sie war in ihr langes, weites Gewand von Wadmaal gehüllt, und beugte sich langsam über der bleichen Flamme hin und her, während sie in langsamem, traurigem und beinahe überirdischem Tone Folgendes sang:

Meilen weit umher gezogen,
An dem Strand, am Meer bin ich:
Wo ich wandle, ruh'n die Wogen,
Stürmt und braus't es nicht um mich!

Wink' ich, muß die Fluth sich neigen,
Und die Brandung schweigt im Nu!
Könnt' ich nur dem Herzen zeigen,
Was da will die inn're Ruh!

Eine Stunde bleibt mir immer,
Wo ich klagen, weinen kann,
Wann noch glüht der Lampe Schimmer.
Lischt sie aus, vorbei ist's dann!

Meines Magnus Töchter, kommen
Mag Euch Heil! Die Flamme scheint!
Kann Euch meine Kunde frommen:
Wachet auf, daß Ihr nicht weint!

Norna war den Töchtern Troils wohlbekannt, allein sie konnten sie nicht ohne Unruhe, obgleich nach ihrer besondern Gemüthsstimmung verschieden, so unerwartet und zu einer solchen Stunde sehen. Ihre Ansichten von den übernatürlichen Gaben, welche Norna zu besitzen behauptete, wichen sehr von einander ab.

Minna war, wenn auch ihrer Schwester an Talent überlegen, durch eine sehr rege Einbildungskraft dennoch ungleich mehr geneigt, wunderbare Erzählungen zu hören und Geschmack daran zu finden, und den Eindrücken, welche ihrer Phantasie Spielraum und Beschäftigung gaben, ohne die Wirklichkeit derselben genauer in Erwägung zu ziehen, leicht zugänglich. Brenda dagegen hatte bei ihrer Fröhlichkeit einen gewissen Hang zur Satyre, und konnte oft gerade über das lachen, worauf Minna die Träume ihrer Einbildungskraft baute; auch ließ sie, wie alle die, welche das Lächerliche lieben, sich nicht leicht von hochtönenden Ansprüchen irgend einer Art bestechen oder einschüchtern; da indeß ihre Nerven schwächer und reizbarer waren, als die ihrer Schwester, so huldigte sie oft unwillkürlich, aus Furcht, solchen Begriffen, welche ihre Vernunft nicht anerkannte; deßwegen pflegte auch Claudius Halcro, in Beziehung auf manchen hergebrachten Aberglauben, der um Burgh-Westra gang und gäbe war, zu sagen: Minna glaube ohne Zittern daran, und Brenda zittere, ohne daran zu glauben. In unsern aufgeklärten Tagen gibt es Wenige, deren gläubiger Sinn und angeborener Muth nicht auch Minna's hochgespannten Enthusiasmus gefühlt haben, und vielleicht noch Wenigere, deren Nerven nicht, wie die Brenda's, dem Einflusse der Schrecknisse nachgaben, welche ihre Vernunft verläugnete und verachtete.

Von so verschiedenen Gefühlen beseelt, wollte Minna, als der erste Augenblick der Ueberraschung vorüber war, aus dem Bette springen und Norna begrüßen, die, wie sie nicht zweifelte, irgend einen Auftrag des Schicksals auszurichten hatte, während Brenda, die in ihr nur die halb wahnsinnige Frau sah, und die sie überdieß, nach ihren hochtönenden Worten, für einen Gegenstand der Scheu, wo nicht des Schreckens, hielt, ihre Schwester zurückzuhalten suchte, und ihr die ängstliche Bitte in das Ohr flüsterte, um Hülfe zu rufen. Allein Minna's Seele war durch die bevorstehende Entscheidung, der sich ihr Schicksal zu nähern schien, in zu gespannter Stimmung, als daß sie den Eingebungen der Furcht ihrer Schwester hätte Gehör geben können; indem sie sich aus Brenda's Armen loswand, warf sie daher ein leichtes Nachtgewand um, schritt muthig durch das Zimmer, während ihr Herz mehr vor Erwartung, als vor Furcht klopfte, und redete die sonderbare Besucherin an: »Wenn deine Sendung, Norna, uns angeht, wie deine Worte zu sagen scheinen, so siehst du wenigstens Eine von uns vor dir, welche sie mit Ehrfurcht, aber ohne Grauen, anzuhören bereit ist.«

»Norna, theure Norna,« ertönte die zitternde Stimme Brenda's, die, da sie sich im Bette nicht mehr sicher hielt, als Minna es verlassen hatte, ihr gefolgt war – wie Flüchtlinge sich an den Nachtrab eines vorrückenden Heeres anschließen, weil sie es nicht wagen, zurückzubleiben – und die jetzt, hinter ihrer Schwester halb versteckt, diese fest am Saume ihres Kleides hielt, »Norna, theure Norna, was du uns auch zu sagen hast, verschiebe es bis morgen. Ich will Euphane Fea, die Haushälterin, rufen, und sie wird dir für die Nacht ein Bett geben.«

»Ich brauche kein Bett,« sagte die nächtliche Besucherin; »ich schließe meine Augen nicht; sie haben gewacht, als Bank und Klippe zwischen Burgh-Westra und Orkney erschienen und verschwanden: sie haben den Mann von Hoy in das Meer sinken und die Spitze von Hingcliff sich daraus erheben sehen, und haben doch keinen Schlummer genossen; auch dürfen sie nicht schlummern, bevor mein Werk vollbracht ist. So setze dich denn, Minna, und du thörichte Furchtsame, setze dich, während ich meine Lampe putze, zieht eure Kleider an, denn meine Mähr ist lang, und ehe sie beendet ist, werdet ihr durch etwas Schlimmeres, als Frost, erbeben.«

»So verschiebe sie um des Himmels Willen bis zu Tagesanbruch, theure Norna,« sagte Brenda; »die Dämmerung kann nicht mehr fern sein, und wenn du uns etwas Furchtbares erzählen willst, so thue es wenigstens bei Tageslichte, und nicht bei dem trüben Schimmer jener blauen Lampe.«

»Geduld, Thörin!« sagte der ungebetene Gast. »Norna darf bei Tageslicht nicht erzählen, was die Sonne am Himmel auslöschen und die Hoffnungen der hundert Boote zerstören könnte, die noch vor Mittag diese Küste verlassen werden, um ihren Fischfang in hoher See zu beginnen, ja, und die der hundert Familien, die ihre Rückkehr erwarten. Der Dämon, welchen diese Töne gewiß erwecken werden, muß seine dunklen Fittiche über ein schiff- und bootleeres Meer ausbreiten, wenn er sich von seinem Berge emporschwingt, die Schreckenslaute einzuschlürfen, die er so gern vernimmt.«

»Habe Erbarmen mit Brenda's Angst, gute Norna,« sagte die ältere Schwester, und »erspare wenigstens diese furchtbare Mittheilung auf einen andern Ort und eine andere Stunde.«

»Nein, Mädchen,« erwiderte Norna ernst; »ich muß erzählen, da die Lampe noch brennt. Meine Mähr ist nicht für das Tageslicht; bei jener Lampe muß ich sie erzählen, welche aus der Galgenkette des grausamen Herrn von Wodensvoe geschmiedet ist, der seinen Bruder ermordete, und die genährt wurde – doch das sei namenlos – genug, daß ihre Nahrung weder von dem Fisch, noch von der Frucht kam! – Seht, schon brennt sie schwächer und schwächer, und meine Erzählung darf nicht länger dauern, als ihre Flamme brennt. Setzt euch, während ich euch hier gegenüber sitze, und stellt die Lampe zwischen uns, denn in den Kreis ihres Lichtes darf der Dämon sich nicht wagen.«

Die Schwestern gehorchten. Minna warf einen langsamen, scheuen, aber entschlossenen Blick rund um sich her, als ob sie das Wesen entdecken wollte, welches nach Norna's geheimnißvollen Worten in ihrer Nähe schwebte, während in Brenda's Furcht sich Unwille und Ungeduld mischten. Norna achtete Beider nicht, sondern begann ihre Erzählung mit den folgenden Worten:

»Ihr wißt, meine Töchter, daß euer Blut mit dem meinigen verwandt ist, aber ihr wißt nicht, in welchem Grade, denn es war eine alte Feindschaft zwischen meinem Großvater und dem, der das Unglück hatte, mich seine Tochter nennen zu müssen. Ich will ihn bei seinem Taufnamen Erland nennen, denn den, welcher unsere Verwandtschaft bezeichnet, darf ich nicht aussprechen. Euer Großvater Olave war Erlands Bruder. Als die großen Udal-Güter des Vaters dieser Beiden, Rolfe Troils – des reichsten und güterbegabtesten von Allen, die von dem alten norwegischen Geschlechte abstammten – zwischen den Brüdern getheilt wurden, gab der Voigt dem Erland seines Vaters Ländereien in Orkney, und behielt für Olave die von Hialtland. Unter den Brüdern entstand Zwietracht; Erland staubte, er sei beeinträchtigt, und als der Lawting Der oberste Gerichtshof, der in Orkney und Shetland noch beibehalten war und die rohen Elemente eines Parlaments zeigte. mit den Rathsmännern und Richtern die Theilung bestätigte, ging er in Zorn nach Orkney, verwünschte Hialtland und seine Bewohner – verwünschte seinen Bruder und sein Blut.

»Allein die Liebe zu Fels und Berg wohnte noch immer in Erlands Gemüth, und er nahm seinen Wohnsitz nicht auf den sanften Hügeln von Orphir, oder auf den grünen Ebenen von Gramesy, sondern auf der wilden und bergigen Insel Hoy, deren Gipfel sich zum Himmel erhebt, wie die Klippen von Foulah und Faroe.

»Er kannte Alles, der unglückliche Erland, was nur Scalden und Barden von Sagen zurückgelassen hatten, und mich dieß Alles zu lehren, was uns Beiden so theuer zu stehen kommen sollte, war die Hauptbeschäftigung seines Alters. Ich lernte jeden einsamen Grabhügel, jeden hochaufgethürmten Steinhaufen können, wußte dessen Geschichte zu erzählen, und verstand es, durch Reime zu seinem Lobe den Geist des wilden Kriegers zu besänftigen, welcher darin ruhte. Ich wußte, wo in jenen Zeiten Thor und Odin die Opfer dargebracht wurden, auf welchen Steinen das Blut der Opfer floß, wo der Priester mit seinen dunklen Frauen stand, den Ort, wo die mit ihren Helmzierden geschmückten Häuptlinge standen, welche den Willen des Götzen vernahmen, und den, wo der entfernte Haufe der untergeordneten Anbeter versammelt war, welcher auf Jene mit Ehrfurcht und Schrecken blickte. Die Orte, vor denen die furchtsamen Bauern sich am meisten scheuten, hatten keine Schrecken für mich; ich wagte es, in den Feuerring zu treten und bei der Zauberquelle zu schlafen.

»Zu meinem Unglücke war es indeß mein Lieblingsvergnügen, mich in der Nähe des Zwergsteins aufzuhalten, eines Ueberbleibsels des Alterthums, welches von Fremden mit Neugier, von den Eingeborenen aber mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachtet wird. Es ist ein gewaltiges Bruchstück eines Felsens, welches in einem unebenen, rauhen Thale liegt, das, voll von Steinen und Abhängen, in den Schluchten des Wart-Hügels, auf Hoy gelegen ist. Im Innern dieses Steines sind zwei Lagerstätten, die von keiner irdischen Hand ausgehauen sind, und zwischen denen ein Gang hindurchgeht. Die Thür ist jetzt dem Wetter offen, aber daneben liegt der gewaltige Stein, welcher, in die nahe am Eingange sichtbaren Fugen passend, einst dazu diente, diese außerordentliche Wohnung zu öffnen und zu schließen, welche Trolld, ein in den nordischen Sagas berühmter Zwerg, zu seinem eigenen Lieblingsaufenthalte sich eingerichtet haben soll. Der einsame Schäfer vermeidet diesen Ort, denn um Sonnenaufgang, zu Mittag und um Sonnenuntergang sieht man noch zuweilen die Mißgestalt des zauberischen Eigenthümers bei dem Zwergsteine sitzen. Ich fürchtete seine Erscheinung nicht, Minna, denn mein Herz war so unerschrocken und meine Hand so unschuldig, wie die deine. In meinem kindischen Muthe war ich nur zu kühn, und der Durst nach unerreichbaren Dingen ließ mich, wie unsere erste Mutter, eine Erweiterung meines Wissens wünschen, wäre es selbst durch verbotene Mittel. Ich brannte vor Begierde, die Macht der Voluspen und der Wahrsagerinnen unsers alten Stammes zu besitzen, wie sie, eine Gewalt über die Elemente auszuüben und die Geister abgeschiedener Helden aus ihren Gräbern hervorrufen zu können, um von ihnen zu hören, welche Thaten sie gethan, und wo sie ihre Schätze verborgen. Oft, wenn ich bei dem Zwergsteine wachte, die Augen auf den Ward-Hill geheftet, welcher über jenem düstern Thale emporsteigt, sah ich zwischen den dunklen Felsen jenen wundervollen Karfunkel, welcher denen, die ihn von unten sehen, wie ein Ofen zu glühen scheint, welcher dem aber sogleich unsichtbar wird, dessen kühner Fuß den Abhang erklimmt, von welchem er seinen Glanz herabströmt An dem Westende dieses Steines, d. h. des Zwergsteines, erhebt sich ein hoher, steiler Berg, der Ward-Hill genannt. Nahe bei der Spitze desselben sieht man in den Monaten Mai, Juni, Juli, um Mitternacht Etwas, das ungemein glänzt und strahlt, und das man oft schon in großer Entfernung bemerkt. Es hat früher noch viel stärker geleuchtet, als jetzt, und obgleich Manche den Felsen erklettert und danach gesucht haben, so haben sie doch nichts finden können. Nach der Volkssage ist es ein bezauberter Karfunkel, ich halte es aber für Wasser, das den glatten Felsen herabfließt und, wenn die Sonne zu einer gewissen Zeit darauf scheint, durch das Zurückprallen der Strahlen diesen Glanz verursacht. Wallane, S. 52.. Mein hochfahrender jugendlicher Sinn brannte vor Ungeduld, diese und hundert andere ähnliche Geheimnisse zu ergründen, welche die Sagas, die ich durchlas, oder von Erland lernte, nur andeuteten, aber nicht enthüllten, und in meinem kühnen Muthe forderte ich den Herrn des Zwergsteines auf, mir zu helfen, solche Kenntnisse zu erlangen.«

»Und der böse Geist hörte deine Aufforderung?« sagte Minna, deren Blut bei der Erzählung erstarrte.

»Still,« sagte Norna mit gedämpfter Stimme; »reizt ihn nicht durch schnöde Worte – er ist in unserer Nähe – er hört uns in diesem Augenblicke.«

Brenda sprang von ihrem Sitze auf. »Ich gehe in Euphane Fea's Stube,« sagte sie, »und lasse euch, Minna und Norna, allein, eure Erzählungen von Gespenstern und Zwergen nach Belieben zu endigen; ich kümmere mich zu allen Zeiten nicht darum, allein ich will sie nicht um Mitternacht und bei diesem blassen Lampenscheine hören.«

Sie war im Begriff, das Zimmer zu verlassen, allein ihre Schwester hielt sie zurück.

»Ist das der Muth,« sagte sie, »den Jemand zeigt, der an nichts glaubt, was uns die Geschichte unserer Väter von übernatürlichen Wundern berichtet? Was Norna uns zu erzählen hat, betrifft vielleicht das Schicksal unseres Vaters und unseres Hauses, und wenn ich es im Vertrauen auf den Schutz Gottes und meiner Unschuld gegen alle Einwirkung feindlicher Mächte mit anhören kann, so hast du, Brenda, die du an solche Einwirkung nicht glaubst, gewiß noch weit weniger Ursache, zu zittern. Sei überzeugt, daß der Schuldlose Nichts zu fürchten hat.«

»Es mag keine Gefahr vorhanden sein,« sagte Brenda, welche nicht im Stande war, ihre natürliche Neigung zum Spott zu unterdrücken, »aber, wie das alte Schwänkebuch sagt, die Furcht ist nun einmal da. Indessen will ich doch bei dir bleiben, Minna, da ich« – setzte sie flüsternd hinzu – »dich nicht mit der furchtbaren Frau allein lassen mag, und da ich eine dunkle Treppe hinabsteigen und einen langen Gang hinuntergehen muß, ehe ich zu Euphane Fea komme; sonst sollte sie hier sein, ehe fünf Minuten vergehen.«

»Rufe Niemand herbei, Mädchen, wenn du dein Leben lieb hast,« sagte Norna, »und unterbrich meine Erzählung nicht, denn ich kann und darf sie nicht fortsetzen, wenn dieses Zauberlicht nicht mehr brennt.«

»Und ich danke Gott,« sagte Brenda bei sich selbst, »daß das Oel schon tief in der Lampe gesunken ist; ich hätte nicht wenig Lust, ihr einen Stoß zu geben, aber dann wäre Norna mit uns allein im Dunkeln, und die Sache noch ärger.«

So ergab sie sich denn in ihr Schicksal und setzte sich nieder, entschlossen, mit aller Fassung, die ihr nur zu Gebote stand, den übrigen Theil von Norna's Erzählung mit anzuhören, welcher folgendermaßen lautete:

»An einem heißen Sommertage, und gerade um die Mitternachtsstunde,« fuhr Norna fort, »als ich bei dem Zwergsteine saß, die Augen auf den Ward-Hill geheftet, von wo aus der geheimnißvolle, ewig brennende Karfunkel seine Strahlen heller, als gewöhnlich herabströmen ließ, und in meinem Herzen die engen Gränzen des menschlichen Wissens betrauerte, konnte ich endlich nicht umhin, mit den Worten einer alten Sage auszurufen:

Bewohner der Berge, wacht auf, wie ich's heiße,
Du, Trolld, und mächtiger Haims, du, der Weise:
Einst mochtet dem Weibe, dem schwachen, ihr bringen
Die Lehren, die Starke wie Weise bezwingen.
Einst habt ihr den Zauberstab gern ihr verlieh'n,
Der Todte beschwört, aus dem Grabe zu zieh'n;
Der Stürme beschwichtigt und Wogen bezähmt!
Wo seid ihr? Ist eure Gewalt nun gelähmt?
Wenn ich euch, ihr Mächt'gen, erwachen jetzt heiße,
Du, Trolld, der Mächtige, Haims, du, der Weise?
Seid ihr denn nichts weiter, als Schatten und Luft?
Gebilde nur, schwankend im Nebelduft?

»Ich hatte kaum diese Worte ausgesprochen,« fuhr Norna fort, »als der Himmel, welcher bis dahin ungewöhnlich heiter gewesen war, sich so plötzlich um mich her verdunkelte, daß es Mitternacht, statt Tag zu sein schien. Ein einzelner Blitz zeigte mir die öde, aus Haide, Morast, Bergen und Abhängen bestehende Gegend um mich her, ein einzelner Donnerschlag erweckte die Echo's des Ward-Hill, welche den Ton so lange wiederholten, daß es schien, als stürze ein Fels, den der Blitzstrahl vom Gipfel gerissen, über Klippe und Abgrund in das Thal hinab; kurz darauf fiel ein so gewaltiger Regen, daß ich mich in das Innere des geheimnißvollen Steines flüchten mußte.

»Ich ließ mich auf dem größeren Felsenlager, welches an dem Ende der Höhle ausgehauen ist, nieder, und verlor mich, die Augen auf das kleinere Bett geheftet, in Vermuthungen über den Ursprung und die Bestimmung meines sonderbaren Zufluchtsortes. War es wirklich das Werk jenes mächtigen Trolld, dem es die Dichtungen der Scalden zuschrieben? Oder war es das Werk eines scandinavischen Häuptlings, der hier, mit seinen Waffen und seinen Schätzen, vielleicht auch mit seinem Weibe begraben war, das er geopfert, damit das, was ihm im Leben das Liebste gewesen, auch im Tode nicht von ihm getrennt sein möge? Oder war es die Wohnung der Buße, welche ein frommer Einsiedler späterer Zeit gewählt? Oder war es das müßige Wort eines wandernden Handwerkers, den Zufall, Muße und Laune zu einer solchen Unternehmung veranlaßten? – Ich erzähle euch, was mir damals durch den Kopf ging, damit ihr seht, daß das, was sich dann ereignete, nicht das Werk der erhitzten Einbildungskraft war, sondern eine eben so wirkliche als furchtbare Erscheinung.

»Der Schlaf hatte sich meiner während meiner Grübeleien bemeistert, als ich durch einen zweiten Donnerschlag daraus aufgeschreckt wurde. Ich erwachte, und sah in dem ungewissen Lichte, welches durch die obere Oeffnung hereinfiel, die unförmliche Gestalt des Zwerges, welcher mir gegenüber auf dem kleinen Bette saß, das sein breiter, ungestalteter Leib gänzlich auszufüllen schien. Ich war befremdet, aber nicht erschreckt, denn das Blut des alten Geschlechtes der Lochlin floß in meinen Adern. Er sprach norwegisch, aber so alt, daß Niemand, meinen Vater und mich ausgenommen, ihn verstanden haben würde – eine Sprache, welche auf dieser Insel gesprochen wurde, ehe Olaf das Kreuz auf den Trümmern des Heidenthums aufpflanzte. Auch seine Worte waren dunkel und geheimnißvoll, wie die, welche die heidnischen Priester im Namen ihrer Götzen den Stämmen, welche sich am Helgafelsen Dem heiligen Felsen, wo die scandinavischen Priester ihren Götzendienst verrichteten. versammelten, zu verkünden pflegten. Dieß war ihr Inhalt:

Wer zählt die Winter, die entflogen,
Seitdem ein Wand'rer kam gezogen,
Um seine Macht mir mitzutheilen?
      Kühner Fremdling, sei willkommen,
      Im Hause Trollds du aufgenommen!
Maid, die so Kühnes kann üben,
Was du verlangest von mir,
Wird mich, versag' ich's, betrüben,
Darum gewähr' ich es dir.
Herrsch' über Meer, über Buchten,
Dein sollen, Stolze, sie sein,
Herrsch' über Höhen und Schluchten,
Dein sind sie, wie sie einst mein!
      Dir dienen die Lüfte!
      Dich hören die Klüfte!
      Die Fluth darf nicht sprühen,
      Der Mond muß verglühen.
      Sobald du erscheinst! Doch die Gaben zeigen
      Sich dir nur zu eigen,
      Wenn er kommt um's Leben,
      Der dir es gegeben!«

»Ich antwortete ihm beinahe in derselben Weise, denn der Geist der alten Scalden unseres Stammes ruhte auf mir, und weit entfernt, die Erscheinung zu fürchten, mit der ich in einem so engen Raume eingeschlossen war, fühlte ich den hohen Muth, der die alten Kämpen und Druidinnen zu Kämpfen mit der unsichtbaren Welt vermochte, sobald sie glaubten, daß die Erde keine Feinde mehr enthielte, werth, von ihnen bekämpft zu werden. Deßwegen antwortete ich ihm also:

›Streng ist, was dein Mund mir sagte,
      Du Bewohner von dem Stein;
Aber wer sich hieher wagte,
      Kann der bang' und ängstlich sein?
Wer dich suche am öden Orte,
      Scheut nicht deiner Kräfte Droh'n!
Fürchtet nimmer deine Worte,
      Bietet den Gefahren Hohn!
Kurze Freude nur ist's Leben,
      Tod ein Traum davon allein:
D'rum, eh' ich mich wegbegeben,
      Sei, was ich verlange, mein!‹

»Der Dämon blickte mich mürrisch an, als ob er erzürnt und betroffen zugleich wäre, hüllte sich dann in einen dichten und schwefelartigen Dunst, und verschwand. Bis jetzt hatte ich keine Anwandlung von Furcht gespürt, nun aber ergriff sie mich plötzlich. Ich stürzte in das Freie hinaus; der Sturm war vorüber, und Alles klar und heiter. Nach einem kurzen, athemlosen Verweilen eilte ich nach Hause, den Worten der Erscheinung nachdenkend, auf die ich mich damals, wie es oft geschieht, bei weitem nicht so gut besinnen konnte, als ich es nachher vermocht habe.

»Es wird euch vielleicht sonderbar vorkommen, daß eine Erscheinung der Art aus meiner Seele so ganz habe entschwinden können, wie ein Traumgesicht – und doch war es so. Ich fing an, zu glauben, daß sie ein Werk der Einbildung gewesen sei – ich meinte, ich hätte zu viel in der Einsamkeit gelebt, und den Gefühlen, welche meine Lieblingsstudien mir einflößten, zu sehr nachgegeben. Ich entsagte diesen eine Zeitlang, und suchte den Umgang junger Leute meines Alters. Einst war ich in Kirkwall zum Besuch, und lernte dort euern Vater kennen, den Geschäfte dahin geführt hatten. Es ward ihm nicht schwer, Eingang bei dem Verwandten zu finden, bei dem ich wohnte, und der es sehnlichst wünschte, den Zwist auszugleichen, welcher unsere Familie von einander getrennt hatte. Euer Vater, Mädchen, ist durch seine Jahre wohl unbiegsamer geworden, allein sie haben ihn äußerlich wenig verändert. Er hatte auch damals dasselbe männliche Wesen, dieselbe altnorwegische Geradheit der Sitte und des Herzens, denselben freien Muth, dieselbe Rechtlichkeit – bei einer größeren jugendlichen Geschmeidigkeit, dem Wunsche, zu gefallen und gefällig zu sein, und der Munterkeit des Geistes, welche selten über unsere früheren Jahre hinaus dauert. Obgleich er indeß nach dieser Schilderung sehr liebenswürdig war, und obgleich Erland mir schrieb und seine Liebe billigte, so gab es doch noch einen Andern – einen Fremden, Minna, einen gefährlichen Fremden – voll von uns unbekannten Künsten und von angenehmen Gaben, welche den einfachen Sitten eures Vaters fremd waren. Ihr seht mich an, als ob ihr es sonderbar fändet, daß ich einen solchen Liebhaber hätte fesseln können; allein ich habe nichts mehr an mir, was euch begreiflich machen könnte, daß diese Norna von Fitful-Head einst, als Ulla Troil, so bewundert und geliebt wurde! Die Veränderung, welche nach dem Tode mit dem Körper vorgeht, ist kaum furchtbarer, als die, welche mit mir vorgegangen ist, seitdem ich so auf der Erde herumwandele. – Blickt mich an, Mädchen, – blickt mich bei diesem schwachen Lichte an – könnt ihr glauben, daß diese wilden, vom Wetter halb zerstörten Züge, diese Augen, welche durch den Anblick der Schrecken beinahe zu Stein geworden sind, daß diese Locken, welche, mit Grau vermischt, jetzt umherflattern, wie die zerrissenen Wimpel eines sinkenden Schiffes, daß diese, und die, welcher sie gehören, einst die Gegenstände zärtlicher Neigung sein konnten? Doch die flackernde Lampe nähert sich schnell dem Erlöschen, und so mag sie es auch, während ich meine Schande erzähle. Wir liebten uns heimlich – wir kamen heimlich zusammen, bis ich den letzten Beweis einer verderblichen und schuldvollen Leidenschaft gab! – Und jetzt ströme aus, du zauberischer Schein, lodere noch einmal auf, du Flamme, selbst noch in deiner Schwäche so mächtig – laß ihn, der um uns schwebt, seine dunkeln Fittiche von dem Kreise fern halten, den du erleuchtest – lebe nur noch so lange, bis das Aergste erzählt ist, und sinke dann, wenn du willst, in jene Finsterniß, welche so schwarz als meine Schuld und mein Kummer ist.«

Während sie dieß sprach, häufte sie die übrigbleibende Speise der Lampe zusammen, putzte ihre sinkende Flamme, und nahm dann, mit hohler Stimme und in einzelnen abgebrochenen Sätzen, den Faden ihrer Erzählung wieder auf.

»Ich darf die Zeit nicht mit Worten verderben. Meine Liebe ward entdeckt, aber nicht mein Verbrechen. Erland kam zornig nach Pomona, und führte mich nach unserer einsamen Wohnung auf Hoy. Er verbot mir, meinen Geliebten je wieder zu sehen, und befahl mir, Magnus zum Gatten zu nehmen, dem er die von seinem Vater ihm angethanen Beleidigungen vergeben wollte. Ach, ich war seiner Liebe nicht länger würdig – mein einziger Wunsch war, mich aus meines Vaters Hause zu entfernen, um meine Schande in meines Geliebten Armen zu verbergen. Ich darf nicht ungerecht gegen ihn sein – er war treu – nur zu treu – seine Untreue würde mich meiner Sinne beraubt haben – allein die traurigen Folgen seiner Treue haben mir zehnfaches Leid zugefügt.«

Sie hielt inne, und fuhr dann mit dem wilden Tone der Geistesverwirrung fort: »Sie hat mich zur mächtigen und unglücklichen Beherrscherin des Meeres und der Winde gemacht!«

Sie hielt nach diesem wilden Ausrufe zum zweiten Male inne, und fing dann ihre Erzählung in einem ruhigeren Tone wieder an: »Mein Geliebter kam heimlich nach Hoy, um mit mir die Maßregeln zur Flucht zu verabreden. Ich versprach, mit ihm zusammenzukommen, damit wir die Zeit bestimmten, wo sein Schiff in den Sund einlaufen könnte. Ich verließ das Haus um Mitternacht ...«

Hier schien sie nur mit Mühe zu athmen, und setzte ihre Erzählung nur in abgebrochenen einzelnen Sätzen fort: »Ich verließ das Haus um Mitternacht – ich mußte bei meines Vaters Thür vorübergehen, ich sah sie offen stehen – ich glaubte, er könnte uns belauschen, und damit der Schall meiner Tritte seinen Schlummer nicht unterbrechen möchte, schloß ich die unglückliche Thür – dieß Zuschließen, an sich eine gewöhnliche unbedeutende Handlung – aber, Gott im Himmel! was waren die Folgen derselben! – Am Morgen war das Zimmer voll erstickender Dünste – mein Vater war todt – ich war die Ursache seines Todes gewesen – mein Ungehorsam – meine Schande hatten ihn getödtet! Alles, was nun folgt, ist Nebel und Dunkelheit – ein erstickender, erdrückender, tödtender Nebel umhüllt Alles, was ich sagte und that, bis ich mich überzeugte, daß mein Schicksal unwiderruflich beschlossen sei, und ich als das unruhige und furchtbare Wesen hervortrat, das ihr jetzt in mir seht – die Königin der Elemente – die Theilnehmerin an der Macht jener Wesen, denen der Mensch und seine Leidenschaften ein so grausames Vergnügen gewähren, als die Qualen eines Seehundes dem Fischer, wenn er ihm die Augen mit Dornen aussticht, und ihn dann in sein heimathliches Element zurückwirft, die Wogen in Blindheit und Todeskampf zu durcheilen. Nein, Mädchen, die, welche ihr vor euch seht, nimmt an den Thorheiten nicht mehr Theil, denen eure Gemüther noch zum Spiele dienen. Ich habe das Opfer gebracht – ich bin es, die den Geber der Gabe des Lebens beraubt, die er mir gegeben – der dunkle Spruch ging durch meine That in Erfüllung – und ich bin ausgeschlossen von der Menschheit, um ein ausgezeichnet mächtiges, aber auch ausgezeichnet elendes Wesen zu sein.«

Bei diesen Worten flammte die Lampe, welche lange geflackert hatte, auf einmal hell empor, und schien dann im Begriff, zu erlöschen. Norna hielt auf einmal inne, und sagte hastig: »Nun nichts weiter – er kommt, er kommt – genug nun, daß ihr mich kennt – und wißt, welches Recht ich habe, euch zu rathen und zu gebieten. – So nähere dich jetzt, stolzer Geist, wenn du willst!«

Mit diesen Worten löschte sie die Lampe aus, und schritt aus dem Zimmer, mit ihren gewöhnlichen Schritten, die Minna durch ihren abgemessenen Ton noch lange nachhallen hörte.


 


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